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13. April 2018

Roman J. Israel, Esq.

Doing the impossible for the ungrateful.

Es heißt ja, der erste Schritt sei immer der Schwerste. Gerade für Regisseure ließe sich aber fast sagen, dass ihr 2. Film oft weitaus diffiziler ist. So mancher Debütfilm legt die Messlatte schon ziemlich hoch, mit denen der ein oder andere Regisseur daraufhin zu kämpfen hat. Zwar war Richard Kellys Southland Tales ein kongenialer Nachfolger seines Kultfilms Donnie Darko, floppte jedoch aufgrund seiner Kreativität sowohl finanziell wie im Feuilleton. Mit The Box versuchte es Kelly im Anschluss nochmals, scheiterte aber erneut. Seither ist es still geworden um das einstige Talent. Und auch Dan Gilroy, der vor ein paar Jahren mit dem Satire-Thriller Nightcrawler ein wahres Brett als Debüt rausgehauen hat, steht nun in dessen Schatten.

Überaus ambitioniert ist es da, mit Roman J. Israel, Esq. ausgerechnet ein Justiz-Drama ins Rennen zu schicken. In diesem wird der Rechtsbeistand Roman J. Israel (Denzel Washington) mit dem schweren Krankheitsfall seines Kanzlei-Partners konfrontiert. Das gemeinsame Büro muss aus finanziellen Gründen schließen und auch wenn Roman in der renommierten Kanzlei von George Pierce (Colin Farrell) unterkommt, tut sich der exzentrische Bürgerrechtsaktivist dort merklich schwer und eckt mit seinen sozialen Ticks und Störungen bei den Kollegen an. Roman hadert mit seinen politischen Idealen von einst, die heute nicht mehr gefragt scheinen – nicht einmal in einer entsprechenden Organisation wie der von Maya (Carmen Ejogo).

“Hope don’t get the job done”, ist eine jener betrüblichen Erkenntnisse ihres Justizsystems, die drohen, engagierte Charaktere wie Roman und Maya mental zu brechen. Die Entschlossenheit der Hauptfigur eint sie dabei in gewisser Weise mit Jake Gyllenhaals Louis Bloom aus Gilroys Debütwerk. Wo dieser aber sein Glück selbst in die Hand nahm, ist Roman weitaus lethargischer. “My lack of success is self-imposed”, weiß er sehr wohl. Sieht sich jedoch – potentiell – in einer Reihe mit Bürgerrechts-Größen wie Bayard Rustin. Seit vielen Jahren arbeitet Roman an einer Mandats-Reform für das im US-Justizsystem populäre Strafmilderungsverfahren, für dessen Abschluss er aber scheinbar weder seinen alten Partner noch Pierce gewinnen kann.

Wie ein Relikt aus alten Zeiten inszeniert Gilroy auch seinen Protagonisten. Der echauffiert sich, wieso Männer nicht stehenden Damen ihren Platz anbieten, nutzt noch ein Klapphandy und trägt alte Anzüge auf. Während sein Kanzlei-Partner nach außen das Gesicht des Büros war und die Verfahren leitete, war Roman im stillen Kämmerlein für deren Vorbereitung zuständig. Was er an sozialen Schwächen mitbrachte, wurde so wohl nur noch verstärkt. “I can always count on you to say the utterly inappropriate thing”, wirft ihm da eingangs nach einem verbalen Fauxpas die Sekretärin vor. Die Ideale von Roman und seinem Partner sind überholt in einer Welt, die auf Effizienz und Gewinn ausgelegt ist, statt auf Moral und Ethik.

“This place runs more like a charity service than a law firm”, kritisiert Lynn (Amanda Warren), die Tochter von Romans Partner. Und erklärt so das aufgehäufte finanzielle Defizit, das zur Schließung führt. Entgegen dieser Beschreibungen ist Roman J. Israel, Esq. aber nicht an einem Gegenüber von Damals und Heute interessiert. Ebenso wenig wie an jenem Mandat, das Roman seit jeher vorbereitet. Im Grunde wird der Zuschauer etwas im Stich gelassen – womöglich analog wie manche von Romans Klienten selbst vom Justizsystem –, was nun die Geschichte einem eigentlich erzählen will. Vom Scheitern eines Idealisten? Nur bedingt, dafür wird das Engagement zu wenig angerissen, als dass sich ein Bild inklusive Rahmen dazu ergibt.

Statt an einem Thema oder einer spezifischen Handlung hängt Gilroy seinen zweiten Spielfilm an seiner Hauptfigur und ihrer Faszination auf. Diese erstreckt sich dabei auf die anderen Charaktere fast eher als auf das Publikum. Sowohl Pierce als auch Maya entwickeln ihre ganz eigenen Beziehungen zu Roman, der in ihnen eher unwillkürlich – obschon gewollt – eine Art neues Feuer des Aktivismus entfacht. Ganz im Gegensatz zur Figur selbst, die im Verlauf ob der Widrigkeiten bei einem Mordfall gegen seinen Klienten Ellerbee (DeRon Horton), eher desillusionierter gerät. Was in anderen Justiz-Filmen nun der Auftakt für ein kathartisches Hauruck wäre, avanciert hier eher zum halbgaren Blick in den moralischen Abgrund.

Roman J. Israel, Esq. fehlt ein wenig der Fokus – sei es auf einen konkreten Fall, ein alles übergreifendes Thema oder die inneren Mechanismen seiner Figur. So ist der Film am Ende von allem etwas, aber eben nichts davon wirklich oder genug. Geschultert von einer soliden und erfreulicherweise weitestgehend zurückgenommenen Darbietung von Denzel Washington, findet sich nicht wirklich ein Zugang zu dem, was Dan Gilroy hier versucht, zu erzählen. Roman mag zwar seine sozialen Ticks haben, ist aber keineswegs so charismatisch wie der soziopathisch veranlagte Louis Bloom. Wo Nightcrawler eine Botschaft transportierte (stellenweise sicher mit dem Holzhammer), mäandert Roman J. Israel, Esq. zu sehr im Nichts.

Von verschenktem Potential kann man im Fall von Roman J. Israel, Esq. dabei nicht mal reden. Die Zahl der mitreißenden und aussagekräftigen Justiz-Filme ist überschaubar und Gilroys Werk keines, das dem Genre sonderlich viel hinzuzufügen hat. Gut möglich, dass es der Kohärenz der Geschichte in die Parade fuhr, dass Gilroy nach eigenen Aussagen Washington zu viel Einfluss auf die Gestaltung schenkte, sodass eine leichte Fehlharmonie entstand. Oder es ist schlicht die Erwartungshaltung Schuld: Wer nach einem starken Debütfilm ebenso überzeugend im Nachfolger an den Zuschauer liefern soll, kann vielleicht nur scheitern. Oder wie es Roman J. Israel selbst im Film sagt: “Doing the impossible for the ungrateful.”

5/10

15. Dezember 2017

The Killing of a Sacred Deer

The operation was a success but unfortunately the doctor didn’t make it.

Mit Verlusten im Leben zurecht zu kommen, ist für viele keineswegs einfach. Frust, Wut, Trauer, Resignation können damit einhergehen und Menschen verzweifeln lassen. Der griechische Auteur Giorgos Lanthimos konfrontiert in seinen Werken immer wieder seine Figuren mit Verlusten. Fehlte es den Kindern in Kynodontas an ihrer Freiheit, kompensierten die Charaktere in Alpeis konkret menschliche Verluste als Trauerbegleitung. Beides wiederum wohnt zugleich Lathimos’ letztjährigem Meisterwerk The Lobster inne. Nach dem Verlust des Partners droht den Charakteren darin das Ende ihrer sozialen und menschlichen Existenz, wenn sie keinen Ersatz finden. Verluste sind es auch, die den Kern von The Killing of a Sacred Deer bilden.

Darin verlor der 16-jährige Martin (Barry Keoghan) vor einigen Jahren seinen Vater während einer Herzoperation. Die Schuld gibt er dem diensthabenden Kardiologen Steven (Colin Farrell), der sich wiederum in seiner Freizeit des Jungen annimmt und Zeit mit ihm verbringt. Als er Martin in sein Haus einlädt und ihn seiner Familie vorstellt, will dieser die Einladung erwidern. Doch Martins Versuche, Steven mit seiner Mutter (Alicia Silverstone) zu verkuppeln, scheitern. Frustriert stellt der Jugendliche dem Arzt ein Ultimatum: Entweder er tötet als Ausgleich für den durch ihn verursachten Tod von Martins Vater eines seiner eigenen Familienmitglieder oder alle werden einer mysteriösen und letztlich tödlichen Krankheit anheimfallen.

Damit ist fast schon zu viel gesagt, ist das stärkste Faustpfand von The Killing of a Sacred Deer doch seine bedrohlich-verstörende Atmosphäre. So wirkt das erste Treffen von Steven und Martin im Film wie das eines Vaters mit seinem entfremdeten ältesten Sohn. Und als sich herausstellt, dass die Figuren nicht verwandt sind, wird die Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Teenager noch undeutlicher. Ebenjene Beziehungen der Charaktere zu- und untereinander spielen ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle bei Lanthimos. Von Martins Bestreben, seiner Mutter neues Glück an der Seite des von ihr verehrten Steven zu schenken und diesen offiziell zum Vater-Ersatz zu machen hin zum Verhältnis von Steven zu seinen Kindern.

In kurzen Momenten skizziert der Regisseur dabei, dass Tochter Kim (Raffey Cassidy) ihrem Vater und Sohn Bob (Sunny Suljic) seiner Mutter Anna (Nicole Kidman) näher ist. Die übernimmt auch mal die häuslichen Pflichten des jüngsten Kindes, verteilt diese aber bereitwillig auf dessen Schwester, nachdem Bob als erstes dem „Fluch“ von Martin zum Opfer fällt. Naturgemäß nimmt Steven die Drohung des Jugendlichen anfangs nicht ernst. Die plötzliche Lähmung des Sohns wird als Vorwand zum Schule schwänzen abgetan. Zumal die Kollegen im Krankenhaus keine medizinische Erklärung für dessen Symptome haben. Lange Zeit befassen sich die Figuren somit gar nicht mit der Frage, wer zu opfern wäre, sollte es beim Status quo bleiben.

In gewisser Weise teilt sich The Killing of a Sacred Deer in drei Akte auf. Dem ersten, der die Exposition für die Handlung liefert, mit Stevens und Martins Verhältnis und ihren Familien als unbeteiligte Dritte. Im Mittelteil begleitet Lanthimos den allmählichen gesundheitlichen Verfall innerhalb Stevens Familie sowie dessen Frust und seine daraus geborene Wut ob der Situation. Erst im Schlussakt gewinnt die Geschichte eine neue, von Martin angestrebte Dynamik der Eskalation, kulminierend in einem Finale, das wie eine Symbiose aus Richard Kelly und Michael Haneke wirkt. Nebenbei dröselt der Film hinsichtlich der Umstände auch die Frage nach Verantwortung sowie dem klassischen patriarchalischen Rollenbild innerhalb der Familie auf.

Er sei nun in Abwesenheit seines Vaters der Mann im Haus, adressiert Martin beispielsweise in einer Szene Bob. Im Wissen, dass er, Martin, nun selbst nach dem Tod seines Vaters der Mann bei sich daheim ist. Und verantwortlich für seine Mutter, wie auch Anna, Kim und Bob im Grunde zu Steven blicken als Konfliktlöser ihrer Probleme. So absonderlich Martin in vielen seiner Szenen erscheint, so bedürftig nach (väterlicher) Liebe ist er womöglich. “Can I give you a hug?”, fragt er Steven da zu Beginn, als dieser ihm ein Geschenk macht. Und fragt den Arzt später in einer anderen Szene gar nicht mehr, sondern umarmt diesen einfach. Auf seine Weise versucht Martin, mit seinem Verlust klarzukommen. Scheitert aber daran, ihn zu ersetzen.

Verantwortung muss Steven auch für jenen Vorfall übernehmen, der ursächlich für die im Film gezeigten Ereignisse ist. Martins Schuldvorwurf mag aus der Trauer geboren sein, doch er scheint den Tatsachen zu entsprechen. Zwar schieben sich Steven und sein Anästhesist Matthew (Bill Camp) gegenseitig die Schuld für die misslungene Operation zu, doch die Annahme, Steven habe unter Alkoholeinfluss das Skalpell geschwungen, wird befeuert durch die Tatsache, dass er seit ebenso vielen Jahren nicht mehr trinkt wie die fatale Operation her ist. Es ist nicht das erste und einzige Mal im Film, als sich Steven seiner Verantwortung entzieht, der er sich gegen Ende wider Willen und besseren Wissens dann aber doch stellen muss.

The Killing of a Sacred Deer wird dabei weniger von seiner Prämisse getragen – wie erwähnt treibt Lanthimos sie erst im Schlussakt in das für ihn typische Absurde – oder von der Tiefe seiner Handlung als von der Stimmung, die Film und Figuren begleitet. Die Wahl auf den unscheinbaren Barry Keoghan als böswilligen Rachsüchtigen ist ungewöhnlich und auf ihre Art durchaus überzeugend. Colin Farrell bewies bereits in The Lobster, dass sich seine Art des Schauspiels sehr gut mit Lanthimos’ monotonem Dialogstil sowie kühler Inszenierung versteht. Nicole Kidman fügt sich dem nicht ganz und bleibt sich bisweilen eher treu, während gerade Alicia Silverstone in ihrem kurzen, aber prägnanten Auftritt eine eigene Duftmarke hinterlässt.

Heinrich Heine meinte einst, „man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher, als bis sie gehenkt worden“. Martin könnte dies ähnlich sehen. Als ihn Anna in einer Szene fragt, warum der Jugendliche sie und ihre Kinder in den Zwist mit Steven zieht, erhält sie keine Antwort. Für den Teenager geht es weniger um Vergeltung an dem Arzt als darum, diesen den Verlust spüren zu lassen, mit dem er und seine Mutter selbst jeden Tag klarkommen müssen. Giorgos Lanthimos liefert mit The Killing of a Sacred Deer ein eindringliches und durchweg faszinierendes Psychodrama, dem dennoch etwas die Tiefe seiner Vorgänger fehlt. In gewisser Weise muss der jüngste Film des Griechen also mit seiner ganz eigenen Art von Verlust auskommen.

6.5/10

21. Februar 2016

Total Recall

I feel like I was meant for something more than this.

Tag aus, Tag ein immer dasselbe. Man steht auf, geht zur Arbeit, folgt stets derselben Routine. “Without questioning it”, klagt Fabrikarbeiter Doug Quaid (Colin Farrell). Sogar dieselben Plätze nehmen er und Arbeitskollege Harry (Bokeem Woodbine) täglich im Shuttle-Transport zur Arbeit ein. Das kann es nicht gewesen sein, vor allem, als Quaid erfährt, dass eine erhoffte Beförderung ausbleibt. Aus Frust sucht er Rekall auf, eine Firma, die falsche Erinnerungen ins Gehirn transplantiert. Quaid will einen Traum, in dem er mit einer mysteriösen Frau (Jessica Biel) als Geheimagent arbeitet, vertiefen. Nur scheint der Traum weniger Traum als subtile Erinnerung zu sein.

Wer alt genug ist, mag sich daran erinnern, dass diese Geschichte bereits erzählt wurde. Paul Verhoeven adaptierte 1990 Total Recall aus Philip K. Dicks Kurzgeschichte “We Remember It For You Wholesale”. Darin spielte Arnold Schwarzenegger den Bauarbeiter Doug Quaid, der von einer Mars-Reise träumte – ehe Mitarbeiter von Rekall feststellten, dass er diese bereits getätigt hatte. Als Spielball zwischen dem Mars-Gouverneur Cohaagen und dem subversiven Widerstand erlebt Quaid ein wildes Abenteuer auf einem fremden Planeten – oder womöglich doch nicht. Verhoeven ließ dabei offen, ob sein Film letztlich nicht vielleicht doch bloß ein Rekall-Implantat war.

Derartig verspielt gibt sich das 2012er Remake von Regisseur Len Wiseman keineswegs. Dies fängt bereits mit dem Beginn an. Wo Verhoeven eine simple, kurze Szene auf dem Mars zwischen Quaid und einer unbekannten Frau (Rachel Ticotin) inszenierte, setzt sich Wisemans einleitender Traum visuell nicht wirklich von der Realität ab. Und wirkt somit weitaus weniger als Traum, sondern ziemlich offensichtlich wie eine Erinnerung. Der restliche erste Akt folgt weitestgehend dem Originalfilm, verzichtet lediglich auf die Mars-Komponente und präsentiert dem Zuschauer eine dystopische Zukunft mit zwei Handlungsorten: der United Federation of Britain und der Kolonie.

Zumindest visuell macht die Kolonie – eine Blade-Runner-eske Interpretation einer asiatisch angehauchten Shanty Town – etwas her, nur verlagert sich die Handlung in der zweiten Filmhälfte in das sterilere Groß-Großbritannien. Im Remake ist Rekall weniger seriöse Firma als ein Hinterhof-Esoterik-Schuppen neben Straßen-Tattoo-Shops (hat aber das Budget, große Werbereklamen in der Kolonie zu schalten. Die Rekall-Implantation kommt nicht zu Stande, Quaid wird auf der Flucht zum Mörder und sieht sich Zuhause mit seiner Frau Lori (Kate Beckinsale) einer Agentin von UFB-Kanzler Cohaagen (hier: Bryan Cranston) konfrontiert. Erneut muss Quaid danach die Flucht ergreifen.

Wo Verhoeven nun den Plot auf den Mars verlagert, wo Quaids vorheriges Alter Ego ihn instruiert, Melina, jene mysteriöse Frau, aufzusuchen, um den Kontakt zu Rebellenführer Kuato herzustellen, substrahiert Wiseman den Mutanten-Subplot aus der Gleichung, folgt aber in der Struktur dem Original (wobei Kuato hier zu Matthias, gespielt von Bill Nighy, wird). Lebt die 1990er Version vom futuristischen Mars-Setting inklusive Mutanten, Johnnycab und “I got five kids to feed”-Benny (Mel Johnson, Jr.), verliert sich das Remake in seiner glanzlosen Darstellung einer mehrstöckigen Gebäudewelt. Verhoevens Film atmet durchweg Philip K. Dick, Wiseman äfft eher Minority Report nach.

Zugleich gerät das, was dem Zuschauer präsentiert wird, wenig interessant. Jede Actionszene besteht aus derselben Flucht von Quaid vor Lori (Wiseman verschmilzt in ihr Lori und Michael Ironsides Figur Richter), was sie repetitiv-ermüdend macht. Zudem wird Cohaagen mit einer suspekten Motivation ausgestattet. Zwar schwand gegen Ende meine Aufmerksamkeit, aber es wirkte so, als wolle er die Menschen in der Kolonie ausmerzen, und sie durch seine UFB-Dronen ersetzen. Aber die könnten an sich ja auch in Afrika oder Nordamerika hausen (?). Im Gegenzug präsentierte Verhoeven eine weitaus simplere Action und Handlung, die jedoch sehr viel spannender gerieten.

Wisemans Inszenierung ist trotz aller futuristischen Spielerei eine reichlich lieblos-sterile Angelegenheit. Weitaus ärgerlicher als die belanglose Action ist dabei sein ausuferndes Faible für Lens Flares. Die brechen in fast jeder Szene über einen herein, reißen dabei immer wieder aus dem Geschehen heraus und scheinen nahezu ein Eigenleben zu entwickeln. Total Recall vereint so viele Lens Flares in sich wie drei J.J. Abrams’ Filme – und das will etwas heißen. Was Remake und Original aber noch mehr unterscheidet, ist der Ton. Hier und da versucht Wiseman den süffisanten Humor der 1990er Version zu übernehmen (“It’s safe to say we’re separated”) – und scheitert.

Bei Verhoeven und Dick ging es um Dougs Identitätskrise und dem Wunsch nach mehr (“I want to do something with my life”). Rekall versprach hier “a vacation from yourself” – nur war der vermeintliche Kunde nicht die Person, die er zu sein schien. Der doppelte Boden des Rekall-Implantants fehlt im Remake gänzlich. “People are trying to kill you left and right, you meet this beautiful exotic woman (…) I don’t want to spoil it for you, but rest assured: by the time the trip is over you get the girl, kill the bad guys and save the entire planet”, nimmt im Original Rekall-Chef Bob McClane (Ray Baker) den Filmverlauf vorweg. Entsprechend offen lässt Verhoeven diesen enden.

Sein Total Recall ging auch um Vertrauen – oder dessen Mangel. Cohaagen traute der außerirdischen Technologie nicht. Melina vertraut Quaid, vormals Hauser, auch nachdem dieser als Schläfer enttarnt wird. Und Quaid vertraut letztlich seiner neuen Identität gegenüber seiner alten. Die 1990er Version überzeugt in allen Belangen, ist Actionreich und gewaltvoll, aber in kleinen Dosen. Dabei bleibt der Humor nicht auf der Strecke und sowohl visuell (Effekte, Make-up) als auch auditiv (Jerry Goldsmiths Musik) und mit seinem Ensemble (Sharon Stone vor ihrem Durchbruch in Verhoevens Basic Instinct zwei Jahre später) weiß Total Recall auf ganzer Linie zu überzeugen.

Was sich vom Remake nicht sagen lässt. Der talentfreie Handlanger Wiseman gibt sich besonders schlau (Farrell liest auf dem Weg zur Arbeit Ian Flemings The Spy Who Loved Me), zitiert fleißig das Original, hat dieses aber wie so viele Remake-Marionetten (siehe auch RoboCop) schlicht nicht verstanden. Es erstaunt immer wieder, dass Leute wie Wiseman, Brett Ratner oder McG weiterhin Jobs in Hollywood kriegen. Der Vorteil dieses Total Recall-Remakes ist, dass man es bereits beim Sehen vergisst, während man an die Klasse des Originals denkt. “Best memories I have”, lässt sich zum Verhoeven-Film ein Zitat des Remakes ummünzen. “A whole lot better than this shit.”

2.5/10

18. August 2015

True Detective – Season Two

Here we are, under the bright lights.

Erfolg kann auch eine Bürde sein und Fußstapfen bereiten, die anschließend schwer auszufüllen sind. So haderte auch Michael Douglas’ Figur in Wonder Boys damit, nach einem umjubelten Debütroman ein Folgewerk zu liefern, dass den Ansprüchen gerecht würde. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Staffel von True Detective, die im vergangenen Jahr quasi durch die Bank für ihre Atmosphäre und ihr Schauspielduo um Matthew McConaughey und Woody Harrelson gelobt wurde. Wie sich zeigte, wohl eher eine Eintagsfliege, deren Qualität sich scheinbar zuvorderst Regisseur Cary Joji Fukunaga verdankte, statt Serienschöpfer und Autor Nic Pizzolatto. Der liefert mit True Detectives zweiter Staffel krude Dialoge und uninteressante Charaktere.

Statt in Amerikas Süden spielt die Handlung im zweiten Jahr inmitten der korrupten fiktiven Industriestadt Vinci. Deren Stadtdirektor Ben Caspere wird tot von High Patrol Officer und Kriegsveteran Paul Woodrough (Taylor Kitsch) entdeckt. Woodrough soll gemeinsam mit den Ermittlern Ani Bezzerides (Rachel McAdams) und Ray Velcoro (Colin Farrell) den Mord an Caspere aufklären. Während Bezzerides promiskuitiv und spielsüchtig ist, ist Velcoro ein korrupter Polizist, der für seine Vorgesetzten in Vinci notfalls die Ermittlungen torpedieren soll. Zugleich arbeitet Velcoro auch noch dem Clubbesitzer und Anzug-Gangster Frank Semyon (Vince Vaughn) zu, der mit Caspere ein Millionenprojekt am laufen hatte und nun ohne Geld dasteht.

Die große Frage ist: Wer hat Caspere umgebracht und wieso? Und kann Semyon sein Geld zurück bekommen, dass ihm eigentlich mit einem Eisenbahnprojekt den Weg in die Legalität ebnen sollte? Kein leichtes Unterfangen. Schon gar nicht, weil das zweite Jahr True Detective eine Vielzahl an Figuren auf die Zuschauer loslässt, die alle irgendwie miteinander unter einer Decke stecken. Und mit verschiedenen nebulösen Subplots, die acht Episoden lang vor sich hin vegetieren, ohne wirklich von Belang zu sein. Beispielsweise Woodroughs heimliche Homosexualität oder das (erfolglose) Bestreben von Semyon und seiner Frau Jordan (Kelly Reilly), ein Kind zu zeugen. Hinzu kommen dann noch ein paar Fälle von vermissten Personen.

Am gelungensten ist True Detective zu Beginn in den ersten Folgen – primär, weil noch nicht klar ist, wo das zweite Jahr hinführt. Bis sich die Plan- und Orientierungslosigkeit der Staffel, die vermutlich versucht, sich in Noir-Gefilden zu bewegen, in den anschließenden Episoden verstärkt offenbart. Der Mord an Caspere ist weitaus weniger spannend als die Ritualmorde aus der ersten Staffel. Dass mit Caspere auch Semyons Zukunft sterben könnte, hat für das Publikum ebenfalls wenig Belang. Die Figur ist einem schlicht egal, was durch oft grausige Dialoge, die ihr Pizzolatto in den Mund legt, nicht besser wird. Ähnlich verhält es sich auch mit den drei Ermittlerfiguren, von denen kaum eine ihre Eindimensionalität zu überwinden vermag.

Bezzerides hadert mit ihrer Kindheit in der Hippie-Kommune ihres Vaters Eliot (David Morse), Woodrough mit seiner Zeit als Blackwater-Söldner in Afghanistan und seiner Liebelei mit einem Kameraden. Velcoro wiederum befindet sich in Semyons Schuld, da der ihm einst verriet, wer seine Frau (Abigail Spencer) vergewaltigt hatte. Eine Selbstjustiz-Wunde, die bis in die Gegenwart schmerzt und dem korrupten Ermittler ein zerrüttetes Verhältnis zu seinem Sohn beschert, der womöglich der Nachwuchs des Täters ist. Viel Drama, auch bei den anderen Figuren, wie dem versoffenen Vinci-Bürgermeister, dessen Zuhälter-Sprößling oder unter Semyons Männern, von denen plötzlich ebenfalls einer tot und mit Casperes Wunden auftaucht.

Es gibt derart viele Charaktere, dass man ihnen schwerlich allen folgen kann. Gesichter tauchen auf und gehen, hängen irgendwie miteinander zusammen. Eine Zuordnung fällt eher schwer, was aber auch nicht sonderlich problematisch ausfällt. Die Handlung dümpelt vor sich hin, die Ermittlungen im Fall bewegen sich zwar voran, werden Mitte der Staffel dann jedoch ausgebremst und dann wieder auf Anfang gestellt. Wo die Morde im ersten Jahr eine gewisse Faszination ausstrahlten, hält die zweite Staffel nur mit Mühe ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Dass man der Handlung dermaßen egal begegnet, liegt zugleich daran, dass man keine interessanten Charaktere hat, die einen an die Hand nehmen und durch den Plot begleiten.

Das Cop-Trio will nie wirklich miteinander harmonieren, am ehesten gelingt dies noch Velcoro und Bezzerides. Die Figuren bauen weder eine Beziehung zueinander auf, wie ihre Vorgänger im Vorjahr, noch reiben sie sich wie diese aneinander. Dass Pizzolatto dennoch so tut, als würden sich die Drei im Verlauf als Team und Einheit sehen, ist da schon fast bemitleidenswert. Hinzu kommen durch die Bank bedauernswerte Dialoge, die die Charaktere von sich geben müssen und sie teils noch dümmer dastehen lassen als sie durch ihre Aktionen bereits wirken. Schon jetzt ein Klassiker ist Woodroughs Ausspruch, als er in einer Folge auf eine Reihe Verträge stößt: “These contracts… signatures all over them!”, entfährt es Woodrough da ungläubig.

Übrige Gespräche werden meist von Plattitüden unterfüttert, die direkt aus Screenwriting for Dummies stammen könnten. Tempo gewinnt die Show nur dann, wenn buchstäblich Action geboten wird. Wie zum Ende der zweiten und vierten Folge oder auch im ansonsten katastrophalen Staffelfinale Omega Station. Am überzeugendsten gerät hier noch Night Finds You, auch aufgrund ihrer Schlussszene, die dann in der Folgeepisode sogleich revidiert wird. Kurzum: Es fehlt der zweiten Staffel True Detective das, was die erste Staffel ausgezeichnet hat. Interessante Figuren mit einer spannenden Dynamik und eine Atmosphäre, die eine im Grunde beliebige Handlung zu überstrahlen vermag. Fußstapfen, die für das zweite Jahr zu groß waren.

6.5/10

25. Juni 2010

The Imaginarium of Dr. Parnassus

So you’re probably not a betting man, are you?

Der klassische Wanderzirkus verdankt seinen Namen natürlich seiner Mobilität. Oft im Besitz einer Familie, zog der Wanderzirkus von Ort zu Ort, um sich seinen Unterhalt durch das namentlich passende Geschäft der Unterhaltung zu sichern. In Zeiten der fortschreitenden Technologisierung der Gesellschaft spielen Einrichtungen wie der Zoo oder der Zirkus - die hinsichtlich ihres tierunfreundlichen Aspekts nicht näher untersucht werden sollen - eine immer geringere Rolle. Vor allem in heutiger Zeit hat die Exotik ob fremder Tiere und Praktiken deutlich nachgelassen. Nichts, was man nicht im Fernsehen oder noch Nutzerfreundlicher auf YouTube finden könnte. Entsprechend schwer tut sich also auch das Imaginarium des wandernden Dr. Parnassus (Christopher Plummer) in Terry Gilliams dementsprechend benannten The Imaginarium of Dr. Parnassus.

Inzwischen hat Gilliams 11. Spielfilm mehr Ruhm als ihm unter normalen Umständen zu Teil geworden wäre. Der Tod von Hauptdarsteller Heath Ledger überschattete während der Dreharbeiten und auch zum Filmstart hin alles andere. Der Film selbst war kaum noch wichtig, viel bedeutender war die Funktion des Filmes als Requiem des australischen Schauspielers. Im Nachhinein muss man fast sagen, dass Ledgers Tod das Beste ist - so makaber es klingt - das dem Film passieren konnte. Nicht nur aus Vermarktungs- (der letzte Film eines frisch gekürten Oscarpreisträgers lockt sicherlich zusätzliche Besucher an), sondern auch aus qualitativen Gründen. Denn wo Ledger vor allem in Brokeback Mountain aber auch mit Abstrichen - speziell ans Genre - in The Dark Knight schauspielerisch auftrumpfen konnte, enttäuscht er hier.

Ledgers Spiel wirkt unsauber und vor allem beliebig. In manchen Szenen nuschelt er sich durch seine zum Teil improvisierten Dialoge, die oft durch den mehrfachen Einschub des Lückenfüllers „you know“ auskommen müssen. Allerdings sollte eingestanden werden, dass Terry Gilliams Filme selten durch ihre schauspielerische Leistung und narrative Qualität überzeugen. Das Niveau solcher Werke wie Brazil oder Twelve Monkeys konnte Gilliam im neuen Jahrtausend nicht mehr erreichen. Sieben Jahre vergingen zwischen seiner kongenialen Adaption von Hunter S. Thompsons Kultroman Fear and Loathing in Las Vegas und seinem (immerhin) visuell gefälligen The Brothers Grimm, der ihn mit Ledger zusammenführte und seine Semi-Rückkehr ins Filmgeschäft repräsentierte. Und letztlich ähneln sich Grimm und Parnassus dann doch sehr.

Die Geschichte ist eine simple und oftmals unübersichtliche. Grundlegend ist ein faustsches Element des Handels eines Doktors mit dem Teufel. Hier übernimmt Plummers Dr. Parnassus diese Rolle, die einst mit dem Teufel, hier Mr. Nick (Tom Waits) genannt, eine Wette abschloss, wer mehr menschliche Seelen für sich gewinnen könne. Parnassus propagierte die Vorstellungskraft, Mr. Nick die reine Begierde. Einige Jahrtausende später wetten die beiden Männer immer noch, inzwischen um die Seele von Parnassus’ Tochter Valentina (Lily Cole). Als Retter in der Not soll der mysteriöse Tony (Heath Ledger) fungieren, der angeblich an Amnesie leidet, das Unternehmen von Dr. Parnassus jedoch als Chance sieht, sich einerseits zu rehabilitieren und andererseits davon finanziell zu profitieren. Wie Gilliam im Audiokommentar bemerkt: es ist eine Geschichte über Entscheidungen.

Viele Aspekte von The Imaginarium of Dr. Parnassus lassen sich problemlos nachvollziehen. Zum Beispiel dass der für Valentina schwärmende Anton (Andrew Garfield) in Tony eine Bedrohung ausmacht. Oder dass Mr. Nick weniger um des Einsatz’ Willen wettet, als vielmehr weil ihm das Wetten in der Natur liegt. Andere Figuren wie Valentina oder Parnassus selbst sind da doch unausgereifter. Insbesondere - und insofern dramatischer - die Titelfigur des Tony. Im Tode Ledgers wandelte Gilliam die Figur so ab, dass sie im Imaginarium selbst ihr Gesicht wechselt und so von mehreren Schauspielern (in diesem Fall: Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell) dargestellt werden kann. Was jedoch nur bedingt dem Zuschauer dabei hilft, von Tony ein besseres oder im Entferntesten authentisches Bild gewinnen zu können.

Sowohl Depps als auch Laws Interpretation beschränkt sich auf wenige und wortkarge Minuten. Ist Depps Interpretation zwar noch an finanziellen Dingen interessiert, hat sie doch das Interesse von Parnassus im Sinn. Sehr viel idealer zeigt sich Laws Darstellung, die zwar wie Depps auf einem schauspielerischen Tiefpunkt stattfindet (und hier bisweilen sogar Ledgers eigene Portraitierung unterbietet), aber hilft, der Figur zusätzliche Sympathien zu bescheren. Der Bärenanteil dagegen wanderte zu Farrell, der Tony in seinem kathartischen Moment darstellt, ohne dass sich dieser wirklich nachvollziehen lässt. Plötzlich lässt Gilliam die bisher relativ sympathische Figur (zumindest ihren Bestrebungen nach) zum Antagonisten mutieren - und das ganz ohne Vorwarnung. Den Schlussmonolog „Does it come with a happy ending“ hätte der Regisseur daher wohl besser an den Anfang gestellt.

Denn letzten Endes ist - paradoxer Weise - Mr. Nick und damit der Teufel selbst die Figur, die aus den edelsten Motiven handelt, beziehungsweise weit weniger nervig daherkommt wie Anton, Valentina, Tony und Parnassus. Wie erwähnt ist Mr. Nick ein Verführer, dem es mehr um den Akt der Verführung geht als um deren Resultat. Dahingehend erklärt sich auch sein ständiges Pochen auf eine neue Wette, einen neuen Einsatz. Wo Gilliam in der von Waits köstlich portraitierten Figur Konsequenz zeigt, lässt er diese an anderen Stellen, gerade (leider) der Handlung (zu) oft vermissen. Sicherlich kann hier der dritte und finale Akt auch nur aufgrund Ledgers Verscheiden rasch abgespult sein, in seiner jetzigen Form entschuldigt dies jedoch nicht sein sehr unharmonisches Ende. Hier wissen auch die oft sehr ansehnlichen Spezialeffekte wie schon in The Brothers Grimm wenig zu retten.

Als Film, der mit Müh und Not aufgrund des überraschenden Todes des Hauptdarstellers zu Ende gedreht wurde, darf The Imaginarium of Dr. Parnassus immer noch als gelungen bezeichnet werden. Dennoch merkt man den Film an, weshalb er nicht überzeugend ausfällt. Zu unausgegoren sind die essentiellen Figuren, allen voran Tony, ausgearbeitet, zu planlos beginnt sich die Geschichte in ihrem dritten Akt in eine Richtung zu drehen, die der Prämisse des Filmes als Geschichte über Geschichten am Ende zuwider läuft. Ledgers unüberzeugendes Spiel kann zwar etwas durch den Dreifach-Einsatz von Depp, Law und Farrell kaschiert werden (wobei nur Farrell, und dies lediglich bedingt, gefällt), dennoch agiert das Ensemble, Waits und Troyer ausgenommen, letztlich so unglücklich, wie The Imaginarium of Dr. Parnassus als Ganzes ausfällt.

5.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

3. März 2010

Crazy Heart

Letztes Jahr schlug sich Mickey Rourke als gefallener Held mit einer Frau herum, die zwar Gefühle für ihn hat, zu diesen jedoch nicht stehen will, und einem Kind, das stets vernachlässigt wurde und deshalb vom Vater nichts mehr wissen will. Mit seinem Regiedebüt Crazy Heart präsentiert Scott Cooper nun quasi The Wrestler Reloaded. So kann Coopers Geschichte über den alternden Country-Sänger Bad Blake zu keinem Zeitpunkt mit Originalität punkten, sondern verliert sich bisweilen in ihren nichtssagenden Bildern. Dass sich der Film dennoch allein wegen Jeff Bridges lohnt, kann man beim Manifest nachlesen.

6/10

18. September 2009

Daredevil - Director’s Cut

How do you kill a man without fear?

Nach Bryan Singers gelungenem Comic-Reboot X-Men oblag es 2001 Sam Raimis Spider-Man, den damals erfolgreichsten Kinostart aller Zeiten hinzulegen. Inzwischen sind Superhelden-Verfilmungen zur Regel geworden und vormerklich die bekannten Helden finden ihren Weg auf die Leinwand. Außerhalb der USA weiß man wenig mit Iron Man, Ghost Rider oder Daredevil anzufangen. Letzterer steht nicht zuletzt auch aufgrund seines Wohnortes im Big Apple stets im Schatten von Spider-Man. Dieser erblickte zwei Jahre zuvor das Licht der Welt, ehe sein Schöpfer Stan Lee Daredevil aus den Angeln hob. Im April 1964 feierte der rechtschaffene Held seine Geburt und vergnügt sich somit seit 45 Jahren im New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen. Dabei verdient Daredevil besonderes Augenmerk, ist er doch ein etwas anderer Superheld, der mit anderen Umständen zu kämpfen hat als zum Beispiel ein Wolverine, Spider-Man oder Hulk.

Von seinem Vater dazu ermutigt strebsam zu lernen, um einmal als Arzt oder Anwalt zu arbeiten, sollte eine Heldentat das Leben des jungen Matt Murdock für immer verändern. Als er einen Mann vor einem Laster mit radioaktivem Material rettet, sorgt der daraus resultierende Unfall dafür, dass Murdock selbst erblindet. Die Radioaktivität verändert dafür seine restlichen Sinne, so sind sein Geruchs- und Tastsinn verbessert und an die Stelle der Augen tritt eine Echoortung. Diese dient ihm fortan als Sicht durch die Straßen New Yorks. Als sein Vater von Gangstern ermordet wird, stürzt sich der Junge in seine Studien und wird später gemeinsam mit seinem Studienkommilitonen Frank ‘Foggy’ Nelson eine Pro-Bono-Anwaltskanzlei aufmachen. Doch Justitia ist ebenso blind wie Murdock selbst, weshalb er des Nachts kostümiert den Verbrechen in seinem Viertel nachgeht, um die zur Strecke zu bringen, die das Gesetz nicht erreicht.

Eine Renaissance erfuhr Daredevil als sich 1979 der 24-jährige Frank Miller an der Figur versuchte. Er war es, der den Kingpin als Antagonisten aus dem Spider-Man-Universum entlieh und zudem in seiner ersten Tätigkeit als Autor (er war zuvor bereits an einigen Ausgaben als Zeichner beteiligt) Murdocks große Liebe, Elektra Natchios, einführte. Zugleich bescherte er der Serie einen lockeren Humor, der bisweilen die Vierte Wand durchbrach. “Exit Matt Murdock, attorney-at-law – enter Daredevil, man without fear, bane of the underworld, champion of the oppressed – and so on”, scherzt da sein maskierter Held – der sich Anfangs jeder Ausgabe stets nochmals kurz vorstellt – zum Beispiel in Daredevil goes berserk (#173). “I don’t care how many cop shows you’ve seen it on. You can’t tell if somebody is following you”, wendet sich Auftragskiller Bullseye in Last Hand (#181) ans lesende Publikum, als er selbst im Taxi gerade jemanden verfolgt.

Ohnehin ist Daredevil ein besonderer Superheld – schon allein, weil er nicht wirklich ein Superheld ist. Speziell sein Moralbewusstsein fällt auf, tötet Daredevil doch nie. Nicht einmal seine Nemesis Bullseye – was mehrmals zu Reueempfindungen führt, wenn dieser anschließend Zivilisten ermordet. “The moment one man takes another man’s life in his own hands, he is rejecting the law -- (…) But I’m not God -- I’m not the law -- and I’m not a murderer”, erklärt Daredevil in Devils (#169). Dies unterscheidet ihn von zwiegespaltenen Helden wie Batman oder Wolverine, deren Weste nicht unbedingt rein ist. Und wenn man Daredevil schlägt, trifft man ihn auch. Er blutet und leidet und verfügt nicht über abnormale oder regenerierende Kräfte. Murdocks Echolot ist somit letztlich nicht unbedingt eine Gabe, sondern nur Ersatz für den Verlust seiner Augen. Was ihn schon mal menschlicher als andere Marvel-Helden macht.

Das Budget des Films bewegt sich auf X-Men-Niveau, während Spider-Man und Hulk (ebenfalls von 2003) fast das doppelte Budget erhielten. Hier zeigt sich der Stellenwert der Figur innerhalb der Comic-Welt, entsprechend wirken gerade die Spezialeffekte im Film ziemlich unsauber. Johnson erklärt es im Audiokommentar damit, dass eben zu wenig Geld zur Verfügung stand, was sich gerade im Orgel-Kampf zwischen Daredevil (Ben Affleck) und Bullseye (Colin Farrell) zeigt. Dennoch lag es nicht an den Effekten, dass der Film trotz 100 Millionen Dollar Gewinn floppte. Aus Pacinggründen forderte das Studio, dass Johnson eine Nebenhandlung und die Gewalt trimmte. “Too much punching and kicking”, rezitiert Johnson lakonisch im Audiokommentar. Die fertige Fassung konnte dann PG 13-gerecht an die Kinos geliefert werden. Ein Modus operandus, den Marvel auch bei Iron Man und The Incredible Hulk anwandte.

Umso erfreulicher, dass Johnson die Chance gegeben wurde, sich mit seinem Director’s Cut zu rehabilitieren. “It’s a different movie”, erklärt der Regisseur gleich zu Beginn und fasst die um 30 Minuten erweiterte Fassung als “the story-version of the story” zusammen. Und wie in vielen Fällen steht diese dem Film gut zu Gesicht, was nicht kaschieren soll, dass Daredevil weiterhin über Mängel verfügt. Generell problematisch ist die Tatsache, dass der Film einfach zu over-styled ist. Dies merkt man besonders an der musikalischen Untermalung, die jedes Mal, wenn sie den instrumentalen Score verlässt, durch ihren Pop-Faktor unpassend wirkt. Lediglich Evanescences „My Immortal“ gefällt, während die restlichen Tracks eher abstoßend wirken. Im Grunde sind alle Annäherungen an die Sehgewohnheiten der Zuschauer etwas misslungen, selbst wenn Johnson sie bisweilen durch nette Referenzen geschickt zu überspielen weiß.

Der Film beginnt mit der Geburt des Helden und folgt hier weitestgehend der Vorlage. Ein Vertrauensbruch zwischen Vater (David Keith) und Sohn (Scott Terra) führt zum tragischen Unfall und die veränderte Moral von Jack Murdock schließlich zu seinem Tod. Diesen verbindet Johnson in Batman-Manier im Finale mit Kingpin (Michael Clarke Duncan). Der Wendung, dass der Antagonist für den Vater-Tod verantwortlich ist, musste man bereits bei Burton kritisch gegenüberstehen. Umso erstaunlicher, wie gerne dieser Kniff in Comicverfilmungen Verwendung findet, so auch in Rob Bowmans Adaption von Elektra. Anschließend springt die Geschichte in die Gegenwart und stellt sich der problematischsten Änderung zum Comic. Murdock und Partner Foggy (Jon Favreau) sind nicht im Stande, den angeklagten Triebtäter Quesada dem Recht zu überführen.

Dies obliegt also Daredevil und was folgt, ist eine schöne Reminiszenz an Devils, wenn Daredevil Quesada in die U-Bahn-Station verfolgt, wo er sein Echolot nicht zum eigenen Vorteil nutzen kann. Problematisch wird es, als der Mann ohne Angst Quesada auf die Gleise stürzen und dort liegen lässt, während ein Zug einfährt. Selbst wenn Daredevil aus Selbstverteidigung reagiert, verkommt die Szene letztlich zu vorsätzlichem Mord – wie Produzent Avi Arad zurecht im Audiokommentar anmerkt. “It was the right thing to happen. But it shouldn’t have been a choice”, fasst er das Dilemma zusammen. Was Johnson nun so sympathisch macht, ist sein Bewusstsein für diese Problematik. Für ihn stellt diese Szene den Beginn einer Katharsis dar, die mit der Verschonung von Kingpin im Finale abgeschlossen wird. “I’m still trying to convince myself”, gesteht Johnson, wenn er erklärt, es war das Richtige für den Film, aber nicht für die Figur.

Nicht weniger prekär ist jedoch auch die Szene zwischen Bullseye und Daredevil, als Ersterer gehandicapt um Gnade bettelt (“Show mercy”) und anschließend von Daredevil aus dem Fenster geschmissen wird. Zwar handelt es sich auch hier um ein (indirektes) Zitat aus Last Hand, doch ging dem im Comic eine längere Vorgeschichte voraus. Verzeihlich ist da, das die erste halbe Stunde durch ihre vielen Referenzen gefällt, zum Beispiel wenn Quesada nach Joe Quesada, ehemals Autor für Daredevil und inzwischen Chefredakteur des Marvel-Verlags, benannt wurde. Oder wenn Murdock auf seinem Anrufbeantworter die Abschiedsworte von Heather, seiner Langzeitfreundin, hört. Ähnliche Verweise werden später eingebaut, wenn einer von Murdocks Klienten „Mr. Lee“ heißt, Frank Miller persönlich einen Cameo als Opfer von Bullseye hat oder Kevin Smith – ebenfalls Autor einer Daredevil-Reihe – als Pathologe glänzt.

An dieser Stelle tritt mit dem Mord an Lisa Tazio nun erstmals deutlich der Director’s Cut in Aktion. Und mit ihm auch die Nebenrolle von Coolio als Tatverdächtiger Dante Jackson. Seine Referierung von Turk (einer Figur der Comics) weiß sehr zu gefallen und Tazios Fall dient wiederum hauptsächlich dazu, im Finale Wilson Fisk als Kingpin zu überführen. Zudem bieten die zusätzlichen Szenen mehr Raum für Favreau als Foggy Nelson, der in einer weiteren Referenz an Gantlet (#175) den Fall letztlich auch ohne die Hilfe Murdocks für sich zu entscheiden weiß. Die zusätzlichen Szenen bieten etwas comic relief, der größtenteils durch Favreau transportiert wird, wie auch dessen Alligator-Anekdote erneut ein Querverweis zu einer Daredevil-Ausgabe, in diesem Fall The Damned (#180), ist. Ansonsten bietet der Director’s Cut ausführlichere Einblicke, so auch in die Beziehung zwischen Murdock und Elektra (Jennifer Garner).

Ist ihre erste Begegnung, etwas infantil Elektra (#168) entlehnt, verliert sich Johnson aber in überbordenden Humor, wenn sich beide Figuren auf einem Schulhof eine Prügelei liefern. Gelungen ist die Abwandlung der Regen-Szene, die im Gegensatz zur Kinoversion nicht mit dem Beischlaf beider Figuren endet, sondern im Gegenteil Matt die Romanze hinter seine Pflichten als Daredevil zurückstellt. Johnson verleiht ihrer Beziehung weitaus tragischere Konturen. Es sind zwei Menschen, die sich brauchen und verdienen, aber aufgrund ihrer Umstände nicht zusammen sein können, weil Matt alles hinter Daredevil zurückstellt und der Verlust ihres Vaters Elektra zur Abwendung von der Gesellschaft führt. Mit den neuen Szenen wirken alle Begegnungen zwischen beiden sehr viel harmonischer, romantischer und glaubwürdiger. Da weiß selbst die Abwandlung von Natchios’ Mord nicht zu stören, da sie glaubwürdig inszeniert wird.

Von allen Figuren macht Bullseye wohl die größte Wandlung durch. In Daredevil verkommt er zu einem irischen Punk, dessen Gesichtszüge oft schizophrene Ausmaße annehmen. Die Tatsache, dass Bullseye ohne Kostüm auftritt, wird von Johnson auch in bester Singer-Manier selbst referiert. “I want a fucking costume”, fordert Bullseye nach seiner ersten Begegnung mit Daredevil von Kingpin. Dessen angeordnetes Attentat auf Natchios ist auch einer der Höhepunkte des Films. Zwar weiß weder Daredevils Kampf gegen Elektra sonderlich zu überzeugen, noch Elektras Auseinandersetzung mit Bullseye, doch dieser erste von drei Finalkämpfen überzeugt allein durch seine Vorlagentreue. Praktisch Panel für Panel übernimmt Johnson hier Elektras Tod aus Last Hand, der in der erweiterten Fassung des Films – wie auch später der Kampf zwischen Daredevil und Kingpin – sehr viel runder daherkommt als noch in der Kinofassung.

Dagegen wirkt der Kampf in der Kirche zwischen Daredevil und Bullseye etwas schwach, hier ist es eher eine Referenz an Gangwar (#172), die den Moment zu retten weiß. Letztlich ist Bullseye nichts mehr,als der letzte Gegner vor dem Endboss, der sich in etwas platter Form (“I was raised in the Bronx.”) dem finalen Kampf stellt, der selbst in der erweiterten Fassung recht kurz geraten ist. Hier bringt Johnson nun die Katharsis zu Ende, die als solche für die Erzählung der Geschichte nicht unbedingt von Nöten war. Alle gewalttätigen Begegnungen sind eher enttäuschend geraten, doch ist dies kein Problem, dem sich allein Daredevil ausgesetzt sieht. Auch seine Vorgänger X-Men, Spider-Man und Hulk wussten in ihren Kampfinszenierungen nicht unbedingt zu glänzen (am ehesten noch Spider-Man). Man ist jedoch dankbar für die ausführlicheren Einstellungen, die im Vergleich zur Kinofassung mehr zur jeweiligen Szene beitragen.

Der Director’s Cut besticht durch seine Handlungsstringenz, die auch in den Ermittlungen von Ben Urich (Joe Pantoliano) zum Tragen kommt. Hier weicht Johnson seltsamerweise ab, wenn er entgegen der zahlreichen anderen Referenzen Urich als Reporter der New York Post darstellt. Diese ersetzt ohnehin den Daily Bugle, was hinsichtlich der cross reference zu Spider-Man ein kleines Sahnebonbon gewesen wäre. In vielen Bereichen macht Johnson nahezu alles richtig. Die Romanze zwischen Murdock und Elektra ist schön herausgearbeitet, ebenso wie der Mord an Natchios und die daraus resultierenden Umstände. Wenig überzeugen will dagegen so manche Charakterausarbeitung, muss doch gerade Wilson Fisk/Kingpin zurückstecken, aber auch Bullseye wirkt etwas verschenkt. Beides wäre vermeidbar gewsen, hätte man beispielsweise ein Crossover aus The Assassination of Matt Murdock, Gangwar und Last Hand gewählt.

Insgesamt geht die Besetzung in Ordnung. Ben Affleck macht seine Sache weitestgehend gut. Er ist nicht ganz so charismatisch wie Millers Murdock, weiß jedoch ebenso wie Favreau als Foggy seine Funktion zu erfüllen. Jennifer Garner spielt die Elektra etwas zu weiblich, wobei auch hier berücksichtigt werden muss, dass Johnsons Elektra noch nicht ihren Reifeprozess durchschritten hat. Colin Farrell als Bullseye ist ein kleiner Höhepunkt für sich, verdankt dies allerdings auch dem Potential der Figur. Eine kleine Enttäuschung ist dagegen Michael Clarke Duncan als Kingpin, selbst wenn die Entscheidung, die Rolle mit einem Afroamerikaner zu besetzen, löblich war. Aber natürlich leidet Duncan unter der geringen Präsenz seiner Figur. Ingesamt ist Daredevil im Director’s Cut jedoch eine gute Comicverfilmung, die zwar so ihre Fehler hat, dafür aber besonders durch ihre Vorlagentreue und Referenzen zur Materie gefällt.

7/10

2. Juni 2008

Cassandra’s Dream

Family is family. Blood is blood.

Bei der folgenden Person handelt es sich nicht um irgendeinen Künstler, sondern quasi um eine Legende des Filmgeschäftes. Woody Allen ist der einzige Autor, der es auf vierzehn Oscarnominierungen gebracht hat, zusätzlich dazu noch sechs für die beste Regie, bei einer Nominierung als bester Darsteller. Von diesen einundzwanzig Nominierungen gewann Allen nur lächerliche drei Mal, davon zwei Preise für Annie Hall und einen für Hannah and Her Sisters. Von 1977 bis 1990 drehte er jedes Jahr zumindest einen Film und verzeichnet in seiner Filmographie bisher über vierzig Kinofilme, darunter Klassiker wie eben jener Annie Hall, Manhattan, Mighty Aphrodite oder Deconstructing Harry. Der Mann, der niemals zu einer Oscarverleihung erschienen war, trat überraschenderweise 2002 doch auf, und hielt ein Plädoyer dafür, weiterhin in New York City Filme zu drehen, ungeachtet der Anschläge des 11. September.

New York City, das war und ist Woody Allens Stadt, und dennoch zog es ihn 2005 weg von dieser. Stattdessen widmete sich Allen einer anderen Metropole: London. Hier inszenierte er den Thriller Match Point, ein Genre, welches zu dem zynischen Autor nicht so recht passen wollte. Wider Erwarten überraschte er mit Match Point und wurde verdientermaßen mit seiner vierzehnten Oscarnominierung für sein Drehbuch bedacht. Match Point markiert den Anfang seiner inoffiziellen „London-Murder"-Trilogie, die ein Jahr später in Scoop ihre Fortsetzung und letztes Jahr in Cassandra’s Dream ihr Ende fand. Im Gegensatz zu den ersten Beiden, verzichtete Allen im Letzteren, der erst dieses Jahr in Deutschland erscheint, auf seine Hauptdarstellerin und aktuelle Muse Scarlett Johansson. Dies sollte sich im Sommer bei Allens Ausflug nach Spanien in Vicky Cristina Barcelona allerdings wieder ändern.

Tendenziell besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Allens Cassandra’s Dream und Sidney Lumets Before the Devil Knows You’re Dead. Beide Geschichten konzentrieren sich auf ein Brüderpaar, welches in kriminelle Machenschaften verwickelt wird und letztlich konträre Haltungen zum Geschehen und den eigenen Verwicklungen einnimmt. Waren es bei Lumet Philip Seymour Hoffman und Ethan Hawke, so bildet sich das Brüderpaar bei Allen aus dem Schotten Ewan McGregor und dem Iren Colin Farrell. Sie spielen die Gebrüder Blane, zwei Zöglinge aus einer Mittelsklassefamilie, deren Vater ein Restaurant führt, das rote Zahlen schreibt. Ihr Überleben verdankt die Familie einzig dem finanziellen Zubrot eines reichen Onkels (Tom Wilkinson), der seine familiäre Zugehörigkeit auch auf diese bloße geldliche Finanzspritze beschränkt.

Den älteren Bruder Ian mimt McGregor, einen scheinbar verantwortungsbewussten Sohn, der seinem Vater im Restaurant aushilft, obschon er im Grunde andere Vorstellungen von seinem Leben hat. Ian ist ein Träumer und möchte seinem erfolgreichen Onkel nachfolgen. Ihm wird die Mitwirkung bei einem aussichtsreichen Hotelprojekt in Kalifornien angeboten und hier sieht er seine Chance gekommen. Dabei bemerkt er nicht, dass das geplante Hotelprojekt zum Reinfall verkommen wird. Als er zusätzlich noch die verwöhnte und ambitionierte Schauspielerin Angela (Haley Atwell) kennen lernt, verstärkt sich seine Erfolgssucht nur noch. Sie wird sogar zu treibenden Kraft der Handlung, denn der eifersüchtige Ian kann nicht anders, als Angela der bestmögliche Fang zu sein und dies erfordert nun mal ein gewisses Vermögen, wie ihm auch Angelas Vater in einem Vieraugengespräch gegenüber erwähnen wird.

Colin Farrell übernimmt den Part des bodenständigen Bruders Terry, einem Mechaniker und in einer festen Bindung mit der Kellnerin Kate (Sally Hawkins). Seine große Leidenschaft ist jedoch die Spielerei und so zockt er regelmäßig beim Hunderennen oder Pokern. Überraschenderweise gewinnt er zu Beginn des Filmes, doch man weiß, wer hoch springt wird umso tiefer fallen. Terry verspielt eine riesige Menge Geld und steht nun vor einem enormen Problem, in welches auch aus familiären Banden Ian mit herein gezogen wird. Nach dem Motto „Zusammen gehangen, zusammen gefangen“. Ihre Rettung versprechen sich die beiden in ihrem reichen Onkel Howard (Wilkinson) und dieser sagt ihnen auch die nötige finanzielle Unterstützung zu, verlangt im Gegenzug jedoch selbst eine Gegenleistung.

Diese markiert den Handlungsrahmen des Filmes, zwingt sie die beiden ehrlichen Brüder doch in eine unehrliche Welt einzudringen. Ein Vorstoß, der diese nicht nur voneinander, sondern auch von sich selbst entfernt. Hierin findet sich auch der Titel des Filmes, der Bezug nimmt auf die antike Figur der Kassandra. Bei ihr handelt es sich um die Tochter des trojanischen Königs Priamos und Schwester des Hektor und Paris. Der griechische Gott Apollon verliebte sich der Sage nach in sie und schenkte ihr die Gabe der Vorhersehung. Zu seiner Überraschung wies ihn Kassandra jedoch von sich, weshalb er aus ihrer Gabe einen Fluch machte - niemand sollte ihre Warnungen ernst nehmen. Ebenjene Vorhersehungen (darunter Trojas Zerstörung) gewann Kassandra in ihren Träumen.

In Allens Film sind alle Charaktere Träumer, nicht nur Ian, sondern auch Terry, Howard, Angela und Kate. Sie alle machen sich etwas vor, erhoffen sich Dinge, von denen sie unterbewusst wissen, dass sie nicht eintreten werden. Sie nehmen ihre inneren Warnungen nicht ernst und schreiten damit ihrem Verderben entgegen. Allen will hier sehr bewusst eine Tragödie griechischen Ausmaßes erschaffen und unter dem Strich gelingt ihm dies auch. Das Zusammenspiel zwischen McGregor und Farrell funktioniert und wirkt glaubwürdig, auch wenn es vielleicht eine bessere Entscheidung gewesen wäre, Farrell durch Jude Law zu ersetzen und diesen den Ian spielen zu lassen. Denn gerade in der finalen halben Stunde wirken sowohl McGregor als auch Farrell mit ihrer emotionalen Bürde überfordert. Gerade der Ire, der eine ähnliche Rolle schon mit In Bruges schultern musste und dort bereits Probleme hatte, die volle Tragweite der Gefühle seiner Figur glaubhaft rüberzubringen.

Dies hätte Allen besonders deswegen vermeiden können, wenn er die zweite Hälfte des Filmes nicht so unwahrscheinlich redundant gestaltet hätte. Wie es in Terrys Innenleben aussieht, merkt der Zuschauer bereits in der ersten entscheidenden Szene, stattdessen serviert Allen diesen Konflikt noch weitere zwei bis drei Mal. Auch die finale Klimax wird wieder und wieder verzögert, dabei ist sie lange im Voraus absehbar. Hier hätte Allen einigem aus dem Weg gehen können, nichtsdestotrotz wirkt die Katharsis der Brüder etwas glaubwürdiger als im Lumetschen Pendant und auch die finale Einstellung fährt die vorangegangene Handlung nicht so gegen die Wand, wie bei Lumet geschehen. Dennoch ist Cassandra’s Dream gerade in der zweiten Hälfte ein unglaublich zähes Drama, welches sich mit gefühlten drei Stunden mehr an den Allenschen Klassikern von 80 Minuten Länge hätte orientieren sollen. So ist Cassandra’s Dream am Ende ein etwas enttäuschender Abschluss seiner London-Trilogie.

7/10

12. Mai 2008

In Bruges

They're filming midgets!

Brügge (engl./frz. Bruges) – eine Stadt voller Geschichte, im Grunde sogar eine Stadt der Geschichte. Seine wichtigste Bedeutung hatte die Stadt im Mittelalter um das 13. und 14. Jahrhundert herum, als eines der bedeutendsten Hansekontore darstellte. Hierbei gehörte sie zu den vier wichtigsten Niederlassungen des Hansegewerbes neben Bergen (Norwegen), London (England) und Novgorod (Russland). Zum Ausgang des 15. Jahrhunderts verlor der Markt von Brügge dann an Bedeutung, mitunter weil man wegen der eigenen Tuchproduktion die englische bekämpfte, die Vermarktung jedoch nach Antwerpen verlagert hatte, welches Brügge daraufhin ablöste und zum Wirtschaftszentrum aufstieg. Bewundernswerterweise hat sich Brügge durch die Jahrhunderte hindurch seinen mittelalterlichen Stadtbild erhalten, weswegen es im Jahr 2000 auch zu recht von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden ist. Besonders der Marktplatz mit seiner angrenzenden Sint-Salvatorkathedrale, aber auch das Groeningemuseum mit seinen Hieronymus Bosch Bildern, sowie die Kanäle Groenerei und Rozenhoedkaai heben sich hierbei hervor und dienen gemeinsam mit dem einen oder anderen Fleckchen als Vorlage, Schauplatz und in gewisser Hinsicht auch Nebendarsteller in dieser schwarzen Komödie vom Briten Martin McDonagh. Brügges Bürgermeister Patrick Moenaert sagte dem Filmteam nicht nur seine und die Unterstützung der Stadt zu, er erschien auch selbst am Set. Fraglich ob er gewusst hat, worum es genau in McDonaghs Film geht, schließlich ist sein Film subversiv nichts anderes als ein einziger großer Belgien- bzw. Brüggewitz.

Erzählt wird die Geschichte der beiden irischen Auftragsmörder Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson), die unterschiedlicher nicht sein könnten und dabei doch so viel gemeinsam haben. Das erste Drittel des Filmes lebt vom Zusammenspiel dieser beiden Männer und von ihrer unterschiedlichen Weltanschauung. Der reife Ken möchte sich alle touristischen Attraktionen ansehen und ist mit voller Begeisterung Fan von Brügges märchenhaftem Äußeren. Ray hingegen ist ein junger Taugenichts, dem diese ganze Geschichte und Kultur auf die Nerven geht und somit im Grunde die gesamte Stadt, von der fortweg nur als „fucking Bruges“ spricht. Er nölt herum, spielt in der Kirche mit den Altarbänken und lässt seine Füße schleifen – kurzum: er macht überdeutlich dass er überall auf der Welt lieber wäre als in Brügge. Grund für den Aufenthalt der beiden ist ein missglücktes Attentat in London, besser gesagt handelt es sich hierbei um Rays ersten Auftragsmord und gerade der Grund weshalb dieser schief gegangen ist, bildet die Thematik von McDonaghs Film. Ray ist emotional vorbelastet und auch wenn sich Farrell redlich bemüht, kauft man ihm seine innere Zerrissenheit nicht so recht ab, er ist einfach kein Charakterdarsteller, zumindest noch nicht. In Bruges ist aber auch kein Film der von seinen Schauspielern getragen werden muss, denn er lebt von seinem Witz. Gerade Ray und Ken als missglücktes Touristenpaar, aber auch der restliche Film lebt von der Beziehung der beiden.

Jungspund wie Ray einer ist wird für ihn die Stadt auch erst dann attraktiv, als er die charmante Chloё (Clémence Poésy) kennen lernt, doch auch sie wird noch ihren Beitrag zur Verschachtelung und Ausgang der Geschichte liefern, während McDonagh sein Publikum weiterhin auf eine Reise durch Brügge nimmt. Oberflächlich betrachtet ist der Film wie oben erwähnt ein einziger Witz auf die Stadt, ausgelöst durch Rays süffisante Kommentare, für ihn persönlich ist die Stadt die Hölle, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch der Witz geht nur oberflächlich auf Kosten der Stadt, bei genauerer Betrachtung ist es fast eine kleine Liebeserklärung, denn McDonagh, der 2004 selbst Gast in Brügge war und damals vor Ort anfing am Drehbuch zu schreiben, übermittelt mit seiner Figur des Ken, aber auch mit dessen und Rays Chef Harry (Ralph Fiennes) den Charme der belgischen Stadt. Die malerischen Gassen, die Kanäle und insbesondere die Schwäne erzeugen das träumerische und märchenhafte Flair der Stadt – ein Venedig des Nordens. Kein Wunder also, das sowohl Ray wie auch Ken sich hier verlieben, der eine in eine Einwohnerin, der andere in die Stadt selbst.

Schwarze Komödien, die eigentlich schon ins Schräge abdrifteten, lieferte in den letzten Jahren aus dem britischen Raum Guy Ritchie, der dann bekanntlich Madonna heiratete und seit Snatch kaum noch etwas Gescheites zustande gebracht hat (Finger kreuzen für RocknRolla). McDonaghs Film braucht sich hinter Ritchies beiden Meisterwerken nicht verstecken, doch seine Komödie ist über weite Strecken überaus ruhig und schlägt Ausflüge ins Drama ein, eine melancholische Gangsterballade, wenn man so will. Gerade Rays Auseinandersetzungen mit Amerikanern jedoch, welche regelmäßig stattfinden, rudern dann wieder zurück ins Komödienfach, ebenso wie die Momente mit Jimmy, einem kleinwüchsigen Schauspieler der mit Pferdeberuhigungsmitteln vollgedröhnt ist. An skurrilen Figuren fehlt es In Bruges ganz gewiss nicht und alle könnten problemlos hinüber in eine Erzählung von Guy Ritchie oder Quentin Tarantino wandern, ohne dort aufzufallen. Hier hat Regisseur und Autor Martin McDonagh ein großartiges Gespür gefunden und dass er ein überaus talentierter Mann ist, mit der schwarzen Komödie als Fachgebiet, verrät ein Blick in seine Vita, die nicht nur einen Oscar (Bester Kurzfilm), sondern auch einen Tony und Laurence Olivier Award aufweist. Seine Dialoge sind witzig, richtig pointiert und verdoppeln ihren Charme nochmals durch Farrells irischen Akzent, wie ohnehin der gesamte Film eigentlich nur in der Originalsprache zu funktionieren scheint, die deutsche Synchronisation wird es zumindest schwer haben diesen Charme zu transferieren und der Vorlage gerecht zu werden, ein „verdammt“ ist eben immer noch keine ausreichende Alternative zu „fuck“, und ebenjenes „fuck“ wird als Adjektiv dann doch unentwegt gebraucht.

Dem Film gelingt es in seinen nicht ganz zwei Stunden ein schöner Reiseführer durch Brügge zu sein, wobei sich jeder im Publikum als Ken oder Ray fühlen darf, dem das gefällt oder eher lästig ist. Brügge zeigt sich hier von seiner besten Seite und macht richtig Lust auf einen eigenen Besuch. Die zynische Geschichte, die McDonagh dazu erzählt, wird vor allem von ihren Dialogen getragen, von Rays Widerwillen in der flämischen Stadt, vom Clash der Kulturen gegenüber den Amerikanern und zum Ende hin vom Gespräch über Loyalität und Charakter durch Ken und Harry. Hinzu kommt dann noch ein stimmungsvoller Soundtrack der die sympathischen Bilder Brügges gelungen einfängt, Colin Farrell für die Damen (oder Herren) und Clémence Poésy für die Herren geben was fürs Auge, wenn auch begrenzt darf man zudem auch Goreszenen bewundern. In Bruges schafft es eine nette kleine schwarze Komödie zu sein, in dieser Hinsicht sogar ein kleines Juwel dieses Filmjahres, dabei natürlich kein Meisterwerk hat der Film fraglos seine Schwächen. Mancher Dialog wirkt etwas konstruiert, Farrells Schauspiel ist mitunter steif und die Handlung in der Mitte nicht immer auf der Höhe, auch wenn sie somit praktisch das Ende vorbereitet. Bei diesen Schwachpunkten handelt es sich allerdings um die Ausnahme und sie trüben auch nur geringfügig einen wunderbar unterhaltsamen Film, der mal wieder ein Hoch in Farrells Filmographie darstellt und richtiggehend Lust auf weitere Arbeiten von McDonagh macht, die nach diesem Film sicherlich kommen dürften und auf die man sich freuen kann.

9/10

7. Mai 2008

Scrubs - Season Four

Hooch is crazy!

Wenig überraschend können sich Serien in drei Richtungen entwickeln. Sie können mit der Zeit, meist bereits nach der ersten Staffel wie Prison Break, schlechter werden, weitestgehend konstant ein hohes Niveau halten (zu sehen bei The Office) oder aber an sich arbeiten und immer besser werden. Dies passiert gerade dann, wenn jeder im Team weiß, was von ihm erwartet wird. Wenn Schauspieler sich mit Charakteren identifizieren, weil sie über die Jahre hinweg mehr geworden sind als nur Figuren. Und wenn am Set eine derart überragende Atmosphäre herrscht, dass sich auch Gastschauspieler sofort zurecht finden als wären sie seit der Pilot-Folge dabei. Eine derartige Serie ist Bill Lawrences Scrubs. Von 2001 bis 2004 lief die Serie überaus erfolgreich donnerstags um halb Neun. Als NBC sie jedoch im vierten Jahr auf halb Zehn am Dienstag verschob, taten sie sich keinen Gefallen. Im Gegenteil, die Quoten brachen ein.

Im Vergleich zur zweiten Staffel verlor Scrubs fast zwei Drittel seiner Zuschauer, gegenüber dem ersten Jahr immerhin noch die Hälfte. Nun lief die Serie unter anderem parallel zu House, dem neuen Aushängeschild von Fox. Von dem Platzierungswechsel konnte sich die Show in den folgenden fünf Jahren nicht mehr erholen und wurde schließlich in ihrer ursprünglichen Form nach acht Jahren eingestellt. Davon ahnte man jedoch 2004 noch nichts, als John ‘J.D.’ Dorian (Zach Braff) in seinem vierten Jahr am Sacred Heart vom Assistenzarzt zum Oberarzt avanciert. Was wenig daran ändert, dass er weiterhin aufs Äußerste verspielt seine freie Zeit neben den Visiten mit allerlei Schabernack zu füllen (besonders beliebt: der größte Arzt der Welt) versucht. Und eigentlich könnte das Leben so schön sein, wäre da nicht noch die aufgesprengte Freundschaft mit Elliot (Sarah Chalke), die von J.D. nach dem Ende ihrer Beziehung aus dem Vorjahresfinale auch weiterhin die Schnauze voll hat.

Für die Figuren heißt es nun, allmählich zu reifen. So müssen sich Turk (Donald Faison) und Carla (Judy Reyes) nach ihrer Hochzeit eingestehen, dass eine Ehe mehr erfordert als nur einen Trauschein. Auch die Beziehung von Dr. Cox (John C. McGinley) und Jordan (Christa Miller) wird auf die Probe gestellt, wenn es um Karriere- und Kindesfragen geht. Elliot hingegen hat inzwischen gelernt als Ärztin zu wachsen, was sie nicht zuletzt auch ihrer neuen Freundin und Kollegin Dr. Molly Clock (Heather Graham) verdankt. Während sich die jährliche sexuelle Zusammenführung von J.D. und Elliot verabschiedet, sind beiden romantische Gefühle für jeweils zwei Partner vorbehalten – interessanterweise jeweils einmal in kurz- wie in längerer Hinsicht. Im Gegensatz zu seinen Freunden sowie Kollegen bleibt J.D. jedoch auf der Strecke, wenn er in der finalen Szene der vierten Staffel allein in seiner neuen, leeren Wohnung sitzt.

Somit erzählt das vierte Jahr Scrubs also von Entwicklungen, die an ihrer Hauptfigur vorbei gehen. In Folgen wie My Last Chance, My Malpractical Decision oder My Best Laid Plans zeigt sich immer noch, dass J.D. vor allem Triebgesteuert ist. Dass letztlich er am meisten darunter zu leiden hat, will ihm nicht aufgehen. Seine Freunde wie Turk und Elliot sind ihm da schon weitaus voraus. So zieht Elliot in My Ocardial Infarction gar im Diagnostizieren, bisher die Paradedisziplin von J.D., an ihm vorbei. Auch seine eigentlich gut laufende Beziehung zur neuen und diese Staffel einzigen Freundin Kylie (Chrystee Pharris) terminiert er in My Best Laid Plans im Grunde selbst. Gerade der im Finale auch auftauchende direkte Vergleich zu Turk bringt die Stagnation von J.D. gut zu Tage. Während der eine „nerd“ inzwischen seit drei Jahren in einer Beziehung und seit einem Jahr verheiratet ist, versucht J.D. wiederum selbst dann an einfachen Sex zu kommen, wenn er sich in einer funktionierenden Beziehung befindet.

Immerhin verbessert sich das Verhältnis zwischen J.D. und Dr. Cox, angereichert jedoch durch den Verlust des Vaters von J.D. Aber auch die wachsende Verantwortung von J.D. gegenüber seinen Assistenzärzten und Patienten sorgt für mehr Verständnis und Respekt bei seinem Mentor (zu sehen in Her Story oder My Best Moment). Insofern wird im vierten Jahr am Sacred Heart die „Reife“ ziemlich groß geschrieben. Zwischen all den Vatertoden, Eheproblemen und zerbrechenden Beziehungen geht aber natürlich auch der Humor nicht verloren. Für viele der Gags sind dabei auch diese Staffel wieder die Helden aus der zweiten Reihe verantwortlich. Egal ob Teds (Sam Lloyd) hypernervöse Schusseligkeit, Dougs (Johnny Kastl) Fähigkeit, Patienten selbst in der Leichenhalle noch zu „töten“ oder natürlich der Todd (Robert Maschio), der mit tollen Momenten wie „The Miracle Five“ oder seiner klassischen „Todd-Thong-Sugar-Trap“ aufwartet. Für alle Nebenfiguren finden Lawrence und seine Autoren Zeit und Szenen.

Weitere geniale Einfälle, von denen Turks überambitioniertes Armdrücken (“Do you see what you get when you mess with the warrior?!”) nicht minder herausragend ist wie Elliots nervöses Nasenbluten oder die geographische Ahnungslosigkeit von J.D. bezüglich Neuseeland (“You can dance your way there from Old Zealand”) kommen hinzu. Auch Turks und Carlas gestellte Ohrfeige, Lonnys Ein-Tages-Schnurrbart und verschiedene Neurosen von J.D. zählen zu den humoristischen Höhepunkten. Zu diesen tragen auch die Gaststars bei, von denen Heather Grahams Molly Clock und Chrystee Pharris’ Kylie, die leider zu früh wieder die Scrubs-Welt verlässt, hervorstechen. Beide wissen sich jedoch traditionell ebenso in ihre neue Umwelt zu integrieren wie Julianna Margulies und Matthew Perry (lediglich Colin Farrell wirkt etwas fehl am Platz). Ein Wiedersehen gibt es zudem mit Tom Cavanagh, Tara Reid, Masi Oka und Richard Kind.

Abgerundet wird das Ganze von teils brillanten Dialogen, die sich meist auf Dr. Cox (“People are bastard-coated bastards with bastard filling”; “I love this moment so much, I wanna have sex with it”) und J.D. (“Company! Misery loves company!”) verteilen. Nicht vergessen werden sollen zudem Dr. Kelso (Ken Jenkins) und natürlich Janitor (Neil Flynn), die erneut für einige Lacher gut sind. Dass die vierte Staffel angesichts zahlreicher Sichtungen individuellen Schwankungen unterlegen ist, liegt in der Natur der Sache. Dennoch sind Wertungsabweichungen wenn überhaupt meist nur minimal. Dass Perfektion dennoch möglich ist, zeigen die Folgen My Changing Ways und My Quarantine, zu denen auch My New Game und My Old Friend’s New Friend fast aufschließen können. Auch in ihrem vierten Jahr ist Scrubs also ein riesiger Spaß, weniger Serie als ein Treffen von Freunden. Insofern lässt sich sagen: “Do I think you did great? Yes, I did”.

8/10

4. September 2007

Vorlage vs. Film: Minority Report

The Minority Report (1956)

Der Meister des Science-Fiction-Genres, Philip K. Dick, schrieb 1956 für das Fantastic Universe Magazin eine seiner vielen Kurzgeschichten. Diese sollte den Namen The Minority Report (Der Minderheiten-Bericht) tragen und ist z.B. in seiner Kurzgeschichtensammlung Der unmögliche Planet zu haben. Dick, ein Visionär seiner Zeit, welcher eigentlich immer die fortschreitende und dadurch bedrohliche Technologisierung, sowie die Drogenabhängigkeit der Gesellschaft in seine Geschichten einarbeitete, lebte in der Zeit des Kalten Krieges, weshalb auch der Konflikt West-Ost in vielen seiner (Kurz)Geschichten Einzug findet. So konstruiert Dick beispielsweise die AFWA, die Armee der Föderalen Westblock-Allianz, welche in der Geschichte von entscheidender Bedeutung sein wird.

John Anderton ist fünfzig, dicklich, beinahe kahl und Leiter einer Prä-Verbrechensorganisation, die zwar zur Regierung gehört, vom Senat jedoch unabhängig arbeiten darf. Prä-Verbrechen gelingt mit Hilfe dreier deformierter und geistig zurückgebliebener Präkogs Gewaltdelikte in der Zukunft ausfindig zu machen und diese präventiv zu verhindern. Die Präkogs liefern auf einer Visitenkarte die Namen von Täter und Opfer, sowie Ort und Zeit des Verbrechens. Mit dem jungen Ed Witwer wird Anderton schließlich sein Nachfolger zur Einarbeitung geschickt und damit beginnt für Anderton eine paranoide Flucht. Als er auf einer der Präkogkarten seinen eigenen Namen als Täter findet, sieht Anderton sich als Opfer eines Komplotts seiner Frau und Witwer. Doch bevor er fliehen kann, wird er von seinem vermeintlichen Opfer, Leopold Kaplan, entführt.

Seit fünf Jahren hat es in Amerika dank Prä-Verbrechen keinen Mord mehr gegeben, die Präkogs Donna, Mike und Jerry konnten immer die geplanten Taten vorhersehen. Die designierten Straffälligen werden in ein Straflager geschickt, wo sie keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellen können. Dieses gesamte Konstrukt ist das Herzstück von seinem Leiter John Anderton, der Existenzängste hat, da er durch sein hohes Alter eine Ablösung durch den jüngeren Witwer befürchtet. Nicht nur beruflich, sondern auch privat, verdächtigt Anderton doch seine ebenfalls jüngere Frau mit Witwer eine Affäre zu haben und in einem Komplott gegen ihn zu stecken. Zudem versteht Anderton auch nicht, wie er einen ihm unbekannten Mann ermorden soll und bei seinen Nachforschungen stößt er schließlich auf die Existenz der Minderheitenberichte, welche seine einzige Rettung sein können.

Die Geschichte dreht sich um Determinismus, was ist vorherbestimmt und was lässt sich ändern, inwiefern existiert ein freier Wille? Anderton kennt das System, scheint seine Lücken aber dennoch nicht zu verstehen, so erklärt er Witwer bei dessen Einarbeitung noch, dass Prä-Verbrechen Individuen erfasst, „die gegen keinerlei Gesetz verstoßen haben“ und das eine gewaltfreie Gesellschaft schließlich zu einem „Straflager voller Pseudoverbrecher“ führt. Man geht also gegen jemanden vor, der die Intention hat, etwas Schlechtes zu tun. Ähnlich wie die USA 2003 in den Irak einfielen, bevor dieser mit Atomwaffen gegen den Unterdrücker vorgehen konnte. Zu zweifeln beginnt Anderton erst, als er selbst auf der schwarzen Liste steht und schließlich muss er sich fragen was wichtiger ist, sein eigene Sicherheit oder die Sicherheit eines möglicherweise falschen Systems.


Minority Report (2002)

Everybody runs.

Wie so oft in Hollywood steht auch hinter der Verfilmung von Minority Report eine längere Historie. Ursprünglich hatten die Studiobosse diesen Film als Fortsetzung zu Paul Verhoeven’s Total Recall – welcher wiederum eine Verfilmung der Dickschen Kurzgeschichte We Can Remember It For You Wholesale (Erinnerungen en gros) ist – angedacht. Die Handlung sollte von New York City auf den Mars und Douglas Quaid zum Helden der Geschichte gemacht werden, die Regie hätte Jan de Bont übernommen. Dies ist mal wieder ein ausgezeichnetes Beispiel für hollywoodschen Größenwahn. Schließlich übernahm dann aber Altmeister Steven Spielberg die Regie und hatte endlich ein Projekt gefunden, dass er mit seinem Liebling Tom Cruise inszenieren konnte. Zuerst sollte Minority Report noch vor Artifical Intelligence (2001) entstehen, der damals vorgesehene Cast umfasste die Oscargewinner Cate Blanchett, Ian McKellen und Matt Damon, wobei letzterer Javier Bardem ersetzen sollte.

Für einhundert Millionen Dollar realisierte Spielberg dann das Skript von Scott Frank, welches den Hauptcharakter im ersten Entwurf noch Paul Anderson nannte, was dann aber wegen möglicher Verwechslungen zu Paul W.S. Anderson oder Paul Thomas Anderson in den ursprünglichen Namen John Anderton umgeändert wurde. Unverständlicherweise wurde die Figur des Ed Witwer in Danny Witwer umbenannt und aus den drei Präkogs Donna, Mike und Jerry wurde eine Hommage an drei Mysterie-Autoren: Agatha, Arthur und Dashiell. Der Hintergrund des Kalten Krieges und die AFWA wurden gelöscht, Prä-Verbrechen lediglich als Experiment auf Washington D.C. ausgedehnt. John Anderton ist auch keine fünfzig mehr und kahl, sondern wird von Tom Cruise als gut aussehender, agiler Enddreißiger dargestellt, während Witwer als kaugummikauender Besserwisser daherkommt. Eine weitere (un)wichtige Änderung ist die Tatsache, dass die Handlung sehr stark Agatha einarbeitet, die wie ihre beiden Kameraden weder deformiert noch zurückgeblieben ist.

Precrime ist eine amerikanische Einrichtung, welche durch die präkognitiven Fähigkeiten dreier Mutanten von Morden weiß, ehe sie geschehen. Geleitet wird Precrime von John Anderton (Cruise), welcher zu dem Projekt gestoßen ist, weil sein Sohn Sean vor sechs Jahren entführt wurde. Seinen Schmerz über den Verlust des Sohnes und die Trennung von seiner Frau versucht er mit Drogen zu kompensieren. Als mit dem Regierungsbeamten Danny Witwer (Colin Farrell) ein Prüfer eintrifft, der entscheiden soll, ob Precrime landesweit eingerichtet werden soll, gerät Anderton in die Zwickmühle, als er selber für den zukünftigen Mord an einem Mann verantwortlich gemacht werden soll, den er überhaupt nicht kennt. Anderton muss fliehen und findet schließlich über die Existenz sogenannter Minority Reports heraus, welche eine alternative Zukunft zeigen. Ebenjener Minderheitenbericht liegt versteckt im Kopf des Präkogs Agatha, welche Anderton nunmehr, immer seine Exkollegen im Nacken, versucht aus der Zentrale von Precrime zu befreien.


Neben den Namensänderungen von Witwer und den Präkogs wird die Figur des Militärgenerals Leopold Kaplan durch den Vater von Precrime, Lamar Burgess (Max von Sydow) ausgetauscht. Precrime ist hierbei bisher nur ein sechsjähriges Experiment und soll demnächst auf das ganze Land ausgedehnt werden. Spielberg beschränkt sich in seiner Filmversion die Präkogs nur noch Morde und keinerlei andere Verbrechen zu sehen, dafür gibt es diese Morde schick in Farbe an die Decke projiziert, die Ermittler können sehen, was die Präkogs sehen. Anderton wertet die Bilder anschließend an seiner Schnittstelle aus, auf eine Art und Weise, wie sie Spielberg von Johnny Mnemonic geklaut hat. Außerdem konzentriert sich die Geschichte mehr auf die Präkogs, bzw. eigentlich nur auf Agatha (Samantha Morton), ohne welche die anderen beiden Präkogs nutzlos sind. Agatha ist der Schlüssel der ganzen Geschichte und vereint die Schicksale aller Figuren miteinander.

Was Spielberg aus The Minority Report gemacht hat, lässt sich nur als mittlere Katastrophe beschreiben. Er entfernt sich von den zwischenmenschlichen und psychologischen Aspekten der Kurzgeschichte und inszeniert den Film als Sci-Fi-Abenteuer mit humoristischen Untertönen. Da läuft dann im Jahr 2054 immer noch die Serie Cops, Anderton rutschen in einer Szene seine entfernten Augen aus den Händen und kullern Richtung Schacht. Sein Highlight findet Spielberg in einer der Verfolgungsszenen, wo Anderton sich am Jetpack seines Exkollegen Fletcher festhält und in einen Wohnkomplex rast, wo der Jetpack dann die grillbereiten Hamburger einer Familie entflammt, während dazu die kitschige Musik von John Williams ertönt. Dieser fürs Mainstreampublikum angedachte Humor ist völlig fehl am Platze und geradezu lächerlich platziert, unterstützt von der immer unpassenden Musik von John Williams, dessen 0815-Score nicht zu dem von Spielberg ausgesuchten futuristischem Hintergrund passt. Selbst manche Einstellungen von Janusz Kaminski wirken unverständlich, allgemein ist die Kameraarbeit, die besonders durch ihr Lichtspiel einen zusätzlichen futuristischen Look erzeugt, aber noch das Beste am Film.

Ganz besonders schadet dem Film seine Visuellen Effekte, die absolut unnötig sind und teilweise ins Absurde abdriften, beispielsweise mit intelligenten elektronischen Spinnen. Hier gibt es kein Straflager, sondern die Pseudokriminellen werden kaltgestellt und wie Bücher in ein Regal verfrachtet, Anderton an anderer Stelle in Spielbergs selbsterklärter Lieblingsszene in ein Auto eingearbeitet. Die Spitze des Eisberges bekommt man dann serviert, wenn Agatha die alternative Zukunft von Andertons seit sechs Jahren verstorbenen Sohn schildert, obschon sie zu Beginn nicht mal den Aufenthaltsort eines designierten Mörders spezifizieren konnte. Dass Anderton zu einem kussgeilen Supervater mutiert, der seine Frau verliert, drogenabhängig wird und sich jeden Abend die kitschigen Urlaubsvideos seines Sohnes (I love you, daddy!) ansieht, unterlegt von Cruise’s debilen Zahnpastalächeln, hat überhaupt gar nichts mit der Handlung des Filmes zu tun, sondern entstammt wieder mal allein dem Hirn von Spielberg. Minority Report ist eine unlogische, unsinnige, unspannende und mitunter lächerliche Adaption von Dick’s Kurzgeschichte, welche all die interessanten und spannenden Elemente seiner Vorlage vermissen lässt. Ein Film ohne Sinn und ohne Herz (wodurch er sich hervorragend in das Oeuvre der letzten zehn Jahre von Spielberg eingliedert).

3.5/10