Posts mit dem Label Anna Kendrick werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Anna Kendrick werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

24. Oktober 2010

Scott Pilgrim vs. the World


If your life had a face, I would punch it in the balls.
(Scott Pilgrim Gets It Together, p. 149)

Eine Mütze bedeckt seinen Kopf, die Augen fixieren ein Computerspiel. Er ist Mitglied in einer nerdigen Welt. Daran besteht kein Zweifel. Dafür braucht es nicht die deplatziert wirkende Mütze, das Videogame oder die Comic- und Skateboardeinbindungen ins Geschehen. Er teilt sich sein Leben mit einer Frau, die ihm in gewisser Hinsicht nicht unähnlich ist. Beide hängen noch alten Beziehungen hinterher; emotionaler Ballast und fehlende Reife zeichnen sie aus. Sie bevölkern ihre eigene kleine Welt, in der auch mal einem Videospiel gleich Lebensbalken am oberen Bildschirmrand auftauchen oder in Panik aus dem Fenster gesprungen wird. Es ist das Leben von Tim (Simon Pegg) und Daisy (Jessica Hynes), zweier Slacker, die eine WG gründen. Sie entstammen der britischen Sitcom Spaced von Regisseur Edgar Wright. Das Ganze geschah 1999, fünf Jahre ehe der kanadische Comicautor Bryan Lee O’Malley mit Scott Pilgrim für Oni Press eine der Comicreihen des letzten Jahrzehnts entwarf.

Im Juli 2004 erschien Scott Pilgrim’s Precious Little Life, eine Geschichte eines Antihelden, wie er im Buche steht. Die Titelfigur ist ebenjener 23-jährige Scott Pilgrim, der sich gerade zwischen zwei Jobs befindet (lies: arbeitslos ist). Er teilt sich eine Einzimmerwohnung mit dem homosexuellen Wallace Wells, der neben der Wohnung selbst und dem Inventar auch die Lebensmittel bezahlt. O’Malleys Geschichte setzt ein, als Scott seinen Freunden und Bandmitgliedern mitteilt, dass er mit der 17-jährigen Knives Chau eine High Schoolerin dated. Allerdings nur so lange, bis er der aus Amerika nach Toronto zugezogenen Ramona Flowers begegnet - in seinen Träumen. Als er sie schließlich zu einem Rendezvous überzeugt und mit Knives Schluss macht, führt O’Malley schließlich den MacGuffin seiner Geschichte ein: Ramonas sieben Ex-Freunde. Um mit der Amerikanerin zusammen sein zu können, muss Scott ihre Ex-Liebhaber im Kampf bezwingen. Und mit diesen auch Ramonas Bindungsangst.

Scott wirkt wie eine unsympathische Figur, sagt doch selbst seine beste Freundin Kim, dass wenn sein Leben ein Gesicht hätte, sie es schlagen würde. Mit dem geringstmöglichen Aufwand kriegt Scott wenn schon nicht das größtmögliche Ergebnis dann doch eines, das ergiebiger ist als das, was er reinsteckt. Um die finanziellen Dinge kümmert sich Wallace, und Scott hangelt sich von der einen Freundin zur anderen. „You seem really fine doing nothing. It’s like you don’t feel all that bullshit pressure to be successful”, legte Noah Baumbach in Greenberg einer Figur einen Satz in den Mund, der auch auf Scott Pilgrim zutreffen würde. Dabei hat auch Scotts Leben eine Schattenseite, die erst später, speziell in Scott Pilgrim & the Infinite Sadness und Scott Pilgrim’s Finest Hour, beleuchtet wird. Stück für Stück werden die thematischen Schwerpunkte in die locker-flockige Handlung eingestreut. Zwar wird die Geschichte um die sieben Kämpfe strukturiert, diese dann jedoch stets in wenigen Panels abgehakt.

Die eigentliche Geschichte behandelt eine Gruppe von Twens, die versucht, sich im Leben zu recht zu finden. Scott Pilgrim erzählt von Bindungsangst, von emotionalem Ballast, davon, Schlussstriche zu ziehen und nach vorne statt zurück zu blicken. Die Reifeprozesse seiner Figuren stagnieren, neben ihren wöchentlichem Jam Sessions treiben sich manche wie Stephen Stills in einer Restaurantküche rum, andere wie Kim arbeiten in der Videothek oder wie Scotts kleine Schwester Stacey in einem Coffee Shop. Was auf Scotts „berufliche“ Situation zutrifft, lässt sich auf das Leben von ihnen allen münzen. Sie befinden sich nicht zwischen zwei Jobs, sondern zwischen zwei Leben. Mit dem College haben sie abgeschlossen, ihren Platz jedoch noch nicht gefunden. Bindungsängste eben, in der Karriere, wie im Leben. Keine Figur, die bei O’Malley nicht einer oder einem Ex hinterher trauert. Letztlich ist seine gesamte Comicreihe ein Reifeprozess, ein Coming of Age, für alle Figuren, nicht nur für Titelprotagonist Scott.

Ein thematisches Feld, welches Edgar Wright bestens kennt, nicht nur durch Spaced, sondern auch durch dessen geistiges Kind Shaun of the Dead. Tim, Shaun, Scott - sie alle sind zockende Nerds, Slacker, Loser im Verständnis des kapitalistischen Establishments. Und sie alle hängen emotional an einer Frau, egal ob sie Sarah, Liz oder Envy Adams heißt. Somit schien der englische Regisseur prädestiniert zu sein für eine Adaption der in der Szene vielbeachteten und populären Scott Pilgrim-Reihe. Für Wright wiederum stellt das Projekt seinen nächsten Karriereschritt dar - gen Hollywood. Das 12-Millionen-Dollar-Budget von Hot Fuzz verfünffachte sich zu 60 Millionen Dollar für Scott Pilgrim vs. the World. Eine gewagte Investition, die letztlich in einen kreativen Output floß, dem mit einem weltweiten Einspiel von 47 Millionen Dollar kein finanzieller Input folgte. Zu nah war Wrights Adaption an der Vorlage. Und damit zu weit weg, vom Massenkompatiblen Kinopublikum.

Das fängt bereits mit dem Universal-Logo zu Beginn im 8-bit-Format an und setzt sich in den folgenden 110 Minuten fort, in denen sich Wright offensichtlich darin bemüht, Panel für Panel der Vorlage treu zu bleiben. Der Engländer übernimmt die Urinskala als Scott Pilgrim (Michael Cera) aufs Klo geht, er versieht die meisten Geräusche lautmalerisch mit entsprechenden Zuweisungen. Es „dingt“, wenn jemand an der Tür ist oder „ringt“, wenn das Handy klingelt. Und auch Kims (Alison Pill) Drum-Set-Anweisungen werden angezeigt. Wenn der Zuschauer in Scotts und Wallaces (Kieran Culkin) Wohnung eingeführt wird, etikettiert Wright wie O’Malley die Gegenstände nach ihrem Besitzer. Dies alles ist ungemein bemüht und zugleich charmant, wenn die Kämpfe einem Capcom-Spiel gleich kommentiert („Combo!“, „K.O.!“) oder mit Charakterstärken ausgezeichnet werden. Der Film besitzt eine Visualität, die ihn auszeichnet und vereinnahmt, die letztlich aber auch zum Hauptdarsteller mutiert.

Etwa 110 Minuten dauert Scott Pilgrim vs. the World und Wright versucht, alle sechs Bände zu integrieren. Ein Unterfangen, das nur scheitern kann und es auch tut, denn um dem Comic so gerecht zu werden, wie Wright es möchte, langt ihm schlichtweg die Laufzeit nicht. Wird der erste Band quasi 1:1 integriert (wenn auch innerhalb von 15 Minuten rasch abgespult und somit ob seiner Hast zur Last), selektiert Wright anschließend Häppchenweise Elemente und Momente, versucht sie zu einem Konstrukt zu stricken, das zwischen den Kampfszenen aufgezogen wird. Und hier liegt, wie in den meisten Comicverfilmungen, der Fehler. Denn die Kämpfe gegen die sieben Ex-Freunde von Ramona (Mary Elizabeth Winstead) sind an sich belanglos - ein MacGuffin. Dementsprechend hakt sie O’Malley meist sehr schnell ab (so beansprucht der „Kampf“ gegen Lucas Lee im Comic nur wenige Panels), wohingegen sie Wright, sicher auch wegen Lee-Darsteller Chris Evans, auf das Doppelte ausgedehnt.

Was Scott Pilgrim ausgezeichnet hat, sucht man im Film vergebens. Kaum vorhanden ist die Bindungsangst von Ramona, deren Bedeutung bei Wright ohnehin primär die einer Trophäe darstellt. Dementsprechend verlieren auch die Ex-Freunde, speziell Gideon (Jason Schwartzman), an Tiefe, da ihre und Ramonas Geschichte - hier und da als Flashback in ursprünglicher Comic-Form integriert - irgendwann nicht einmal mehr angesprochen wird. Am deutlichsten wird dies im Fall der Katayanagi-Zwillinge (Keita & Shota Saito), denen nicht einmal eine einzige Dialogzeile vergönnt ist, da sie mit Darstellern besetzt wurden, die der englischen Sprache nicht mächtig sind. Somit irgendwie logisch, dass das große Thema des emotionalen Ballastes und des Ziehens von Schlussstrichen auch weitestgehend unter den Tisch gekehrt wird. Das zeigt sich schon daran, dass eine Figur wie Envy Adams (Brie Larson), bei O’Malley mit ihrem eigenen Band (Scott Pilgrim & the Infinite Sadness) ausgestattet, zur Randfigur wird.

Ohnehin spielt in Scott Pilgrim vs. the World niemand eine Rolle, außer Michael Ceras Scott. Insofern Figuren wie Lisa Miller oder Joseph nicht ganz aus der Handlung eliminiert wurden, sind sie wie Kim oder Envy zu Stichwortgebern degradiert. Die Bedeutung der Charaktere, insbesondere für Scott und somit die Handlung, geht verloren. Szenen und Momente werden aus ihrem Zusammenhang gerissen, zum Beispiel dass Todd (Brandon Routh) einst für Ramona ein Loch in den Mond schlug, einzig um einer amüsanten Anekdote Willen. Dass Kim und Scott mal ein Paar waren, ist für Wrights Film unerheblich, da er diesem Handlungsstrang keine Bedeutung schenkt. Wieso er jedoch ebenso angesprochen wird wie die Beziehung von Stephen Stills (Mark Webber) und Julie (Aubrey Plaza), die für den Filmverlauf unerheblich ist, bleibt fraglich. Zudem verabschieden sich nahezu alle Figuren nach dem zweiten Drittel aus unerklärlichen Gründen, ohne dass sie zuvor von Mehrwert waren.

Das Problem von Wrights Scott Pilgrim vs. the World ist in diesem Fall style over substance. Was umso verstörender ist, wenn man bedenkt, dass Wright dasselbe Thema wie hier mit mehr Fürsorge in Spaced umgesetzt hat. Seine Szenenauswahl ist es jedoch, die seinen ersten Hollywood-Film zu keinem kohärenten Ganzen werden lassen will. Denn wenn der Kern einer Geschichte vernachlässigt - oder wie in diesem Fall: ausgelöscht - wird, funktioniert die Geschichte auch trotz allerlei liebe- und detailvoller Optik nur bedingt. So nett und gelungen Szenen wie Crash and the Boys oder die Seinfeld-Hommage (die in diesem Fall originär aber auch sehr langatmig ist) auch sind, entschädigt das nicht für jene wichtigen Szenen, die die Geschichte ausmachen. Oder wie schon bei Zack Snyders Watchmen der Fall: Eine Treue zu den einzelnen Panels entspricht nicht einer Treue zum Comic. Gerade von Watchmen hätte Scott Pilgrim vs. the World viel lernen können. Umso bedauerlicher, dass dies nicht geschah.

In beiden Fällen ging die Rollenbesetzung zum Teil gehörig in die Hose. Zwar wird eine fehlbesetzte Alison Pill als Kim dadurch entschädigt, indem ihre Figur im Film kaum auftaucht, aber dennoch zählt sie wie Aubrey Plaza, Brie Larson, Anna Kendrick, Thomas Jane und insbesondere Michael Cera zu den großen Fehlern von Edgar Wrights Film. Gerade Cera ist mit seiner obligatorischen eingeschüchterten Flüsterstimme plus patentiertem Dackelblick phänomenal an der Figur vorbeibesetzt. Er bleibt über die gesamte Spielzeit Michael Cera (ein Schauspieler, der es wie kein Zweiter in den letzten Jahren versäumt hat, sich weiterzuentwickeln) und avanciert nie zu Scott Pilgrim. Das es auch besser geht, zeigt vor allem Ellen Wong, die als „Scottaholic“ Knives Chau ein Traum ist. Keine andere Person scheint ihren Part so gut verstanden zu haben, wie die 25-jährige Kanadierin. Ihre Darbietung ist neben der visuellen Ästhetik der Höhepunkt eines Filmes, der ansonsten zu selten sein Potential ausschöpft.

Insofern ist Scott Pilgrim vs. the World ein zweischneidiges Schwert. Wrights Bemühungen, sich visuell an der Vorlage zu orientieren, gehen oft auf, obschon sie bisweilen - gerade im überhastet abgespulten ersten Akt - verloren gehen. Zwar sind Ramonas Ex-Liebhaber bis auf die nutzlosen Saitos punktgenau besetzt, allerdings leiden sie größtenteils an ihrem geraubten Hintergrund (nur Matthew Patel und Todd erhalten eine Comic-Flashback-Erläuterung). Der fehlende Hintergrund, der zwar bei Wright gelegentlich impliziert, aber nie gebührend erläutert wird, ist es auch, der allen Figuren - und mit ihnen der Handlung selbst - das Genick bricht. Von O’Malleys eigentlicher Geschichte (commitment, closure, coming of age, emotional baggage) ist in Wrights Film jenseits der Oberfläche nicht mehr viel übrig geblieben. Und das, was es auf die Leinwand geschafft hat (warum auch immer, die Auswahl des Engländers ist selten nachvollziehbar, siehe die Integration von Negascott im Finale), vermag sich nicht wie eine stringente Geschichte anzufühlen.

Die Verfilmung eines Comics stellt somit weiterhin eine diffizile Angelegenheit dar (trotz exzellenter Beispiele wie Hulk oder Bryan Singers X-Men-Filme), von denen Sylvain Whites The Losers zwischen den misslungenen Scott Pilgrim vs. the World, Kick-Ass und Iron Man 2 dieses Jahr sichtbar herausragt. Und wie sich zeigt, scheinen auch die optimalen Voraussetzungen eines Edgar Wright durch Themenverwandte Projekte wie Spaced und Shaun of the Dead nicht auszureichen, um eine Geschichte in ihrem Kern getreu zu adaptieren. Weshalb sich der Brite neben seine Landsleute Matthew Vaughn und Christopher Nolan, sowie die amerikanischen Kollegen Zack Snyder und Jon Favreau einreiht. Vielleicht sollte Wright einfach einen erneuten Blick in O’Malleys Comics werfen, speziell in den finalen Band und auf Kims entscheidenden Rat an Scott: „If you keep forgetting your mistakes, you’ll just keep making them again“.

5.5/10

27. Januar 2010

Up in the Air

I call it Airworld, the scene, the place, the style.
(Up in the Air, p. 7)

In David Finchers Fight Club führt der namenlose Held im ersten Akt der Geschichte das Publikum in seine Welt ein. Er arbeitet für eine Autoversicherung, was dazu führt, dass er viel reisen muss. Hauptsächlich per Flugzeug. „The people I meet on each flight … they’re single-serving friends. Between take-off and landing we have our time together”, erklärt er. Die Nebensitzer verkommen in Fight Club zu einem Angebot, ähnlich wie der Kaffee, die Kaffeesahne oder das Cordon Bleu aus der Mikrowelle. Etwas für den Augenblick also. Anders in Walter Kirns Roman Up in the Air, der zwei Jahre nach dem Filmstart von Fight Club erschien. Für Kirns Hauptfigur Ryan Bingham sind die anderen Passagiere des Flugzeuges nicht nur einmalige Bekanntschaften, sondern viel mehr als das. „Fast friends aren’t my only friends, but they’re my best friends“, erläutert Bingham auf Seite 6. Einer von vielen Sätzen, die diese Figur charakterisieren.

Die Menschheit lebt im Hochgeschwindigkeitszeitalter. Wo ein Fax bereits veraltet ist und Twitter als schnellstes Medienformat gilt. Selbstverständlich, dass das Flugzeug hier aufgrund seiner Schnelligkeit zu den bevorzugten Transportformen zählt. Sehnt sich Edward Nortons Figur in Fight Club danach, dass sein Flieger mit einer anderen Maschine kollidiert, stellt der Luftraum für Ryan Bingham sein Zuhause dar. Er nennt es „Airworld“ und bezeichnet dieses als „nation within a nation“. Mit eigener Sprache, Architektur, Stimmung und insbesondere: Währung. Die Flugmeilen, die Bingham inzwischen „[has] come to value more than dollars“. Kirns Up in the Air ist eine Charakterstudie, über einen Mann, gefangen im System. Wer in Airworld überleben will, muss up to date sein. „This is the place to see America“, legt Kirn seiner Figur auf Seite 42 in den Mund. „Not down there, where the show is almost over.“ Wenn jemand nun zentriert auf engem Raum lebt, beginnt er den Überblick über das Ganze zu verlieren.

Ryan Bingham ist von Beruf ein sogenannter career transition counsellor. Oder ganz einfach ausgedrückt: Jemand, der angeheuert wird, um Menschen zu entlassen. In Kirns Roman wird Bingham nun mit relativ wenig Mitgefühl für die Personen versehen, die er aus ihrem Job befördert. „It’s a job I fell into because I wasn’t strong, and grew to tolerate because I had to“, entschuldigt sich Bingham gleich zu Beginn auf Seite 4. Während des gesamten Romans, erlebt man nicht ein einziges Mal, wie Bingham eine/n MitarbeiterIn entlässt. Was nicht bedeuten soll, dass ihn sein Beruf kalt lässt. Im Gegenteil, umfasst die Romanhandlung doch Binghams letzte Arbeitswoche, bevor sein Vorgesetzter seine eigene Kündigung vorfindet. Wie angesprochen ist Up in the Air eine Charakterstudie und zugleich Vorlage für einen gleichnamigen Film, der nun unter der Regie von Jason Reitman in die Kinos kommt. In Zeiten der Wirtschaftskrise fühlte sich Reitman, zuvor bereits durch Thank You For Smoking auf dem Pfad der Literaturadaption bewandert, nun verpflichtet, den Fokus weg von Bingham zu lenken und sich stattdessen auf seine Tätigkeit zu fokussieren.

Der deutlichste Unterschied zum Roman ist nun die Tatsache, dass Reitmans Film mehrfach von Kündigungsgesprächen unterbrochen wird. Sieht man von einigen Gaststars (Zach Galifianakis, J.K. Simmons) ab, wurden alle entlassenen Personen von realen Menschen gespielt, die selbst zuvor ihren Job verloren hatten. Was sich Reitman dabei gedacht hat, bleibt zu hinterfragen, wirken diese dokumentarischen Szenen nicht nur ungemein gestelzt, sondern die gesamte Idee ist letztlich schlicht und ergreifend redundant und vollkommen unerheblich. Die Entlassenen reagieren, wie man es von Entlassenen erwarten würde und sprechen Dinge an, die man selbst ansprechen würde, würde man entlassen werden. Man mag sich somit denken, weshalb es Kirn selbst bei Einschüben wie „free agency“ und „self-directed professional enhancement“ beließ, summieren diese Begriffe doch mehr als deutlich die Perversität von Binghams Beruf.

Beschwor Kirn die Studie eines von Flugmeilen und Jobangeboten Besessenen, forciert Reitman in Up in the Air seinen Blick auf die einsamen Seelen, die in Airworld sprichwörtlich auf der Strecke bleiben. Aufgezogen nach klassischem Hollywood-Muster präsentiert Reitman eine Tragikkomödie, in der niemand bindende Verpflichtungen eingehen und zugleich auch nicht alleine enden will. Da wird George Clooney zum charmanten Ryan Bingham, der sinn- und zusammenhangslos Zitate aus Kirns Roman um sich wirft und Vera Farmiga portraitiert eine Nebenfigur, die zur Filmmutter hochstilisiert wird. Um das Familienbild zu komplettieren, gibt Twilight-Darstellerin Anna Kendrick noch das nervtötende Kind, indem sie Clooney als Assistentin zur Seite gestellt wird, damit dieser sie anlernt. Clooney selbst wird mit seinen 48 Jahren in eine Coming-of-Age-Geschichte gezwängt, in welcher der überzeugte Einzelgänger und Single Bingham lernen muss, sich zu öffnen. Ganz speziell natürlich seinem weiblichen Pendant Alex (Vera Farmiga).

Weder die gesponnene Affäre mit Alex, noch die allmähliche Aufweichung von Binghams harter Schale mag im Film überzeugen. Reitman fehlt ein attraktiver Fokus, der seine vorhersehbare Geschichte schmackhaft macht. Doch nicht einmal für seine Sozialkritik in Form der mannigfachen Entlassungen scheint er sich richtig zu interessieren. Stattdessen flüchtet sich das schwache Drehbuch in Plattitüden und bedeutungslose Nebenfiguren wie sie von Jason Bateman als Binghams Vorgesetzter und Danny McBride als Schwager in spe dargestellt werden. Selbst die Wendung zum Schluss vermag nichts mehr zu retten, zu uninspiriert und zusammenhangslos präsentierte Reitman in den neunzig Minuten zuvor sein Konglomerat aus filmischen Versatzstücken. Der Film vermisst eine klare Linie, eine Haupthandlung, an der sich nicht nur das Publikum, sondern auch die Figuren letztlich orientieren können. Viel zu oft wirkt Up in the Air dadurch weniger wie ein Geschäftsflug, denn mehrere spontane Last-Minute-Trips.

So strukturiert sich Reitmans Drehbuch um zwei unterschiedliche Aspekte - beide in Kirns Roman von geringerer Bedeutung -, die er hintereinander abhandelt. Zuerst wäre da die Wirtschaftskrise, die Massenentlassungen des Arbeitsmarktes und die Perversität, in der die nun hier Hand in Hand geht. Ist der technologische Wandel, die profession efficiency, im Film etabliert, Bingham als reisender Jobentlasser nunmehr entlastet, rückt Reitman das romantische Element in den Vordergrund, die emotionale Katharsis der Titelfigur. In Handkamerabildern, unterlegt mit Indie-Pop-Musik, an den Vorjahresfilm Rachel Getting Married von Jonathan Demme erinnend, zentriert Reitman schließlich die love story, das vermeintliche happy end. All die Arbeitslosen, die Finanzkrise, die eigene Firmenumstrukturierung, sprich: all das, was Up in the Air in der vorangegangenen Stunde ausgemacht hat oder haben soll, ist für den dritten Akt unerheblich geworden. Ansatzpunkte waren vorhanden (auch aus dem Roman, man denke nur an das frühzeitliche „Can, sir?“), verpuffen allerdings in Reitmans Adaption.

„To know me you have to fly with me“, lautet der erste Satz in Kirns Roman, den Clooney in den ersten Minuten leicht abgewandelt wiedergeben darf beziehungsweise der in seiner Vollständigkeit in einer geschnittenen Szene auftaucht (die es ruhig in den Film hätte schaffen dürfen). Für einen Film, der sich Up in the Air nennt, spielt sich das Geschehen jedoch hauptsächlich im realen Leben auf der Erdoberfläche ab. Auf Partys in Miami, in Firmengebäuden, Schulen und auf Hochzeiten. Was im Nachhinein von einem durchaus unterhaltsamen und über weite Strecken überzeugenden Roman übrig bleibt, sind die Namen von fünf Charakteren, eine Handvoll Zitate, die wahllos zwischen gestreut werden und die Rahmenhandlung eines Mannes, dessen Job darin besteht, anderen Menschen ihre Arbeitslosigkeit mitzuteilen. Aus diesen Zutaten ist es Reitman jedoch nicht gelungen, in Eigenkomposition irgendetwas Nahrhaftes zu kreieren. Insofern lässt sich Up in the Air weniger Ryan Binghams Schublade der „fast friends“ zuordnen, sondern Reitmans dritter Spielfilm ist letzten Endes ein „single-serving friend“, dem man nur zwischen Öffnen und Schließen der Vorhänge Aufmerksamkeit schenkt.

4.5/10