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9. Juni 2017

Vorlage vs. Film: The Man in the High Castle

The Man in the High Castle (1962)

„Was wäre, wenn…?“ ist ein beliebtes Gedankenspiel, mit dem sich gerne alternative Realitäten erdenken lassen. Was, wenn man zu einer bestimmten Zeit nicht an einem bestimmten Ort gewesen wäre? Hätte man womöglich dann den Lebenspartner nie getroffen? Nie geheiratet, nie die gemeinsamen Kinder gezeugt? Kleine Veränderungen können den Unterschied machen, wie auch Domhnall Gleesons Figur eines Zeitreisenden in Richard Curtis’ Sci-Fi-Romanze About Time feststellen musste. Als er darin mit der Vergangenheit spielte, hatte sich bei der Rückkehr in die Gegenwart plötzlich das Geschlecht seines Kindes verändert. Weitaus drastischere Folgen zeigt derweil Philip K. Dick in seinem Kult-Roman The Man in the High Castle von 1962 auf.

In Dicks Alternativweltgeschichte ist das Attentat auf Franklin D. Roosevelt von 1933 erfolgreich. FDR stirbt und ist bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht US-Präsident. Die Nazis wiederum greifen im Gegensatz zur Historie hier doch die Radarstationen der RAF bei ihrer Invasion Englands an, sodass die Achsenmächte um Nazi-Deutschland, Japan und Italien den Krieg am Ende für sich entscheiden. 17 Jahre nach Kriegsende haben die Nazis und Japan die Welt unter sich aufgeteilt – bis auf die USA, die sich die Japaner an der West- und die Nazis an der Ostküste miteinander teilen. The Man in the High Castle – bei uns als Das Orakel vom Berge vertrieben – folgt nun fünf Figuren bei ihrem Alltag in dieser neuen, gefährlichen Welt.

Da ist einerseits der verdeckt in San Francisco lebende Jude Frank Frink, der sich als Schmuckhersteller selbstständig macht, nachdem er seinen Job in einer Fabrik für Replikate verloren hat. In derselben Stadt lebt auch der Antiquitätenhändler Robert Childan, der hauptsächlich an die japanischen Besetzer Artefakte der amerikanischen Kultur verkauft. Zur selben Zeit trifft mit Rudolf Wegener ein verdeckt einreisender Nazi in Kalifornien ein, der im Büro des japanischen Handelsministers Tagomi mit einem Mittelsmann von den Heimatinseln verabredet ist. In der neutralen Zone zwischen den beiden besetzten Gebieten lernt Franks Ex-Frau Juliana derweil den Italiener Joe Cindella kennen, der sie mit einer Alternativweltgeschichte bekannt macht.

“The Grasshopper Lies Heavy” heißt die Alternativweltgeschichte innerhalb Dicks eigener Alternativweltgeschichte. Konsequenterweise handelt sie wiederum davon, dass es die Alliierten waren, welche den Zweiten Weltkrieg gewannen. Der Mise-en-abyme-Aspekt der verschachtelten Geschichte ist sicher mit ein Grund für die Popularität von Dicks Roman. „Einer der allerersten großen amerikanischen SF-Romane“, nennt ihn der SF-Autor Kim Stanley Robinson im Vorwort der deutschen Ausgabe. Und begründet dies auch mit Dicks hier erstmals genauer Charakterzeichnung der Figuren in Verbund mit seinem üblichen Sci-Fi-Verfremdungseffekt. Mit The Man in the High Castle, so Robinson, zog Dick „ein ganzes Genre mit sich in die Höhe“.

Von der alternativen Historie erfährt der Leser nur am Rande: Dass die Nazis das Mittelmeer trockengelegt und in Kulturland verwandelt haben, der Holocaust mit der Bevölkerung des afrikanischen Kontinents fortgeführt wurde. Technisch hochgradig veranlagt fliegen die Flugzeugraketen der Nazis nicht nur innerhalb von 45 Minuten die Strecke Berlin-San Francisco, sogar auf dem Mars ist die Menschheit dank der Faschisten bereits gelandet. Speziell Robert Childan zeigt sich angetan von den Errungenschaften der Nazis, jedoch ist dies auch mit der innewohnenden Animosität der Amerikaner gegenüber den japanischen Besatzern begründet. Wider der Standesunterschiede will Childan, dass diese „ihn als Menschen“ akzeptieren.

Auch Frank schimpft über die Besatzungsmacht, ist jedoch – wie auch Ex-Gattin Juliana – völlig den von den Japanern eingeführten I Ging respektive Buch der Wandlungen verfallen. Dessen Orakelsprüche werden sowohl von Japanern wie Tagomi als auch den Frinks für jedwede Lebensentscheidung zu Rate gezogen. Während Frank in der Folge nach beruflicher Unabhängigkeit und Childan nach dem Respekt der Japaner strebt, versuchen Wegener und Tagomi einen neuerlichen Krieg zu verhindern, als in Deutschland plötzlich der kränkelnde Reichskanzler Martin Bormann verstirbt und ein Machtkampf um seine Nachfolge entbrennt. Juliana wiederum will mit Joe den Autor von “The Grasshopper Lies Heavy”, Hawthorne Abendsen, besuchen.

Dessen Alternativweltgeschichte hat trotz des identischen Ausgangs des Zweiten Weltkriegs kaum etwas mit unserer Realität gemein. Hier sind es die USA und Großbritannien, welche die Welt unter sich aufteilen. Die USA versorgen dabei jede asiatische Provinz mit Fernsehgeräten im Wert von $1, genauso wie mit Nahrung und Bildung. „Wohlstand für die ganze Welt“, beschreibt Joe an einer Stelle – ein zynischer Blick von Dick auf das US-amerikanische Selbstverständnis. Da die Handlung ausschließlich in der westlichen Hälfte der uns bekannten USA spielt, vermittelt der Roman keine direkten Eindrücke aus Nazi-Deutschland oder der besetzten Zone jenseits der „zeitgeschichtlichen“ Umstände, von denen die Figuren berichten.

Interessant sind dafür die Entwicklungen in Folge der neuen Weltordnung. So sind es die Japaner, die sich für die aussterbende amerikanische Kultur als Artefakte begeistern, gleichzeitig jedoch auch Wert auf asiatische Traditionen wie I Ging und Rikschas legen. Allerdings macht Dick nicht genug aus seiner Alternativwelt, fokussiert sich eher auf die Charaktere, die ebenso wenig vollends ausgearbeitet wirken, wie auch die jeweiligen Handlungsstränge am Ende allesamt ins Leere laufen, wenn Dick seinen Roman etwas abrupt beendet. Die Prämisse alleine ist natürlich faszinierend genug, sodass es nicht verwundert, dass The Man in the High Castle in 2015 von Amazon als Serie adaptiert wurde. Die verfügt jedoch quasi über dieselben Mängel.


The Man in the High Castle (TV, 2015– )

These may be dark years, but we’ll survive. We always do.

Ein Aspekt, der die Amazon-Serie von der Buchvorlage unterscheidet, ist das dramaturgische Momentum, welches ihr innewohnt. Fokussierte sich Dick eher auf die Charaktere im Setting, dreht die Show von X Files-Produzent Frank Spotzniz hier die Spannungsschraube nach oben. Das Herz der Serie ist dabei der amerikanische Widerstand gegen die Besatzungsmächte, dem im Verlauf der bisher produzierten zwei Staffeln zuerst Juliana (Alexa Davalos) und später auch Frank (Rupert Evans) beitreten. Der Widerstand ist der deutlichste Unterschied zur Vorlage, in der „sich die Frage nach der Überwindung der deutschen und japanischen Vorherrschaft überhaupt nicht [stellt]“, worin Kim Stanley Robinson „eine absichtliche Auslassung“ sieht.

Indem der Leser den Widerstand gegen die faschistischen Mächte erwartet, aber nicht geliefert bekommt, wird er orientierungslos zurückgelassen und muss andere Identifikationsmöglichkeiten finden. Spotznitz macht es den Zuschauern da leichter. Zu Beginn der Serie wird Juliana von ihrer Schwester Trudy aufgesucht, die ihr eine mysteriöse Filmrolle übergibt, ehe sie in einer Hintergasse San Franciscos von der japanischen Geheimpolizei, den Kempeitai, erschossen wird. Als sie zuhause die Filmrolle “The Grasshopper Lies Heavy” anwirft und darauf Nachrichtenmaterial sieht, das den Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg schildert, löst Juliana eine Ereigniskette aus, die das Leben der vorgestellten Protagonisten verändern wird.

In der Folge adaptieren Spotnitz und Co. manche Momente der Vorlage, während andere neu erdacht oder erweitert werden. So reist Juliana für den Widerstand in die neutrale Zone, wo sie den Film einem Kontaktmann geben soll. Stattdessen lernt sie dort Joe (Luke Kleintank) kennen, der verdeckt für die Nazis nach dem kursierenden Filmmaterial sucht. In San Francisco trifft der Nazi-Deserteur Rudolph Wegener (Carsten Norgaard) Handelsminister Tagomi (Cary-Hiroyuki Tagawa), während Antiquitätenhändler Robert Childan (Brennan Brown) versucht, die Anerkennung eines jungen japanischen Paares zu gewinnen. Frank hingegen gerät zum Spielball zwischen Julianas neuer Aufgabe und den Kempeitai um deren Leiter Kido (Joel de la Fuente).

Neben dem amerikanischen Widerstand gibt es zwei weitere deutliche Unterschiede in der Serie. Zum einen die Tatsache, dass die Idee der Alternativwelt kein Roman ist, der frei kursiert und mit dem die meisten der Figuren vertraut sind, sondern mehrere Filmrollen, die nur im Untergrund existieren, und deren Aufdeckung die Welt, welche die Figuren kennen, für immer verändern könnte. Eine etwas unausgegorene Idee, da sicher die meisten Menschen in der Welt der Serie sich die Frage gestellt haben dürften „was wäre, wenn wir den Krieg gewonnen hätten?“ – mit einem positiveren Ergebnis. Die Kraft, die im Aufdecken einer potentiellen alternativen Realität steckt, vermag The Man in the High Castle nicht plausibel zu erläutern.

Etwas erfreulicher ist, dass die Serie zum anderen den Blick auf das Leben an der Ostküste der USA gewährt, primär in Person der neuen Figur von Obergruppenführer John Smith (Rufus Sewell) und seiner perfekten Nazi-Familie. Smith leitet die Geschicke der Nazis in den USA und fungiert dabei als derjenige, der die Stricke von Joe kontrolliert. Zwar bietet Spotnitz etwas mehr Einblicke in die Nazi-Welt, allerdings bleiben auch diese nur an der Oberfläche. Wie diese Welt wirklich aussieht und funktioniert, wird kaum erörtert. Zuvorderst zeichnet sich die Macht der Nazis dadurch aus, dass überall, wo ein Swastika Platz findet, auch ein solches platziert wird. Von der Telefonzelle über Straßenschilder bis hin zu Beerdigungszeremonien.

Nur am Rande wird der alltägliche Wahnsinn des Nationalsozialismus thematisiert, so wundert sich Joe in der Pilotfolge über eine Aschewolke, ehe ihm jemand erklärt, sie entstamme der wöchentlichen Euthanasie-Verbrennung des nächsten Krankenhauses. Die Beschränkung auf wenige Set Pieces hängt sicher auch mit den Produktionskosten zusammen, obschon die Serie zumindest in der zweiten Staffel kurzzeitig Joe nach Berlin begleitet und dort etwas von den architektonischen Errungenschaften der NS-Diktatur mit der Kamera einfängt. Da passt es ins Bild, dass Hitler als Schlüsselfigur zwar vorhanden ist (im Roman vegetiert er mit Syphilis im Sanatorium vor sich hin), aber dennoch in der Handlung der Serie nicht wirklich präsent.

Die Faszination der Alternativwelt liegt weniger darin, überall Swastikas zu sehen, als Modell einer Welt zu sein, die durch einen anderen historischen Verlauf unterschiedlich zu der unseren ist. In dieser Hinsicht kann weder das Buch noch die Serie The Man in the High Castle überzeugen. Was die Show derweil noch etwas leidlicher macht, ist der Zwang, die Figuren in ein klar definiertes Gerüst zu zwängen. Der Drang Julianas, sich dem Widerstand anzuschließen, kommt aus heiterem Himmel, motiviert durch den Tod einer Schwester, zu der vorab keinerlei Beziehung aufgebaut wurde. Noch plötzlicher wird im Lauf der zweiten Staffel Frank zum Widerstandshelden stilisiert. Kurzum: Die Integration des Widerstands schadet der Show.

Das liegt auch daran, dass wir das, wogegen widerstanden wird, aus unserer Realität in die der Serie projizieren müssen. Denn The Man in the High Castle macht wenig bis keine Anstalten zu zeigen, wogegen sich die amerikanische Bevölkerung auflehnen müsste. Zwar sehen wir die Nazis und Japaner weitestgehend walten und schalten wie es ihnen beliebt, das unterscheidet sie in dieser Darstellung aber nicht grundsätzlich von anderen totalitären Regimen. Wenn da Tagomi in der zweiten Staffel von seiner in vermeintlich unsere Realität reist, ist der für ihn deutlichste Unterschied dann auch ein privater: seine Frau und Sohn leben noch und er selbst ist Großvater – wen auch das Familienbild erschüttert ist und bereinigt werden muss.

So tritt die Serie zu oft zu lange auf der Stelle, splittet die Figuren auf und lässt sie individuellen Nebenhandlungssträngen folgen, die kaum Interesse wecken. Zum Beispiel wenn Joe in Berlin das zerrüttete Verhältnis zu seinem Vater, einem Nazi-Oberen, kitten will und dabei eine Romanze mit einer eugenischen Schönheit (Bella Heathcote) beginnt. Oder wenn Juliana in New York mit einem Widerständler (Tate Donovan) einen angeblichen Atomschlag auf San Francisco verhindern will, den ihr Hawthorne Abendsen (Stephen Root) in einem seiner Filme einer der alternativen Realitäten gezeigt hat. Im Versuch, für alle Charaktere konstant die Spannung hoch zu halten, verliert sich The Man in the High Castle letztlich mehr und mehr in Belanglosigkeit.

Obschon also die Charaktere über der Prämisse stehen, bleiben sie alle weitestgehend blass. Die Serie ist um Ambivalenz bemüht bei der Zeichnung ihrer Nazi-„Helden“ wie Joe und Smith („Helden“ insofern, dass der Zuschauer ein aufrichtiges Interesse an ihnen aufbringen soll), unterfüttert dies aber nicht. Rudolph Wegener ist eine der wenigen Figuren, wo eine Persönlichkeit spürbar ist, die dem restlichen Ensemble fehlt, da es sich dem narrativen Konstrukt der Autoren unterzuordnen hat. Die von der Vorlage in die Serie übertragende Idee der Synchronitätstheorie, dass jedes Teilchen – hier die Figuren – mit allen anderen in Verbindung steht, als Gleichgewicht des Universums, ist zwar nett gedacht, aber eben auch enorm konstruiert.

Dick baut in der Vorlage den interessanten Aspekt der Historizität ein, dem Wunsch nach geschichtlichem Bezug. Ein Subplot beschreibt das Risiko gefälschter historischer Artefakte, wobei deren Historizität ohnehin eher psychologisch denn faktisch ist. Was ist wahr, was nur eingebildet? Die Alternativgeschichte von Abendsen spielt in ähnlichen Gefilden. Spotnitz – der die Serie Mitte der zweiten Staffel als Showrunner verließ – bauscht die Alternativwelt eher verschwörungstechnisch auf: als ein Mysterium und Schlüssel für ein besseres Verständnis der Serien-Welt. Oder gar Mittel zur historischen Kurskorrektur. Was wäre, wenn. Oder für die Zuschauer eher: Was wäre, wenn The Man in the High Castle eine bessere Serie wäre?

6/10

21. Februar 2016

Total Recall

I feel like I was meant for something more than this.

Tag aus, Tag ein immer dasselbe. Man steht auf, geht zur Arbeit, folgt stets derselben Routine. “Without questioning it”, klagt Fabrikarbeiter Doug Quaid (Colin Farrell). Sogar dieselben Plätze nehmen er und Arbeitskollege Harry (Bokeem Woodbine) täglich im Shuttle-Transport zur Arbeit ein. Das kann es nicht gewesen sein, vor allem, als Quaid erfährt, dass eine erhoffte Beförderung ausbleibt. Aus Frust sucht er Rekall auf, eine Firma, die falsche Erinnerungen ins Gehirn transplantiert. Quaid will einen Traum, in dem er mit einer mysteriösen Frau (Jessica Biel) als Geheimagent arbeitet, vertiefen. Nur scheint der Traum weniger Traum als subtile Erinnerung zu sein.

Wer alt genug ist, mag sich daran erinnern, dass diese Geschichte bereits erzählt wurde. Paul Verhoeven adaptierte 1990 Total Recall aus Philip K. Dicks Kurzgeschichte “We Remember It For You Wholesale”. Darin spielte Arnold Schwarzenegger den Bauarbeiter Doug Quaid, der von einer Mars-Reise träumte – ehe Mitarbeiter von Rekall feststellten, dass er diese bereits getätigt hatte. Als Spielball zwischen dem Mars-Gouverneur Cohaagen und dem subversiven Widerstand erlebt Quaid ein wildes Abenteuer auf einem fremden Planeten – oder womöglich doch nicht. Verhoeven ließ dabei offen, ob sein Film letztlich nicht vielleicht doch bloß ein Rekall-Implantat war.

Derartig verspielt gibt sich das 2012er Remake von Regisseur Len Wiseman keineswegs. Dies fängt bereits mit dem Beginn an. Wo Verhoeven eine simple, kurze Szene auf dem Mars zwischen Quaid und einer unbekannten Frau (Rachel Ticotin) inszenierte, setzt sich Wisemans einleitender Traum visuell nicht wirklich von der Realität ab. Und wirkt somit weitaus weniger als Traum, sondern ziemlich offensichtlich wie eine Erinnerung. Der restliche erste Akt folgt weitestgehend dem Originalfilm, verzichtet lediglich auf die Mars-Komponente und präsentiert dem Zuschauer eine dystopische Zukunft mit zwei Handlungsorten: der United Federation of Britain und der Kolonie.

Zumindest visuell macht die Kolonie – eine Blade-Runner-eske Interpretation einer asiatisch angehauchten Shanty Town – etwas her, nur verlagert sich die Handlung in der zweiten Filmhälfte in das sterilere Groß-Großbritannien. Im Remake ist Rekall weniger seriöse Firma als ein Hinterhof-Esoterik-Schuppen neben Straßen-Tattoo-Shops (hat aber das Budget, große Werbereklamen in der Kolonie zu schalten. Die Rekall-Implantation kommt nicht zu Stande, Quaid wird auf der Flucht zum Mörder und sieht sich Zuhause mit seiner Frau Lori (Kate Beckinsale) einer Agentin von UFB-Kanzler Cohaagen (hier: Bryan Cranston) konfrontiert. Erneut muss Quaid danach die Flucht ergreifen.

Wo Verhoeven nun den Plot auf den Mars verlagert, wo Quaids vorheriges Alter Ego ihn instruiert, Melina, jene mysteriöse Frau, aufzusuchen, um den Kontakt zu Rebellenführer Kuato herzustellen, substrahiert Wiseman den Mutanten-Subplot aus der Gleichung, folgt aber in der Struktur dem Original (wobei Kuato hier zu Matthias, gespielt von Bill Nighy, wird). Lebt die 1990er Version vom futuristischen Mars-Setting inklusive Mutanten, Johnnycab und “I got five kids to feed”-Benny (Mel Johnson, Jr.), verliert sich das Remake in seiner glanzlosen Darstellung einer mehrstöckigen Gebäudewelt. Verhoevens Film atmet durchweg Philip K. Dick, Wiseman äfft eher Minority Report nach.

Zugleich gerät das, was dem Zuschauer präsentiert wird, wenig interessant. Jede Actionszene besteht aus derselben Flucht von Quaid vor Lori (Wiseman verschmilzt in ihr Lori und Michael Ironsides Figur Richter), was sie repetitiv-ermüdend macht. Zudem wird Cohaagen mit einer suspekten Motivation ausgestattet. Zwar schwand gegen Ende meine Aufmerksamkeit, aber es wirkte so, als wolle er die Menschen in der Kolonie ausmerzen, und sie durch seine UFB-Dronen ersetzen. Aber die könnten an sich ja auch in Afrika oder Nordamerika hausen (?). Im Gegenzug präsentierte Verhoeven eine weitaus simplere Action und Handlung, die jedoch sehr viel spannender gerieten.

Wisemans Inszenierung ist trotz aller futuristischen Spielerei eine reichlich lieblos-sterile Angelegenheit. Weitaus ärgerlicher als die belanglose Action ist dabei sein ausuferndes Faible für Lens Flares. Die brechen in fast jeder Szene über einen herein, reißen dabei immer wieder aus dem Geschehen heraus und scheinen nahezu ein Eigenleben zu entwickeln. Total Recall vereint so viele Lens Flares in sich wie drei J.J. Abrams’ Filme – und das will etwas heißen. Was Remake und Original aber noch mehr unterscheidet, ist der Ton. Hier und da versucht Wiseman den süffisanten Humor der 1990er Version zu übernehmen (“It’s safe to say we’re separated”) – und scheitert.

Bei Verhoeven und Dick ging es um Dougs Identitätskrise und dem Wunsch nach mehr (“I want to do something with my life”). Rekall versprach hier “a vacation from yourself” – nur war der vermeintliche Kunde nicht die Person, die er zu sein schien. Der doppelte Boden des Rekall-Implantants fehlt im Remake gänzlich. “People are trying to kill you left and right, you meet this beautiful exotic woman (…) I don’t want to spoil it for you, but rest assured: by the time the trip is over you get the girl, kill the bad guys and save the entire planet”, nimmt im Original Rekall-Chef Bob McClane (Ray Baker) den Filmverlauf vorweg. Entsprechend offen lässt Verhoeven diesen enden.

Sein Total Recall ging auch um Vertrauen – oder dessen Mangel. Cohaagen traute der außerirdischen Technologie nicht. Melina vertraut Quaid, vormals Hauser, auch nachdem dieser als Schläfer enttarnt wird. Und Quaid vertraut letztlich seiner neuen Identität gegenüber seiner alten. Die 1990er Version überzeugt in allen Belangen, ist Actionreich und gewaltvoll, aber in kleinen Dosen. Dabei bleibt der Humor nicht auf der Strecke und sowohl visuell (Effekte, Make-up) als auch auditiv (Jerry Goldsmiths Musik) und mit seinem Ensemble (Sharon Stone vor ihrem Durchbruch in Verhoevens Basic Instinct zwei Jahre später) weiß Total Recall auf ganzer Linie zu überzeugen.

Was sich vom Remake nicht sagen lässt. Der talentfreie Handlanger Wiseman gibt sich besonders schlau (Farrell liest auf dem Weg zur Arbeit Ian Flemings The Spy Who Loved Me), zitiert fleißig das Original, hat dieses aber wie so viele Remake-Marionetten (siehe auch RoboCop) schlicht nicht verstanden. Es erstaunt immer wieder, dass Leute wie Wiseman, Brett Ratner oder McG weiterhin Jobs in Hollywood kriegen. Der Vorteil dieses Total Recall-Remakes ist, dass man es bereits beim Sehen vergisst, während man an die Klasse des Originals denkt. “Best memories I have”, lässt sich zum Verhoeven-Film ein Zitat des Remakes ummünzen. “A whole lot better than this shit.”

2.5/10

4. September 2007

Vorlage vs. Film: Minority Report

The Minority Report (1956)

Der Meister des Science-Fiction-Genres, Philip K. Dick, schrieb 1956 für das Fantastic Universe Magazin eine seiner vielen Kurzgeschichten. Diese sollte den Namen The Minority Report (Der Minderheiten-Bericht) tragen und ist z.B. in seiner Kurzgeschichtensammlung Der unmögliche Planet zu haben. Dick, ein Visionär seiner Zeit, welcher eigentlich immer die fortschreitende und dadurch bedrohliche Technologisierung, sowie die Drogenabhängigkeit der Gesellschaft in seine Geschichten einarbeitete, lebte in der Zeit des Kalten Krieges, weshalb auch der Konflikt West-Ost in vielen seiner (Kurz)Geschichten Einzug findet. So konstruiert Dick beispielsweise die AFWA, die Armee der Föderalen Westblock-Allianz, welche in der Geschichte von entscheidender Bedeutung sein wird.

John Anderton ist fünfzig, dicklich, beinahe kahl und Leiter einer Prä-Verbrechensorganisation, die zwar zur Regierung gehört, vom Senat jedoch unabhängig arbeiten darf. Prä-Verbrechen gelingt mit Hilfe dreier deformierter und geistig zurückgebliebener Präkogs Gewaltdelikte in der Zukunft ausfindig zu machen und diese präventiv zu verhindern. Die Präkogs liefern auf einer Visitenkarte die Namen von Täter und Opfer, sowie Ort und Zeit des Verbrechens. Mit dem jungen Ed Witwer wird Anderton schließlich sein Nachfolger zur Einarbeitung geschickt und damit beginnt für Anderton eine paranoide Flucht. Als er auf einer der Präkogkarten seinen eigenen Namen als Täter findet, sieht Anderton sich als Opfer eines Komplotts seiner Frau und Witwer. Doch bevor er fliehen kann, wird er von seinem vermeintlichen Opfer, Leopold Kaplan, entführt.

Seit fünf Jahren hat es in Amerika dank Prä-Verbrechen keinen Mord mehr gegeben, die Präkogs Donna, Mike und Jerry konnten immer die geplanten Taten vorhersehen. Die designierten Straffälligen werden in ein Straflager geschickt, wo sie keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellen können. Dieses gesamte Konstrukt ist das Herzstück von seinem Leiter John Anderton, der Existenzängste hat, da er durch sein hohes Alter eine Ablösung durch den jüngeren Witwer befürchtet. Nicht nur beruflich, sondern auch privat, verdächtigt Anderton doch seine ebenfalls jüngere Frau mit Witwer eine Affäre zu haben und in einem Komplott gegen ihn zu stecken. Zudem versteht Anderton auch nicht, wie er einen ihm unbekannten Mann ermorden soll und bei seinen Nachforschungen stößt er schließlich auf die Existenz der Minderheitenberichte, welche seine einzige Rettung sein können.

Die Geschichte dreht sich um Determinismus, was ist vorherbestimmt und was lässt sich ändern, inwiefern existiert ein freier Wille? Anderton kennt das System, scheint seine Lücken aber dennoch nicht zu verstehen, so erklärt er Witwer bei dessen Einarbeitung noch, dass Prä-Verbrechen Individuen erfasst, „die gegen keinerlei Gesetz verstoßen haben“ und das eine gewaltfreie Gesellschaft schließlich zu einem „Straflager voller Pseudoverbrecher“ führt. Man geht also gegen jemanden vor, der die Intention hat, etwas Schlechtes zu tun. Ähnlich wie die USA 2003 in den Irak einfielen, bevor dieser mit Atomwaffen gegen den Unterdrücker vorgehen konnte. Zu zweifeln beginnt Anderton erst, als er selbst auf der schwarzen Liste steht und schließlich muss er sich fragen was wichtiger ist, sein eigene Sicherheit oder die Sicherheit eines möglicherweise falschen Systems.


Minority Report (2002)

Everybody runs.

Wie so oft in Hollywood steht auch hinter der Verfilmung von Minority Report eine längere Historie. Ursprünglich hatten die Studiobosse diesen Film als Fortsetzung zu Paul Verhoeven’s Total Recall – welcher wiederum eine Verfilmung der Dickschen Kurzgeschichte We Can Remember It For You Wholesale (Erinnerungen en gros) ist – angedacht. Die Handlung sollte von New York City auf den Mars und Douglas Quaid zum Helden der Geschichte gemacht werden, die Regie hätte Jan de Bont übernommen. Dies ist mal wieder ein ausgezeichnetes Beispiel für hollywoodschen Größenwahn. Schließlich übernahm dann aber Altmeister Steven Spielberg die Regie und hatte endlich ein Projekt gefunden, dass er mit seinem Liebling Tom Cruise inszenieren konnte. Zuerst sollte Minority Report noch vor Artifical Intelligence (2001) entstehen, der damals vorgesehene Cast umfasste die Oscargewinner Cate Blanchett, Ian McKellen und Matt Damon, wobei letzterer Javier Bardem ersetzen sollte.

Für einhundert Millionen Dollar realisierte Spielberg dann das Skript von Scott Frank, welches den Hauptcharakter im ersten Entwurf noch Paul Anderson nannte, was dann aber wegen möglicher Verwechslungen zu Paul W.S. Anderson oder Paul Thomas Anderson in den ursprünglichen Namen John Anderton umgeändert wurde. Unverständlicherweise wurde die Figur des Ed Witwer in Danny Witwer umbenannt und aus den drei Präkogs Donna, Mike und Jerry wurde eine Hommage an drei Mysterie-Autoren: Agatha, Arthur und Dashiell. Der Hintergrund des Kalten Krieges und die AFWA wurden gelöscht, Prä-Verbrechen lediglich als Experiment auf Washington D.C. ausgedehnt. John Anderton ist auch keine fünfzig mehr und kahl, sondern wird von Tom Cruise als gut aussehender, agiler Enddreißiger dargestellt, während Witwer als kaugummikauender Besserwisser daherkommt. Eine weitere (un)wichtige Änderung ist die Tatsache, dass die Handlung sehr stark Agatha einarbeitet, die wie ihre beiden Kameraden weder deformiert noch zurückgeblieben ist.

Precrime ist eine amerikanische Einrichtung, welche durch die präkognitiven Fähigkeiten dreier Mutanten von Morden weiß, ehe sie geschehen. Geleitet wird Precrime von John Anderton (Cruise), welcher zu dem Projekt gestoßen ist, weil sein Sohn Sean vor sechs Jahren entführt wurde. Seinen Schmerz über den Verlust des Sohnes und die Trennung von seiner Frau versucht er mit Drogen zu kompensieren. Als mit dem Regierungsbeamten Danny Witwer (Colin Farrell) ein Prüfer eintrifft, der entscheiden soll, ob Precrime landesweit eingerichtet werden soll, gerät Anderton in die Zwickmühle, als er selber für den zukünftigen Mord an einem Mann verantwortlich gemacht werden soll, den er überhaupt nicht kennt. Anderton muss fliehen und findet schließlich über die Existenz sogenannter Minority Reports heraus, welche eine alternative Zukunft zeigen. Ebenjener Minderheitenbericht liegt versteckt im Kopf des Präkogs Agatha, welche Anderton nunmehr, immer seine Exkollegen im Nacken, versucht aus der Zentrale von Precrime zu befreien.


Neben den Namensänderungen von Witwer und den Präkogs wird die Figur des Militärgenerals Leopold Kaplan durch den Vater von Precrime, Lamar Burgess (Max von Sydow) ausgetauscht. Precrime ist hierbei bisher nur ein sechsjähriges Experiment und soll demnächst auf das ganze Land ausgedehnt werden. Spielberg beschränkt sich in seiner Filmversion die Präkogs nur noch Morde und keinerlei andere Verbrechen zu sehen, dafür gibt es diese Morde schick in Farbe an die Decke projiziert, die Ermittler können sehen, was die Präkogs sehen. Anderton wertet die Bilder anschließend an seiner Schnittstelle aus, auf eine Art und Weise, wie sie Spielberg von Johnny Mnemonic geklaut hat. Außerdem konzentriert sich die Geschichte mehr auf die Präkogs, bzw. eigentlich nur auf Agatha (Samantha Morton), ohne welche die anderen beiden Präkogs nutzlos sind. Agatha ist der Schlüssel der ganzen Geschichte und vereint die Schicksale aller Figuren miteinander.

Was Spielberg aus The Minority Report gemacht hat, lässt sich nur als mittlere Katastrophe beschreiben. Er entfernt sich von den zwischenmenschlichen und psychologischen Aspekten der Kurzgeschichte und inszeniert den Film als Sci-Fi-Abenteuer mit humoristischen Untertönen. Da läuft dann im Jahr 2054 immer noch die Serie Cops, Anderton rutschen in einer Szene seine entfernten Augen aus den Händen und kullern Richtung Schacht. Sein Highlight findet Spielberg in einer der Verfolgungsszenen, wo Anderton sich am Jetpack seines Exkollegen Fletcher festhält und in einen Wohnkomplex rast, wo der Jetpack dann die grillbereiten Hamburger einer Familie entflammt, während dazu die kitschige Musik von John Williams ertönt. Dieser fürs Mainstreampublikum angedachte Humor ist völlig fehl am Platze und geradezu lächerlich platziert, unterstützt von der immer unpassenden Musik von John Williams, dessen 0815-Score nicht zu dem von Spielberg ausgesuchten futuristischem Hintergrund passt. Selbst manche Einstellungen von Janusz Kaminski wirken unverständlich, allgemein ist die Kameraarbeit, die besonders durch ihr Lichtspiel einen zusätzlichen futuristischen Look erzeugt, aber noch das Beste am Film.

Ganz besonders schadet dem Film seine Visuellen Effekte, die absolut unnötig sind und teilweise ins Absurde abdriften, beispielsweise mit intelligenten elektronischen Spinnen. Hier gibt es kein Straflager, sondern die Pseudokriminellen werden kaltgestellt und wie Bücher in ein Regal verfrachtet, Anderton an anderer Stelle in Spielbergs selbsterklärter Lieblingsszene in ein Auto eingearbeitet. Die Spitze des Eisberges bekommt man dann serviert, wenn Agatha die alternative Zukunft von Andertons seit sechs Jahren verstorbenen Sohn schildert, obschon sie zu Beginn nicht mal den Aufenthaltsort eines designierten Mörders spezifizieren konnte. Dass Anderton zu einem kussgeilen Supervater mutiert, der seine Frau verliert, drogenabhängig wird und sich jeden Abend die kitschigen Urlaubsvideos seines Sohnes (I love you, daddy!) ansieht, unterlegt von Cruise’s debilen Zahnpastalächeln, hat überhaupt gar nichts mit der Handlung des Filmes zu tun, sondern entstammt wieder mal allein dem Hirn von Spielberg. Minority Report ist eine unlogische, unsinnige, unspannende und mitunter lächerliche Adaption von Dick’s Kurzgeschichte, welche all die interessanten und spannenden Elemente seiner Vorlage vermissen lässt. Ein Film ohne Sinn und ohne Herz (wodurch er sich hervorragend in das Oeuvre der letzten zehn Jahre von Spielberg eingliedert).

3.5/10

10. Juli 2007

Next

I've seen every possible ending. None of them are good for you.

Sie sind beliebt. Sie sind begehrt. Es handelt sich um die Geschichten des Autors und Visionärs Philip K. Dick. Einer der Großen des Cyberpunk-Genres, berühmt geworden durch Romane wie Ubik, The Three Stigmata of Palmer Eldritch oder A Scanner Darkly. Zudem war Dick auch Verfasser einiger Kurzgeschichten, darunter fallen auch Second Variety, Impostor, We Can Remember It For Your Wholesale und The Minority Report. Letztere wurden deswegen angeführt, da sie für Verfilmungen in Hollywood mit namhafter Besetzung führten, Second Variety und We Can Remember It For Your Wholesale dürften eher unter den Namen Screamers und Total Recall bekannt sein. Problematisch bei Dick-Verfilmungen sind immer die Erwerbungen der jeweiligen Rechte, die ähnlich wie bei den Tolkien-Nachfahren nur für horrende Summen herausgegeben werden. Abgesehen von der ersten Dickschen Verfilmung, Blade Runner (basierend auf dem Roman Do Androids Dream of Electric Sheep?), konnten die Nachfolger auch nicht so recht überzeugen. Meist scheiterten die Versuche bereits daran, die Geschichte zu korrumpieren, und wenn man von Dick die Geschichten nimmt, nimmt man praktisch alles. Am Ende kommt dann Chaoskino a la Minority Report heraus, das letztlich überhaupt nichts mehr zu bieten hat. Und wenn Hollywood dann die nächste Dicksche Verfilmung ankündigt, kann sich der Dick-Fan bereits darauf freuen, dass hier ein nächstes Debakel ansteht. Wenn das Projekt dann auch noch in der Regie mit Lee Tamahori besetzt wird, bräuchte man sich den Film nicht mal im Kino ansehen. Wie sehr der Neuseeländer seit Once Were Warriors abgestürzt ist, stimmt einen traurig. Dabei war sein Debütfilm so kraftvoll und von Leben erfüllt. Da wusste nur noch The Edge etwas anzuknüpfen, ohne am Ende vollends zu überzeugen.

Der Magier Cris Johnson (Nicolas Cage) ist mehr als nur ein einfacher Magier – Cris verfügt über die Fähigkeit zwei Minuten in seine persönliche Zukunft zu sehen. Dies macht ihn interessant für das Federal Bureau of Investigation und deren Agentin Callie Ferris (Julianne Moore). Eine ominöse Terroristengruppe (angeführt von Thomas Kretschmann) plant einen nuklearen Anschlag in den Vereinigten Staaten. Agentin Ferris möchte sich Cris’ Talent zu Nutzen machen und dem Wohle der nationalen Sicherheit unterordnen. Doch Cris will nicht, schließlich hat er unglückliche Erinnerungen an seine Jugend, in der er zum Versuchsobjekt degradiert wurde. Vielmehr will Cris die ihm unbekannte Liz (Jessica Biel) kennen lernen, von der er seit langem Visionen hat. Wegen des Interesses des FBI geraten Cris und Liz jedoch auch zur Zielscheibe der Terroristengruppe und plötzlich sieht sich Cris gezwungen, Ferris und ihren Männern zu helfen. Dies ist die Handlung des Filmes, die mit Dicks Kurzgeschichte The Golden Man kaum noch etwas zu tun hat. Und ironischerweise hat die Handlung auch relativ wenig mit dem ersten Drehbuchentwurf zu tun, der im Jahr 2004 aus der Feder von Gary Goldman (Total Recall, Big Trouble in Little China) entstand. In Dicks Kurzgeschichte ging es um den Mutante Cris, der in die Zukunft blicken konnte und eine goldfarbene Hautschicht hatte. Die Regierung versucht Cris gefangen zu nehmen, um ihn hinzurichten, da die genetische Evolution der Mutanten eine Gefahr für die übrige Menschheit darstellt. Dicks Geschichte ist jedoch weniger ein Plädoyer für die Mutanten – wie bei X-Men der Fall, sondern eher ein Pamphlet für deren Vernichtung, falls die Menschheit überlegen möchte. Schließlich wurde in seiner Handlung angedeutet, dass Cris’ Rasse die Menschheit auf kurz oder lang verdrängen könnte respektive würde.

Bereits in Goldmans Drehbuch war die Handlung stark abgewandelt. Der rassistische Unterton gegenüber Mutanten wurde entfernt, Cris selbst wurde zum mutierten Wolfskind mit übernatürlichen Fähigkeiten, statt seiner goldenen Hautfarbe. Ansonsten wurde das Hauptelement beibehalten, denn Cris wurde zum Interessenspunkt des Büros zur Nationalen Sicherheit. Diese wollten Cris quasi in ein Zimmer einsperren, um sich seiner Fähigkeiten zu bedienen. Als Gegenpol wurde die Figur von Liz eingeführt, die ebenfalls eine Mutantin war. In diesem Drehbuchentwurd schwängerte Cris Liz und begab sich schließlich in die Hände der Regierung, um die Sicherheit seines ungeborenen Kindes zu gewähren. Sicherlich handelte es sich bei The Golden Man um kein Meisterwerk des Sci-Fi-Genres, aber durch die Hereinnahme der Liebesgeschichte verlor das erste Skript zu Next noch mal an Kraft. Auch die Abänderung des Rassismus, der während Dicks Lebzeiten in den USA ja noch eminent war, nimmt der Geschichte etwas Präsenz. Doch wenige Monate später sollte das Drehbuch nochmals geändert werden, nachdem es bei Nicolas Cages Produktionsfirma Saturn Films landete und von Jonathan Hensleigh (Die Hard: With a Vengeance). Dieser brachte den unsäglichen Nebenplot um die Terroristen herein und nahm jegliche politische Brisanz aus dem Werk sowohl Dicks als auch Goldmans. Was am Ende dabei herauskam, war ein 70 Millionen Dollar teures Vehikel, welches mit Ach und Krach seine Kosten wiedereinspielen konnte, was jedoch hauptsächlich dem Ausland zu verdanken war, dass dreimal so viel das Kino besuchte, wie die Amerikaner selbst.

Im Endeffekt weiß Next nicht nur wegen der erneut kruden Frisur von Hauptdarsteller und Produzent Nic Cage zu schocken. Vielmehr stören die herben Drehbuchfehler beziehungsweise die darin enthaltenen Logiklöcher. Wieso kann Cris nur oder ausgerechnet zwei Minuten in die Zukunft blicken? Warum wird diese Zeit ausgedehnt, wenn er in Gegenwart von Liz ist? Und was hat es eigentlich mit den Terroristen auf sich, was wollen sie und wieso tun sie es? Mit den Fragen, die Next offen lässt, könnte man eine ganze Trilogie ausfüllen, denn die Terroristen taugen nicht als bloßer MacGuffin, wenn sie letztlich das sind, was bekämpft werden muss. Fraglich auch, wie das FBI sprich Ferris überhaupt auf Cris aufmerksam wurde. Nett sind zwar die Verweise auf Kubricks Dr. Strangelove und A Clockwork Orange, doch bilden diese lediglich die Ausnahme. Weiß der Anfang von Next noch halbwegs zu überzeugen und Cris’ Talent gebührlich zu zelebrieren, geht diese Eigenschaft bald flöten. Hilfreich unterstützt wird das vom wenig überzeugenden Schauspiel aller Beteiligten, wobei man dem Film zu Gute halten muss, dass er im englischen Original weit weniger dämlich daher kommt, wie es in der deutschen Synchronisation der Fall ist. Dennoch hätte man aus der Handlung und auch aus dem zumindest kreativ angehauchten Plottwist sehr viel mehr machen können, als es am Ende bei Tamahori der Fall war. An sich ist Next dabei wieder mal ein hervorragendes Beispiel, weshalb Dickscher Stoff nicht adäquat auf die Leinwand zu bannen ist. Seine oftmalige sozial-politische Kritik ist den Hollywood-Produzenten meist zu unbequem und wird für Entertainment-Plots geopfert. Wenn diese dann auch noch so miserabel ausgearbeitet werden wie hier, können selbst namhafte Darsteller wie Cage und Moore nicht mehr viel retten. Insbesondere da beide im Drama-Genre viel eher beheimatet und weitaus besser aufgehoben sind.

4/10

24. Mai 2007

A Scanner Darkly

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
(A Scanner Darkly, S. 256; Faust I, S. 39)

Romanverfilmungen sind immer so eine Sache, meistens gelingen sie nicht allzu gut, oft gelingen sie gar nicht. Eine der Ausnahmen für mich ist z.B. The Fellowship of the Ring, wo Jackson im Gegensatz zu den Fortsetzungen noch gute Arbeit geleistet hat. Richard Linklater hat sich bei A Scanner Darkly wohl eine der höchsten Meßlatten heraus gesucht, die es gibt: Philip K. Dick. Dick gehört zu meinen Lieblingsautoren und ist ohne Zweifel einer der genialsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Das Problem ist, dass Dick's Romane sehr futuristisch sind und zudem sehr komplexe mindfucks. Dies lässt sich m. E. filmisch nicht umsetzen, bzw. nicht genug umsetzen, um Dick zu entsprechen. Und wenn man es nicht schafft dem Roman zu entsprechen, sollte man ihn auch nicht verfilmen.

Linklater erzählt in seiner bereits in Waking Life verwendeten Technik des Rotoskop-Verfahrens, wo reale Bilder am Computer übermalt werden, die Geschichte des Undercover-Polizisten Bob Arctor (Keanu Reeves), welcher seine Junkie Freunde Donna (Winona Ryder), Luckman (Woody Harrelson) und Charles Freck (Rory Cochrane) ausspionieren soll, während ein weiterer Freund von ihm, Jim Barris (Robert Downey Jr.), ihn bei seinem Chef anschwärzt. Das Rotoskop-Verfahren ist auch gewöhnungsbedürftig, bei Waking Life fand ich es noch ganz passend, in A Scanner Darkly hat es mitunter gestört. Man würde meinen, dass auf diese Weise dargestellte "unreale" Bilder besser zu Dick's Story passen, jedoch verschwimmt die Handlung dadurch viel zu sehr, weswegen es besser gewesen wäre, die geschossenen Bilder nicht auch noch zu übermalen und wenn, dann nur in einzelnen Szenen.

Fehlbesetzt ist der Film dazu auch noch. Rory Cochrane besonders und Woody Harrelson zum Teil betreiben nerviges overacting, während Winona Ryder und Keanu Reeves unmotiviert und gelangweilt wirken, vielleicht sind sie auch einfach nur überfordert. Donna und Arctor sind die beiden komplexesten Figuren in A Scanner Darkly und Linlater wäre gut beraten gewesen, Charakterdarsteller für diese Rollen zu besetzen. Spontan fielen mir für Ryder's Figur Juliette Lewis und Marisa Tomei ein, welche Donna mehr Leben eingehaucht hätten, bei Arctor wären wohl Johnny Depp oder Jim Carrey die bessere Wahl gewesen. Der einzige der in seiner Darstellung überzeugt, ist Robert Downey Jr., welcher der Figur des egozentrischen und paranoiden Barris sehr gerecht wird.

Ein Thema zieht sich durch alle Geschichten von Dick: die fortschreitende Technologisierung. Oft sind auch Drogen ein zentrales Thema seiner Arbeiten, neben A Scanner Darkly insbesonders The Three Stigmata of Palmer Eldritch. Das lässt sich aus Dick's Zeitverständnis herleiten, schrieb er seine Arbeiten während der 60er und 70er Jahre, in der Zeit von Drogenfesten und Kaltem Krieg. Dabei ist A Scanner Darkly sein persönlichstes Werk, trägt es doch semiautobiographische Züge und Dick brach es nach eigener Aussage das Herz, als er das Buch schrieb, beschreibt er darin schließlich seine eigene Kommune, seine eigenen Freunde. Philip K. Dick "war" Bob Arctor und hat selber die meisten seiner Freunde an Drogen verloren.

Das zentrale Thema des Romans verkackt Linklater im wahrsten Sinne des Wortes im Film, nämlich was Drogen bei Menschen angerichtet haben und immer noch anrichten. Wie Fred am Ende nicht mehr zwischen Fred und Bob unterscheiden kann, geht im Film völlig verloren. Dick selber schrieb in einem Nachwort zu A Scanner Darkly: "Drogenmißbrauch ist keine Krankheit, sondern eine Entscheidung, vergleichbar mit der Entscheidung, vor einem heranrasenden Wagen hinaus auf die Fahrbahn zu treten". Diese Botschaft geht im Film verloren, weil Linklater nur die (tragisch) lustigen Szenen des Romans zusammenbastelt, damit der Zuschauer unterhalten wird. Dick's Romane lassen sich einfach nicht gebührend verfilmen, am gelungensten ist da wohl noch Blade Runner. Linklater verhebt sich bei seinem Verusch aber eindeutig und Lee Tamahori's Next, das ebenfalls auf einer von Dick's Kurzgeschichten basiert, ist wie John Woo's Paycheck auch gefloppt. Hollywood sollte endlich lernen, dass man die Finger von Dick zu lassen hat.

5.5/10