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10. Dezember 2016

Westworld – Season One

Doesn’t look like anything to me.

Dass Fernsehserien durchaus mal Meta-Elemente integrieren, ist keine Seltenheit. Wenn sie wie Westworld jedoch nahezu komplett auf Selbstreferenzialität gründen, dann durchaus. In der TV-Adaption von Michael Crichtons Original sucht die Mehrheit der Menschen den Western-Themenpark Westworld für eine leere Show-Illusion voll von Sex und Gewalt auf. Somit repräsentiert Westworld im Prinzip den Westworld-Sender HBO, dessen Programm seit Jahren um die nackten Körper von Frauen und Gewaltorgien von Männern aufgebaut ist. Sei es True Blood oder Game of Thrones. Ein Phlegma des Senders, dem im Laufe seiner Ausstrahlung auch Westworld nach äußerst vielversprechendem Beginn zunehmend verfällt.

Jonathan Nolan, kleiner Bruder von Christopher Nolan, erzählt mit seiner Gattin Lisa Joy die Geschichte des von Robotern bevölkerten Themenparks, in dem die Attraktionen mit der Zeit ihre Besucher attackieren. Das Konzept der lebensecht wirkenden Roboter fußt auf der Arbeit von Gründer Robert Ford (Anthony Hopkins), der jedoch in seinem Park schon länger die Leitung einem Aufsichtsrat und dessen Marionette, Theresa Cullen (Sidse Babett Knudsen), überlässt. Gemeinsam mit Programmierungsleiter Bernard (Jeffrey Wright) bemüht Ford sich, die Roboter zu optimieren. Und noch natürlicher wirken zu lassen. Einer von ihnen, Dolores (Evan Rachel Wood), beginnt derweil, sich seiner Existenz in einer Zeitschleife gewahr zu werden.

Neben dem Aspekt der gegen ihr Publikum aufbegehrenden Park-Attraktionen, dem sich Michael Crichton auch in Jurassic Park widmete, dreht sich Westworld vor allem um die Frage der Menschlichkeit. Und dies in mehrerer Hinsicht. Was unterscheidet den Mensch von Fords Schöpfungen? Die Serie spielt gerade zu Beginn damit, dass nicht immer klar ist, ob die Figur, die wir gerade sehen, ein Besucher oder Darsteller des Parks ist. Selbst wenn Westworld sich wenig darum schert, diese verwischte Grenze von seinen zahlreichen Charakteren selbst ausloten zu lassen. Zumindest die Gäste scheinen sehr wohl direkt zu wissen, bei wem es sich im Park um einen Roboter handelt und nicht vielmehr um einen anderen Besucher.

Verletzen können die Darsteller des Parks nur sich selbst, nicht jedoch die Besucher. Doch die Waffen, derer sich Letztere in Westworld bedienen, sind durchaus echt. Was also, wenn ein Besucher denkt, er verletzt zum Spaß einen Darsteller, nur um dann letztlich einen anderen Besucher in Gefahr zu bringen? Nolan und Joy interessieren sich für diesen Aspekt nicht und leider im Verlaufe der ersten Staffel auch immer weniger für das faszinierende Element der sich anbahnenden künstlichen Intelligenz der Park-Darsteller. Stattdessen werden in Lost-Manier Mysterien eingeführt und offene Fragen in den Raum geworfen, um ganz bewusst unter den Zuschauern fortan die Spekulation und Diskussion anzuregen. Dies jedoch zu Lasten der Serie.

Westworld teilt sich hierbei in zwei Teile, wenn man so will. Der nahezu perfekte Auftakt The Original gefolgt von der starken Folge Chestnut sowie den folgenden acht Episoden, die sich immer mehr von der brillanten Premiere entfernen, ehe sie im aufgeblasenen Finale The Bicameral Mind (vorerst) ihr Ende finden. The Original fokussiert sich primär auf Dolores und ihren wiederkehrenden Alltag in einem Aufbau, der entfernt an Peter Weirs Meisterwerk The Truman Show erinnert. In The Dolores Show, wenn man so will, verlebt Evan Rachel Woods Charakter – eine junge Farmerstochter, die jedoch entgegen ihres Erscheinungsbildes der älteste Darsteller im Park ist – ähnlich wie Bill Murray in Groundhog Day immer wieder denselben Tag.

“Any day the course of my whole life could change with just one chance encounter”, wiederholt Dolores, was ihr der Drehbuchschreiber des Parks auf die Festplatte geschrieben hat. Als damsel in distress wird sie dabei entweder vom vermeintlichen love interest Teddy (James Marsden) gerettet oder von jedem x-beliebigen Besucher, der sich dieser Storyline annehmen will. So auch William (Jimmi Simpson), der mit seinem Schwager-in-spe Logan (Ben Barnes) den Park besucht. Logan war bereits in Westworld, wie so viele andere Besucher, denen wir begegnen. Darunter auch ein ominöser Man in Black (Ed Harris), der seinen ganz eigenen Erzählstrang zu weben beginnt, nachdem er den Park bereits seit rund 30 Jahren besucht.

In gewisser Weise ist Westworld dabei eine Show über Grenzen. Die Menschheit hat ihre schöpferische Grenze erreicht, laut Ford alle Krankheiten geheilt (auch wenn Bernards Sohn vor vielen Jahren dennoch einer erlag). “This”, resümiert Ford in einer Szene hinsichtlich seiner Roboter und des gesellschaftlichen Status quo, “is as good as we’re gonna get.” Der Mensch, hier in Person von Ford und seinem vor langer Zeit verstorbenen Partner und Mitgründer Arnold, ist zum Gott geworden, der etwas nach seinem eigenen Angesicht schuf, das nun kurz davor steht, ein Bewusstsein für sich selbst zu entwickeln. Auslöser hierfür scheint ein Mimik-Update von Ford zu sein, mit dem 200 Darsteller, etwa ein Zehntel des Parks, bespielt wurden.

“A fucking shitstorm”, nennt es Theresa später, als einer der Darsteller jenseits seiner Programmierung am Rad dreht. Und selbst Bernard räumt ein, das Verhalten sei “miles beyond a glitch”. Die Grenze zwischen dem, was den Mensch zum Mensch und den Roboter zu bloßen Bits and Bites macht, beginnt zu verwischen. Mit den Anfang macht Dolores’ „Vater“, als er auf einen Hinweis der Welt jenseits des Parks stößt. “I had a question. A question you’re not supposed to ask”, berichtet er später Dolores. “Which gave me an answer you’re not supposed to know.” Er ist einer der ersten, die den wiederkehrenden Kreislauf zu durchbrechen scheinen. Und Kreisläufe sind das, was Westworld letztendlich auszumachen scheinen.

Wie jede gute Show beginnt auch die des Parks immerzu aufs Neue. “Out of repetition comes variation”, meint Bernard später. Im Umkehrschluss scheint aber auch aus Variation wiederum Repetition zu kommen, wenn man sich Logan ansieht. Während er sich im schwarzen Kostüm in Westworld eher austoben will, strebt der ideellere William mit weißem Cowboy-Hut nach Heldentaten. “There’s no such thing as heroes and villains, it’s just a giant circle jerk”, sagt Logan. Westworld dreht sich darum, dass sich die Besucher ausleben können. Einer Fantasie hingeben. “The only limit here is your imagination”, erklärt Park-Hostess Angela (Talulah Riley) daher Neuling William bei seiner Ankunft. “How far you want to go is entirely up to you.”

“How far” scheint hierbei für viele, besonders die männlichen Gäste, auf Sex und Gewalt hinauszulaufen. Vermutlich alle der Frauen-Darsteller wie die Bordell-Besitzerin Maeve (Thandiwe Newton) sind darauf ausgelegt, sich bei Bedarf willig zu geben. Notfalls sind aber sicher auch Vergewaltigungen im Eintrittspreis enthalten. Die Roboter werden dabei nach Belieben erschossen, erdrosselt oder erstochen – und später in einer Werkstatt für den nächsten Tag wieder restauriert. Mit einer perversen Lust erfreut sich da in The Original beispielsweise ein Besucher-Paar, als sich einer der Desperado-Darsteller (Rodrigo Santoro) und seine Komplizin (Ingrid Bolsø Berdal) „sterbend“ im Dreck winden, nachdem sie beide erschossen haben.

Nur selten beziehungsweise zu selten konfrontieren Nolan und Joy die menschlichen Besucher mit ihrem Verhalten gegenüber den Robotern. Was umso verwunderlicher ist, da Dolores, Maeve und Co. eben in der Tat so menschlich aussehen und agieren wie es ihnen möglich erscheint. Dennoch werden die Darsteller eher wie Objekte behandelt, was angesichts ihrer identischen Anatomie mit den Park-Besuchern etwas ungewöhnlich erscheint. So ist es lediglich William, der allmählich beginnt, vom Bewusstsein von Dolores überzeugt zu werden. Doch hier findet sich eine weitere Crux der Show, denn wie schon Alex Garlands Ex Machina zuletzt reduziert Westworld seine künstliche Intelligenz letztlich primär auf das rein Sexuelle.

Wo die Faszination von Domhnall Gleesons Figur in Ex Machina darauf fußte, dass Alicia Vikanders Roboter auf Basis seiner Pornografie-Chronik gebaut wurde, wirkt auch Williams Unterstützung für Dolores weniger glaubhaft, da er Gefühle für sie entwickelt. Ähnlich wie in den Sex-Akten der anderen Besucher scheint niemandem bewusst zu sein, dass der Roboter, mit dem sie sich auseinandersetzen, keinerlei Sexualität besitzt. Die Faszination von Gleeson in Ex Machina oder Jimmi Simpson in Westworld an den künstlichen Intelligenzen basiert also nicht (nur) auf der künstlichen Intelligenz selbst, sondern auf der weiblichen Verpackung, in der sie daherkommt. Selbst wenn darunter prinzipiell dasselbe Gerüst steckt, wie bei männlichen Robotern.

Sowohl Ex Machina als auch Westworld opfern also einen interessanten Diskurs über die Beziehung von Mensch und künstlicher Intelligenz einer generischen Romanze nach traditionell-konservativem Rollenbild. Dies wiederum auch noch eingebettet in eine Geschichte, die sich mit fortschreitender Dauer immer mehr in ihre aufgeworfenen Fragen zurückzieht. Wer ist der Man in Black und was ist seine Agenda? Welche Motive treiben Ford an und können er und Bernard sich gegenüber Theresa und dem Aufsichtsrat der Park-Eigentümerfirma Delos behaupten? Werden es die Roboter wie Dolores und Maeve schaffen, sich ihrer Situation bewusst zu werden und wenn ja, wie und welche Konsequenzen wird dies haben?

Westworld opfert also im Prinzip das Interessante für das Gewöhnliche. Und wird dadurch auch nicht besser, dass es hierbei als versuchte Spannungsschraube selbst auf Repetition zurückgreift. Gerade in der zweiten Hälfte der Staffel langweilen die Road Trips durch den Park von William und Dolores sowie der des Man in Black nur noch, wie auch Maeves Bestrebungen, sich aus ihrer Lage zu befreien, immer wiederholen, während Hopkins’ Ford mit seinem müd-milden Blick den machiavellistischen Intrigen seines jeweiligen Gegenüber begegnet. Dass dann vermeintliche Twists bereits ab Mitte der Staffel absehbar sind, aber dennoch erst im Finale „aufgelöst“ werden, ist da nur umso ärgerlicher und anstrengender.

Insofern ist die Selbstreferenzialität von HBO’s Westworld natürlich keine gewollte, aber gerade hier hätte Potential gelegen, indem der Sender seine eigenen Probleme oder die, die er sich selbst durch seine Zuschauer (ähnlich wie Westworld mit seinen Besuchern) auferlegt, zum Thema macht. Dass Westworld als Erlebnispark dabei keinen rechten Sinn macht, wird da ironischerweise auch nur Ed Harris’ Figur nach drei Jahrzehnten des Besuches gewahr. Denn die Erfahrungen im Park können insofern nicht real sein, da sie ohne Konsequenzen sind. Wie aufregend ist eine Schießerei mit einer Bande Desperados, wenn deren Kugeln an einem Abprallen wie an Schwarzeneggers Terminator? Wenn man ein Gott unter Menschen ist?

Auch einen Blick jenseits des Parks lässt die Show nicht zu, deutet lediglich mit der Backstory des Man in Black kurz an, welche Diskrepanz zwischen dem Verhalten der Besucher in Westworld und außerhalb herrscht. Die Psychologie, die dahintersteckt, also raubend, vergewaltigend, mordend lebensechte Roboter heimzusuchen, ist für Nolan und Joy nicht existent. Ein Abstumpfungsaspekt, der als eine Überspitzung der Gewaltspieldebatte verschenkt ist. Denn 2D-Computerfiguren auf dem Bildschirm zu erschießen ist nochmals etwas anderes als ein Messer in ein lebensechtes Kind zu rammen, während man ihm beim Verbluten zuschaut. Was ihr Verhalten im Park für die Besucher in der realen Welt bedeutet, bleibt leider offen.

Dasselbe ließe sich auch für die Roboter sagen, sobald diese mehr und mehr Bewusstsein erlangen. Die Realität und ihre Diskrepanz zur vermeintlichen „wahren“ und rückständigen Welt der Park-Bewohner wird bei Seite gewischt für 0815-Actionorgien. Was bei Genre-Filmen aufgrund der begrenzten Laufzeit noch nachvollziehbar wäre, wird hier zur weiteren verschenkten Möglichkeit. Wo wenn nicht in einer 10-Stunden-Erzählung bestünde Raum, um darzulegen, was es bedeutet, wenn die Wirklichkeit, an die man im einen Moment noch glaubte, plötzlich Fiktion oder zumindest Vergangenheit ist? Und wie dramatisch muss der Sprung vom Wilden Westen in eine futuristische Landschaft sein, voll mit Technik, die einem unbekannt ist?

Westworld bedient sich vieler interessanter, faszinierender und spannender Ansätze, nutzt diese aber lediglich als Aufhänger für das übliche Sortiment des HBO-Warenregals. Das ist aufgrund der Ausstattung, Effekte und des durchaus überzeugend aufspielenden Ensembles keineswegs ein Totalausfall, am Ende aber nur Durchschnittsware, die trotz ihres enormen Potentials nie vollends zu überzeugen weiß. Die Ausnahme bildet The Original, eine Folge so gelungen, dass man im Prinzip Westworld hätte nach ihr beenden können und dennoch wäre alles gesagt. Nur hätte man dann eben auf entblößte Brüste und spritzendes Blut verzichtet. Sich davon zu trennen ist HBO, so scheint es, um der Show Willen bislang doch noch nicht bereit genug.

7/10

18. Februar 2010

The Box

Are you for real?

Am Donnerstag, den 16. Dezember 1976, schaltet in Richmond, Virginia ein Wecker auf 5:45 Uhr. Ein Moment, der das Leben von Norma (Cameron Diaz) und Arthur Lewis (James Marsden) für immer verändern wird. Norma hört Geräusche, schreitet die Treppen herab zu ihrer Haustür und findet ein Paket vor. In diesem befindet sich eine Box, in der wiederum ein in einem Holzrahmen gefasster Knopf. Ein Zettel verweist auf eine Kontaktaufnahme durch einen gewissen Mr. Steward am späten Nachmittag. Als Norma um 17 Uhr zur Tür gerufen wird, erwartet sie jener Arlington Steward (Frank Langella), dem ein Teil seines linken Kiefers fehlt. Steward erklärt, die Box sei ein Angebot, das 24 Stunden gilt. Drücken Norma und Arthur in dieser Zeit den Knopf, erhalten sie tags darauf eine Million Dollar. Dafür wird im Ausgleich irgendwo eine Person sterben, die das Ehepaar nicht kennt.

Bei diesem Szenario handelt es sich um eine Prämisse aus der Psychologie, auf die Richard Mathesons Ehefrau einst aufmerksam wurde. Und die ihr Mann 1970 in seiner Kurzgeschichte Button, Button literarisch verarbeitete. Eine Handlung, wie geschaffen für die Fernsehserie The Twilight Zone, die Mathesons Kurzgeschichte 1986 in einer gleichnamigen Folge adaptierte. Wie seine Geschichte The Twilight Zone inspirierte, so tat sie dies auch beim jugendlichen Richard Kelly. Der sah sich bisher mit den zwei Seiten der Hollywoodmedaille konfrontiert. Für sein Debüt Donnie Darko hochgelobt, wurde Kelly fünf Jahre später für Southland Tales in Cannes ausgebuht. Eine ungewohnte Situation für einen jungen Regisseur, den man plötzlich für jene Skurrilität verdammte, die man einige Jahre zuvor noch als Genie titulierte.

Wenig Menschen vermochten etwas mit Southland Tales anzufangen, andere befanden Kellys apokalyptische Sozialsatire als weiteren Geniestreich. Wo sowohl Donnie Darko als auch sein Nachfolger von ihrer Undefinierbarkeit lebten, die es dem Zuschauer überließ, aus den Geschichten herauszulesen, was sie wollten, stellt The Box nun in gewisser Hinsicht eine Kehrtwende dar. Zwar führt Kelly Mathesons Prämisse selbstständig fort, grundsätzlich bleibt es aber eine Adaption. Vielleicht präsentiert Kelly daher seinem Publikum nicht nur Mysterien, sondern auch Erklärungen. The Box erscheint bisweilen wie ein Hybrid aus einem echten Richard-Kelly-Film und dem Versuch, sich der Kinomasse anzubiedern. Denn nach 75 Minuten endet der zweite Akt von The Box mit dem letzten bisschen von Kellys eigener Handschrift.

Würde das Bild nicht weiterlaufen, wäre man gewillt aufzustehen und zu gehen. Man hat keine wirklichen Antworten bekommen, wird sich selbst überlassen. Wie man es von Kelly kennt. Doch The Box geht an dieser Stelle noch eine halbe Stunde weiter. Versucht eine Erklärung für die Mysterien zu bieten und an seinen Anfang zurückzukehren. Und verkommt nach einem zuvor unzufriedenstellenden zweiten Akt zu einem Finale, das auch von M. Night Shyamalan hätte stammen können. Die Ereignisse überschlagen sich, Kelly präsentiert ein paar unsinnige Bilder und verlagert das Geschehen schließlich an das Ende des Weges, auf den er das Publikum gut anderthalb Stunden eingeladen hat. Zu diesem Zeitpunkt fühlt sich The Box bereits nicht mehr wie ein Film von Richard Kelly an. Eher als hätten Shyamalan und Roman Polanski gemeinsam einen mysteriösen Sci-Fi-Thriller gedreht.

Dabei beginnt der Film mit einer spannenden Exposition. Man bekommt mit, wie die Schulgebühren von Normas Sohn erhöht werden und wie Arthur aus einem Astronautenprogramm der NASA ausscheidet. Ein ernstes finanzielles Problem, lebt die Familie doch über ihrem Niveau. Im Nachhinein die perfide Ausgangsbasis für Stewards Angebot. Bei Matheson wurden Norma und Arthur lediglich $50.000 angeboten. Wie verführerisch müssen sich da erst eine Million Dollar anfühlen? Es heißt immer: Jeder Mensch hat seinen Preis. Und hier kommt die psychologische Komponente ins Spiel. Würde man für eine Million Dollar das Leben einer anderen Person opfern, die man zum einen nicht kennt und deren Tod man zum anderen nicht mitbekommt? “Everbody dies”, entgegnet Arthur in einer Szene gegenüber Norma.

Bei der liebevollen Einführung seiner Figuren verliert sich Kelly in eben deren Darstellung. Basierend auf seinen eigenen Eltern erhält Norma den rechten Fuß von Ennis Kelly, an dem vier Zehen amputiert werden mussten, als diese im Teenageralter war. Arthur wiederum arbeitet wie Lane Kelly für die Viking-Mission der NASA und baut seiner Frau selbstständig eine Prothese. Viele nette Momente und Referenzen an die eigenen Eltern, die aber für The Box völlig unerheblich sind. Die Zeit, die Kelly hier opfert, versucht er im Finale wieder wettzumachen. Einige Unverständlichkeiten dürften auch daher resultieren, dass manche Szenen für die endgültige Fassung geschnitten wurden. Zwar platzierte Kelly sie nicht auf der DVD und Blu-ray, jedoch zeigt der Trailer, dass mehr als eine Einstellung der Schere zum Opfer fiel.

Letztlich ist The Box vielleicht nicht so sehr per se eine Enttäuschung, aber wenn man bedenkt, dass der Film von Richard Kelly ist. Der interessanten Prämisse widmet er sich im Nachhinein nur sporadisch, das Szenario verkommt zum Aufhänger für ein Psychospiel zwischen Steward, dessen „Angestellten“ und dem Ehepaar Lewis. Der Sinn, der hinter all dem steckt, ist dabei so profan wie einfallslos. Das Mysterium hinter Steward, von dem man per Texttafel bereits zu Beginn erfährt, dass er nach einem Brandunfall von den Toten auferstanden ist, wirkt ausgesprochen altbacken. Während Langella den Part mit ruhiger Routine porträtiert, will man sich an eine überschminkte und verschreckte Cameron Diaz mit reichlich dickem Südstaatenakzent nicht so recht gewöhnen. So ist The Box ein Mystery-Thriller, der leider nur im ersten Akt und danach bloß gelegentlich zu gefallen weiß. Die Auswirkungen auf Richard Kellys Karriere bleiben abzuwarten.

4.5/10

8. August 2008

Enchanted

The steel beast is dead, peasants! I've set you all free!

Seit gut über achtzig Jahren gibt es sie: die Werke von Walt Disney. Angefangen hatte alles mit der erfolgreichen Serie Alice Comedies in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dieser Serie folgte schließlich Oswald the Lucky Rabbit, ein nicht minderer Erfolg. Im Jahre 1927 erschuf die zwiespältige Persönlichkeit seine Charakterfigur Mickey Mouse, später folgten noch Donald Duck, Goofy und die anderen Gesellen aus Disneys Kindertruppe. Hier begründete sich sein Erfolg, der ihn zum einflussreichsten Kindererzähler der westlichen Welt machen sollte. Nicht weniger einträglich als seine Truppe um Mickey & Co. sollten Walt Disneys Kinofilme werden, die oftmals bekannte Märchen aufgriffen, aber auch neue Geschichten auf die Leinwand transferierten. Hierbei markierte Snow White and the Seven Dwarfs 1937 die erste dieser Disney Märchen. Diese Erfolgsgeschichte sollte in den fünfziger Jahren mit Filmen wie Cinderella (1950), Lady and the Tramp (1955) und Sleeping Beauty (1959) weitergehen. In den sechziger Jahren ging der Erfolg dank Mary Poppins (1964) und The Jungle Book (1967) nahtlos weiter.

In den Siebzigern und Achtziger konnte das Studio nach dem direkten Tod von Disney nicht ganz an die früheren Erfolge anknüpfen, Werke aus diesen zwei Jahrzehnten sind beispielsweise Robin Hood (1973) oder Oliver & Company (1988). Ein Jahr später sollte die neue Ära von Disney Filmen beginnen, The Little Mermaid (1989) läutete eine neue Erfolgswelle ein, die mit Beauty and the Beast (1991), Aladdin (1992) und The Lion King (1994) ihren Höhepunkt erreichen sollten. Disney war schließlich auch das erste Studio, welches – gemeinsam mit Tochterfirma Pixar – durch Toy Story auf reine, digitale Filme setzen sollten. Die Abkehr vom 2-D-Zeichenstil war begonnen und manifestiert sich in der heutigen Zeit, in der Pixar mit Werken wie Ratatouille den Markt beherrscht und die traditionellen Animationsfilme die Ausnahme bilden. Im nächsten Jahr wird Disney mit The Princess and the Frog zu seinem altruistischen Stil zurückkehren und das erste Mal in seiner Geschichte eine afroamerikanische Protagonistin in den Mittelpunkt seiner Handlung setzen.

Im letzten Jahr zur Weihnachtszeit erschien von Disney eine Hommage an diese klassischen Geschichten und zugleich eine Parodie auf diese. Ein riesiges, großes Familienprojekt quasi, denn Regisseur, Komponisten und viele Statisten zählen seit Jahren zur Disney Familie und haben an erfolgreichen Filmen des Studios ihren Anteil gehabt. Die Regie ging an Kevin Lima, der die 2-D-Abenteuer 102 Dalmatians sowie auch Tarzan inszenieren durfte. Die Texte für die verwendeten Lieder kamen vom dreifachen Oscargewinner Stephen Schwartz (The Hunchback of Notre Dame), während die Musik vom achtfachen Oscarpreisträger Alan Menken (Aladdin, Pocahontas) stammt, der auch in diesem Jahr dreifach in eben jener Kategorie nominiert war. Die Selbstparodie des Projektes zieht sich selbst in diese Lieder hinein, wenn der Prinz seinen Liedeinsatz abschließt mit den Worten „You were made …“ und die Prinzessin einstimmt mit „...to finish your duet“.

Aber auch die Tatsache, dass Julie Andrews (Mary Poppins) die Erzählstimme darstellt, bis hin zu Kurzauftritten von Jodi Benson (Ariels Stimme) und anderen, macht Enchanted zu einem wahrhaft zauberhaften Erlebnis für jeden Fan der klassischen Disney Werke. Dass die Handlung selbst durchgehend das hauseigene Œuvre referiert, trägt zum Charme des Filmes natürlich auch bei und wer versucht die Geschichte als zeitgenössische RomCom zu sehen, hat bereits verloren und wird wenig Gefallen an Limas Film finden. Alle anderen dürften auf ihre Kosten kommen, allen voran Kinder, die sich neben klassischen 2-D-Segmenten und Realfilm auch auf digitale Animation freuen dürfen. Enchanted bringt somit alle drei Generationen unter ein Dach und was sicherlich am beachtlichsten ist, dem Film gelingt dies auf ausgesprochen harmonische und glaubwürdige Art und Weise. Da ist es umso schöner, dass der Film bei einem Budget von 85 Millionen Dollar weltweit gut das Vierfache einspielen konnte. Denn Enchanted hat man bereits nach den ersten zehn Minuten in sein Herz geschlossen.

Disney-Veteran Lima beginnt seinen Film auf die klassischste aller Disney-Arten, nicht nur im 2-D-Zeichenstil, sondern auch mit einem Buch. Wurden so bereits die Liebesgeschichten von Cinderella oder Beauty and the Beast eingeleitet, dient auch hier ein Märchenbuch dazu, eine Geschichte zu erzählen, die vor langer, langer Zeit begann. Sie spielt in dem träumerischen Land Andalasia und führt in ein Haus im Walde, bewohnt von der hinreizenden Giselle (Amy Adams). Diese Szene beispielsweise wird sehr explizit von Cinderella übernommen, man sieht Giselle inmitten ihres Zimmers und von ihrem Traumprinzen schwelgen. Ihre Freunde werden von verschiedenen Waldbewohnern dargestellt, hier finden sich Verweise zu Bambi, aber allgemein auch zu anderen Disney Werken. Ihre optimistische Liebe packt Giselle kurzerhand in ein musikalisches Gewand, auf welches wiederum der edle Prinz Edward (James Marsden) bei seiner Trolljagd aufmerksam wird. Beide finden sich, der Prinz rettet die holde Magd vor dem blutrünstigen Troll und die Hochzeit ist beschlossene Sache. Schließlich ist dies hier ein Disney-Film, da wird geheiratet, was einem über den Weg läuft.

Zwei verlorene Seelen, füreinander bestimmt und letztlich glücklich vereint. Und wenn sie nicht gestorben sind…an diesem Punkt hört Limas Geschichte jedoch nicht auf, sondern hier setzt sie ein. Edwards Stiefmutter und Königin von Andalasia, Narissa (Susan Sarandon), sieht in Giselle eine Anwärterin auf ihren Thron. Narissa selbst ist vollkommen nach Sleeping Beauty’s Malefiz gestaltet, später wird sie noch die Form der bösen Königin aus Snow White annehmen. Kurzerhand schubst sie die zu ihrer Hochzeit eilende Giselle in einen magischen Brunnen, sodass diese sich plötzlich in der realen Welt wieder findet. Logischerweise völlig desorientiert stößt Giselle schließlich auf den Scheidungsanwalt Robert (Patrick Dempsey) und dessen liebenswürdige sechsjährige Tochter Morgan. Robert nimmt sich der verwirrten Giselle an und hat mit ihr bald mehr zu tun, als ihm eigentlich lieb ist. Währenddessen alarmiert Giselles befreundetes Eichhörnchen Pip den tapferen Prinzen, welcher sich mit diesem anschließend wagemutig in den Brunnen stürzt. Damit ist die Rahmenhandlung für viele verquere Momente gegeben.

Wer mit Disneys Themen vertraut ist, wird diese auch in Enchanted finden können. In doppelter Hinsicht zum Beispiel die Thematik der abwesenden Mutter. Giselle selbst hat ihre Mutter nie kennen gelernt, verbindet kaum Erinnerungen mit dieser. Als sie nach New York kommt, trifft sie auf Robert und Morgan. Auch hier ist die Mutter abwesend, ein Element welches bereits in The Little Mermaid oder Beauty and the Beast vorhanden war. Das zentrale Thema von Limas Film hingegen ist die Liebe beziehungsweise die einzig wahre Liebe. Robert glaubt nicht an diese Liebe, nicht nur weil seine Frau ihn verlassen hat, sondern auch weil er als New Yorker Scheidungsanwalt jeden Tag damit zu tun hat, die Scherbenhaufen aufzuräumen. Mehrmals hält er Giselle vor, dass ihr „Traumprinz“ Edward nicht eintreffen wird. Das eigentlich erstaunliche ist aber vielmehr, dass Robert davon überzeugt ist, dass Edward überhaupt existiert, hält er Giselle generell aufgrund ihres Verhaltens doch für gaga.

Die Macher von Disney haben die werte Giselle dabei am meisten nach der optimistischen Naivität von Schneewittchen ausgerichtet, was man an verschiedenen Referenzszenen sehen kann, unter anderem wenn Giselle am Zebrastreifen einen Kleinwüchsigen mit „Grumpy“ anspricht. Es ist dieser unbändige Optimismus und diese gänzliche freundliche Wesen von Giselle, welches bei Robert und Morgan zu unbeschreiblichen Sympathien führt. Da verwundert es kaum, dass Giselle ihnen bereits nach zwei Tagen ungemein ans Herz gewachsen ist. Dabei geht Enchanted diese Belehrende, was immer in ihren Geschichten mitschwingt, total ab. Vielmehr nimmt der Film seine Vorgänger liebevoll aufs Horn, wenn er plötzlich eine emanzipierte Giselle präsentiert, die sich nicht einfach dem Motto „Und wenn sie nicht gestorben sind …“ beugen will, sondern von Edward – herrlich von Marsden als narzisstischen Einfaltspinsel gespielt – aus heiterem Himmel eine Verabredung verlangt.

Sicherlich referiert der Film hauptsächlich die drei Klassiker Snow White, Cinderella und Sleeping Beauty und ist insbesondere für Disney-Fanboys (hierzu darf man mich zählen) eine wahre Freude. Allerdings weiß Lima auch eine – zumindest halbwegs – eigenständige und funktionierende Geschichte zu erzählen. Sicher, eine Giselle würde man heute in die Klapse stecken und fertig hat sich das. Aber es ist ein Märchen, jedoch auch eines mit einem gewissen Anspruch auf Realität. Das zeigt allein die Tatsache, dass Giselle sich plötzlich nicht mehr total auf Edward festfahren will. Amy Adams, immerhin Oscarnominiert, spielt zwar manchmal an den Grenzen zum Overacting und auch Dempsey wirkt gelegentlich recht leidenschaftslos, wenn er mit seiner gegelten Matte zum Takt wippt (man merke den offensichtlichen Schnittfehler in der Lady and the Tramp-Referenz), dafür macht Marsden umso mehr Spaß. Dieser hätte sich beim Vorsprechen sogar noch den Part von Robert aussuchen dürfen, entschied sich allerdings dennoch für den sympathisch-dümmlichen Edward, der mit seinem infantilen Charme ebenso wie das digitale Eichhörnchen Pip für Lacher zu sorgen weiß.

Dieses (das Eichhörnchen, d. Red.) ist wesentlich besser gelungen, als das Alvin and the Chipmunk Pendant, weniger von der Animation, wie dem erzeugten Humor her. Auch Timothy Spall, der seit Prisoner of Azkaban die Rolle des bösen Handlangers gepachtet zu haben scheint, weiß zu gefallen. Von der Sarandon sieht man recht wenig, was aber auch nicht allzu stört. Insgesamt vereinen sich die drei Filmoptiken, gemeinsam mit sympathischen Schauspielern und toller musikalischer Unterstützung zu einem Anekdoten- und Hommagefest für Disney-Fans, denen der Film sicherlich weitaus besser gefallen dürfte, als dem 08/15-Kinogänger, der sich hauptsächlich nach Action und Peng Peng sehnt. Mich selbst hatte der Film bereits nach den ersten 40 Sekunden für sich gewonnen, die restliche Laufzeit (im Übrigen auch Referenzen zu Superman Returns oder King Kong) schafft es dabei den hier erzeugten Erwartungen gerecht zu werden.

8/10

19. Juli 2008

X2

Have you ever tried...not being a mutant?

Nachdem Edeltrash-Filme wie Batman & Robin Ende der 1990er Jahre die Comic-Adaptionen an den Rande des Aussterbens brachten, bildete bereits 1998 die Verfilmung von Blade die Umkehr zum Besseren. Bei einem Budget von 45 Millionen Dollar Budget wurde das Dreifache der Kosten eingespielt, weshalb für die nächste Marvel-Verfilmung X-Men 75 Millionen Dollar zur Verfügung standen. Auch wenn der Film ein etwas verhaltener Erfolg war, prophezeite er doch eine neue Welle gut gemachter Comic-Adaptionen, deren Budgets im Verlauf exponentiell steigen sollten. Kein Wunder, dass man Bryan Singer mit einer Fortsetzung beauftragte, für die David Hayter und Zak Penn individuell Drehbücher verfassen sollten, um diese anschließend zu einem gemeinsamen Werk zu kombinieren.

Dieses Drehbuch wurde im Jahr 2002 von Michael Dougherty und Dan Harris überarbeitet und strich die Involvierung von Figuren wie Beast oder Angel. Aus Budgetgründen - das Studio gewährte Singer dieses Mal 110 Millionen Dollar - wurden auch Szenen mit den Sentinels und dem Danger Room entfernt. Zudem erhielt Halle Berry nachträglich mehr Leinwandzeit, war sie doch im Vorjahr für Monster’s Ball mit dem Oscar als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet worden. Am Ende brauchte es 27 Drehbuchentwürfe bis zum finalen Skript, also ähnlich viele wie für den ersten Teil. Da Singer in jenem bereits das Erscheinen von Phoenix angedeutet hatte, verwundert es ein wenig, dass so viel Korrektur nötig war, bis das Drehbuch zur Fortsetzung X2 zufrieden stellend war.

Im selben Jahr erschienen wie Hulk, war X2 erfolgreicher als Ang Lees Film, spielte er in den USA doch das Doppelte und weltweit das Vierfache seiner Kosten ein. Im Handlungsgeschehen selbst tauchen lediglich drei neue Figuren auf: Colonel William Stryker (Brian Cox) als Antagonist, sowie Lady Deathstrike (Kelly Hu) als dessen Handlangerin und Nightcrawler (Alan Cumming) als Neuzugang bei den X-Men. Letzterer setzte sich gegenüber Beast oder Gambit als Zugang durch, da er durch sein Erscheinungsbild nochmals die Außenseiterrolle der Mutanten untermauerte. Da der Schotte Alan Cumming deutsche Sprache beherrscht, war er Bryan Singers erste Wahl für die Darstellung der deutschstämmigen Figur, die eigentlich auf den Namen Kurt Wagner hört.

Mit Cummings und Cox wurde das Set nach Patrick Stewart (Professor X) und Ian McKellen (Magneto) um zwei weitere Darsteller der Royal Shakespeare Akademie erweitert. Leider avancierte Nightcrawler nicht zu einem festen Mitglied der Mutanten, fehlt er doch in X-Men: The Last Stand, was weniger mit dem fehlenden Interesse des Darstellers, als dem Produktionsaufwand seines Make-ups zu tun hat. Da kann man es verschmerzen, dass X2 nicht auf die Tatsache einging, dass Nightcrawler der Sohn von Mystique ist (obschon beide Figuren eine nette kleine Szene erhalten). In Rebecca Romijn hatte Cummings dann auch gleich eine Leidensgenossin gefunden, verbrachte er immerhin doppelt so viel Zeit (bis zu zehn Stunden) in der Maske wie die Mystique-Darstellerin.

Mit viel Brimborium hält sich Singer in X2 dann auch nicht auf, wird dem Publikum doch innerhalb der ersten fünf Minuten bereits die erste Actionsequenz präsentiert. Spektakulär wird die neue Figur Nightcrawler vorgestellt und in einer Szene positioniert, die bereits zu Beginn des Filmes dessen Höhepunkt darstellt. Dagegen sind die beiden späteren Kämpfe von Wolverine (Hugh Jackman) gegen Strykers Männer und Lady Deathstrike nur ein laues Lüftchen. Zudem beeindruckt Nightcrawlers Einführung auch durch ihre digitalen Effekte, stehen diese ebenso wie die Choreographie der Szene die Qualität der Handlungsexposition. So wünscht man sich als Zuschauer die Wundermaschine Kino, wobei auch Wolverines Ein-Mann-Feldzug im Internat über seine Stärken verfügt.

Vielleicht auch weil Singer hier die Schere ansetzte, um ein jugendfreies Rating zu erhalten, kommt die Szene nicht an den Anfang heran. Noch weniger gelingt dies dem Kampf von Wolverine und Lady Deathstrike, der schon deswegen an Spannung einbüßt, da Wolverine hier gegen sein weibliches Pendant kämpft. Ohnehin haben sich die Macher mit Lady Deathstrike keinen Gefallen getan, beschränken sich Kelly Hus Dialoge im gesamten Film auf eine einzige Zeile. Gerade hier hätte man eine Figur wie Gambit einbauen können, trägt dieser doch seine eigenen dunklen Geheimnisse mit sich herum. Viel mehr handfeste Action kriegt das Publikum dann auch nicht zu sehen, was angesichts der diesbezüglichen Steigerung in Brett Ratners X-Men: The Last Stand etwas beschämend ist.

Dabei eignen sich die X-Men aufgrund ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten doch so gut, um verschiedenste Kämpfe darzustellen. Aufgrund ihrer Quantität besteht nicht mal die Notwendigkeit jede Figur mit ihrer Historie einzuführen. Generell gebührt Singer Lob dafür, dass er es schafft, erfolgreich eine Geschichte zu erzählen, die um ein Dutzend Figuren konstruiert ist. Dennoch kommen dabei einige Figuren wie Lady Deathstrike, aber auch Pyro (Aaron Stanford) etwas zu kurz, obschon sie in vielen Einstellungen auftauchen. Hier wäre weniger mehr gewesen, trägt Rogue (Anna Paquin) zum Beispiel wieder einmal wenig bis gar nichts zur Entwicklung der Handlung bei, ähnliches lässt sich auch Iceman (Shawn Ashmore), Cyclops (James Marsden) und Storm (Halle Berry) vorwerfen.

Allgemein spielt das X-Men-Universum nur bedingt eine Rolle in Singers Verfilmungen, geht dieser doch sehr spielerisch mit dem Erbe Stan Lees um. Anstatt mit Kitty Pryde impliziert man eine tiefere Beziehung zwischen Rogue und Wolverine, zusätzlich befindet sich Rogue in einer Liebesbeziehung zu Iceman, wo dies in den Comics mit dem in den Filmen abwesenden Gambit der Fall ist. Auch familiäre Beziehungen (hier: die Mutterschaft von Mystique zu Rogue und Nightcrawler, später die Verwandschaft von Professor X und Juggernaut) werden außen vor gelassen. Dabei hätten diese Punkte X2 mehr Tiefe verleihen können, als sich auf Stryker zu fokussieren, der seinen Ursprung ohnehin mehr in einer Origin-Story von Wolverine hat, als im X-Men-Universum.

Zudem hat X2 an demselben Problem wie Hulk: zu knabbern: die Handlung ist zu komplex. Für eine Comic-Doppelausgabe von circa 80 Seiten funktioniert das fraglos einfacher, in einer Verfilmung fehlt dem Zuschauer jedoch die nötige Bindung zur Geschichte wie auch den betreffenden Figuren. Viel Lärm um Nichts wird erneut um Wolverines mysteriöse Vergangenheit gemacht, ohne dass man dieser auch nur einen Deut näher auf die Spur kommt. Künstlich werden Verbindungen zu Figuren wie Lady Deathstrike und Nightcrawler hergestellt, letzten Endes versucht, irgendwie auch noch die Antagonisten aus X-Men nunmehr als Verbündete in X2 einzubauen. Das alles mit zusätzlicher Gewichtung auf Cerebro, der bereits im ersten Teil zur Genüge gezeigt wurde.

Dem übergeordneten Thema des Rassismus wird im zweiten Teil wenig nachgegangen. Man baut zwar eine Drama-Szene zwischen Iceman und seiner Familie ein, die seinem Coming Out als Mutant dient. Nur dauert dies erstens zu lange und führt zweitens nirgendwo hin. Übertroffen wird das nur noch vom wenig überzeugenden Finale, in welchem sich Jean aus unerfindlichen Gründen für die Gemeinschaft opfert, obschon sie fünf X-Men (Nightcrawler, Storm, Iceman, Cyclops und Professor X) hätten retten können. Löblich, dass Singer hier die Plattform für die Geburt von Phoenix im dritten Teil bilden wollte, bloß entbehrt die Szene entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit. X2 ist also in vieler Hinsicht eine Verbesserung zu seinem Vorgänger, allerdings mit einigen Mängel im Drehbuch.

8.5/10

6. Juni 2008

X-Men

What do you say we give the geeks another chance?

In den 1970er Jahren entstanden die größten und erfolgreichsten Superhelden des Marvel-Verlags, darunter Spider-Man, Hulk oder die X-Men. Dabei sind die X-Men etwas jünger als die beiden genannten Kollegen, wenn auch nur ein Jahr. Im Jahr 1963 erschufen Stan Lee und Jack Kirby eine Gruppe Mutanten, die die Menschheit vor einer feindlich gesinnten Gruppe anderer Mutanten zu beschützen versucht. Zu Beginn lief die Serie jedoch etwas schleppend und vermisste noch ihr heute bekanntestes Mitglied: Wolverine. Der mysteriöse Einzelgänger stieß erst in Ausgabe 94 zu den X-Men, wobei er sein Debüt zuvor in einer Ausgabe des Hulk feierte. Inzwischen, und dies nicht erst durch die Kinotrilogie von 20th Century Fox, steht Wolverine jedoch stellvertretend für die X-Men.

In ihrer Ursprungsformation bestanden die X-Men aus Professor X, Cyclops, Jean Grey, Storm, Angel, Beast und Iceman. Interessanterweise markieren die X-Men die einzige Marvel-Serie, die seit ihrer Entstehung durchgehend veröffentlicht wird - im Gegensatz zu Spider-Man, den Fantastic Four oder Hulk. Was die X-Men dabei von den anderen Marvel-Superhelden unterscheidet, sind ihre Kräfte. Denn diese sind im Gegensatz zu Spider-Man oder Hulk kein Unfallrsultat, sondern Mutationen im Zuge der Evolution. Die X-Men sind eine Minderheit, die einen Sprung in der DNS-Kette erfahren hat, der ihnen ihre individuellen Fähigkeiten beschert. Daher können die Mutanten niemandem die Schuld für ihr Schicksal zuschieben, sondern ihr Dasein ist letztlich schlichtweg ihr Schicksal.

Angesichts der Popularität der X-Men, war eine Verfilmung seit jeher im Gespräch. In den späten Achtzigern begannen die Gespräche für eine Adaption und wie zur damaligen Zeit üblich, fiel hierbei auch der Name von Tim Burton, der mit seinen Batman-Filmen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen sollte. Damals sicherte sich Carolco Pictures die Rechte an den Marvel-Mutanten. Ebenjene Firma, die unter anderem hinter der Rambo-Trilogie stand und in James Cameron einen bekannten Schirmherren hatte, der hier als Produzent fungieren sollte (sich aber später Spider-Man zuwandte). Carolco spielte für seinen Film mit einigen bekannten Namen, darunter für Cyclops (Michael Biehn, Vince Vaughn, Edward Norton), Rogue (Natalie Portman) oder Storm (Angela Bassett).

Mit entscheidend schien schienen jedoch die Rollen von Jean Grey und Wolverine zu sein, rankten sich um Erstere Darstellerinnen wie Julianne Moore, Charlize Theron oder Ashley Judd. Für Wolverine waren neben Keanu Reeves auch Mel Gibson und Russell Crowe im Gespräch. Letztlich wurde es der Schotte Dougray Scott, der aufgrund seines Engagements in Mission: Impossible II jedoch absagte. Den Zuschlag erhielt dann der australische Mime Hugh Jackman, der mit seiner Darstellung des charmanten Grantlers den Durchbruch schaffen und zu seinem heutigen Starruhm aufsteigen sollte. Wie sein Comic-Pendant ist auch Jackman inzwischen das filmische Gesicht der X-Men geworden und erhält 2009 unter der Regie von Oscarpreisträger Gavin Hood sein eigenes Sequel.

Noch mehr Chaos als bei der Besetzung gab es lediglich beim Drehbuch zum Film. Im Laufe der Jahre wurden 25 Fassungen geschrieben, eine der ersten stammte vom Oscarprämierten Andrew Kevin Walker (Se7en) aus dem Jahr 1994. Sein Drehbuch wurde anschließend von John Logan (Gladiator) überarbeitet, das wiederum bei Michael Chabon (Wonder Boys) landete. Dieser konzentrierte sich ganz auf die innere Struktur der X-Men und ersparte sich die Anwesenheit von Antagonisten. Verständlich, dass dies das Studio wenig erfreute, weshalb das Skript zur Überarbeitung an Ed Solomon (Men in Black) weitergereicht wurde. Als man mit dessen Fassung ebenso unzufrieden war, kam Joss Whedon (Firefly) an Bord, der der Einfachheit halber ein vollkommen neues Drehbuch schrieb.

Inzwischen war nach einiger Überzeugungsarbeit Bryan Singer als Regisseur engagiert worden, der mit Whedons Skript zu seinen The Ususal Suspects-Partner Christopher McQuarrie ging, der die bisherigen Entwürfe überarbeitete. Am Ende vermerkte die Writers Guild of America lediglich David Hayter als Drehbuchautoren, da dieser als Letztes am Drehbuch gewerkelt hatte. Abgesehen von einigen charakterlichen Änderungen, die gleich angesprochen werden, muss man jedoch eingestehen, dass X-Men zu jenen Comic-Verfilmungen gehört, die ein funktionierendes und stringentes Drehbuch besitzen. Diesem gelingt es außerdem den sozialkritischen Subtext der Vorlage nicht nur geschickt, sondern auf die gesamte Trilogie übertragen sogar sehr bemerkenswert zu adaptieren.

Was die X-Men zusätzlich von den anderen Superhelden unterscheidet, ist ihr Team-Charakter. Die Folge ist eine Unmenge an Figuren, was eine Kinoauswertung nicht erleichtert. Singer verzichtet daher auf viele X-Men und beschränkt sich, mit unterschiedlicher Charaktertiefe, auf einige von ihnen. Dennoch kommen prominente X-Men wie Cyclops (James Marsden) und Storm (Halle Berry) unter die Aufmerksamkeitsdefiziträder der Hollywoodmachinerie, nehmen sie neben Wolverine (Hugh Jackman) doch lediglich eine Sidekick-Funktion ein. Noch härter trifft es die Partei der Antagonisten, bei denen nur Magneto (Ian McKellen) ausführlicher beleuchtet wird, während Mystique (Rebecca Romijn), Toad (Ray Park) und Sabretooth (Tyler Mane) austauschbare Handlanger repräsentieren.

Besonders die ambivalente Beziehung zwischen Wolverine und Sabretooth geht X-Men leider völlig ab. Neben Jackmans Charakter stellt Singer auch Jean Grey (Famke Janssen) ausführlicher vor und bildet im Laufe des Films eine perfekte Einleitung für den Trilogieverlauf (den Singer selbst dann nicht mehr vollendete). Ansonsten bekommt man ein gewisses Verständnis für von Professor X (Patrick Stewart) und Rogue (Anna Paquin). Letztere wird vor ihrem Aufeinandertreffen mit Ms. Marvel gezeigt, sodass sie nur über einen Teil ihrer späteren Kräfte verfügt. Sie hat natürlich ihre Funktion im Finale, doch zu Lasten ihrer eigenen (Comic-)Persönlichkeit. Zugleich presst Singer sie in die Rolle von Kitty Pride, wenn Paquin als Protege und emotionales Anhängsel von Wolverine dargestellt wird.

Der Subtext von X-Men ist dabei durchaus sozialkritisch motiviert, behandelt die Serie ganz zentral Themen wie Rassismus, Diskriminierung, Genozid und Faschismus. Erfreulich, dass dies auch Einzug in Singers Film findet, der sich primär für den Diskriminierungsfaktor interessiert. Wenn Senator Kelly (Bruce Davison) im Parlament eine Liste mit denunzierten Mutanten zu Tage fördert und vehement deren Demaskierung verlangt, ist dies ein gelungenes Spiegelbild der McCarthy-Ära. Das Mutanten-Thema wird im Film folglich sozio-politisch behandelt, und Magneto scheint sich mit dem Urteil abgefunden zu haben, das nur den offenen Konflikt als Lösung bietet. Die gute Seele repräsentiert sein alter Freund und Weggefährte Professor X, der an den positiven Wandel der Menschheit glaubt.

Hier divergiert der Film wohl am meisten zu Spider-Man, werden die Mutanten doch nicht mit Paraden bejubelt, sondern müssen im Untergrund arbeiten und eine Gesellschaft beschützen, die sie nicht akzeptiert, sondern verachtet. Gerade weil die X-Men verhasst sind, imponiert ihr Edelmut mehr als bei den anderen Comicfiguren. Bedauerlicherweise versäumt es die Trilogie mit den Marauders auf einen weiteren Subtext einzugehen. Bei den Marauders handelt es sich nämlich um eine Gruppe von Mutanten, die aufgrund ihrer anatomischen Mutationen im Gegensatz zu Jean Grey oder Rogue noch verdeckter leben muss. Immerhin wurde es geschafft, manche der Marauders zum Treffen der Bruderschaft der Mutanten im Trilogie-Abschluss X-Men: The Last Stand zu integrieren.

Die X-Men stellen quasi stellvertretend für die Afroamerikaner während der Bürgerrechtsfrage der 1960er Jahre. Bezeichnenderweise sind unter den X-Men wiederum selbst kaum Farbige, nimmt Storm hier eine Ausnahmestellung ein. Doch Singer greift nicht nur soziopolitische Themen auf, sondern er spickt X-Men auch mit einigen Referenzen, natürlich zur Comic-Serie, aber auch zu The Phantom Menace oder Enter the Dragon. Zur Verfügung standen ihm dabei moderate 75 Millionen Dollar, während Sam Raimi für Spider-Man immerhin fast das Doppelte erhielt. Weltweit gelang es dem Film dann auch nur bescheidene 300 Millionen Dollar einzuspielen, die sich in keiner Weise mit dem Erfolg von Spider-Man (Einspiel: 821 Mio.) messen können, sondern lediglich mit Ang Lees Hulk.

Dabei ist X-Men ein starker Film, das Drehbuch trotz seiner Querelen, überzeugend und auch die spärlich eingesetzten Effekte durchaus glaubwürdig. Lediglich in der Mitte verzeichnet Singers Film eine leichte Schwächephase, namentlich die zweite Fluchtszene von Rogue. Trotz allem macht der Film über weite Strecken ungemein Spaß, besitzt Tempo und Tiefe. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass X-Men maßgebend verantwortlich für die neue Welle an Comic-Verfilmungen war. Selbst wenn Blade zwei Jahre zuvor und Spider-Man zwei Jahre danach auch ihren Teil beitrugen. Fans vermissen vielleicht die Vertiefung einiger Nebenfiguren (beziehungsweise Integration solcher Charaktere wie Gambit), dennoch zählt Bryan Singers X-Men zu den wenigen gelungenen Genrebeiträgen.

8.5/10