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18. Oktober 2014

Oktober November

Nützlich sein, sonst darf man net glücklich sein.

Ein Sprichwort sagt, jeder ist seines Glückes Schmied. Vermutlich würden die Figuren in Götz Spielmanns Filmen dies nicht unterschreiben wollen. Schon die Charaktere in seinem vor fünf Jahren für einen Oscar nominierten Revanche hatten mit Widrigkeiten und einander zu kämpfen. Auch in seinem neuen Film, Oktober November, macht es der österreichische Regisseur seinen Geschöpfen nicht leicht. Sie hadern mal wieder miteinander, aber auch mit sich selbst. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Schwestern Verena (Ursula Strauss) und Sonja (Nora von Waldstätten), die im Grunde gänzlich unterschiedliche Leben führen, aber – so zeigt sich im Verlauf des Films – doch mehr gemein haben, als ihnen selbst bewusst scheint.

Während Sonja, die Jüngere, in Berlin als Schauspielerin arbeitet, lebt Verena mit ihrem Mann Michael (Johannes Zeiler) und dem gemeinsamen Sohn im ehemaligen Gasthaus ihres Vaters (Peter Simonischek). Dessen Gesundheit lässt allmählich nach, weswegen sich der Landarzt Andreas (Sebastian Koch) um den Witwer kümmert. Dennoch erleidet der alte Mann eines Abends nach dem Vesper einen Herzinfarkt, der ihn beinahe ins Jenseits befördert. Der Vorfall ist Anlass für Sonja, nach Jahren der Abwesenheit, die seit dem Tod der Mutter ins Land gezogen sind, wieder in ihre Heimat in die österreichische Provinz zurückzukehren. Doch ihren Ballast, der sie schon in Berlin geplagt hat, wird sie auch hier nicht los.

Scheinen die Figuren auf den ersten Blick ein glückliches Leben zu führen – Sonja als populäre Schauspielerin, Verena als Ehefrau und Mutter –, entblößt sich dieser Umstand lediglich als eine Fassade. Trost suchen beide in Affären, Sonja mit einem verheirateten Familienvater, Verena derweil mit Andreas. Die Umstände der Romanzen bleiben offen, werden höchstens angerissen. Wo Verena vermutlich aus ihrem Alltagstrott auszubrechen versucht, der sie zu erdrücken scheint, will Sonja eine Leere füllen, die ihren Ursprung in der Vergangenheit hat. „Kein Mensch weiß, wie er wirklich ist“, sagt die junge Schauspielerin zu Beginn. Zumindest sie und ihre ältere Schwester werden diese Aussage in Oktober November zu untermauern versuchen.

Mit der Anwesenheit von Sonja wird das Leben Verenas nicht leichter. Alte Spannungen und Gefühle der Eifersucht kochen wieder hoch. Im Gegensatz zu ihrer Schwester konnte Verena nie das Leben leben, das sie sich erträumte. Sie musste zurückbleiben in der Provinz im Gasthof des Vaters. „Es war sein größter Wunsch, dass ich weitermach’“, sagt die Tochter über den Vater. Und gesteht zugleich, dass sein Tod für sie in gewisser Weise Freiheit bedeuten würde. Freiheit von alten Erwartungen und gegenwärtigen Anforderungen. Von solchen wiederum scheint Sonja eher weniger geplagt und dennoch wirkt sie ungemein fragil. Eine Depression hat sie erst überwunden, erfahren wir, einem Glas Weißwein ist sie selten abgeneigt.

Sie habe immer bewundert und geliebt werden wollen, berichtet sie Andreas in einer Szene. „Bewundert und geliebt… geht das zusammen?“, fragt dieser halb im Spaß, halb im Ernst zurück. Wenn Verena ihr später vorwirft „Du musst dauernd ’ne Rolle spielen“, dann ist dies nicht weit von der Wahrheit entfernt. Und hier zeigt sich auch das Hauptproblem von Spielmanns Film: Was den beiden Schwestern im Leben zu fehlen scheint, insbesondere Sonja, weiß Oktober November nicht vollends deutlich zu machen. Dass der Regisseur teils, gerade in der Herzinfarktszene, mit verspielter Inszenierung und unnötigem Zoom arbeitet, fällt obendrein von technischer Seite negativ ins Auge. Zumindest das Ensemble lässt sich nichts zu Schulde kommen.

Auch Österreichs Landschaft ist wieder in gewisser Weise ein Charakter ganz für sich. Und dennoch erreicht Oktober November selten die Intensität und Qualität von Spielmanns Revanche. Dafür fehlt es am Einblick in das Innenleben der beiden Schwestern und einer etwas klareren Herausarbeitung ihrer ambivalenten Dynamik. Nach fünf Jahren Pause meldet sich Götz Spielmann somit nicht wirklich mit alter Stärke zurück, obschon man den Film auch nicht vollends als Enttäuschung ansehen kann. Zumindest sein Potential schöpft Oktober November jedenfalls nicht aus. Möge sich dies also beim nächsten Projekt des österreichischen Regisseurs wieder ändern. Denn jeder ist seines Glückes Schmied – das gilt auch für Götz Spielmann.

6/10

26. November 2009

Revanche

In der Stadt wird man entweder arrogant oder ein Lump.

Schon lange gilt Österreich als der kleine Bruder von Deutschland. Wenn es nach den Österreichern geht, wohl schon zu lange. Stets im Schatten der Deutschen können sich die Österreicher weder in der Musik (DJ Ötzi zählt nicht), noch im Sport für ihren Status revanchieren. Wenn es ums Filme drehen geht, haben sie jedoch dem großen Bruder in den letzten Jahren wenn schon nicht einiges voraus, dann doch zumindest Augenhöhe erreicht (was hinsichtlich des deutschen Kinos allerdings nicht unbedingt als Kompliment anzusehen ist). Die Fälscher gewann im Vorjahr den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Was hinsichtlich des Status’ des Oscars auch nicht unbedingt viel heißen muss, aber immerhin bringt es Aufmerksamkeit. Mit Revanche waren die Österreicher dieses Jahr erneut bei der prestigereichsten Preisverleihung vertreten, mussten jedoch – zu recht – dem japanischen Vertreter den Vorrang lassen. Nichtsdestotrotz eine bemerkenswerte Leistung, innerhalb von einem Jahr zwei Mal nominiert zu werden. Schließlich hatte es zuvor lediglich 1986 mit 38 – Auch das war Wien eine österreichische Oscarnominierung in dieser Rubrik gegeben.

Zu Beginn nimmt Regisseur Götz Spielmann nicht nur eine Szene vorweg, sondern deutet sie sogleich zur Metapher für den ganzen Film um. Ein Gegenstand wird in einen See geworfen. Der Aufprall ins Wasser löst Wellen aus, die schließlich wieder verebben. Sinnbildlich für das Bild wird hier aufgeschlüsselt, dass ein Ereignis Wellen schlagen kann. Revanche erzählt die Geschichte von Alex, aber auch von Tamara, Susanne und Robert. Tamara (Irina Potapenko) ist eine Prostituierte in Wien. Sie stammt aus der Ukraine, spricht aber durchaus Deutsch, wenn auch mit grammatikalischen Fehlern. Diese sind dafür sehr süß und charmant („Gehe ich spazieren“). In den Augen von Tamaras Zuhälter Konecny (Hanno Pöschl) ist Tamara „zu Schad’ für’s Puff“. Er will sie in eine eigene Wohnung stecken, wo sie zur Edelhure für die Beletage Wiens umfunktioniert werden soll. Damit Tamara das verdeutlicht wird, lässt sie Konecny auch gerne mal von einem Freier zusammenschlagen, um sie in die „sichere“ Wohnung zu treiben.

Was Konecny nicht weiß: Tamara ist mit Alex (Johannes Krisch), einem Ex-Häftling und Aushilfe im Puff, liiert. Bei ihm darf Tamara sogar ihre Familie in der Ukraine anrufen. In Konecnys Wohnung will Tamara daher nicht. Der Zuhälter ist ihr verständlicherweise unheimlich. Wenn es nach Alex geht, könnten sie auch lieber heute als morgen nach Ibiza abhauen. Dort kann er bei einem Kumpel in einer Bar als Teilhaber einsteigen. Nur fehlen ihm 80.000 Euro. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Eben. Sein Plan, eine örtliche Bank zu überfallen, wird von Tamara wenig enthusiastisch aufgenommen. Aber auch sie will ihrem tristen Leben entfliehen. Bei der Flucht kommt es allerdings zu einer Schießerei mit dem Streifenpolizisten Robert (Andreas Lust). Der hat nach eigener Aussage „auf die Reifen gezielt“, aber stattdessen Tamara getroffen. Diese verstirbt im Wald, Alex wiederum sucht Unterschlupf bei seinem Großvater (Johannes Thanheiser), der in der Umgebung lebt. Erstmal Gras über die Sache wachsen lassen. Wäre da nicht Susanne (Ursula Strauss), Roberts Ehefrau und Bekannte von Alex’ Großvater, die sich ständig auf dem Gut der beiden herumtreibt.

Spannend wird es schließlich, als Alex herausfindet, dass Robert für Tamaras Tod verantwortlich ist und im selben Ort wie sein Großvater wohnt. Während er diesem beim Holzhacken behilflich ist, nähert sich Susanne allmählich an Alex an. Beide beginnen aus individuellen Gründen eine Affäre miteinander. Alex selbst befasst sich mehr und mehr mit seinem Zielobjekt Robert. Sonntags joggt dieser an einem kleinen See entlang und Alex wartet auf ihn. Manchmal die Umgebung auslotend, dann wieder mit geladener Waffe auf Robert zielend. Was Revanche nun auszeichnet, ist die nicht vorhandene Effekthascherei, mit der Spielmann seine Geschichte erzählt. Sehr ruhig und besonnen lässt der Österreicher seine Bilder für sich sprechen, wirkt dabei nie aufgeregt. Weder beim Banküberfall, noch während der Flucht. Als Tamara stirbt und Alex im Wald hält, fokussiert Spielmann die Kamera von außen gut eine halbe Minute auf den stillstehenden Wagen. Man hört Alex nicht Schreien, hört ihn nicht Weinen. Man sieht einfach nur das Bild.

Auch auf die Eskalation zwischen Alex und Robert wartet man vergeblich. Revanche ist weniger Thriller als Charakterstudie. Des Öfteren sieht man Alex gemeinsam mit seinem Großvater ihr Vesper zu sich nehmen. Die Männer kommen sich wieder näher, wenn auch in Stille. Susanne und Robert wiederum haben ihre eigenen Probleme. Nachdem Robert den Tod Tamaras nicht verarbeiten kann, schließt er seine Frau emotional aus. Übernimmt Nachtschichten und bricht schließlich zusammen. Er hat doch auf die Reifen gezielt. Da Spielmann zu Beginn den Polizisten bei Schießübungen gezeigt hat, kann man sich denken wie sehr ihn Tamaras Tod mitnimmt. Er ist ein guter Schütze. Und er hat doch auf die Reifen gezielt. Die Entwicklung, die Spielmanns Film später nimmt, ist letztlich wenig überraschend und doch unerwartet. Als Zuschauer ist man einen Film wie Revanche nicht (mehr) gewöhnt. Zum Vergleich ließe sich Reservation Road heranziehen – den Roman, nicht den Film –, der am Ende einen ganz anderen und irgendwie typisch amerikanischen Verlauf nimmt. Nicht so Revanche, der durchweg stimmig, stringent und spannend ist. Und das ohne allzu viel Aufheben und besser als alles, was wir Deutschen dieses Jahr hervorbrachten.

8.5/10

14. Februar 2009

Kurz und Knackig: For Your Consideration?

The Visitor – Es gibt sie noch, die kleinen aber feinen, stets unscheinbaren, Dramen. Da zelebriert Thomas McCarthy in seinem zweiten Spielfilm einen gebrochenen College-Professor (Richard Jenkins), der durch ein unerwartetes Ereignis wieder lernt, das Leben zu schätzen. McCarthy nimmt sich all die Zeit, die er braucht, um die bizarre Freundschaft zwischen Vale, dem Professor, und Tarek (Haaz Sleiman), einem illegalen Einwanderer, zu erzählen. Als roter Faden dient hierbei die Musik (per se), die den Film ein-, wie ausleitet- und zugleich den Initiator für die Männerfreundschaft bildet. Äußerst gelungen vollzieht The Visitor dann die Kehrtwende zum Post-9/11-Drama. Als der Syrier Tarek ohne nachvollziehbare Gründe in der New Yorker U-Bahn verhaftet, interniert und letztlich abgeschoben wird. „You can’t treat people like that“, schreit Vale zu einem Zeitpunkt einen der Wärter und damit quasi das amerikanische System an. Ein System, dass schon lange nicht mehr richtig funktioniert. Somit fungiert McCarthys Film als Rückbesinnung, dass nicht alles (oder jeder) Fremde unbedingt schlecht sein muss und dass das Leben nicht verharrt, sondern stets weiter geht. Getragen wird das Ganze dann praktisch allein von Richard Jenkins, der eine formidable Leistung abliefert. Ein wenig mehr Tiefe in das Innenleben der Figuren hätte dem Drehbuch dann allerdings auch nicht geschadet. Dennoch ein guter Film: 7/10.
  Frozen River – Ein weiteres Indie-Werk entstammt der Feder von Courtney Hunt, die mit Frozen River ihr Drehbuch- und Regiedebüt gibt. Ihre Geschichte von einer White Trash Mutter, die aus Geldnöten gemeinsam mit einer Mohawk-Kriminellen illegale Einwanderer über einen gefrorenen Fluss schmuggelt. Hier prallen nicht nur zwei Kulturen aufeinander, sondern hier wird auf die Vielschichtigkeit der sozialen Zwiebel deutlich. Das Resultat ähnelt dann doch sehr McCarthys The Visitor, denn der Film wird fast ausschließlich von Hauptdarstellerin Melissa Leo getragen – die nebenbei bemerkt eine grandiose Leistung abliefert -, knabbert jedoch ebenfalls an seiner bisweilen fehlenden Tiefe. Die Umstände aller Figuren werden nicht immer deutlich, beziehungsweise hätten noch deutlicher gemacht werden können. Warum haut zum Beispiel der Ehemann ab und inwieweit ist die Familie jetzt von den Schulden geplagt? Misty Uphams Lila bleibt als Mohawk-Frau auch erschreckend unterrepräsentiert in ihrer Charakterausarbeitung. Hier wäre noch ein bisschen mehr drin gewesen. Für ein Debütprojekt ist der Film allerdings durchaus beachtlich. Weshalb Quentin Tarantino ihn als „Thriller“ klassifiziert, wird mir selbst zwar nicht klar, da ihm die meiste Zeit doch die Spannung abgeht und er diese auch nicht wirklich versucht zu erzeugen. Trotz allem ein recht nett photographierter Film mit mitreißender Handlung und einer exzellent aufspielenden Hauptdarstellerin: 7.5/10.
  Encounters at the End of the World – Ja mei, in der Antarktis leben schon echt interessante Menschen. Vom Flughafen holt einen ein Banker ab, in der Wissenschaftskolonie fährt ein Philosoph Bagger und im Restaurant wird die Eiscreme von einem Filmemacher zubereitet. Wie abgefahren! Findet Werner Herzog, wenn er aus dem Off mit seinem deutschen Akzent Sätze säuselt wie: „Antarctica is not the moon, although sometimes it feels like it”. Muss er ja wissen, der Werner, wie sich der Mond anfühlt. Warum er extra ans Ende der Welt für seine Begegnungen gefahren ist, bleibt unklar. An der Eckkneipe in Wanne-Eickel hätte man sicherlich auch tolle Geschichten hören können. Besonders enttäuscht ist man dann, wenn sich herausstellt, dass der Überlebenstrainer früher nicht schon Präsident von einem Schwellenland war, sondern tatsächlich als solcher ausgebildet wurde. Viele der menschlichen Begegnungen von Herzog sind dann ziemlich belanglos und uninteressant. Einfach Jedermann-Menschen, denen man auch in der Bahn begegnen kann, wenn man denn scharf drauf ist. Hin und wieder dürfen dann einige Experten zu Wort kommen, unter ihnen ein Gletscherspezialist. In diesen Momenten ist Encounters at the End of the World schließlich auch unterhaltsam. Wenn man den wissenschaftlichen Aspekt in den Vordergrund geschoben hätte, wäre dies dem Film zum Vorteil gereicht. Denn so rutscht er oftmals doch etwas ins Lächerliche ab, wenn ein Linguist (der übrigens als Botaniker arbeitet) ernsthaft behauptet in sechzig Jahren wären neunzig Prozent der Sprachen ausgestorben oder sich drei Forscher aufs Eis legen, um den Seehundgesängen zu lauschen. Die Szene wirkt, als hätte man die Blue Man Group ins Ewige Eis verfrachtet. Zu Beginn meint Herzog, er sei nicht in die Antarktis gekommen, um Pinguine zu filmen – vielmehr beschäftigen ihn Fragen wie „Warum reitet der Affe nicht auf einer Antilope in den Sonnenuntergang?“. In der Mitte des Filmes fängt der Deutsche dann aber doch Pinguine ein. Es ist die beste Szene des Filmes, denn als sich ein Clan von Pinguinen aufteilt, bleibt ein einzelner zurück und watschelt schließlich gen Gebirge. Dieses ist fünf Kilometer entfernt, der Pinguin wird mit Sicherheit sterben. Zwar fragt Herzog einen nebenstehenden Pinguinexperten, warum dieser so handelt (bzw. behauptet Herzog, dass er ihn gefragt hätte), doch eine Antwort erhält man nicht. Die einzigen wertvollen „Begegnungen“ sind daher die, welche Herzog mit der Natur macht. Neben dem Pinguin sind speziell die Unterwasseraufnahmen Gold wert (auch wenn die musikalische Untermalung einmal nahelegt, dass Herzog sich zu oft Ghost in the Shell angesehen hat). Davon hätte man ruhig mehr einfangen können. Und wenn am Ende eingeblendet wird, dass diese Dokumentation Filmkritiker Roger Ebert gewidmet sei, ergibt sich von selbst, wieso Ebert dem Ganzen dann die volle Punktzahl gegeben hat. Hätte er ihn lieber mal mir gewidmet: 5.5/10.
  Happy-Go-Lucky – En-ra-ha! Aber hallo. Letztes Jahr sorgte Mike Leighs Gute-Laune Film ja für ordenlich Zunder. Sally Hawkins gewann für ihre sympathische Darstellung der optimistischen Poppy sogar den Silbernen Bären auf der Berlinale. Und man muss zugeben, dass einen die erste halbe Stunde richtig aufheitert. Diese Poppy, mit ihrer freundlich-nervigen Art. So Menschen gibt es ja nicht oft, die fortweg strahlen, es wären sie Jokers Lachgas zum Opfer gefallen. Selbst der rassistische Fahrlehrer (herrlich: Eddie Marsan) kann da kein Wässerchen trüben. Dumm nur, dass das alles nach einer Stunde irgendwie beginnt auszuleiern und uninteressant zu werden. So nett und süß das auch ist, aber irgendwann geht’s einem dann leider am Arsch vorbei. Oder ist zuviel des Guten. Wie man es dreht oder wendet, das Resultat bleibt das Gleiche. Zudem ist die Botschaft auch etwas missglückt, denn obschon Poppy so herzensgut ist, reagiert ihre Umwelt doch sehr brüsk auf sie. Das ist man aus Hollywood irgendwie anders gewöhnt. Lache und die Welt lacht mit dir. So war das doch, dachte ich. Und eigentlich funktioniert das auch im echten Leben. Wenn man freundlich ist, wird man meist auch freundlich behandelt. Egal. Mein erster Film von Mike Leigh lässt mich jetzt zwar nicht begeistert in die Videothek stürmen, um den Rest seiner Filmographie zu studieren, aber ist im Grunde doch ganz nett. Durchaus. Ein Gute-Laune-Film, denn man am besten auch schaut, wenn man selbst welche hat. Sonst geht sie einem nur auf die Nerven, diese grinsende Trulla: 6.5/10.
 
Bolt – Hier muss ich Abbitte leisten … let’s put a pin there. Nach dem Trailer war ich damals nicht sonderlich angetan, aber wie es scheint muss man Disneys Animation Bolt in ihrem Kontext sehen. Die ersten zehn Minuten sind zum Totlachen, köstlich wie hier mit den Genreklischees gespielt wird. Dann denke ich mir: Hach, wenigstens das, bevor nachher das auf Homeward Bound-Getrimme alles kaputt macht. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Hier passt eigentlich fast alles, die Animation ist gelungen, die musikalische Untermalung sehr stimmig und John Travolta als Hund (look who’s talking, now) ein echter Gewinn - bitte nur noch Sprechrollen, Mr. Travolta. Die Story vom Filmhund, der in der realen Welt ohne seine Superkräfte (was er jedoch nicht weiß) versucht seine Besitzerin Penny zu retten, weiß zu unterhalten. Die vielen kleinen Referenzen zu X-Men, Finding Nemo, The Truman Show und Co. sind weniger Störfaktor als liebevolle Ergänzung zu einer ohnehin schon liebevollen Geschichte. Bedauerlich, dass der Film dennoch kaum eine Chance haben dürfte, bei den Academy Awards. Dafür scheint Wall•E ähnlich wie Heath Ledger schon viel zu sehr gebucht zu sein. Mit jener Arthouse-Mentalität des Pixar kann Byron Howards und Chris Williams’ Film zwar nicht mithalten – will er jedoch auch überhaupt nicht. Dafür ist der Unterhaltungsfaktor hier sehr viel höher als in Andrew Stantons redundantem (Wall•Eeeeee – Evaaaaa) Stück. Bisweilen jagt eine Pointe die nächste und auch die Sidekicks wie Rhino oder die Tauben (alle von ihnen) funktionieren prächtig. Für mich persönlich ist Bolt somit der amüsanteste der letztjährigen Animationsfilme, dem ich im Grunde auch den Sieg nächste Woche wünschen würde. Schon allein wegen solchen Dialogen: „What’s this red liquid coming from my paw?“ (Bolt) – „It’s called blood, hero!“ (Mittens) – „Do I need it?“ (Bolt). Einfach nur absolut ridonkulous: 8/10.
  The Duchess – Langsam wird’s echt mal Zeit, dass sich amnesty international einschaltet. So geht das doch nicht weiter, irgendwer muss Keira Knightley mal was zu essen geben. Wie hat es das EMPIRE Magazin in seiner Januar-Ausgabe so schön bezeichnet: Miss Knightley stand kurz davor, als Schrägstrich in Frost/Nixon besetzt zu werden. Hinzu kommt noch, dass sie unabhängig von ihrem Untergewicht (Knightley ist so dick wie einer der Arme von Herzogin Georgiana allein) gänzlich fehlbesetzt scheint und sah selten bubenhafter aus als in The Duchess. Dafür scheint sie einfach nicht geschaffen, in diesem Quasi-Remake von Sofia Coppolas Marie Antoinette – abzüglich der MTV-Elemente. Als Modeikone ihrer Zeit leidet sie unter der unerfüllten Ehe zu ihrem Gatten (einziger Lichtblick: Ralph Fiennes). Aus der unglücklichen Ehe entspinnt sich kurz darauf eine menage a trois, die sich schließlich zur Vierecksbeziehung wird (Haley Atwell und Dominic Cooper vervollständigen das Bild). Das ganze entspinnt sich um das klassische Streitthema der Primogenitur und der Affärenlandschaft im verruchten Mittelalter. Kennt man ja schon zur Genüge, weshalb einen Saul Dipps Film nicht wirklich zu fesseln weiß. Oder zu unterhalten. Ein Kostümfilm wie er im Buche steht, angereichert mit teilweise so dämlichen Szenen, dass man nicht umhin kann zu lachen und musikalischer Untermalung, die einen dazu anregt, sich zur Rettung Omas Stricknadeln in die Ohren zu rammen. Nee, nee, das war wohl nix, da schau ich doch lieber The Other Boleyn Girl, da ist wenigstens der Intrigenfaktor sehr viel höher und damit auch das Unterhaltungspotential. Und jetzt gebt doch der Keira bitte mal was zu Essen. Das ist ja nicht mit anzusehen: 2/10.

Entre les murs – Mit dem Cannes Festival ist es im Grunde wie mit jeder anderen Preisauszeichnungsveranstaltung auch: es gewinnt nicht immer der Film, der verdient hat zu gewinnen. Und manchmal tut er’s doch. Letztes Jahr ging die Palme d’Or an Laurent Cantets Entre les murs, die Verfilmung des gleichnamigen Romans des Literaten François Bégaudeau von 2006. Bégaudeau übernahm auch die Hauptrolle des liberalen Lehres Monsieur Marin, der jeden Tag in seine demoralisierte Klasse muss. Und auch die Schülerschaft in Frankreichs Beitrag für den Fremdsprachenoscar besteht aus Laiendarstellern, doch merkt man dem gesamten Ensemble seine Herkunft keineswegs an. Im Gegenteil, die darstellerischen Leistungen wirken sehr authentisch, wie ohnehin der gesamte Film von einer offensichtlichen Authentizität durchzogen ist. Dennoch ist Cantets Film irgendwie kein richtiger Film, sondern wirkt vielmehr wie eine wieder aufgefrischte Erinnerung an die eigene Schulzeit. Da gibt es Querulanten in der Klasse wie Esmeralda (Esmeralda Ouertani) oder Souleymane (Franck Keïta), bockige Arbeitsverweigerer wie Khoumba (Rachel Régulier) oder fleißige, allerdings sozial benachteiligte Schüler wie Wei (Wei Huang). Archetypen, wie sie jeder aus seiner eigenen Schulzeit kennt und während der Filmbetrachtung gleichermaßen im Kopf in Erinnerung ruft. Da die Thematik des Filmes so sehr aus dem Leben gegriffen ist, mutet dieser mitunter doch eher wie eine Art Dokumentarfilm an, denn ein ausgeklügeltes Drama. Innerhalb der Spanne eines Schuljahres versucht Bégaudeau die wenige vorhandene Bereitschaft der Jugendlichen sich am Unterricht zu beteiligen, aufzuzeigen. Da wissen Schüler nicht, was „Österreicherin“ heißt oder wie die erste Person Singular des Imperfekt Indikativ von „wachsen“ lautet. Erfreulicherweise ist Entre les murs frei von jeglichem amerikanischem anbiedernden Schulpathos a la Dangerous Minds oder Freedom Writers, wo die Lehrkraft überhöht dargestellt und als Retter der jungen Seelen verkauft wird. Exemplarisch hierfür die finale Szene des Filmes, wenn Marin die Klasse fragt, was sie dieses Jahr gelernt haben beziehungsweise was ihnen Spaß gemacht hat. Sein eigenes Fach, Französisch, wird nicht genannt. Eine Schülerin kommt nach dem Unterricht sogar auf ihn zu und gesteht betrübt, dass sie gar nichts gelernt hat. In diesem Sinne verfügt der Filme eigentlich über keine wirkliche Geschichte mit Anfang und Ende oder seine Hauptfigur über eine Katharsis. „Das ist mein viertes Jahr“, erläutert Marin zu Beginn bei der Vorstellung der neuen Lehrer. Er hat sich arrangiert mit der Schule und der Schülerschaft. Daher spiegelt der Film letztlich nur den Alltag wieder, der sich für Marin auch fortsetzen wird, wenn der Abspann für den Zuschauer schon läuft: 8/10.
 
Revanche – Tamara (Irina Potapenko) ist eine Prostituierte in Wien. Und sie ist hübsch. Sehr hübsch. Findet auch ihr Zuhälter, weswegen er Tamara in eine eigene kleine Wohnung stecken und zur Edel-Hure umfunktionieren will. Die Ukrainerin will darüber nachdenken, hat sich innerlich jedoch schon dagegen entschieden. Als einer ihrer Freier sie zusammenschlägt – nachdem er den Zuhälter für dieses Privileg bezahlt hat – schreitet Tamaras heimlicher Freund und Puff-Aushilfe Alex (Johannes Krisch) ein. Kurzerhand fliehen die beiden. Doch ihr schönes neues Leben auf Ibiza können sie erst wahr machen, wenn Alex’ Tamaras Schulden abbezahlt hat. Daher geht er auf eine Dorfbank, um Geld abzuheben. Allerdings nicht auf die gewöhnliche Art und Weise. Wie es der Zufall so will, macht der Streifenpolizist Robert (Andreas Lust) eine Routinekontrolle. Gerade bei Tamara, die im Fluchtwagen wartet. Als Alex kommt, muss schnell geflüchtet werden. Robert feuert einen Schuss auf die Reifen ab, trifft allerdings Tamara. Das Ereignis nimmt beide Männer mit. Als Alex, der bei seinem altersschwachen Großvater auf der Farm mithilft, erfährt, dass Robert die Straße weiter rauf lebt, beginnt er einen Plan zur Revanche zu schmieden. Götz Spielmann erzählt sein Drama über Liebe, Lust und Tod in stillen und größtenteils ruhigen Bildern. Selbst der Banküberfall geht praktisch friedlich von Statten und allein die Szene, in der Alex Tamara zu Hilfe kommt, weist eine eruptive Gewalt auf. Stattdessen alles schön gemach, nach alter österreichischer Tradition. Obschon sich die Handlung primär auf Alex konzentriert und mit Abstrichen noch auf Roberts Frau Susanne (Ursula Strauss), mit welcher Alex später eine Affäre eingeht, vernachlässigt Spielmann auch Roberts Innenleben nicht. In zwei, drei Einstellungen kehrt er dessen emotionalen Schmerz nach Außen, führt dem Publikum die Mitgenommenheit des Polizisten vor, der aufgrund seiner Labilität später sogar vom Dienst freigestellt wird. Damit klarkommen muss auch Susanne, die mit dem Kummer ihres Mannes nicht wirklich etwas anzufangen weiß. Dass sie sich schließlich Alex zuwendet hat einen Grund, der zum Ende hin auch erfüllt wird. Besonders stark ist die Szene, in der Susanne gegenüber der Frau eines Kollegen ihres Mannes, die schwanger ist, von ihrer eigenen Fehlgeburt erzählt. Wie Strauss kurz zusammenbricht, das Gesicht fallen lässt und sich doch sofort wieder fängt, das ist großartiges Schauspiel. Die Besetzung erweist sich als Geschenk, alle Figuren wurden punktgenau gecasted. In Verbindung mit der besonnen Regie, die sich oft voller Hingabe ihren Charakteren widmet, ist Revanche eine großartige Charakterstudie. Abseits von der etwas pathetischen Art eines Reservation Road gelingt es Spielmann die Geschichte auf ihre Essenz zu reduzieren. In dem Moment, als Alex erfährt dass Robert die Straße runter wohnt, rechnet der Zuschauer mit jener Eskalation, die im Genre den Sehgewohnheiten entspricht. Wie Spielmann mit dieser Situation umgeht und sie letztlich auflöst – sowohl im Großen wie im Kleinen – ist beeindruckend. Berücksichtigt man seine Konkurrenz, ist Revanche wahrscheinlich der stärkste Vertreter der diesjährigen Fremsprachenkategorie der Academy Awards. Dass er gewinnt – hinsichtlich der prätentiösen Heuchelei eines Waltz With Bashir und dem Vorjahresgewinn der Österreicher -, ist unwahrscheinlich. Aber auch losgelöst von dieser ohnehin nichtssagenden Preisverleihung, ist Spielmanns Film zu den gelungensten des Jahres zu zählen. Schon allein dank der Tatsache, dass ein österreichischer Film auf internationalem Niveau spielen kann. Ob es dem großen Bruder Deutschland gelingen wird, einen ähnlich starken Film dieses Jahr aufzubieten, ist zu bezweifeln: 8.5/10.
 
P.S.: W. – Oliver Stones Letzter spielt zwar keine Rolle für die Oscarverleihung dieses Jahr, aber den gibt’s einfach als Gratis-Geschenk oben drauf, weil ich sonst nicht wüsste wohin und mir das Ganze doch ein, zwei Zeilen wert ist. Amerikaner tougher Kritiker holt also zum Rundumschlag aus, jetzt, wo sich die Amtsperiode von George W. Bush dem Ende geneigt hat. Viele fragte sich: ist das jetzt Komödie, Satire, Drama oder einfach nur Scheiße? Ich selbst empfand den Film als Komödie. In den ersten Minuten. Da war er auch echt lustig, einfach weil er so authentisch war. Schließlich ist Bush so eine dämliche Person, dass man ihn nur lustig finden kann. Der Brüller – und die einzige Konstante in W. – ist aber sowieso Thandiwe Newton als Condoleezza Rice. Die Grimassen. Die Grimassen! Zum Totlachen, gerade weil Newtons Figur quasi für die Tonne ist, weil belanglos. Mein Favorit: Teufelchen Dick Cheney (Richard Dreyfuss) und Engelchen Colin Powell (toll: Jeffrey Wright) streiten darum, ob man grundlos den Irak angreifen soll. Condoleezza nickt brav und lächelt. Hätte nur noch gefehlt, dass Brolin sagt: „Honey, get us guys some beer, would ya?“. Aber back on track. Zumindest so halb. Nach einer Dreiviertelstunde wird W. dann etwas langweilig und ein Blick auf die Laufzeit (zwei Stunden!) zwingt mich zum Aufstöhnen. Irgendwie interessiert mich das Leben des Bush-Clans oder der Kampf zwischen Vater (James Cromwell) und Sohn nicht so richtig. Ohnehin liegt der Fokus des Films oft so, dass es wirkt, als wollte Stone Mitleid mit der Vollpflaume erzeugen. Not in my house. Seinen negativen Höhepunkt erhält dann das Engelchen und Teufelchen Szenario. Das erinnert mich grad an Fettes Brot: „Und während sich der Engel und der Teufel anschrein, entscheide ich mich für Ja, Nein, ich mein: Jein“. Das ist mir zu viel Beweihräucherung für Powell. Und der ganze Film ist mir zu wenig bissig, zu wenig demaskierend. Zu tolerant. Praktisch irgendwie Stones Antwort auf Helge Schneiders Mein Führer. Eine der böswilligsten Figuren der Zeitgeschichte als Loser dargestellt. Nee nee. Das Tragische ist, ich glaube mit Stone ist es allmählich echt vorbei. Pinkville geb ich ihm noch, aber danach mach ich langsam mal die Lichter aus: 4/10.

P.P.S.: Der Baader Meinhof Komplex – Dazu will ich keine großen Worte verlieren, alleine wegen der peinlichen Klausel zu den Pressevorführungen. Uli Edels und Bernd Eichingers Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung ist all das, was ich am deutschen Film verabscheue. Effekthascherei, überspielte Darsteller, punktlose Geschichten. Ein grauenhafter Film, wenn auch von technischer Seite bisweilen solide inszeniert. Allerdings letztlich nur ein zusammenhangloses Konglomerat aus historischen Photos, die Edel schick nachstellt mit seinem Who’s Who des deutschen Films. Da sind sich auch Jan Josef Liefers und Hannah Herzsprung (bei der hat mir echt das Herz geblutet, dass sie sich für so einen Rotz hergibt) sich nicht zu Schade Nebenrollen zu übernehmen. Schade, so muss man den grausigen Moritz Bleibtreu die meiste Zeit ertragen. Immerhin wird Alexandra Maria Lara relativ früh abgeknallt und was alle am Spiel der Gedeck fanden, erschließt sich mir auch nicht. Der größte Loser ist aber Bruno Ganz, dessen Figur dank Edels einseitiger Inszenierung (und teilweise Glorifizierung der Täter) im Grunde überflüssig da belanglos ist. Eine Schande, dass so was für den Oscar nominiert wird, selbst wenn da ohnehin dieses Jahr nicht grad berauschende Filme vertreten sind. Fehlt nur noch, dass er den Preis auch gewinnt. Dann lach ich mich ins Fäustchen: 3/10.