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23. November 2018

Under the Silver Lake

I can’t quite see it but I’m close.

Satanische Rückwärtsbotschaften in Musik-Stücken, Illuminaten-Symbole auf Geldscheinen – Verschwörungstheoretiker finden in vielen Details des Alltags Anhaltspunkte für ihren Fetisch. Sei es, weil ihm langweilig ist oder er sich nach Höherem bestrebt fühlt, aber auch der arbeitslose Schauspieler Sam (Andrew Garfield) beginnt in David Cameron Mitchells Under the Silver Lake im Laufe des Films, mehr und mehr nach Botschaften, Symbolen und ihren Bedeutungen Ausschau zu halten. Schuld ist – wen wundert’s – eine Frau. Genauer gesagt seine neue Nachbarin Sarah (Riley Keough) in der Wohnanlage, die kaum eingezogen auch schon wieder ihre Koffer gepackt hat. Allerdings in einer Nacht- und Nebelaktion, was Sam auf den Plan ruft.

Under the Silver Lake ist dabei ein Neo-Noir-Film mit Mystery-Elementen, der mit Bildzitaten und -hommagen sowie einem gewissen Retro-Faktor daherkommt. So hängen in Sams Apartment Filmposter zu Creature of the Black Lagoon, Videospiele zockt er auf einer NES-Konsole und zum Masturbieren nutzt er nicht das Internet, sondern klassisch ein Playboy-Cover von Janet Wolf aus dem Juli 1970. Die Ablenkung der vermeintlich verschwundenen Sarah passt dem Slacker gut in den Terminkalender, da er seine Tage sonst damit verbringt, rauchend per Fernglas seiner nackten Nachbarin nachzustellen. Doch die Suche nach Sarah führt ihn schließlich in ungeahnte – und teils buchstäbliche – Abgründe der Hollywood Hills.

Mitchell inszeniert seinen dritten Spielfilm als eine Art wildes cineastisches Potpourri, in dem sich unter anderem (respektive je nach Sichtweise) leichte Echos von Rian Johnsons Brick über Paolo Sorrentinos La grande bellezza hin zu Barton Fink der Coen-Brüder wiederfinden. Ohnehin spielen wiederkehrende Elemente und Personen in Under the Silver Lake eine große Rolle. Mehrfach landet Sam beispielsweise auf extravaganten Partys, die scheinbar stets dieselben Leute besuchen. Darunter Sams Berufskollege und Kumpel Allen (Jimmi Simpson), jenes Mädchen-Trio (u.a. Zosia Mamet), das in Verbindung mit Sarahs „Verschwinden“ zu stehen scheint oder eine Gruppe Schauspielerinnen-Escorts (u.a. India Menuez, Grace Van Patten).

Die Geschichte gibt sich dabei bewusst schrullig, wirft viele Fragen auf, ohne sich unbedingt um Antworten darauf zu scheren. Unterwegs trifft Sam einen Comic-Zeichner (Patrick Fischler), der noch tiefer in Verschwörungstheorien steckt, als er selbst. Es geht um den kleinen Mann und seinen Kampf gegen das System – zwischendurch trifft sich die Hauptfigur noch zum gemeinschaftlichen Drohnen-Voyeurismus mit einem Freund (Topher Grace) oder auf ein sexuellen Stelldichein mit einer Schauspielkollegin (Rikki Lindhome). Mit seinem leicht verplanten, nichtstaugenden, ermittelnden Protagonisten und dessen schusselig-kompetenten Entdeckungen ähnelt der Film irgendwie auch The Big Lebowski von den Coen-Brüdern.

Sam ist dabei keineswegs so sympathisch wie der Dude und das Komplott, in welches er sich verstrickt, weitaus konstruierter als bei den Coens. Mitchell weiß aber dennoch im steten Wechsel der Locations und der Figurenkonstellationen sowie einprägsamer Szenenmomente die Faszination an der Geschichte aufrecht zu erhalten. Was angesichts der Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden bemerkenswert ist, obschon Under the Silver Lake durchaus etwas kompakter geschnitten hätte werden können. Mitunter droht sich die ohnehin nicht vollends fokussierte Handlung in sich selbst zu verlieren, laufen manche Szenen – gerade im finalen dritten Akt – ein paar Minuten zu lang oder stehen mehr für sich selbst, als etwas beizutragen.

Da dem allen dennoch eine Originalität innewohnt, nimmt der Zuschauer es Mitchell und seinem Film nicht krumm. Selbst plakative Referenzen zu Rebel Without a Cause oder des Regisseurs Debüt-Werk The Mysteries of the American Sleepover wirken irgendwie passend zu Sams Suche, die ihn zu Figuren wie Milliardärs-Tochter und IT-Girl Millicent Sevence (Callie Hernandez) oder dem König der Obdachlosen (David Yow) führt. Liebevolle Telefonanrufe von Sams Mutter, eher lethargischen Versuche, seine Wohnungsräumung zu verhindern sowie ein maliziöser Hundemörder oder Auto-Vandalen fügen sich allesamt authentisch in diese von Mitchell erschaffene Welt respektive Parallel-Kosmos des wahren Los Angeles ein.

Sam repräsentiert zugleich eine Generation, die leicht orientierungslos im Leben steht. Sie folgt keinem wirklichen Ziel, weshalb sie in einer Stadt wie Los Angeles, bevölkert von Träumern eines besseren weil einfacheren Lebens, ideal aufgehoben scheint. Die Popkultur und diejenigen, die sie produzieren, scheinen allgegenwärtig – sei es in Figuren wie Allen oder Sams Affäre, die aktiv an ihrer Filmkarriere arbeiten oder die Mitglieder des Escort-Services, die diesbezüglich bereits gescheitert scheinen. Die Suche nach Sarah wirkt da in gewisser Weise autark um ihrer selbst willen, anstatt dass Sam wirklich inspiriert ist durch eine tiefere Beziehung abseits seiner sexuell-romantischen Faszination zur Figur von Riley Keough allgemein.

Die Nachforschungen von Sam sind letztlich spannender als die Auflösung der Umstände und Hintergründe von Sarahs Verschwinden. Auch wenn David Cameron Mitchell sich zum Schluss immerhin nicht die Mühe macht, auf alles zuvor Gezeigte einen Reim machen zu wollen. Schließlich war es insbesondere auch seine Uneindeutigkeit, die ihm zwei Stunden lang zuvor seine sympathische Sogwirkung verliehen hat, indem sich Andrew Garfield stets nur an der Peripherie der scheinbaren Verschwörung bewegt. “A good conspiracy is unprovable”, hieß es schon in Conspiracy Theory von Richard Donner. “If you can prove it, it means they screwed up somewhere along the line.” Wie gut, dass Under the Silver Lake es am Ende nicht vergurkt.

9/10

12. Januar 2018

It Comes at Night

Everything’s gonna be okay.

Als ob die Leute nicht bereits im sozialen Normalzustand ihren Mitmenschen nicht weiter trauen, als sie diese werfen können, nimmt jene Xenophobie in einer Apokalypse nochmals verstärkt zu. Serien wie The Walking Dead füllen ganze Staffeln ausschließlich mit Konflikten zwischen verschiedenen Parteien. Insofern unterscheidet Trey Edward Shults’ It Comes at Night sehr wenig von anderen post-apokalyptischen Dramen, insbesondere denen, die eine virale Infektion zum Auslöser des Geschehens erklären. Auch wenn der Film – so viel sei vorab vielleicht zu recht verraten, um falsche Erwartungen zu beerdigen – eine Ausnahmeerscheinung im Zombiefilm-Genre darstellt, da er die Infizierten weniger zum Thema hat als die Angst der Menschen.

Der ehemalige Lehrer Paul (Joel Edgerton) lebt in Shults’ Geschichte mit Gattin Sarah (Carmen Ejogo) und ihrem Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr.) abgeschottet in einem Haus im Wald. Bei Nacht wagen sie sich nicht ins Freie, werden dann später aber durch einen Eindringling aufgescheucht. Die Suche nach Wasser trieb Will (Christopher Abbott) zum Einbruch, seine eigene Familie hat er einige Meilen zurückgelassen, um diese zu versorgen. Ausgestattet mit einigen Farmtieren nehmen Paul, Sarah und Travis schließlich Will sowie seine Freundin Kim (Riley Keough) und ihren jungen Sohn Andrew bei sich auf. Zuerst relativ harmonisch miteinander lebend, zeichnen sich doch bald leichte Spannungen zwischen den Familien ab.

Über die Welt seines Films verrät Trey Edward Shults dem Publikum nur relativ wenig. Eine Krankheit sei vor einiger Zeit ausgebrochen, die Städte verlassen. Unterwegs durch die Landschaft haben Will und Kim über 80 Meilen hinweg angeblich niemanden getroffen – scheinbar nicht einmal Infizierte. Die sind generell Mangelware, selbst wenn It Comes at Night damit beginnt, wie Paul seinen infizierten Schwiegervater erlösen muss. Wirklich stimmig wirkt dieser Weltentwurf nicht. Wo sind all die Menschen hin, wenn sie nicht einmal als „Zombies“ umherwandeln? Wieso gibt es keine Anhaltspunkte für die Figuren, was vor sich geht? So entsteht der Eindruck, dass die Apokalpyse über Nacht ins Land von Shults’ Szenario gezogen ist.

Dies scheint gewollt von dem jungen Filmemacher, der hier seinen zweiten Spielfilm abliefert. Die Ungewissheit ist der eigentliche Hauptdarsteller – oder vielmehr: die Angst vor dem Ungewissen. Sei es, ob Will und seine Familie vertrauenswürdig sind oder welche Gefahr in den Wäldern um Paul und Sarahs Haus lauern könnte. Speziell im ersten Akt gelingt es It Comes at Night durchaus, eine bedrohliche Atmosphäre heraufzubeschwören, die sich dann zeitweise für das vermeintliche Idyll in der Mitte des Films zurückzieht, ehe sie naturgemäß zum Schluss erneut aufbrechen muss. Das will aber nur bedingt funktionieren, da Shults im zweiten Akt nur wenig die dramatischen Plot-Entwicklungen verfolgt, die er immerhin zumindest leicht anreißt.

Scheinbare Widersprüche in Wills Wiedergabe der Geschehnisse verlaufen somit ebenso im Sand wie angedeutete Zuneigungen seitens Travis für Kim. Das Aufeinandertreffen der Parteien in einem verlassenen Waldstück während der Post-Apokalypse, das unweigerlich im Konflikt enden muss, erinnert leicht an Stephen Fingletons The Survivalist. Die minimalistische (und finanziell sicher preiswertere) Herangehensweise an das Projekt erklärt wiederum, wieso von der Zivilisation sowie dem tödlichen Virus nur die Rede ist, ohne diese explizit in den Fokus zu rücken. Dass das eine das andere nicht ausschließen muss, bewies Henry Hobson in seinem exzellenten Zombie-Drama Maggie (auch wenn er fast das doppelte Budget besaß).

Das Ende kommt dann beinahe etwas moralinsauer daher, selbst wenn Shults die Auflösung ambivalent offen hält. Die Wahrheit der Ereignisse erschließt sich dem Zuschauer nicht vollends und ist interpretierbar. Wie es bei den Figuren aussieht, bleibt unklar, da diese nur lose skizziert werden. Gerade Carmen Ejogo hat eine wenig dankbare Rolle, der Fokus der Handlung liegt primär auf den Männerfiguren, die einem patriarchalischen Bild gerecht werden. Nach seinem Debüt Krisha verlagert Trey Edward Shults in gewisser Weise wieder den Horror in die eigenen vier Wände. Beide Filme haben vorurteilendes Misstrauen zum Thema, wirklich überzeugt keiner der zwei. Vielleicht fehlt mir aber auch nur mehr Vertrauen in Shults’ Schaffen.

5.5/10

29. Oktober 2016

American Honey

Everybody get choices / I choose to get money, I’m stuck to this bread.
(E-40, “Choices”)


Der erste Eindruck kann weitreichende Folgen haben. Sei es im Jobinterview oder in der Eröffnung eines Films. So wussten schon die musikalisch perfekt unterlegten und narrativ die Marschroute vorgebenden Einstiege in Drive und Spring Breakers zu überzeugen. Und auch Andrea Arnolds jüngster Film American Honey beginnt mit einem gefälligen ersten Eindruck, indem das Bild ein Format von 1.37:1 präsentiert. So erfreulich dieses inzwischen kaum mehr vorzufindende Bildformat auch ist, kristallisiert sich in der folgenden fast dreistündigen Laufzeit heraus, dass American Honey sonderlich mehr nicht zu bieten hat. Selbst wenn sich der Feuilleton wie so oft beim Independent-Darling Andrea Arnold mal wieder im Lob überschlägt.

Im Zentrum der Geschichte steht die 18-jährige Star (Sasha Lane), die mit ihren zwei jüngeren Geschwistern Dumpster Diving betreibt und am Existenzminimum lebt. Bis sie im Supermarkt auf Jake (Shia LaBeouf) und seine White-Trash-Truppe von Handlungsreisenden Jugendlichen trifft, die für die leicht bekleidete Anführerin Krystal (Riley Keough) mit Zeitschriftenabos hausieren gehen. Angetan von der zelebrierten Freiheit ihrer Altersgenossen lädt Star ihre Geschwister bei ihrer abgewrackten Mutter ab und schließt sich Jakes Gruppe an. Von Krystal wegen ihrer sexuellen Avancen zu Jake eher skeptisch beäugt, schickt sich dieser an, Star in die richtige Technik für ihre Arbeit einzulernen, während das Mädchen nach Größerem strebt.

So kann American Honey, den Arnold zum Großteil mit Laiendarstellern – darunter auch Newcomerin Sasha Lane – drehte, im Grunde als White Trash Road Movie gesehen werden, das sicher gerne Porträt einer Generation ohne echte Träume und dementsprechend Coming-of-Age-Story zugleich wäre. Für Star sind Jake und die anderen Teenager ein Ausweg aus der Einbahnstraße ihres Lebens. Ihre kaputte Mutter hat die jüngeren Geschwister der Ältesten aufgebürdet, die für sich selbst befürchten muss, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Bezeichnend eine spätere Szene, in der Star in einer ärmlichen Gegend ein Magazin-Abo verkaufen will, nur um den Kindern des Haushalts gegenüber zu stehen, da die Mutter sich in ihrem Drogenrausch verliert.

Als Folge kauft Star für die Kinder ein, ihre eigene Herkunft reflektierend. Nur lässt die Figur ihre beiden Geschwister für ihr eigenes vermeintliches Wohl eingangs im Stich und in einer ungewissen Zukunft. Nicht der einzige Widerspruch, denn so knapp das Geld in Stars Haushalt ist, für mehrere Tätowierungen und Hunde reicht es dennoch. Jegliche Verpflichtung gegenüber ihrer Familie kann die 18-Jährige dann opfern, als die designierte Romanze mit Jake und das Leben mit seinem Trupp (endlich) Freiheit verspricht. Die kommt natürlich nicht umsonst, wie Krystal ihr klarmacht. Verkauft sie nicht genug Abonnements, wird sie auf der Straße ausgesetzt. Ungeschickt ist daher, dass Star mit Jakes Verkaufsmethode hadert.

Der kritisiert die übrigen Verkäufer für ihre auf Mitleid basierenden Strategie, arbeitet aber selbst mit einer. Wo die einen ihre an Krebs verstorbene Mutter oder den im Irak gefallenen Vater anführen, lügt Jake hinsichtlich eines Uni-Stipendiums, das er durch das Abo erlangen will. Statt auf Schmerz rührt sein Lügenkonstrukt auf Hoffnung, wird von Star aber dennoch abgelehnt (obschon sie selbst ihre eigene Flucht vor den Geschwistern mit einer Lüge einleitete). Star versucht ihre Abos durch Ehrlichkeit zu verkaufen, reagiert aber dennoch schnippisch, wenn dies ergebnislos bleibt. Erfolgreich ist sie dann, wenn dieser Erfolg auf sexuellen Untertönen gegenüber ihrem Kunden fußt, sei es mit einer Gruppe Cowboys oder einem Ölfeldarbeiter.

Inwieweit Prostitution beim Überleben der Jugendlichen eine Rolle spielt, lässt Arnold offen. Ob die rund ein Dutzend Personen umfassende Gruppe, die sich täglich Marihuana und Alkohol hingibt, tatsächlich von ihren Abo-Verkäufen leben kann, ist mehr als fraglich. So gesehen ist es eine teuer erkaufte Freiheit, die die Charaktere in American Honey an den Tag legen. Wobei sich der Film um sie ohnehin nicht wirklich schert. Jenseits von Star und Jake interessiert sich Arnold kaum für ihr Ensemble, selbst Krystal kommt über die Rolle einer eindimensionalen romantischen Widersacherin kaum hinaus. Was umso erstaunlicher ist, da der Film mit ausufernden 160 Minuten Zeit genug hätte, um auch die anderen Figuren zu begleiten.

Stattdessen verliert sich American Honey etwas in Repetition, zwischen dem Gezicke von Star und Jake, ihren sexuellen Versöhnungen, Eifersüchteleien und Gewaltausbrüchen. Sonderlich viel zu sagen hat Arnold dabei nicht. Die Gruppe um Star entstammt der finanziell schwachen Gesellschaftsschicht, der trotz ihrer weißen Hautfarbe eine wenig rosige Zukunft blüht. Trotz ihres musikalischen Faibles für Rap-Musik bestehen die Träume dieser jungen Menschen dabei weniger aus Ruhm und Reichtum, sondern drehen sich um die Unabhängigkeit im eigenen Haus inklusive einem Stück Land. Die Freiheit versprechende Illusion des Vagabunden-Daseins wird aber konterkariert von der Drogenabhängigkeit der Jugendlichen, der sie auch so verfallen wären.

Auf 90 Minuten komprimiert besäße das vermutlich sogar eine mitreißende und bewegende Aussagekraft einer Generation ohne Zukunft und Träume, auf fast die doppelte Laufzeit ausgedehnt verliert sich diese Botschaft jedoch verstärkt, da Arnold ihrer Geschichte wenig Neues einimpfen kann. Und selbst das, was vorliegt, arbeitet die Auteurin nicht aus. So ist unklar, was Star an Jake und Jake an Star findet, jenseits einer rein körperlichen sexuellen Anziehung. Die Charaktere in American Honey besitzen keine Seele, sondern ordnen sich den dramaturgischen Wünschen der Regisseurin unter. So sagt Jake zwar, Krystal sei nett wenn man sie erst kennenlernt, der Film gibt einem hierzu in 160 Minuten allerdings nicht die Chance.

Vielleicht waren die wenig ausgearbeiteten Figuren auch nötig, damit sie Laiendarsteller spielen konnten. Die machen ihren Job dann in ihrer geringen Präsenz solide, allen voran natürlich Sasha Lane. Dennoch vermag American Honey nicht an das Generationenporträt eines Kids oder Spring Breakers heranzureichen. Zu leblos sind hierzu die Charaktere geraten, zu schwach die Botschaft, die der Film in seiner überbordenden Laufzeit versucht, dem Zuschauer zu vermitteln. Am Ende bleibt von American Honey also zuvorderst das klassische 4:3-Bildformat durch das Seitenverhältnis 1.37:1 positiv im Bewusstsein. Und die Erkenntnis, dass an dem Sprichwort der erste Eindruck zählt, womöglich doch mehr dran ist als man gedacht hat.

6/10

18. Mai 2015

Mad Max: Fury Road

What are you doing? – Praying. – To who? – Anyone who’s listening.

Der Motor brummt, die Landschaft saust vorbei, während ein schwarzer V8 Interceptor über die Straßen rast. Dicht gefolgt von drei weiteren Fahrzeugen. Als ein Verkehrsunfall die Straße blockiert, kann der Interceptor gerade noch ausweichen, die Verfolger ebenso. Da piepst es plötzlich, ein rotes Licht weist darauf hin, dass der Benzintank beinahe leer ist. Und wer in der Welt von Mad Max: The Road Warrior auf der Strecke bleibt, wird nie wieder Gas geben. Dies wiederum ist ein Problem, mit welchem sich Ex-Cop und nunmehriger Söldner der Straße Max Rockatansky in Mad Max: Fury Road nicht rumschlagen muss. Im vierten Teil der Reihe existiert Benzin im Überfluss. Muss es auch, da alle paar Minuten etwas explodieren soll.

Drei Jahrzehnte sind seit Mad Max: Beyond Thunderdome ins Land gezogen, immer mal wieder gab es laue Gerüchte, Regisseur George Miller würde mit Mel Gibson einen vierten Teil der Reihe drehen. Als der dann genehmigt wurde, war Gibson schon zu alt, die Rolle wird nun Tom Hardy in Fury Road zuteil. Der ist wohl Sequel und Reboot zugleich. Tom Hardys Max wird zu Beginn von einer Straßenbande gefangen genommen, die dem Clan-Führer Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) angehört. Der mobilisiert seine Truppe, als er erfährt, dass Furiosa (Charlize Theron), eine seiner Anführerinnen, seinen Harem (u.a. Rosie Huntington-Whiteley, Zoë Kravitz) befreit hat und mit einem Tanklaster gen Horizont braust. Eine Verfolgungsjagd beginnt.

Als Gefangener einer von Immortan Joes Männern, namentlich Nux (Nicholas Hoult), wird auch Max in das Geschehen mitgerissen. Ihm gelingt schließlich die Flucht und gemeinsam mit Nux schließt er sich Furiosa und den Haremsdamen an, um mit dem Tanklaster in ein ominöses grünes Land zu fahren, von dem Furiosa aus ihren Kindheitserinnerungen berichtet. Derweil wächst die Entourage von Immortan Joe immer mehr an. So gesehen ist Mad Max: Fury Road abgesehen von seiner ersten halben Stunde ein einziges Road Movie, das selten die Handbremse anzieht, um seine Figuren oder das Publikum zur Ruhe kommen zu lassen. Und zum Auftanken schon gar nicht, denn die Fahrzeuge in Fury Road fahren praktisch wie von selbst.

Eine Kehrtwende also zur kraftstoffarmen Welt der beiden Vorgänger, wo mühevoll um Benzin gekämpft oder Methangas gewonnen wurde. In Fury Road ist Wasser dagegen eine Rarität, nicht, dass das für den Filmverlauf eine Rolle spielt. Andernfalls liefe der Film schließlich Gefahr, tatsächlich eine Geschichte zu erzählen, was wiederum zu Lasten von ein, zwei Actionszenen ginge. Und Action, das scheint auch George Miller zu wissen, ist inzwischen das einzige, was in der Kinolandschaft der Gegenwart noch zählt. Möglichst viel davon und – das ist, je nach Betrachtung, eine gute wie schlechte Nachricht – sie muss nicht einmal sonderlich originell sein. Infolgedessen wiederholt Miller hier rund 90 Minuten lang ein und dasselbe Set Piece.

Das eint den Film mehr mit Man of Steel als mit seinen Mad Max-Vorgängern, ist vermutlich auf diese Weise überlegter, was sich nicht zuletzt an den sich überschlagenden Kritiken abzeichnet. Da passt es ins Bild, das von dem charismatischen Antihelden Gibsonscher Prägung im Jahr 2015 wenig übrig geblieben ist. Dieser Max ist ein zum Mensch gewordener Eber, der sich die meiste Zeit durchs Geschehen grunzt als würde man Tim Allens Figur aus Home Improvement in die Apokalypse begleiten. Max sagt wenig und tut nur bedingt mehr, ist damit ohnehin nur eine Randfigur für einen Film, dem er mit seinem Namen einen Merchandise-Faktor verleihen soll. Die übrigen Charaktere in Fury Road sind nicht weniger eindimensional geraten.

Zwar ist Immortan Joe von Kostüm und Maske her der eindrucksvollste Widersacher seit Lord Humungus, in der Summe jedoch sehr viel blasser als dieser oder Toecutter (damals ebenfalls von Keays-Byrne gespielt) und Aunty Entity. Charlize Therons Furiosa kriegt noch am ehesten Luft zum Atmen, verkommt aber ebenfalls mit einer halbgaren Erlösungs-Storyline eher zur Asthmatikerin. Der Harem wiederum ist lediglich Eye Candy, besetzt mit Unterwäschemodels wie Huntington-Whiteley oder Promi-Sprößlingen wie der Tochter von Lenny Kravitz und dem Enkelkind von Elvis Presley. Und weil Fury Road ein Blockbuster ist, muss auch eine Liebelei her, weshalb Nux mit einer der Haremsmädels – es ist dabei egal mit welcher – anbandelt.

Die Mädchen selbst sind austauschbar und frei von jedweder Persönlichkeit. Unterscheidbar sind sie lediglich aufgrund ihrer Haut- und Haarfarbe, dem Filmverlauf dienen sie als reiner MacGuffin, dem der Antagonist nacheifert (und damit zugleich eines der vielen Logiklöcher aufreißt). Was in Fury Road passiert und wieso, sollte der Zuschauer besser nicht hinterfragen, es ist nur Staffage für all die Schießereien und Explosionen, mit denen Furiosas Tanklaster immer wieder erschüttert wird. Wie das letzte Mammut, das sich nicht der Auslöschung beugen will. Dabei gelingt Miller in 90 Minuten trotz all der darin integrierten Action um den Tanker kein Set Piece, das auch nur im Ansatz so unterhaltsam ist wie die Fluchtszene zum Ende von Thunderdome.

Verschiedene Männer von Immortan Joe sowie dieser selbst kommen dem Tanker mal näher, mal besteigen sie diesen sogar, es wird geschossen und mit Sprengsätzen geworfen, die Verfolger abgeschüttelt, bis sie wieder aufschließen. Dies alles in der Endlosschleife, weshalb ich nach 45 Minuten Mühe hatte, die Augen offen zu halten und mit dem Schlaf kämpfte. Es hilft auch nicht, dass Fury Road in seinem Mischmasch aus digitalem Film und CGI wohl einer der visuell hässlichsten Filme ist, die ich seit langem gesehen habe. Weg ist der staubig-dystopische Look der Vorgänger, die übersaturierte Farbpalette erinnert mehr an Zack Snyders 300 als an Mad Max. Lächerliche Fast-Forward-Szenen und krude Traumsequenzen tun ihr Übriges dazu.

Miller unterliegt dem Diktat des “the bigger the better”, was in The Road Warrior – dem meist geschätzten Teil der Trilogie – funktionierte, wird hier ins Extreme übersteigert. Die Bösewichte erhalten schrille Kostüme und absonderliche genetische Defekte, wahnwitziger Höhepunkt des Ganzen ist dann ein Party-Wagen in Immortan Joes Entourage, der aus riesigen Boxen besteht, die einen von Joes Männern umrahmen, der auf einer Elektro-Gitarre gegen das Knarzen der Motoren und die Explosionen anspielt. Und der – natürlich – auch Flammen aus seinem Instrument schießt. In dieser hanebüchenen Figur kulminiert der Wahnsinn von Fury Roads Hybris, ein Film, der wiederum selbst nur einen sinnlosen Augenreiz repräsentiert.

Das Scheitern von Mad Max: Fury Road liegt bereits in seinem Ansatz und seinem verkehrten Selbstverständnis. Die Welt, die Miller hier wie schon in den Vorgängern zeichnet, dient ihm bloß als Kulisse, ein Matte Painting für seine explosive Stunt-Show. Die Idee, dass statt Benzin nur Wasser eine Ware ist (man denke an Hydra aus Waterworld), besitzt durchaus Potential – dieses muss jedoch auch genutzt werden. Der Film ist jedoch nicht daran interessiert, selbst wo er mal so etwas wie einen Handlungsfaden aufgreift, lässt er diesen sogleich wieder fallen. Selbst wenn die Mad Max-Filme stets durch ihre Auto-Stunts beeindruckten, so machten diese immer nur einen Teil des Films selbst aus – und stellten nicht den gesamten Film dar.

Man mag es damit entschuldigen, dass Miller lediglich dem Mantra folgt: „Gib dem Affen Zucker.“ In Zeiten von The Avengers: Age of Ultron und Co. ist die Masse am ehesten befriedigt, wenn das Auge statt das Hirn gefüttert wird. Im Irrglauben, dass nur, weil viel auf der Leinwand passiert, sich auch wirklich eine Geschichte abspielt. In gewisser Weise repräsentiert Fury Road also auch die heutige Kinolandschaft: eine karge Welt, in der der Wahnsinn Blüte trägt. Da passt es ins Bild, dass Fashion Models wie Abbey Lee und Courtney Eaton über die Leinwand tänzeln, Seite an Seite mit talentfreien Stiernacken wie Tom Hardy, der mit Mad Max: Fury Road sein desaströses Portfolio nach Inception, The Dark Knight Rises und Locke weiter ergänzt.

Bedauernswert ist das, da dem Film trotz aller Mängel durchaus positive Aspekte abzugewinnen wären. Die Musik von Junkie XL verleiht Mad Max: Fury Road hin und wieder etwas von jenem epischen Abenteuer, das Miller sonst abgeht. Teils finden sich auch interessante Bildmotive, naturgemäß in den wenigen Szenen, wenn nicht gerade etwas in die Luft fliegt. So wie in einer Nachtszene, wenn der Tanker ein Sumpfgebiet durchfährt und man, wenn auch nur kurz, Figuren auf Stelzen durchs Wasser waten sieht. Die sind auch in ihrer Kürze noch das Spannendste in einem überlangen Film, der vielleicht als Stunt-Show in einem Themenpark funktioniert, als Beitrag fürs Kino jedoch völlig deplatziert ist. It’s a mad, mad, mad, mad world.

3/10