19. Juli 2008

X2

Have you ever tried...not being a mutant?

Nachdem Edeltrash-Filme wie Batman & Robin Ende der 1990er Jahre die Comic-Adaptionen an den Rande des Aussterbens brachten, bildete bereits 1998 die Verfilmung von Blade die Umkehr zum Besseren. Bei einem Budget von 45 Millionen Dollar Budget wurde das Dreifache der Kosten eingespielt, weshalb für die nächste Marvel-Verfilmung X-Men 75 Millionen Dollar zur Verfügung standen. Auch wenn der Film ein etwas verhaltener Erfolg war, prophezeite er doch eine neue Welle gut gemachter Comic-Adaptionen, deren Budgets im Verlauf exponentiell steigen sollten. Kein Wunder, dass man Bryan Singer mit einer Fortsetzung beauftragte, für die David Hayter und Zak Penn individuell Drehbücher verfassen sollten, um diese anschließend zu einem gemeinsamen Werk zu kombinieren.

Dieses Drehbuch wurde im Jahr 2002 von Michael Dougherty und Dan Harris überarbeitet und strich die Involvierung von Figuren wie Beast oder Angel. Aus Budgetgründen - das Studio gewährte Singer dieses Mal 110 Millionen Dollar - wurden auch Szenen mit den Sentinels und dem Danger Room entfernt. Zudem erhielt Halle Berry nachträglich mehr Leinwandzeit, war sie doch im Vorjahr für Monster’s Ball mit dem Oscar als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet worden. Am Ende brauchte es 27 Drehbuchentwürfe bis zum finalen Skript, also ähnlich viele wie für den ersten Teil. Da Singer in jenem bereits das Erscheinen von Phoenix angedeutet hatte, verwundert es ein wenig, dass so viel Korrektur nötig war, bis das Drehbuch zur Fortsetzung X2 zufrieden stellend war.

Im selben Jahr erschienen wie Hulk, war X2 erfolgreicher als Ang Lees Film, spielte er in den USA doch das Doppelte und weltweit das Vierfache seiner Kosten ein. Im Handlungsgeschehen selbst tauchen lediglich drei neue Figuren auf: Colonel William Stryker (Brian Cox) als Antagonist, sowie Lady Deathstrike (Kelly Hu) als dessen Handlangerin und Nightcrawler (Alan Cumming) als Neuzugang bei den X-Men. Letzterer setzte sich gegenüber Beast oder Gambit als Zugang durch, da er durch sein Erscheinungsbild nochmals die Außenseiterrolle der Mutanten untermauerte. Da der Schotte Alan Cumming deutsche Sprache beherrscht, war er Bryan Singers erste Wahl für die Darstellung der deutschstämmigen Figur, die eigentlich auf den Namen Kurt Wagner hört.

Mit Cummings und Cox wurde das Set nach Patrick Stewart (Professor X) und Ian McKellen (Magneto) um zwei weitere Darsteller der Royal Shakespeare Akademie erweitert. Leider avancierte Nightcrawler nicht zu einem festen Mitglied der Mutanten, fehlt er doch in X-Men: The Last Stand, was weniger mit dem fehlenden Interesse des Darstellers, als dem Produktionsaufwand seines Make-ups zu tun hat. Da kann man es verschmerzen, dass X2 nicht auf die Tatsache einging, dass Nightcrawler der Sohn von Mystique ist (obschon beide Figuren eine nette kleine Szene erhalten). In Rebecca Romijn hatte Cummings dann auch gleich eine Leidensgenossin gefunden, verbrachte er immerhin doppelt so viel Zeit (bis zu zehn Stunden) in der Maske wie die Mystique-Darstellerin.

Mit viel Brimborium hält sich Singer in X2 dann auch nicht auf, wird dem Publikum doch innerhalb der ersten fünf Minuten bereits die erste Actionsequenz präsentiert. Spektakulär wird die neue Figur Nightcrawler vorgestellt und in einer Szene positioniert, die bereits zu Beginn des Filmes dessen Höhepunkt darstellt. Dagegen sind die beiden späteren Kämpfe von Wolverine (Hugh Jackman) gegen Strykers Männer und Lady Deathstrike nur ein laues Lüftchen. Zudem beeindruckt Nightcrawlers Einführung auch durch ihre digitalen Effekte, stehen diese ebenso wie die Choreographie der Szene die Qualität der Handlungsexposition. So wünscht man sich als Zuschauer die Wundermaschine Kino, wobei auch Wolverines Ein-Mann-Feldzug im Internat über seine Stärken verfügt.

Vielleicht auch weil Singer hier die Schere ansetzte, um ein jugendfreies Rating zu erhalten, kommt die Szene nicht an den Anfang heran. Noch weniger gelingt dies dem Kampf von Wolverine und Lady Deathstrike, der schon deswegen an Spannung einbüßt, da Wolverine hier gegen sein weibliches Pendant kämpft. Ohnehin haben sich die Macher mit Lady Deathstrike keinen Gefallen getan, beschränken sich Kelly Hus Dialoge im gesamten Film auf eine einzige Zeile. Gerade hier hätte man eine Figur wie Gambit einbauen können, trägt dieser doch seine eigenen dunklen Geheimnisse mit sich herum. Viel mehr handfeste Action kriegt das Publikum dann auch nicht zu sehen, was angesichts der diesbezüglichen Steigerung in Brett Ratners X-Men: The Last Stand etwas beschämend ist.

Dabei eignen sich die X-Men aufgrund ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten doch so gut, um verschiedenste Kämpfe darzustellen. Aufgrund ihrer Quantität besteht nicht mal die Notwendigkeit jede Figur mit ihrer Historie einzuführen. Generell gebührt Singer Lob dafür, dass er es schafft, erfolgreich eine Geschichte zu erzählen, die um ein Dutzend Figuren konstruiert ist. Dennoch kommen dabei einige Figuren wie Lady Deathstrike, aber auch Pyro (Aaron Stanford) etwas zu kurz, obschon sie in vielen Einstellungen auftauchen. Hier wäre weniger mehr gewesen, trägt Rogue (Anna Paquin) zum Beispiel wieder einmal wenig bis gar nichts zur Entwicklung der Handlung bei, ähnliches lässt sich auch Iceman (Shawn Ashmore), Cyclops (James Marsden) und Storm (Halle Berry) vorwerfen.

Allgemein spielt das X-Men-Universum nur bedingt eine Rolle in Singers Verfilmungen, geht dieser doch sehr spielerisch mit dem Erbe Stan Lees um. Anstatt mit Kitty Pryde impliziert man eine tiefere Beziehung zwischen Rogue und Wolverine, zusätzlich befindet sich Rogue in einer Liebesbeziehung zu Iceman, wo dies in den Comics mit dem in den Filmen abwesenden Gambit der Fall ist. Auch familiäre Beziehungen (hier: die Mutterschaft von Mystique zu Rogue und Nightcrawler, später die Verwandschaft von Professor X und Juggernaut) werden außen vor gelassen. Dabei hätten diese Punkte X2 mehr Tiefe verleihen können, als sich auf Stryker zu fokussieren, der seinen Ursprung ohnehin mehr in einer Origin-Story von Wolverine hat, als im X-Men-Universum.

Zudem hat X2 an demselben Problem wie Hulk: zu knabbern: die Handlung ist zu komplex. Für eine Comic-Doppelausgabe von circa 80 Seiten funktioniert das fraglos einfacher, in einer Verfilmung fehlt dem Zuschauer jedoch die nötige Bindung zur Geschichte wie auch den betreffenden Figuren. Viel Lärm um Nichts wird erneut um Wolverines mysteriöse Vergangenheit gemacht, ohne dass man dieser auch nur einen Deut näher auf die Spur kommt. Künstlich werden Verbindungen zu Figuren wie Lady Deathstrike und Nightcrawler hergestellt, letzten Endes versucht, irgendwie auch noch die Antagonisten aus X-Men nunmehr als Verbündete in X2 einzubauen. Das alles mit zusätzlicher Gewichtung auf Cerebro, der bereits im ersten Teil zur Genüge gezeigt wurde.

Dem übergeordneten Thema des Rassismus wird im zweiten Teil wenig nachgegangen. Man baut zwar eine Drama-Szene zwischen Iceman und seiner Familie ein, die seinem Coming Out als Mutant dient. Nur dauert dies erstens zu lange und führt zweitens nirgendwo hin. Übertroffen wird das nur noch vom wenig überzeugenden Finale, in welchem sich Jean aus unerfindlichen Gründen für die Gemeinschaft opfert, obschon sie fünf X-Men (Nightcrawler, Storm, Iceman, Cyclops und Professor X) hätten retten können. Löblich, dass Singer hier die Plattform für die Geburt von Phoenix im dritten Teil bilden wollte, bloß entbehrt die Szene entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit. X2 ist also in vieler Hinsicht eine Verbesserung zu seinem Vorgänger, allerdings mit einigen Mängel im Drehbuch.

8.5/10

3 Kommentare:

  1. Erstklassig geschrieben. Ich find das "Drumherum", das Historische bei deinen Rezensionen übrigens auch immer ganz interessant und lesenswert. :)

    Zu "X2": Gefällt mir minimal besser als der erste, die vorläufige Trilogie hat dann aber mit dem dritten Abklatsch ihren Tiefpunkt erreicht, Stichwort "Showdown" beispielsweise. *würg*

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  2. WORD, genau meine Meinung. Zwar deutlich besser wie der erste Teil, doch die Story ist einfach zu komplex und vielschichtig geraten, als das sie zufriedenstellend hätte ausgeführt werden können. Naja, aber was Brettners "Vehikel" angeht, das war wirklich enttäuschend. Hätte Singer nur die Trilogie zu Ende gebracht und sich nicht dem ebenso enttäuschendem "Superman Returns" zugewandt :(

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  3. "X2" hat einfach das Glück von seinen interessanten Figuren, und seinen überdurchschnittlichen Schauspielern getragen zu werden. Zusammen mit den schönen Effekten wiegt da ein eventuell schwaches Drehbuch auch gar nicht so schwer. Wobei ich das im Übrigen auch nicht schlechter finde, als z.B. im ersten Teil.

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