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12. September 2014

Calvary

I think she’s bipolar. Or lactose intolerant. One of the two.

Sexueller Missbrauch in der Kirche ist nicht mehr ganz so ein aktuelles Thema wie noch vor ein paar Jahren. Aber die Erinnerung, wie es in einer Szene in John Michael McDonaghs Calvary heißt, verblasst nie. So auch nicht bei jenem gesichtlosen Antagonisten, der in der Eröffnungsszene die Handlung lostritt. Mit sieben Jahren sei er das erste Mal von einem Priester missbraucht worden, gesteht er Vater James Lavelle (Brendan Gleeson) im Beichtstuhl. “Certainly a startling opening line”, entgegnet dieser. “I’m going to kill you ’cause you’ve done nothing wrong”, fährt das Opfer fort. Denn einen unschuldigen Priester zu töten, wäre ja ein schockierendes Statement. Eine Woche hat Lavelle Zeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Der deutsche Verleih vertreibt Calvary – vom lateinischen Name für Golgota – daher reißerisch als Am Sonntag bist du tot. Der Film vereint John Michael McDonagh erneut mit Brendan Gleeson, der ein illustres Ensemble anführt, zu dem auch der Comedian Chris O’Dowd zählt. Er spielt Dorf-Metzger Jack, dem unterstellt wird, er würde seine Frau schlagen. Jack wiederum schiebt den Vorwurf auf Mechaniker Simon (Isaach de Bankolé), mit dem er sich seine Frau teilt. Nicht die einzigen Sorgen Lavelles, taucht doch auch Fiona (Kelly Reilly) – seine Tochter vor dem Zölibat, das auf den Tod seiner Frau folgte – nach einem missglückten Suizidversuch auf. “Don’t tell me”, unkt der Vater dann beim Anblick der Bandagen, “you made the classic error.”

Humorvolle Auflockerungen finden sich in Calvary immer wieder. Das macht den Film nicht wirklich zur schwarzen Komödie, aber auch nicht vollends zum Drama. Die Drohung zu Beginn führt zudem zu keiner rechten Katharsis in Lavelles Handeln. Vielmehr geht der Gottesmann seinem normalen Alltag nach, obschon er gegenüber seinem Bischof zu erkennen gibt, dass er seinen designierten Mörder anhand seiner Stimme identifiziert hat. Der Film lässt es dabei offen, um wen aus der Gemeinde es sich handelt, könnte es doch prinzipiell jeder von ihnen sein. Sie alle sind zwar gottesehrfüchtig auf der einen Seite, andererseits jedoch gegenüber Lavelle auch wieder ungemein respektlos. Ein Widerspruch scheinbar und doch irgendwie auch nicht.

So könnte es der altersschwache Schriftsteller (M. Emmet Walsh) genauso gut auf den Priester abgesehen haben wie der zynische Doktor (Aiden Gillen), der snobbistische Millionär (Dylan Moran) oder ein homosexueller Callboy. Lavelle nimmt sich dennoch ihrer aller an, wenn auch auf seine ganz eigene Art. Als eines seiner Schäfchen zur Armee ziehen will, um seine Aggressionen abzubauen, da er keinen Sex hat, schlägt ihm der Priester Pornografie vor. Er hat sich mit ihnen arrangiert und gibt somit einen ungewöhnlichen Schlag Gottesdiener ab, wie ihn vermutlich nur Brendan Gleeson in seiner unnachahmlichen Art darzustellen vermag. Ganz so zotig wie der Vorgängerfilm The Guard kommt Calvary allerdings nicht daher.

Eine wirkliche Richtung besitzt der Film jedoch auch nicht. Die übrigen Figuren reichen von uninteressant bis schräg, einen rechten Zweck erfüllen sie aber nicht. Dies trifft ebenso auf Tochter Fiona zu wie auf einen verurteilten Serienmörder (Domhnall Gleeson), den Lavelle in der Mitte des Films aus völlig irrelevanten Gründen besucht. “Everything has to mean something or otherwise what’s the point?”, formuliert Calvary an einer Stelle da sicherlich nicht unkorrekt. Fast schon lethargisch verrichtet Lavelle sein Amt, für das ihm eine französische Touristin (Marie-Josée Croze), die ihren Mann bei einem Unfall verloren hat, noch am dankbarsten scheint. Vielleicht ist auch alles nur ein Test seines Glaubens: die Welt stoisch zu ertragen.

Brendan Gleeson gibt dabei eine fraglos überzeugende Darbietung, in einem grundsätzlich vorzüglich fotografierten Film mit einer himmlischen Musik von Patrick Cassidy. Etwas mehr innerer Konflikt – oder nach außen getragener – für die Hauptfigur wäre aber wünschenswert gewesen. So bleibt in Calvary nicht viel außer die Interaktion von schrulligen (irischen) Figuren. Der sexuelle Missbrauch in der Kirche spielt jedenfalls keine wirkliche Rolle in John Michael McDonaghs Geschichte, außer eben als Tatmotiv und narrative Klammer zwischen Anfang und Ende. Ungeachtet dessen zeigten sich Kritiker ekstatisch. Vom „Meisterwerk“ bis zum „besten irischen Film aller Zeiten“ ist da die Rede. Ein Fazit, dem ich mich nicht wirklich anschließen kann.

6/10

14. August 2008

Troy [Director’s Cut]

Do you know what’s waiting beyond that beach? Immortality! Take it! It’s yours!

Mit Geschichte nimmt man es in Hollywood nicht so genau, meist ist sie eher Mittel zum Zweck. Daher sollte man bezüglich einer Arbeit in Römischer Geschichte lieber nicht Gladiator ansehen und wer etwas über die Kreuzzüge und Tempelritter erfahren will, einen Bogen um Kingdom of Heaven machen. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass ausschließlich Ridley Scott den wahren Geschehnissen den Allerwertesten zuwendet, wie sehr man die Geschichte zum eigenen Vorteil verändern kann, bewiesen auch die Deutschen zuletzt mit Der Rote Baron. Ohnehin ist Geschichte eher ein Schul-Staubfänger und wie Mathematik ein Pflichtfach. Es lässt sich aber trotzdem nicht abstreiten, dass unsere Geschichte einen Nährboden für Filme darstellt, gerade weil sie interessant ist. Die Schlacht der Griechen an den Thermopylen gegen das persische Heer Xerxes’ verlief natürlich etwas anders, als man es von Zack Snyder in 300 erzählt bekommt, aber das wahre Ereignis (Spartanerkönig Leonidas opfert sich und 298 Spartaner, um den versammelten Griechen mehr Zeit gegen die Perser zu verschaffen) findet Einzug in den Film.

Doch je weiter die Geschichtsschreibung sich von Christi Geburt entfernt, desto verstärkt muss man geschilderte Ereignisse als Legende, denn als historische Begebenheit ansehen. Eine solche Legende findet sich unter anderem bei Homer. In seiner Ilias schilderte er in 24 Gesängen rund 50 Tage während des Trojanischen Krieges. Ob dieser tatsächlich stattgefunden hat, kann heute nicht eindeutig geklärt werden. Dass er so stattfand, wie ihn Homer schildert, ist zu bezweifeln. Denn bei ihm sind die Menschen nur Spielbälle für die Gelüste der Götter. Ein freier Wille existiert nicht, Hellenen und Trojaner verkommen zu Marionetten. Die griechische Kultur verfügte über etliche Götter, von solchen zur Jagd (Athene) bis hin zu den des Weines (Bacchus). Nun sind diese sehr eigen, selbstverliebt und streitsüchtig. Ihre Zwiste tragen sie nicht selbst aus, sondern lassen Menschen dies tun. Sie wählen eine Partei aus und lassen diese gegen die des Konkurrenten antreten. So stehen auf Seiten der Trojaner Aphrodite, Göttin der Schönheit, sowie ihr Bruder Apollon, den die Trojaner verehren. Für die Griechen sind derweil Athene und Ares, Gott des Krieges. Sie greifen in Abstimmung mit Göttervater Zeus in das Kriegsgeschehen ein und entscheiden dieses.

Nun ist Mono- und Polytheismus jedermanns eigene Sache, ein Grund jedoch mehr für den deutschen Regisseur Wolfgang Petersen, in seiner Adaption des Trojanischen Krieges auf das Auftreten der Götter zu verzichten. Für 180 Millionen Dollar engagierte Petersen eine namhaftes Ensemble um Brad Pitt, dennoch wurde Troy bei Erscheinen kritisiert, darunter von Fachgelehrten wegen des Verzichts der Götter. Immerhin gelang es Troy, fast das Dreifache seiner Kosten einzuspielen, sodass er zumindest kein Flop wurde. Im letzten Jahr brachte Petersen dann einen Director’s Cut heraus. Diese erweiterte Fassung ist um 30 Minuten Filmmaterial ergänzt, von Schlachtszenen bis zu nackten Tatsachen einer Diane Krüger. Für Wolfgang Petersen selbst ist diese über drei Stunden lange Fassung jetzt stimmiger als der Kinoschnitt, was sich nur bestätigen lässt. Wer die Kinofassung gut fand oder generell auf Monumentalfilme abfährt, kommt an Troy nicht vorbei. Für Fans der Ilias dagegen dürfte der Film womöglich eher abschreckend sein, da er etwaige Kürzungen und Änderungen an der Vorlage vornimmt. In einem Satz: der Director’s Cut von Troy bietet mehr Gewalt, mehr Blut und mehr Brüste.

Während Homer sich in der Ilias eher auf die Sicht der Griechen beschränkt, degradiert Petersen im Film Agamemnon (Brian Cox) und Co. zu den Bösewichtern. Die Helden sind die Trojaner, allen voran Prinz und Heerführer Hektor (Eric Bana). Auch die Darstellung seines Todes gerät weitaus ehren- und heldenhafter als bei Homer. Auch wenn sich über dessen Schreibstil dahingehend streiten lässt, da verschiedene Figuren mal heldenhaft und mal feige agieren. Auf welcher Seite Petersen und Drehbuchautor David Benioff stehen, wird spätestens beim Einfall von Agamemnons Truppen in Troja klar. Hier ergreift der Director’s Cut vollends Partei: Frauen werden vergewaltigt und Kinder ermordet. Mit Homer hat das nun gar nichts mehr zu tun, endet dessen Ilias doch mit Hektors Begräbnis. Dagegen versucht Troy die Geschichte zu Ende zu erzählen, mit Anfang und Ende. Der Legende nach begann der Trojanische Krieg mit der Entführung von Helena (Diane Krüger) durch Paris (Orlando Bloom). Beide beginnen eine Affäre und mit dieser letztlich auch der Krieg zwischen Athen und Troja. Dabei war die Helenas Entführung nur der Auslöser des Krieges, nicht aber seine Ursache. Der Film fängt zum Glück ein, dass Agamemnon die Entführung seiner Schwägerin sehr recht kommt. Ganz Griechenland steht unter seinem Joch – außer Sparta, der große Konkurrent jenseits des Meeres. Wann, wenn nicht jetzt, scheint sich Agamemnon zu denken. Und zieht bereitwillig in den Krieg.

Dieser Tatsache ist sich auch Hektor sehr wohl bewusst, weshalb er sich und sein Volk bereitwillig ihrem Schicksal ergibt. Dabei ist nicht gesagt, dass Petersen die Götter tatsächlich aus seinem Film ausschloss, denn nur weil man sie nicht sehen kann, muss dies keineswegs bedeuten, sie wären nicht da. So machen die Szenen zwischen Helena und Paris im Schlafgemach oder zwischen Paris und Hektor auf dem Schiff ebenso Andeutungen wie der finale Konflikt zwischen Paris und Achilles. Auch in Wolfgang Petersens Film sind die Menschen lediglich Bauern auf einem riesigen Schachbrett, ihre Handlungen lassen sich nicht durch sie kontrollieren, ihr Schicksal scheint vorherbestimmt. Am ehesten sind sich wohl Hektor und sein Kontrahent Achilles (Brad Pitt) dieser Tatsache bewusst. Beide erahnen, dass es für sie kein Entrinnen aus diesem Krieg gibt und beide ergeben sich ihrem Schicksal. Aber beide aus unterschiedlichen Beweggründen – ein großes Attribut von Troy, dessen finale Einstellung dies kongenial unterstreicht.

Während Hektor in den Krieg zog, um für sein Land und dessen Volk zu kämpfen, suchte Achilles nur den Ruhm. Benioff hebt dies brillant hervor, indem er Odysseus (Sean Bean) Achilles auf diese Weise zur Kriegsteilnahme bewegt. Der größte Krieg, den die Welt je gesehen hat – und Achilles war nicht dabei? Der größte Kämpfer aller Zeiten? “They will write stories about your victories in thousands of years! And the world will remember your name”, verspricht Odysseus. Das sieht auch Achilles ein. Obschon er es dank seiner Mutter besser weiß, er sucht den Krieg, braucht ihn. Achilles wollte unsterblich werden und es ist ihm gelungen. Noch 3000 Jahre später würde man seine Geschichte erzählen, diese filmisch würdigen. Seinen Platz muss er sich allerdings mit Hektor teilen, einem Sterblichen, der ihm in Fragen des Ruhmes in nichts nachsteht. Umso passender hat Benioff die letzten Worte des Filmes, von Odysseus gesprochen, gewählt: “Let them say I lived in the time of Hector, tamer of horses. Let them say I lived in the time of Achilles.”

Auffällig ist in Troy natürlich der Einsatz der visuellen Effekte, die Reise der tausend griechischen Schiffe ist ebenso imposant wie die Erschaffung Trojas. Ergänzt werden die Effekte von exzellenten Ausstattungen und Kostümen, besser lässt sich ein Monumentalepos von technischer Seite kaum gestalten. Die Choreographie des Angriffes von Achilles auf den Tempel Apollons ist meisterlich und ungemein flüssig. Da stört es auch nicht groß, dass die gesamte Sequenz ob ihres Inhalts lachhaft ist. Achilles nimmt alleine mit 50 Mann den besetzten Strand der Trojaner ein? Egal, Benioff und Petersen versuchen Achilles’ Status gerecht zu werden. In der Ilias ist er allein für Sieg oder Niederlage der Griechen verantwortlich. Sein Entschluss dem Geschehen fernzubleiben sorgt fast für die Zerschlagung von Agamemnons Truppen. Auch dies fängt Troy ein, so wie die Ursache für Achilles’ Entscheidung. Streitfaktor ist Briseis (Rose Byrne), die Agamemnon für sich beansprucht, obschon sie Achilles „gehört“. Der Film macht hier eine Abänderung, wo Briseis bei Homer eine Sklavin ist, heben sie Petersen und Benioff zur Cousine von Hektor und Paris empor. Sinn und Zweck soll wohl eine Dramatisierung sein, die jedoch eigentlich völlig unnötig war.

Ohnehin folgt der Film eher filmischen Konventionen, entwickelt eine Parteilichkeit und versucht sich an einem Happy End, das den Schilderungen der Legende widerspricht. Das kann man Petersen sicher zum Vorwurf machen, aber wann wurde schon eine historische Begebenheit authentisch wiedergegeben? Wahrscheinlich ist die Ilias in ihrer Form unverfilmbar, da sie im neunten Jahr des Trojanischen Krieges beginnt und nicht mal bis zu seinem Ende andauert. Ein Großteil der Handlung dreht sich um die Streitereien der Götter und der andere Teil um den Konflikt zwischen Achilles und Agamemnon. Das Publikum ist verwöhnt und nicht gewöhnt, dass eine Geschichte einen schlechten Ausgang haben könnte. Bedenkt man das enorme Budget des Filmes, wäre die authentische Erzählung vielleicht sogar ein finanzieller Selbstmord gewesen. Viele Figuren sterben der Legende nach nicht, andere sterben nicht so wie geschildert, wieder andere tauchen gar nicht auf, was ob ihres Schicksals nicht unbedingt die schlechteste Entscheidung war. Benioff und Petersen wollten bestimmt nicht versuchen, so nah wie möglich den wahren Ereignissen Tribut zu zollen, sondern sie nahmen sich einer Legende an, um ihre eigene Geschichte zu erzählen.

Letztlich basiert Troy bloß auf der Ilias und stellt keine Verfilmung von ihr dar. Das was der Film sein möchte, gelingt ihm zu sein. Ein Schlachten-Epos, garniert mit Helden, gepfeffert mit einem Schuss Romantik. Besonderes Schmankerl sind die kleinen Referenzen zu Homers Odyssee und Vergils Aeneis, die Benioff in sein Skript eingebaut hat. Auch wenn diese Szenen wahrscheinlich lediglich für Historiker besonders interessant und amüsant gerät. Neben den Effekten, Kostümen, der Ausstattung und dem pathetischen Score von James Horner wird der Film allerdings auch von seinem Schauspiel-Ensemble getragen. Von Brad Pitt über Eric Bana bis hin zu Orlando Bloom, Saffron Burrows und Julie Christie ist Troy durchweg namhaft besetzt. Zwar verdient keiner der Darsteller eine Auszeichnung für sein oder ihr Schauspiel, am ehesten vielleicht noch Altmeister Peter O’Toole. Eric Bana ist kein großer Charakterdarsteller, aber die Figur von Hektor weiß er einzufangen. Orlando Bloom hingegen muss einen Schönling spielen und bewerkstelligt dies – mit geringen Abstrichen – auch zufriedenstellend.

Die alten Theaterhaudegen Brian Cox und Brendan Gleeson haben mit ihren Rollen derweil keine Probleme und sichtlich Spaß, Diane Krüger kann sich als Lustobjekt nicht sonderlich hervortun. Star des Films ist Brad Pitt und obschon er über schauspielerisches Talent verfügt, scheitert er an der Eindimensionalität der Figur. Achilles ist im Grunde ein leerer Körper, ihm fehlt die Emotionalität. Er kennt keine Gnade und kein Erbarmen. Zwar lernt er das nach der Schleifung von Hektor, doch ändert dies wenig an seinem Charakter. Pitt hat große Probleme mit seiner Figur, vielleicht unterforderte sie ihn oder ihm fehlte die rechte Herangehensweise. Außer einer langen Mähne und einem gestählten Körper kann er wenig bieten. Doch dies spielt in Troy keine Rolle, es geht um Kämpfe, Schlachten, Auseinandersetzungen. Dies steht im Vordergrund und dies bekommt das Publikum serviert. Die Kirsche auf das Sahnehäubschen ist dabei schlussendlich der Dialogreichtum von Benioff, der seinen Figuren teils herrliche Einzeiler (“Get up, Prince of Troy! I won't let a stone rob me of my glory!”) und Dialoge in den Mund legt.

8/10

12. Mai 2008

In Bruges

They're filming midgets!

Brügge (engl./frz. Bruges) – eine Stadt voller Geschichte, im Grunde sogar eine Stadt der Geschichte. Seine wichtigste Bedeutung hatte die Stadt im Mittelalter um das 13. und 14. Jahrhundert herum, als eines der bedeutendsten Hansekontore darstellte. Hierbei gehörte sie zu den vier wichtigsten Niederlassungen des Hansegewerbes neben Bergen (Norwegen), London (England) und Novgorod (Russland). Zum Ausgang des 15. Jahrhunderts verlor der Markt von Brügge dann an Bedeutung, mitunter weil man wegen der eigenen Tuchproduktion die englische bekämpfte, die Vermarktung jedoch nach Antwerpen verlagert hatte, welches Brügge daraufhin ablöste und zum Wirtschaftszentrum aufstieg. Bewundernswerterweise hat sich Brügge durch die Jahrhunderte hindurch seinen mittelalterlichen Stadtbild erhalten, weswegen es im Jahr 2000 auch zu recht von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden ist. Besonders der Marktplatz mit seiner angrenzenden Sint-Salvatorkathedrale, aber auch das Groeningemuseum mit seinen Hieronymus Bosch Bildern, sowie die Kanäle Groenerei und Rozenhoedkaai heben sich hierbei hervor und dienen gemeinsam mit dem einen oder anderen Fleckchen als Vorlage, Schauplatz und in gewisser Hinsicht auch Nebendarsteller in dieser schwarzen Komödie vom Briten Martin McDonagh. Brügges Bürgermeister Patrick Moenaert sagte dem Filmteam nicht nur seine und die Unterstützung der Stadt zu, er erschien auch selbst am Set. Fraglich ob er gewusst hat, worum es genau in McDonaghs Film geht, schließlich ist sein Film subversiv nichts anderes als ein einziger großer Belgien- bzw. Brüggewitz.

Erzählt wird die Geschichte der beiden irischen Auftragsmörder Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson), die unterschiedlicher nicht sein könnten und dabei doch so viel gemeinsam haben. Das erste Drittel des Filmes lebt vom Zusammenspiel dieser beiden Männer und von ihrer unterschiedlichen Weltanschauung. Der reife Ken möchte sich alle touristischen Attraktionen ansehen und ist mit voller Begeisterung Fan von Brügges märchenhaftem Äußeren. Ray hingegen ist ein junger Taugenichts, dem diese ganze Geschichte und Kultur auf die Nerven geht und somit im Grunde die gesamte Stadt, von der fortweg nur als „fucking Bruges“ spricht. Er nölt herum, spielt in der Kirche mit den Altarbänken und lässt seine Füße schleifen – kurzum: er macht überdeutlich dass er überall auf der Welt lieber wäre als in Brügge. Grund für den Aufenthalt der beiden ist ein missglücktes Attentat in London, besser gesagt handelt es sich hierbei um Rays ersten Auftragsmord und gerade der Grund weshalb dieser schief gegangen ist, bildet die Thematik von McDonaghs Film. Ray ist emotional vorbelastet und auch wenn sich Farrell redlich bemüht, kauft man ihm seine innere Zerrissenheit nicht so recht ab, er ist einfach kein Charakterdarsteller, zumindest noch nicht. In Bruges ist aber auch kein Film der von seinen Schauspielern getragen werden muss, denn er lebt von seinem Witz. Gerade Ray und Ken als missglücktes Touristenpaar, aber auch der restliche Film lebt von der Beziehung der beiden.

Jungspund wie Ray einer ist wird für ihn die Stadt auch erst dann attraktiv, als er die charmante Chloё (Clémence Poésy) kennen lernt, doch auch sie wird noch ihren Beitrag zur Verschachtelung und Ausgang der Geschichte liefern, während McDonagh sein Publikum weiterhin auf eine Reise durch Brügge nimmt. Oberflächlich betrachtet ist der Film wie oben erwähnt ein einziger Witz auf die Stadt, ausgelöst durch Rays süffisante Kommentare, für ihn persönlich ist die Stadt die Hölle, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch der Witz geht nur oberflächlich auf Kosten der Stadt, bei genauerer Betrachtung ist es fast eine kleine Liebeserklärung, denn McDonagh, der 2004 selbst Gast in Brügge war und damals vor Ort anfing am Drehbuch zu schreiben, übermittelt mit seiner Figur des Ken, aber auch mit dessen und Rays Chef Harry (Ralph Fiennes) den Charme der belgischen Stadt. Die malerischen Gassen, die Kanäle und insbesondere die Schwäne erzeugen das träumerische und märchenhafte Flair der Stadt – ein Venedig des Nordens. Kein Wunder also, das sowohl Ray wie auch Ken sich hier verlieben, der eine in eine Einwohnerin, der andere in die Stadt selbst.

Schwarze Komödien, die eigentlich schon ins Schräge abdrifteten, lieferte in den letzten Jahren aus dem britischen Raum Guy Ritchie, der dann bekanntlich Madonna heiratete und seit Snatch kaum noch etwas Gescheites zustande gebracht hat (Finger kreuzen für RocknRolla). McDonaghs Film braucht sich hinter Ritchies beiden Meisterwerken nicht verstecken, doch seine Komödie ist über weite Strecken überaus ruhig und schlägt Ausflüge ins Drama ein, eine melancholische Gangsterballade, wenn man so will. Gerade Rays Auseinandersetzungen mit Amerikanern jedoch, welche regelmäßig stattfinden, rudern dann wieder zurück ins Komödienfach, ebenso wie die Momente mit Jimmy, einem kleinwüchsigen Schauspieler der mit Pferdeberuhigungsmitteln vollgedröhnt ist. An skurrilen Figuren fehlt es In Bruges ganz gewiss nicht und alle könnten problemlos hinüber in eine Erzählung von Guy Ritchie oder Quentin Tarantino wandern, ohne dort aufzufallen. Hier hat Regisseur und Autor Martin McDonagh ein großartiges Gespür gefunden und dass er ein überaus talentierter Mann ist, mit der schwarzen Komödie als Fachgebiet, verrät ein Blick in seine Vita, die nicht nur einen Oscar (Bester Kurzfilm), sondern auch einen Tony und Laurence Olivier Award aufweist. Seine Dialoge sind witzig, richtig pointiert und verdoppeln ihren Charme nochmals durch Farrells irischen Akzent, wie ohnehin der gesamte Film eigentlich nur in der Originalsprache zu funktionieren scheint, die deutsche Synchronisation wird es zumindest schwer haben diesen Charme zu transferieren und der Vorlage gerecht zu werden, ein „verdammt“ ist eben immer noch keine ausreichende Alternative zu „fuck“, und ebenjenes „fuck“ wird als Adjektiv dann doch unentwegt gebraucht.

Dem Film gelingt es in seinen nicht ganz zwei Stunden ein schöner Reiseführer durch Brügge zu sein, wobei sich jeder im Publikum als Ken oder Ray fühlen darf, dem das gefällt oder eher lästig ist. Brügge zeigt sich hier von seiner besten Seite und macht richtig Lust auf einen eigenen Besuch. Die zynische Geschichte, die McDonagh dazu erzählt, wird vor allem von ihren Dialogen getragen, von Rays Widerwillen in der flämischen Stadt, vom Clash der Kulturen gegenüber den Amerikanern und zum Ende hin vom Gespräch über Loyalität und Charakter durch Ken und Harry. Hinzu kommt dann noch ein stimmungsvoller Soundtrack der die sympathischen Bilder Brügges gelungen einfängt, Colin Farrell für die Damen (oder Herren) und Clémence Poésy für die Herren geben was fürs Auge, wenn auch begrenzt darf man zudem auch Goreszenen bewundern. In Bruges schafft es eine nette kleine schwarze Komödie zu sein, in dieser Hinsicht sogar ein kleines Juwel dieses Filmjahres, dabei natürlich kein Meisterwerk hat der Film fraglos seine Schwächen. Mancher Dialog wirkt etwas konstruiert, Farrells Schauspiel ist mitunter steif und die Handlung in der Mitte nicht immer auf der Höhe, auch wenn sie somit praktisch das Ende vorbereitet. Bei diesen Schwachpunkten handelt es sich allerdings um die Ausnahme und sie trüben auch nur geringfügig einen wunderbar unterhaltsamen Film, der mal wieder ein Hoch in Farrells Filmographie darstellt und richtiggehend Lust auf weitere Arbeiten von McDonagh macht, die nach diesem Film sicherlich kommen dürften und auf die man sich freuen kann.

9/10

21. September 2007

Artificial Intelligence

He who is without “sim”, cast the first stone.

Gegen Ende der 1980er Jahre hatte Regisseur Stanley Kubrick eine Vision für eines seiner vielen Film-Projekte, basierend auf der Kurzgeschichte Super-Toys Last All Summer Long von Brian Aldiss. Obschon Aldiss und Kubrick bis Mitte der 1990er hinein an einer Realisierung des Projektes arbeiteten, schieden sie aufgrund kreativer Differenzen schließlich auseinander. Stattdessen arbeitete Kubrick mit dem britischen SF-Autor Ian Watson an einer filmischen Umsetzung der Handlung. Nachdem Kubrick an die 200 Skizzen und Zeichnungen für das Storyboard Design ausgearbeitet hatte, bekam er immer mehr den Eindruck, dass die Handlung viel eher zu seinem Freund Steven Spielberg passen würde, denn ihm selbst. Diesen holte er während der Entwicklung an Bord und legte ihm den Film nahe, obschon er wiederum Kubrick als passenderen Regisseur empfand. Als Kubrick jedoch 1999 unerwartet verstarb, nahm sich Spielberg erneut des Projektes an und verwirklichte es bereits zwei Jahre später. Als Produktion von Stanley Kubrick geführt, stellte Spielberg mehrfach klar, dass Artificial Intelligence eine Hommage an Kubrick sei.

Monica (Frances O’Connor) und ihr Mann Henry (Sam Robards) haben ihren Sohn Martin an eine unheilbare Krankheit verloren, die Ärzte eine Genesung aufgegeben. Da gelingt in Henrys Firma Cybertronics eine Revolution, als deren Leiter, Prof. Hobby (William Hurt), einen Androiden herstellt, der Liebe empfinden kann. Dieser Android erhielt das äußere Erscheinungsbild von Hobbys eigenem verstorbenem Sohn David (Haley Joel Osment) und wird Henry als Prototyp anvertraut. Als Monica ihn programmiert und allmählich eine tiefe Zuneigung zu ihm empfindet, geschieht das Unerwartete: Martin erfährt eine Heilung. In David einen Rivalen sehend, provoziert Martin diesen immer wieder, bis er ihn in eine Situation manövriert, in der David nicht mehr tragbar ist. Anstatt diesen jedoch zu Cybertronics zur Verschrottung zu bringen, setzt ihn Monica im Wald aus. David setzt alles daran, Monicas Liebe wiederzugewinnen und macht sich auf die Suche nach der Blauen Fee, die ihn in einen echten Jungen verwandeln soll. Auf seiner Odyssee trifft er den Sex-Androiden Gigolo Joe (Jude Law), der ihn auf seiner gefährlichen Reise begleitet.

Im Grunde ist Artificial Intelligence eine futuristische Variante von Carlo Collodis Pinocchio: ein künstlicher, gefertigter Junge, der zum richtigen, lebendigen Junge werden will. Dies war Kubricks Idee und hatte unter anderem zum Bruch mit Aldiss geführt. Mitunter wirkt die Geschichte von Spielberg, der hier zum ersten Mal seit Poltergeist selbst am Drehbuch schrieb (wobei er die Vorlage von Kubrick verwendete), als wäre sie von Philip K. Dick. Schließlich wird die Frage thematisiert, was einen Menschen menschlich macht. Mit David wurde ein Android gebaut, der (programmierte) Liebe empfinden kann und dennoch wird er vom Menschen verstoßen. Speziell die Szene der Flesh Fair, einem überdrehten und gladiatorenhaften Jahrmarkt, zeigt diese humane Angst vor der Vermenschlichung der Androiden. Deren Besitzer Lord Johnson Johnson (Brendan Gleeson) ist zwar fasziniert von David, setzt ihn jedoch trotzdem dem Showprogramm aus. Die gewaltgeile Menge bringt es dann allerdings doch nicht fertig, diesen jungenhaften Roboter zu vernichten, obschon er seinen mechanischen Gefährten primär äußerlich nicht unähnlich ist.

Szenen wie diese sind überaus düster, selbst wenn sie Spielbergs typische Handschrift tragen. Glauben will man es ihm aber nicht, wenn er behauptet, die düsteren Szenen stammen von ihm selber und die Kitschigen von Kubrick. Der gesamte Handlungsverlauf schreit stets „Spielberg“, weshalb Kubrick wohl mit dem Projekt an Spielberg herangetreten war. Zwar baut Spielberg viele kubriksche Elemente wie die Ausleuchtung der Szenen oder die Darstellung des Menschen als gewaltgeiles Tier ein, wie ein Film des Altmeisters selbst wirkt das Resultat dennoch bei weitem nicht. Stattdessen erinnert Artificial Intelligence durch und durch an Spielbergs Filmografie und nicht an die von Kubrick. Dieser warme und durchweg sympathische Charakter von David, ohne jeglichen Makel, öffnet die Herzen der Zuschauer und lässt sie mit ihm und seinen Schicksal mitfiebern. Ein Attribut, wie es auf eigentlich keinen Kubrick-Film zutrifft. Auch wenn Artificial Intelligence als Märchen gedacht ist, lässt sich der Film nicht in die Kubrick-Schablone pressen. Denn dafür ist er von seinen Farben zu bunt, zu kräftig und nicht zuletzt zu kitschig.

Für sein Projekt konnte Spielberg besonders in den Nebenrollen Stars gewinnen, neben Jude Law wurden auch die Stimmen von Ben Kingsley, Meryl Streep, Chris Rock und Robin Williams integriert. Für die Musik war John Williams verantwortlich, was wiederum ein Beispiel dafür ist, wie die kubriksche Verkleidung nicht authentisch wirkt. Denn sogar für Spielbergs Standard gerät die Musik extrem kitschig und aufgesetzt. Selbst als Spielberg-Film funktioniert Artificial Intelligence somit nicht, wirkt er doch wie eine Mischung aus E.T. und Minority Report. Besonders seine Familienmoral stößt dabei verstärkt bitter auf, was aber auch an der Schauspielerei von Osment liegen kann. Davids Gequengel nach der Blauen Fee und der Liebe zu Monica geht einem nämlich spätestens in der Mitte des Filmes tierisch auf den Keks. Hierbei sind die besonders vorstechenden Elemente von Spielberg natürlich das Kind als Held im Zentrum des Geschehens, sowie satte und kräftige Farben. Alles wirkt ziemlich gekünstelt, dabei lässt sich kaum Kritik an den Effekten finden, die in der Tat dem typisch spielbergschen Standards entsprechen.

Besonderes Highlight des Films ist Teddy, das filmische Beispiel eines Supertoys, der nicht nur knuffig aussieht, sondern auch eine goldige Stimme hat. Paradoxerweise ist Teddy auch die einzige rational denkende Figur in der gesamten Handlung. Sein katastrophales Ende findet Artificial Intelligence schließlich in seinem grotesk-absurden Finale. Sollte der Film so tatsächlich Kubricks Idee gewesen sein, wäre es die Schlechteste gewesen, die er je gehabt hatte. Aber hätte Kubrick den Film inszeniert, wäre er fraglos anders geworden. Vielleicht nicht zwingend unbedingt viel besser, aber sicherlich interessanter. So bleibt Artificial Intelligence der reine Versuch eines großen Regisseurs, die Idee eines anderen großen (größeren?) Regisseurs auf dessen Art und Weise zu verfilmen. Dabei ist das Ergebnis zu sehr Spielberg, um irgendwelche von Kubricks Elementen effektiv zu tragen und funktioniert nicht als Symbiose dieser beiden Männer, welche von ihrer Erzählstruktur so verschieden sind wie Feuer und Wasser. Am Ende ist das Resultat nicht mehr als ein gut gestylter, aber durchschnittlicher Film.

5.5/10