10. Juni 2008

Hulk

You’re making me angry. You wouldn’t like me when I’m angry.

In das goldene Jahrzehnt der Marvel Comics gehört auch Bruce Banner alias der Hulk. Er entstammte wie die meisten populären Marvel Charaktere aus der Feder des genialen Stan Lee in Zusammenarbeit mit Jack Kirby und erlebte seine ersten Abenteuer im selben Jahr wie Spider-Man, nämlich 1962. In seiner Grundstruktur verkörpert die Geschichte Lees dabei eine Mischung aus Elementen von Frankenstein bis hin zum offensichtlichen Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Dabei handelt es sich, wie so oft bei Lee, um eine Geschichte mit stark philosophischer Konnotation. Der Hulk erscheint dem unerfahrenen Leser zwar wie ein plumpes Wesen, welches sich nicht einmal richtig artikulieren kann, doch trügt der Schein. Man sollte den Hulk nicht als eigenständiges Wesen sehen, sondern immer im Zusammenhang mit seinem Alter Ego Bruce Banner. Banner ist ein genialer Wissenschaftler, innerhalb der Serie wird er sogar als einer der brillantesten Köpfe der Erde beschrieben. Da verwundert es auch nicht, dass Banner selbst für die Gammaexplosion sorgt, die ihn letztlich zu dem werden lässt, was den ziemlich eindeutigen Titel "Hulk" (dt. Koloss, Klotz) trägt.

Banner und Hulk sind ein und dieselbe Person, das grüne Monster – welches in seiner ersten Ausgabe noch grau war – verkörpert Banners dunkle, aggressive Seite. Jeder Mensch trägt einen grünen aggressiven Klotz in sich und immer wenn man eine Ungerechtigkeit hinunter schlucken muss, wird dieser Klotz genährt und gestärkt. Dieser Klotz aufgestauter Aggressionen ist der Hulk. In Stresssituationen oder wenn er wütend gemacht wird, mutiert Banner zum Hulk. Somit entsteht sein Alter Ego immer dann, wenn Banner selbst mit einer Situation überfordert scheint, dieses übernimmt man die jeweilige Konfliktlösung. Wie Spider-Man zählt auch der Hulk zu den populären Figuren des Comic-Universums und brachte es nicht nur auf 16 Comic-, sondern auch zu drei Animations- und zwei Fernsehfilmen. Diese wurden 1977 ausgestrahlt und mündeten in einer vierjährigen Serienauskopplung, die durch ihren Hulk-Darsteller Lou Ferrigno geprägt wurde. Gut vierzig Jahre nach seinem Entstehen schaffte es der Hulk 2003 nach 12 Jahren Entwicklung endlich die Kinoleinwand zu stürmen.

In den neunziger Jahren kam etwas Leben in die Bemühungen, 1994 wurde Joe Johnston als Regisseur verpflichtet und, wie bei Comicverfilmungen nicht ungewöhnlich, verschiedene Drehbuchentwürfe durchgearbeitet. Unter anderem verfassten Michael France (GoldenEye, The Punisher), Michael Tolkin (Deep Impact) und David Hayter (X-Men) verschiedene Entwürfe für Drehbücher. Hayters Version beinhaltete die Hulk-Bösewichter The Leader und The Absorbing Man und bildete die Grundlage für das finale Skript. Dieses wurde von James Schamus verfasst, dem Stammautoren von Ang Lee, der die Regie für das Projekt übernahm. Letztlich wurde auf die Verwendung der typischen Hulk-Gegner verzichtet und stattdessen erschuf man eine neue Variation, indem man Hayters Bösewichter gemeinsam mit Zzzax zu einem Bösewicht verschmelzen ließ, der im Finale als Hauptantagonist dient, indem er mit Bruce Banners Vater David Banner verschmilzt.

Für dessen Besetzung stand Nick Nolte fest, die beiden Hauptrollen von Bruce Banner und seiner großen Liebe und Arbeitskollegin Betty Ross hingegen brachten wieder einmal auf interessante Weise das Darstellerkarussell zum Drehen. Mitte der Neunziger war Johnny Depp als Banner vorgesehen, fraglos weil wie so oft der Burtonsche Name über dem Projekt schwebte. Aber auch Steve Buscemi, Tom Cruise, Jeff Goldblum und David Duchovny gehörten neben Edward Norton zu dem auserlesenen Kreis. Norton wiederum darf sich dieses Jahr in der Neuauflage unter Louis Letterier als Banner versuchen. Ang Lees Favorit auf die Rolle war Billy Crudup, der allerdings ablehnte, sodass schließlich der Australier Eric Bana engagiert wurde, der die Rolle seiner Darstellung in Chopper zu verdanken hatte. Lee selbst hatte für sein Herzensprojekt Hulk auf eine Involvierung im dritten Terminator-Abenteuer verzichtet und spickte seine Kinoadaption mit vielen Referenzen zur Fernsehserie The Incredible Hulk und dessen Darsteller Lou Ferrigno (der zu Beginn einen Cameo gemeinsam mit Schöpfer Stan Lee erhielt).

Im Jahre 1998 betrugen die Kosten für das Projekt, welches zu diesem Zeitpunkt noch keinen einzigen Drehtag hinter sich hatte, bereits zwanzig Millionen Dollar, allein aufgrund der Ausgaben für die Drehbuchentwürfe. Wenige Jahre später sollten die Arbeiten von ILM beginnen, um die Figur glaubwürdig auf die Leinwand zu zaubern. Für insgesamt 137 Millionen Dollar entstand der Film letztlich und spielte diese Summe in etwa auch wieder am amerikanischen Kinomarkt ein. Dabei verzeichnete Hulk eine traurige Bilanz, verlor er doch am zweiten Wochenende enorme 70% seines Debüteinspiels, sodass er am Ende die Hälfte seines US-Einspiels am ersten Wochenende eingespielt haben sollte. Mit weiteren 118 Millionen international ist der Erfolg von Hulk als äußerst bescheiden zu bezeichnen, allgemein wurde der Film als zu ernst aufgenommen, zu komplex. Doch dazu später mehr. Der kritischste Punkt im Projekt sollte die digitale Animation des Hulk werden, die von ILM in anderthalb Jahren betrieben wurde, über 2,5 Millionen Stunden und die Arbeit von 180 Technikern beanspruchen sollte.

Was anschließend auf Hulk einprasselte, waren Vergleich mit DreamWorks Shrek sowie Hohn und Spott. Dass es selbst fünf Jahre später nicht besser geht, beweist Leterrier mit seiner Neuauflage. Die digitale Umsetzung sollte die Techniker von ILM noch des Öfteren fordern, allen voran die umstrittene Kampfszene zwischen Hulk und den Hulk-Hunden. Jene Sequenz zählt zu den umfangreichsten Animationen, die ILM bis zu der damaligen Zeit vorgenommen hatte und wurde lediglich zu einem Drittel umgesetzt. Dabei ist die Animation des Hulk im Grunde nicht als schlechter anzusehen, wie die von Spider-Man im Jahr zuvor. Das knallige Grün ist dabei in der Serie ebenso verankert, wie die protzige Statur von Hulk, der in Lees Filmen dennoch praktisch nach dem Spitznamen „Stiernacken“ schreit. Hulk ist aber ein Fremdkörper in seiner Gesellschaft und trotz allem – bedenkt man die Umstände – gelungen animiert. Insbesondere die Momente der Metamorphose von Banner zu Hulk und vice versa lassen sich sehen und beeindrucken, wie allgemein die digitalen Effekte sich sehr gut in die von Lee angestrebte Inszenierung als wahrhaftige Comic-Adaption einfügen. Pate als Hulk beim Motion Capture stand Lee selbst.

Ein Novum und bisheriges Unikat im Genre der Comic-Adaptionen ist Lees Schnitttechnik. Diese orientiert sich fast durchweg an den gepinselten Vorlagen und strotzt nur so von Überblendungen sowie Zoom-ins und Zoom-outs. Besonders markant wird dies in Hulks Fluchszene eingesetzt, in welcher die Bilder fließend ineinander übergehen, aneinander vorbeifließen und sich praktisch die Hand reichen. Dieser explizit erzeugte Look eines bewegten Comics kam bedauerlicherweise bei den meisten Zuschauern nicht an, was mitunter dafür gesorgt haben dürfte, dass nachfolgende Kinoadaptionen wie Iron Man oder X-Men: The Last Stand auf diese Funktion verzichteten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Publikum sich bei einer Kino-Comic-Version durch Comic-Stilmittel überfordert fühlte. Insgesamt zählt die Schnitttechnik von Tim Squyres allerdings zu den grandiosen Höhepunkten dieser Hulk-Verfilmung.

Lobend erwähnt werden muss auch der kongeniale Score von Danny Elfman, dessen fantastische Klänge bereits bei Spider-Man fokussiert wurden. Sein Hulk-Theme jedenfalls erzeugt die perfekte Stimmung und zugleich Tiefe. Elfman beweist auch hier, weshalb er zu den begnadensten Komponisten – vor allem im Fantasy-Genre – zählt. Sein Komposition wiederum ist selbst eine Referenz an seinen Kollegen Bernard Herrmann, der mit Altmeister Alfred Hitchcock zusammengearbeitet hatte. Nicht unterschätzen darf man auch das Casting des Filmes, für welches sinnbildlich die Besetzung von Todd Tesen steht, der als junger Verschnitt von Sam Elliotts Figur des General Ross in seinen Szenen die Leinwand für sich einnimmt, sodass sein ebenfalls gut gecastetes Pendant Paul Kersey absolut blass aussieht. Aber auch die Besetzungen von Sam Elliott (Gen. Ross), Josh Lucas (Major Talbot), Jennifer Connelly (Betty Ross) und Eric Bana (Bruce Banner) sind überaus gelungen und zählen zu den eindrucksvollsten im Bereich der Comic-Adaptionen.

Neben der Vermischung von Elementen aus Frankenstein sowie Dr. Jekyll und Mr. Hyde wurde Lees Film stark beeinflusst von der griechischen Tragödie an sich, genauer gesagt von Ödipus. In Hollywood gehört es eigentlich zum guten Ton, in seine Filme eine gescheiterte Vater-Sohn-Beziehung einzubauen. Steven Spielberg kommt seit zwanzig Jahren in seinen Filmen gar nicht mehr ohne aus, und auch in Lees Hulk dreht sich alles um die Beziehung zwischen einem Vater und seinem Sohn. Im Gegensatz zum Comic ist Banners Mutation nicht eigenes Selbstverschulden, sondern genetisch bedingt. David Banner (Nick Nolte) experimentierte mit seinen eigenen Genomen und vererbte die Wirkung schließlich an seinen Sohn weiter, den er zum Testobjekt degradierte. Ein Unfall löst schließlich die Mutation aus, doch ehe das Publikum den Hulk zu sehen bekommt, vergehen beinahe 45 Minuten. Gerade in dieser Exposition ist Lees Film etwas zu lang geraten, die aufgesetzte Komplexität der Geschichte hätte man auch verkürzt darstellen können.

Zu den misslungen Szenen zählt sicherlich auch die Hulk-Hunde-Sequenz, die allgemein von den Fans missbilligend zur Kenntnis genommen wurde (selbst wenn sie auf einer Ausgabe der Serie basiert). Im Kampf zwischen Hulk und Pudel sei die Frage gestattet, weshalb die Tiere nicht über dieselben Fähigkeiten wie Hulk verfügen, doch vielleicht sollen sie dies auch gar nicht. Lächerlich wirken sie und die ganze Sequenz allemal, so gerne man sie auch versucht zu mögen, bedenkt man die Probleme, welche sie dem ILM Team bereitet hat. Die Actionsequenz in der Wüste mit Hulk und den Panzern ist jedoch weitaus gelungener und im Grunde auch das Highlight des Filmes, zumindest in der Action-Hinsicht. Das Finale wiederum zählt mit der Einleitung zu den etwas missratenen Punkten. Zu sehr legt Lee den Fokus auf David Banner und dessen Forschung, die im Grunde überhaupt nichts mit Banner/Hulk zu tun hat. Auch die Tatsache, dass man Banner zum Endgegner aufstachelte, indem man drei beliebte Hulk-Antagonisten in ihm vereinte, wirkt äußerst misslungen, ebenso wie das tatsächliche Ende.

Doch es ist nicht das Finale, an dem Lees Film für die Massen gescheitert scheint, sondern allgemein die Gewichtung der Familienbeziehung innerhalb des filmischen Kontextes. In einer ersten Hulk-Verfilmung hat eigentlich eine Familientragödie griechischen Ausmaßes nichts verloren, zumindest nicht in dieser Form und vor allem nicht in einem Piloten. Selbstverständlich, dass das den unbefleckten Kinozuschauer überforderte, nicht umsonst sind alle Piloten im Comic-Genre gleich gestrickt. Wer ist der Held, wie gewann er seine Kräfte und gegen wen muss er sich anschließend durchsetzen? All das hat Lee für seinen Hulk durchaus berücksichtigt, jedoch gelegentlich falsch ins Licht gerückt und zu sehr die Nebenfigur David Banner beleuchtet. Im Gegensatz dazu geht Talbot beispielsweise gänzlich unter, insbesondere seine Machtspielchen mit General Ross, die dem Zuschauer praktisch im Vorbeigehen serviert werden. Enttäuschend ist sicherlich auch die Tatsache, dass der Hulk hier tatsächlich zum bloßen Klotz verkommt und abgesehen von einer Traumsequenz überhaupt nicht sprechen darf (die finale Szene außen vor gelassen).

Wahrscheinlich befürchtete Lee, dass die Zuschauer den grünen Riesen aufgrund seiner fehlenden Artikulation in der von sich selbst oft in der dritten Person spricht („Hulk smash!“). Hier hätte die Gefahr bestanden, dass das Publikum Hulk für zurückgeblieben halten könnte, dabei gewinnen die Comics gerade durch Hulks oftmals unsinnigen Beschreibungen seiner eigenen Handlungen ihren humoristischen Charakter. Hauptdarsteller Bana zufolge vermied Lee jedoch konsequent eine amüsante Stimmung am Set, sah er sein Projekt doch verbissen als Superhelden-Drama. An dieser Ambition scheinen er und sein Film letztlich gescheitert zu sein, zumindest in den Augen des Massenpublikums, welches mit seinen Bewertungen und allem voran mit seinen damaligen Besucherzahlen Bände spricht (spielte der Film fast nur ein Viertel wie Spider-Man ein Jahr zuvor ein). Für den Fan ist Hulk hingegen weitaus gelungener und wer sich mit dem Genre respektive Produkt „Comic“ genauer beschäftigt, wird auch dem Drama-Schauwert dieser Verfilmung einiges abgewinnen können, auch wenn sie nicht frei von Fehlern ist.

8/10

2 Kommentare:

  1. Ich halte HULK für eine hoch unterschätzte Comicadaption, die, im Gegensatz zu mancherlei Kollegen, seinem Helden und der Geschichte viel Tiefgang gibt. Ich mag die Schnittechnik übrigens und Banner als grünen Klotz. Nur find ich, sieht der Hulk stellenweise etwas unpassend aus, kann aber auch an seinen Bewegungen liegen.

    Der neue HULK kann dagegen nur abstinken. Und das sagt ein Nortn-Fan.

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  2. Und genau dieser Film ist mehr Comic als diese Raimi Hollywood Sülze. Da habe ich wirklich das Gefühl in einem Marvel Taschenbuch zu blättern. Natürlich alle Seiten in Farbe. Vielleicht hätte Lee noch einen Gag diesbezüglich einbauen können. Aber das Mainstreampublikum war ja schon so genug gestraft;)

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