Jeder Mensch hat Dinge, die seine Jugend und Kindheit nicht nur aus- sondern ganz speziell machen. Ein altbekanntes Klischee ist die Faszination von Mädchen für Pferde und Puppen, während sich die Jungs für Dinosaurier und Autos interessieren. Ein entscheidender Faktor dürfte für jene Jungs auch eine Sportart sein, die im Grunde nicht wirklich eine solche ist. Wrestling dient weniger dem sportlichen Wettkampf, sondern zuvorderst der Unterhaltung. Ein Showkampf, vollkommen inszeniert und doch von den Fans frenetisch gefeiert. Und ihren Zweck haben diese Männer durchaus erfüllt, wenn auch Jahrzehnte später noch Namen wie Hulk Hogan, Bret ‘Hitman’ Hart, ‘Macho Man’ Randy Savage, Yokozuna, The Undertaker, Lex Luger, Mr. Perfect und all die anderen im Gedächtnis nun erwachsener Männer verankert sind. Doch welchen Preis dieser Beruf hat, bleibt unter Verschluss und wird vom Publikum kaum wahrgenommen.
Wrestling hat seinen Ursprung als Jahrmarktsattraktion des 19. Jahrhunderts, heute ist es ein Massen- und Merchandise-Unternehmen. Bis zu 400 Millionen Dollar setzt World Wrestling Entertainment (WWE) dadurch um. Die Akteure kümmern die WWE allerdings wenig. Keine Form von Rente oder Krankenversicherung gibt es für die professionellen Catcher. Der Job fordert seinen Tribut, auf die eine oder andere Art. Der bekannte Wrestler Owen Hart, Bruder des berühmteren Bret ‘Hitman’ Hart, starb 1999, als er von einem Gerüst in den Ring hinein sprang. In den letzten zehn Jahren verstarben 65 Wrestler durch jahrelange Anwendung von Steroiden, fast 40% von ihnen erlagen einem Herzinfarkt. Was die Zuschauer amüsiert, verlangt mehr körperliche Kraft, als das Publikum einzustehen bereit ist. Darren Aronofsky setzt diesem Sport nun im Allgemeinen und jenen Sportlern per se mit The Wrestler ein Denkmal.
In seinem vierten Kinofilm zelebriert Aronofsky einen solchen Kinderhelden. Zu rockig unterlegter Musik und in einem dementsprechend gestyltem Vorspann feiert er seinen Hauptprotagonisten Randy ‘The Ram’ Robinson (Mickey Rourke) und dessen legendären Kampf gegen Nemesis The Ajatollah. Nachdem der Vorspann zu Ende ist beginnt dann der eigentliche Film oder besser gesagt: die Demontage. Der Bildschirm ist schwarz, ein verschleimtes Husten bricht die Stille. Da sitzt er nun, der Held der Geschichte, auf einem Klappstuhl, den Rücken zur Kamera gewandt. Es ist offensichtlich, er ist fertig mit sich, mit der Welt. Randy ist müde und alt. Oder Randy ist müde, weil er alt ist. Es spielt keine Rolle. Er lässt sich bezahlen und schlürft mit seinem Trolli aus einer Schulsporthalle. Seine Winterjacke ist an mehreren Stellen mit Tapeband gekittet, im Radio läuft derweil Don't Know What You Got (Till It's Gone) von Cinderella.
Randy, der einst ‘The Ram’ war, hat den Absprung nicht geschafft. Vielmehr ist er ein Gefangener seiner Nostalgie. Von einem Kollegen lässt er sich mit Steroiden versorgen. Die Aufzählung aller Produkte erinnert in ihrer Ausführlichkeit an Raoul Dukes Drogenkollektion aus Fear and Loathing in Las Vegas. Um den Körper zurück in die achtziger Jahre zu katapultieren, werden dann noch die langen Haare blondiert und die Haut im Solarium gebräunt. In seinem Auto steht eine Live Action Figur von ihm selbst, zu Hause hat er sich extra einen alten Nintendo angeschafft, um damit sein einziges Spiel zocken zu können: ein Wrestling-Spiel. Gelegentlich kann er einen der Nachbarsjungen dazu bringen, sich zu ihm zu gesellen und dann spielen beide als ‘The Ram’ und The Ajatollah gegeneinander. Doch das alles sind nur Requisiten für Randys Show. Privat zeigt uns Aronofsky ihn dann mit Lesebrille, Hörgeräten und Arthritis.
Den Einschnitt bildet ein Herzinfarkt, den Randy nach einem Kampf erleidet. Nun nimmt ihm Aronofsky auch das Letzte, das ihm geblieben ist: seine Identität. “I don’t wanna be alone”, erklärt Randy gegenüber Stripperin Cassidy (Marisa Tomei). Sie ist so etwas wie seine Lebensgefährtin, bezahlt er sie doch hin und wieder, damit sie ihm zuhört, wenn er von seinem Leben berichtet. Cassidy, die eigentlich Pam heißt und für sich und ihren Sohn einen Lebenswandel anstrebt, ist Randys scheinbar einziger sozialer Kontakt abseits seiner Wrestling-Gemeinde. Zwar hat er in Stephanie (Evan Rachel Wood) eine Tochter, doch ist der Kontakt seit Jahren abgebrochen. Jetzt, wo Randy alleine und ohne sein Hobby ist, versucht er in den Alltag zurück zu finden. Es folgen zaghafte Versuche, eine Art Familiengerüst mit Pam und Stephanie aufzubauen, sowie die Akzeptanz eines undankbaren Jobs als Fleischwarenverkäufer.
“The only place where I can get hurt is out there”, resümiert Randy am Ende bezüglich der Realität. Die Akzeptanz seiner Fans ist zuverlässig, da sie darauf basiert, dass Randy so ist, wie er ist. Gegen die Ablehnung von Pam und Stephanie kann er sich nicht schützen. In diesen Momenten, wenn Randy zwischen Vergangenheit und Gegenwart pendelt, erinnert er ein wenig an Baby Jane Hudson oder Norma Desmond. Ein naiver Ex-Star, dazu verdammt, in seiner Erinnerung weiterzuleben. Eine gescheiterte Existenz, die nie gelernt hat, sich in die Realität einzugliedern. Etwas, das man nicht unbedingt in dieser Vollständigkeit von Hauptdarsteller Mickey Rourke sagen kann, der sich hier auf gewisse Weise selbst spielt. Rourkes Spiel beeindruckt, weniger wegen seiner Klasse, sondern weil man den Star der Achtziger so (gut) wohl noch nie hat spielen sehen. Seine überzeugende Darstellung wird ergänzt durch Tomei und Wood.
Formal hebt sich Aronofskys neuer Film deutlich von seinen Vorgängern ab. Keine visuellen Spielereien, keinerlei Effekte jeglicher Art. Im Gegenteil, für sein quasi Biopic von Randy ‘The Ram’ wechselte der Regisseur seinen Stammkameramann Matthew Libatique aus und ersetzte ihn durch Maryse Alberti, sonst eher Dokumentarfilmerin. So wirkt The Wrestler bisweilen aufgrund seiner blassen Bilder selbst wie ein Dokumentarporträt, wenn die Kamera als Verfolger die meiste Zeit den Rücken von Randy einfängt und diesen somit auf seinen Lebenswegen begleitet. Jener Lebensweg ist dabei nicht speziell innovativ oder auf das Wrestler-Milieu zugemünzt. Eine ähnliche Geschichte hat man in dieser oder ähnlicher Form schon gefühlte 20 Mal – besser und schlechter - gesehen und der Bezug zum Wrestling ließe sich hierbei natürlich auch durch Football oder andere aufreibende Sportarten ersetzen.
Bisweilen vermisst man dann die Seele des Films, der teils etwas steril wirkt. Zu persönlich für eine Dokumentation, zu unpersönlich als mitfühlendes Drama. Deshalb ist keineswegs schlecht, im Gegenteil. Angefangen vom Vorspann bis hin zum Finale, das durch Guns N’ Roses Sweet Child O’ Mine eingeleitet wird, erreicht der Film seinen Höhepunkt in jener Einstellung, in der Randy unter frenetischem Jubel durch die Gänge spaziert und sich letztlich darauf vorbereitet, seinen Job in der Fleischwarenabteilung anzutreten. Ohne The Wrestler schlechter reden zu wollen als er ist, bedeutet er dennoch einen leichten Rückschritt für Aronofsky, der hier seine kreative Individualität aufzugeben scheint, indem sein neuester Film sich in die Reihe der Indie-Dramen einreiht. Dass The Wrestler jedoch zu einem sehr guten Indie-Drama geworden ist, zeichnet dann letztlich aber doch wieder die Klasse von Darren Aronofsky aus.
Wrestling hat seinen Ursprung als Jahrmarktsattraktion des 19. Jahrhunderts, heute ist es ein Massen- und Merchandise-Unternehmen. Bis zu 400 Millionen Dollar setzt World Wrestling Entertainment (WWE) dadurch um. Die Akteure kümmern die WWE allerdings wenig. Keine Form von Rente oder Krankenversicherung gibt es für die professionellen Catcher. Der Job fordert seinen Tribut, auf die eine oder andere Art. Der bekannte Wrestler Owen Hart, Bruder des berühmteren Bret ‘Hitman’ Hart, starb 1999, als er von einem Gerüst in den Ring hinein sprang. In den letzten zehn Jahren verstarben 65 Wrestler durch jahrelange Anwendung von Steroiden, fast 40% von ihnen erlagen einem Herzinfarkt. Was die Zuschauer amüsiert, verlangt mehr körperliche Kraft, als das Publikum einzustehen bereit ist. Darren Aronofsky setzt diesem Sport nun im Allgemeinen und jenen Sportlern per se mit The Wrestler ein Denkmal.
In seinem vierten Kinofilm zelebriert Aronofsky einen solchen Kinderhelden. Zu rockig unterlegter Musik und in einem dementsprechend gestyltem Vorspann feiert er seinen Hauptprotagonisten Randy ‘The Ram’ Robinson (Mickey Rourke) und dessen legendären Kampf gegen Nemesis The Ajatollah. Nachdem der Vorspann zu Ende ist beginnt dann der eigentliche Film oder besser gesagt: die Demontage. Der Bildschirm ist schwarz, ein verschleimtes Husten bricht die Stille. Da sitzt er nun, der Held der Geschichte, auf einem Klappstuhl, den Rücken zur Kamera gewandt. Es ist offensichtlich, er ist fertig mit sich, mit der Welt. Randy ist müde und alt. Oder Randy ist müde, weil er alt ist. Es spielt keine Rolle. Er lässt sich bezahlen und schlürft mit seinem Trolli aus einer Schulsporthalle. Seine Winterjacke ist an mehreren Stellen mit Tapeband gekittet, im Radio läuft derweil Don't Know What You Got (Till It's Gone) von Cinderella.
Randy, der einst ‘The Ram’ war, hat den Absprung nicht geschafft. Vielmehr ist er ein Gefangener seiner Nostalgie. Von einem Kollegen lässt er sich mit Steroiden versorgen. Die Aufzählung aller Produkte erinnert in ihrer Ausführlichkeit an Raoul Dukes Drogenkollektion aus Fear and Loathing in Las Vegas. Um den Körper zurück in die achtziger Jahre zu katapultieren, werden dann noch die langen Haare blondiert und die Haut im Solarium gebräunt. In seinem Auto steht eine Live Action Figur von ihm selbst, zu Hause hat er sich extra einen alten Nintendo angeschafft, um damit sein einziges Spiel zocken zu können: ein Wrestling-Spiel. Gelegentlich kann er einen der Nachbarsjungen dazu bringen, sich zu ihm zu gesellen und dann spielen beide als ‘The Ram’ und The Ajatollah gegeneinander. Doch das alles sind nur Requisiten für Randys Show. Privat zeigt uns Aronofsky ihn dann mit Lesebrille, Hörgeräten und Arthritis.
Den Einschnitt bildet ein Herzinfarkt, den Randy nach einem Kampf erleidet. Nun nimmt ihm Aronofsky auch das Letzte, das ihm geblieben ist: seine Identität. “I don’t wanna be alone”, erklärt Randy gegenüber Stripperin Cassidy (Marisa Tomei). Sie ist so etwas wie seine Lebensgefährtin, bezahlt er sie doch hin und wieder, damit sie ihm zuhört, wenn er von seinem Leben berichtet. Cassidy, die eigentlich Pam heißt und für sich und ihren Sohn einen Lebenswandel anstrebt, ist Randys scheinbar einziger sozialer Kontakt abseits seiner Wrestling-Gemeinde. Zwar hat er in Stephanie (Evan Rachel Wood) eine Tochter, doch ist der Kontakt seit Jahren abgebrochen. Jetzt, wo Randy alleine und ohne sein Hobby ist, versucht er in den Alltag zurück zu finden. Es folgen zaghafte Versuche, eine Art Familiengerüst mit Pam und Stephanie aufzubauen, sowie die Akzeptanz eines undankbaren Jobs als Fleischwarenverkäufer.
“The only place where I can get hurt is out there”, resümiert Randy am Ende bezüglich der Realität. Die Akzeptanz seiner Fans ist zuverlässig, da sie darauf basiert, dass Randy so ist, wie er ist. Gegen die Ablehnung von Pam und Stephanie kann er sich nicht schützen. In diesen Momenten, wenn Randy zwischen Vergangenheit und Gegenwart pendelt, erinnert er ein wenig an Baby Jane Hudson oder Norma Desmond. Ein naiver Ex-Star, dazu verdammt, in seiner Erinnerung weiterzuleben. Eine gescheiterte Existenz, die nie gelernt hat, sich in die Realität einzugliedern. Etwas, das man nicht unbedingt in dieser Vollständigkeit von Hauptdarsteller Mickey Rourke sagen kann, der sich hier auf gewisse Weise selbst spielt. Rourkes Spiel beeindruckt, weniger wegen seiner Klasse, sondern weil man den Star der Achtziger so (gut) wohl noch nie hat spielen sehen. Seine überzeugende Darstellung wird ergänzt durch Tomei und Wood.
Formal hebt sich Aronofskys neuer Film deutlich von seinen Vorgängern ab. Keine visuellen Spielereien, keinerlei Effekte jeglicher Art. Im Gegenteil, für sein quasi Biopic von Randy ‘The Ram’ wechselte der Regisseur seinen Stammkameramann Matthew Libatique aus und ersetzte ihn durch Maryse Alberti, sonst eher Dokumentarfilmerin. So wirkt The Wrestler bisweilen aufgrund seiner blassen Bilder selbst wie ein Dokumentarporträt, wenn die Kamera als Verfolger die meiste Zeit den Rücken von Randy einfängt und diesen somit auf seinen Lebenswegen begleitet. Jener Lebensweg ist dabei nicht speziell innovativ oder auf das Wrestler-Milieu zugemünzt. Eine ähnliche Geschichte hat man in dieser oder ähnlicher Form schon gefühlte 20 Mal – besser und schlechter - gesehen und der Bezug zum Wrestling ließe sich hierbei natürlich auch durch Football oder andere aufreibende Sportarten ersetzen.
Bisweilen vermisst man dann die Seele des Films, der teils etwas steril wirkt. Zu persönlich für eine Dokumentation, zu unpersönlich als mitfühlendes Drama. Deshalb ist keineswegs schlecht, im Gegenteil. Angefangen vom Vorspann bis hin zum Finale, das durch Guns N’ Roses Sweet Child O’ Mine eingeleitet wird, erreicht der Film seinen Höhepunkt in jener Einstellung, in der Randy unter frenetischem Jubel durch die Gänge spaziert und sich letztlich darauf vorbereitet, seinen Job in der Fleischwarenabteilung anzutreten. Ohne The Wrestler schlechter reden zu wollen als er ist, bedeutet er dennoch einen leichten Rückschritt für Aronofsky, der hier seine kreative Individualität aufzugeben scheint, indem sein neuester Film sich in die Reihe der Indie-Dramen einreiht. Dass The Wrestler jedoch zu einem sehr guten Indie-Drama geworden ist, zeichnet dann letztlich aber doch wieder die Klasse von Darren Aronofsky aus.
8.5/10 – erschienen bei Wicked-Vision
edeutet er zum einen dennoch einen Rückschritt für Aronofsky
AntwortenLöschenIch seh es eher als Reifungsprozess an, nicht als Rückschritt. Aronofsky hat diesmal eine wirkliche und vor allem intensive Geschichte zu erzählen, die in seinem alten Inszenierungsstil untergegangen wäre.
Ich persönlich schätze den Film ein wenig besser ein als Du, obschon ich Dir in den meisten Punkten zustimme.
Ich hab ja von Darren Aronofsky noch nüscht gesehen. Ist aber vielleicht gar nicht mal so schlecht...
AntwortenLöschenIch hab ja von Darren Aronofsky noch nüscht gesehen.
AntwortenLöschenDu Freiluft-Fanatiker *g*
Dem Mann sollte man Filmblog-Verbot geben ;)
AntwortenLöschenDoch ich mache weiter. Ohne Gnade, ohne Rücksicht auf Verluste. ;-)
AntwortenLöschen@C.H.: Auf jeden Fall. Und wenn du mal Zeit hast, dann lass dich doch mal von REQUIEM FOR A DREAM - wie hat es Vega so schön bezeichnet - "emotional vergewaltigen". Und THE FOUNTAIN ist auch ein Genuss.
AntwortenLöschen1. die Nemesis, nicht der Nemesis.
AntwortenLöschen2. wider spiegeln, nicht wieder spiegeln.
So, auch mal Haare gespaltet. :)
Bitchfight.
AntwortenLöschenWieder einmal :D
AntwortenLöschenBitchfight.
AntwortenLöschenm0wl, Dir gefällt das natürlich, aber ich überlasse so etwas lieber auch Dir! :p