15. Dezember 2017

The Killing of a Sacred Deer

The operation was a success but unfortunately the doctor didn’t make it.

Mit Verlusten im Leben zurecht zu kommen, ist für viele keineswegs einfach. Frust, Wut, Trauer, Resignation können damit einhergehen und Menschen verzweifeln lassen. Der griechische Auteur Giorgos Lanthimos konfrontiert in seinen Werken immer wieder seine Figuren mit Verlusten. Fehlte es den Kindern in Kynodontas an ihrer Freiheit, kompensierten die Charaktere in Alpeis konkret menschliche Verluste als Trauerbegleitung. Beides wiederum wohnt zugleich Lathimos’ letztjährigem Meisterwerk The Lobster inne. Nach dem Verlust des Partners droht den Charakteren darin das Ende ihrer sozialen und menschlichen Existenz, wenn sie keinen Ersatz finden. Verluste sind es auch, die den Kern von The Killing of a Sacred Deer bilden.

Darin verlor der 16-jährige Martin (Barry Keoghan) vor einigen Jahren seinen Vater während einer Herzoperation. Die Schuld gibt er dem diensthabenden Kardiologen Steven (Colin Farrell), der sich wiederum in seiner Freizeit des Jungen annimmt und Zeit mit ihm verbringt. Als er Martin in sein Haus einlädt und ihn seiner Familie vorstellt, will dieser die Einladung erwidern. Doch Martins Versuche, Steven mit seiner Mutter (Alicia Silverstone) zu verkuppeln, scheitern. Frustriert stellt der Jugendliche dem Arzt ein Ultimatum: Entweder er tötet als Ausgleich für den durch ihn verursachten Tod von Martins Vater eines seiner eigenen Familienmitglieder oder alle werden einer mysteriösen und letztlich tödlichen Krankheit anheimfallen.

Damit ist fast schon zu viel gesagt, ist das stärkste Faustpfand von The Killing of a Sacred Deer doch seine bedrohlich-verstörende Atmosphäre. So wirkt das erste Treffen von Steven und Martin im Film wie das eines Vaters mit seinem entfremdeten ältesten Sohn. Und als sich herausstellt, dass die Figuren nicht verwandt sind, wird die Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Teenager noch undeutlicher. Ebenjene Beziehungen der Charaktere zu- und untereinander spielen ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle bei Lanthimos. Von Martins Bestreben, seiner Mutter neues Glück an der Seite des von ihr verehrten Steven zu schenken und diesen offiziell zum Vater-Ersatz zu machen hin zum Verhältnis von Steven zu seinen Kindern.

In kurzen Momenten skizziert der Regisseur dabei, dass Tochter Kim (Raffey Cassidy) ihrem Vater und Sohn Bob (Sunny Suljic) seiner Mutter Anna (Nicole Kidman) näher ist. Die übernimmt auch mal die häuslichen Pflichten des jüngsten Kindes, verteilt diese aber bereitwillig auf dessen Schwester, nachdem Bob als erstes dem „Fluch“ von Martin zum Opfer fällt. Naturgemäß nimmt Steven die Drohung des Jugendlichen anfangs nicht ernst. Die plötzliche Lähmung des Sohns wird als Vorwand zum Schule schwänzen abgetan. Zumal die Kollegen im Krankenhaus keine medizinische Erklärung für dessen Symptome haben. Lange Zeit befassen sich die Figuren somit gar nicht mit der Frage, wer zu opfern wäre, sollte es beim Status quo bleiben.

In gewisser Weise teilt sich The Killing of a Sacred Deer in drei Akte auf. Dem ersten, der die Exposition für die Handlung liefert, mit Stevens und Martins Verhältnis und ihren Familien als unbeteiligte Dritte. Im Mittelteil begleitet Lanthimos den allmählichen gesundheitlichen Verfall innerhalb Stevens Familie sowie dessen Frust und seine daraus geborene Wut ob der Situation. Erst im Schlussakt gewinnt die Geschichte eine neue, von Martin angestrebte Dynamik der Eskalation, kulminierend in einem Finale, das wie eine Symbiose aus Richard Kelly und Michael Haneke wirkt. Nebenbei dröselt der Film hinsichtlich der Umstände auch die Frage nach Verantwortung sowie dem klassischen patriarchalischen Rollenbild innerhalb der Familie auf.

Er sei nun in Abwesenheit seines Vaters der Mann im Haus, adressiert Martin beispielsweise in einer Szene Bob. Im Wissen, dass er, Martin, nun selbst nach dem Tod seines Vaters der Mann bei sich daheim ist. Und verantwortlich für seine Mutter, wie auch Anna, Kim und Bob im Grunde zu Steven blicken als Konfliktlöser ihrer Probleme. So absonderlich Martin in vielen seiner Szenen erscheint, so bedürftig nach (väterlicher) Liebe ist er womöglich. “Can I give you a hug?”, fragt er Steven da zu Beginn, als dieser ihm ein Geschenk macht. Und fragt den Arzt später in einer anderen Szene gar nicht mehr, sondern umarmt diesen einfach. Auf seine Weise versucht Martin, mit seinem Verlust klarzukommen. Scheitert aber daran, ihn zu ersetzen.

Verantwortung muss Steven auch für jenen Vorfall übernehmen, der ursächlich für die im Film gezeigten Ereignisse ist. Martins Schuldvorwurf mag aus der Trauer geboren sein, doch er scheint den Tatsachen zu entsprechen. Zwar schieben sich Steven und sein Anästhesist Matthew (Bill Camp) gegenseitig die Schuld für die misslungene Operation zu, doch die Annahme, Steven habe unter Alkoholeinfluss das Skalpell geschwungen, wird befeuert durch die Tatsache, dass er seit ebenso vielen Jahren nicht mehr trinkt wie die fatale Operation her ist. Es ist nicht das erste und einzige Mal im Film, als sich Steven seiner Verantwortung entzieht, der er sich gegen Ende wider Willen und besseren Wissens dann aber doch stellen muss.

The Killing of a Sacred Deer wird dabei weniger von seiner Prämisse getragen – wie erwähnt treibt Lanthimos sie erst im Schlussakt in das für ihn typische Absurde – oder von der Tiefe seiner Handlung als von der Stimmung, die Film und Figuren begleitet. Die Wahl auf den unscheinbaren Barry Keoghan als böswilligen Rachsüchtigen ist ungewöhnlich und auf ihre Art durchaus überzeugend. Colin Farrell bewies bereits in The Lobster, dass sich seine Art des Schauspiels sehr gut mit Lanthimos’ monotonem Dialogstil sowie kühler Inszenierung versteht. Nicole Kidman fügt sich dem nicht ganz und bleibt sich bisweilen eher treu, während gerade Alicia Silverstone in ihrem kurzen, aber prägnanten Auftritt eine eigene Duftmarke hinterlässt.

Heinrich Heine meinte einst, „man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher, als bis sie gehenkt worden“. Martin könnte dies ähnlich sehen. Als ihn Anna in einer Szene fragt, warum der Jugendliche sie und ihre Kinder in den Zwist mit Steven zieht, erhält sie keine Antwort. Für den Teenager geht es weniger um Vergeltung an dem Arzt als darum, diesen den Verlust spüren zu lassen, mit dem er und seine Mutter selbst jeden Tag klarkommen müssen. Giorgos Lanthimos liefert mit The Killing of a Sacred Deer ein eindringliches und durchweg faszinierendes Psychodrama, dem dennoch etwas die Tiefe seiner Vorgänger fehlt. In gewisser Weise muss der jüngste Film des Griechen also mit seiner ganz eigenen Art von Verlust auskommen.

6.5/10

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