Dasvidanja, Dr. Jones.
Wenn man sich etwas mit
Raiders of the Lost Ark beschäftigt, dann erfährt man, dass laut Produzent George Lucas niemand in Hollywood das Drehbuch verfilmen wollte, dass es von allen Studios abgelehnt wurde. Gleichzeitig aber wurde scheinbar ein Fünf-Filme-Vertrag abgeschlossen für die
Indiana-
Jones-Reihe – es versteht sich von selbst, dass man bei Zweifeln an einem Filmprojekt immer gleich dafür sorgt, wenn schon dann richtig unterzugehen. Lucas behauptet auch allen ernstes, dass
Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull aussieht, es wäre es drei und nicht zwanzig Jahre nach
Indiana Jones and the Last Crusade gedreht worden. Frank Marshall erdreistet sich zu der Aussage, dass CGI im vierten Abenteuer des Archäologen nur dort angewendet wurde, wo sie nötig gewesen sei. Wer den Film gesehen hat, kann sich nur auf den Arm genommen fühlen, von solcherlei Aussagen. Regisseur Steven Spielberg selbst kam auf die Idee zu einem neuen Abenteuer, als ihn sein Sohn vor wenigen Jahren auf die verbleibenden beiden Teile ansprach.
Angeblich wurde – wie man jetzt behauptet – seit neunzehn Jahren versucht, an einem Drehbuch zu schreiben. Vor zwei Jahren soll Hauptdarsteller Harrison Ford gemeint haben, wenn der Film bis 2008 nicht zu Stande kommt, werde er ihn überhaupt nicht mehr drehen. Dies hat dann scheinbar dazu geführt, dass Spielberg händeringend nach einem Drehbuch gesucht haben soll. Dennoch soll bereits 2002 M. Night Shyamalan mit einem Drehbuchentwurf beauftragt worden sein, nach ihm auch Oscarpreisträger Stephen Gaghan und im selben Jahr schließlich auch Frank Darabont. Dessen Skript – welches Indys Vater und Bruder einbezog, die von Sean Connery und Kevin Costner hätten gespielt werden soll – wurde von Spielberg geliebt und von Lucas verabscheut. Letzten Endes schrieb Spielberg-Spezi David Koepp (
War of the Worlds,
The Lost World) das Drehbuch und nahm ein bisschen was aus all den vorherigen Entwürfen auf.
Man merkt schon, hier sagt jeder etwas anderes und wie es Mulder immer so schön formulierte: die Wahrheit ist irgendwo da draußen. Von jemandem wie George Lucas kann man sie zumindest nicht erfahren, der Mann hat sich jeglichen Respekt mit der DVD-Veröffentlichung der
Star-
Wars-Trilogie verspielt. Seine Intention an einem vierten Indiana Jones-Abenteuer dürfte, wie immer bei ihm, die reine Geldmacherei gewesen sein. Was Spielberg zu diesem Projekt trieb, liegt auch auf der Hand: die Karriere von seinem Zieh-Sohn Shia LaBeouf muss weiter angekurbelt werden. Da reicht es nicht aus ihn in sämtlichen DreamWorks-Produktionen unterzubringen und vor
Kingdom of the Crystal Skull noch eben den Teaser zu dessen neuem Film
Eagle Eye zu schneiden. Zudem gab der Oscarpreisträger kund, dass der Film lediglich ein Zugeständnis an die Fans sei. Der einzige, dem das Projekt wirklich etwas zu bedeuten schien, scheint Ford gewesen zu sein und man merkt ihm seinen Spaß, seine Motivation und seinen Elan in jeder einzelnen Minute an. Indiana Jones geht auf die 60 zu, aber Ford sorgt dafür, dass man es der Figur in keiner Sekunde anmerkt.
Das ist der mit Abstand größte Verdienst, den man
Kingdom zusprechen kann, denn er geht in jeder Einstellung ehrenvoll mit seiner Figur um und feiert diese. Kaum zwei Tage in den Kinos sorgte das neueste (und letzte?) Abenteuer des amerikanischen Archäologen für eine Spaltung der Fans. Die einen finden ihn gut, exzellent, genauso wie die Trilogie – die anderen sind enttäuscht. Vom Drehbuch, von Spielberg, vom Gesamtpaket. Bei Rotten Tomatoes hält
Kingdom eine Wertung von 78% und nimmt damit den letzten Platz in der Tetralogie ein (hinter
Temple of Doom mit 86%). Bei IMDb (7.5/10) und Metacritic (5.2/10) sieht das ganze noch schlechter aus – Tendenz nach unten. Vierhundert Millionen Dollar muss der Film einspielen, damit Paramount kein Verlustgeschäft macht – so wie die Schlangen an den Kinos aussahen, dürfte er diese Summe fast am ersten Wochenende einspielt haben. In den USA spielte er zumindest am verlängerten Memorial Day Wochenende 150 Millionen Dollar ein – beinahe seine Produktionskosten.
Hatte
Raiders noch 20 Millionen Dollar gekostet, kam Spielberg bei
Kingdom nicht unter 185 Millionen Dollar aus. Hauptgrund dürften die Actionszenen und allen voran die digitalen Effekte von ILM gewesen sein. Herhalten musste das Geld für animierte Tiere, die keinerlei Zweck erfüllen, Matte Paintings und Comichafte Elemente. Dabei hätte man gerade letztere sehr viel gelungener auf herkömmlich Weise erzeugen können. Der vierte Teil hat an demselben Problem wie
Planet Terror zu knabbern, er ist besser als er sein sollte. Da die
Indiana-
Jones-Reihe eine verklärte B-Movie-Hommage ist, sind die digitalen Effekte (Stichwort: Indy schaut mit dem Rücken zum Publikum auf …) viel zu bombastisch und groß geraten. Sie hätten sich sehr leicht auch mit Miniaturmodellen erreichen lassen und damit wäre auch der Charme der Serie erhalten geblieben. Vielleicht befürchtete Lucas auch lediglich, dass das gegenwärtige Kinopublikum das Interesse an altmodischen Filmen verlieren würde, wo ja bereits Schwarzweiß-Filme inzwischen verpönt sind.
Über die Matte Paintings lässt sich streiten, sie stören nicht wirklich, verleihen dem Film jedoch im Vergleich zur Trilogie, die gewollt staubig und dreckig daherkam einen neuen, praktisch innovativen Ton (und grenzt sich damit von den ersten drei Teilen hab). Gerade deshalb wird auch die Lucas'sche Bemerkung zum Aussehen des Filmes (siehe oben) ad absurdum geführt. Eventuell ist dieser Look aber auch beabsichtigt, um explizit den vierten Teil von der Trilogie abzugrenzen, somit ein Zeichen, dass er als eigenständiger Film funktionieren möchte, losgelöst von seinem Setting in den dreißiger Jahren. Dahingehend würde sich dann auch der Einsatz von CGI-Tierchen inklusive Animatronics erklären, wenn ein digitales Erdmännchen zu Beginn des Filmes die Loslösung von der nationalsozialistischen Gefahr bedeutet. Die Affen später verstehen sich zum einen als Referenz zum Äffchen aus
Raiders, als auch im Kontext ihrer Szene als Hommage an die
Tarzan-Abenteuer der vierziger und fünfziger Jahre, die den Schauspielern Johnny Weissmüller, Lex Barker und Gordon Scott damals zu Ruhm verhalfen. Ein Punkt, der viel zur Akzeptanz des neuen Abenteuers beizutragen hat.
Um was geht es eigentlich im vierten Teil? Indy hat zu Beginn des Filmes Probleme mit den Sowjets, die ihn extra aus Mexiko geholt haben, weil sie Informationen bedürfen. Eingeführt wird die Szenerie wie es sich gehört mit dem Paramount-Hügel-Übergang und Spielberg führt Indy wieder zuerst mit dessen Schatten ein. Der Zeitsprung in die Fünfziger zuvor ist ebenfalls gelungen, jetzt wird die Antagonistin eingeführt: Colonel Dr. Irina Spalko (Cate Blanchett). Erahnte man in den Trailerbildern, dass Blanchett ihre Spalko mit dümmlicher Frisur zur Witzfigur abstempelt, wird sie das Publikum in den kommenden zwei Stunden vom Gegenteil überzeugen. Spalko ist ein ernst zu nehmender Gegner, neben Mola Ram wahrscheinlich der gefährlichste, mit dem es Indy bisher zu tun hatte. Blanchett spielt die Figur frei beschwingt, ihr russischer Akzent überzeugt ebenso wie sie selbst (und wird auch schön von Arianne Borbach, die synchronisierte Zweitsichtung lässt grüßen, transferiert). Wirkt Ford zu Beginn des Filmes so alt wie er im wahren Leben ist, wird er mit jeder fortschreitenden Einstellung jünger und mehr zu Indy. Man merkt, hier steckt sein Herzblut drin. Ford spielt nicht Indy, nein, er ist Indy. Im Gegensatz zur Trilogie ist das Artefakt zu Beginn kein MacGuffin, sondern hängt mit dem finalen Artefakt respektive der Filmhandlung zusammen.
Die Einleitung ist jedenfalls der stimmigste Teil des Filmes, ähnelt am meisten der Trilogie und macht perfekt Laune. Hieran knüpft sich eine Hommage an das Kino der fünfziger Jahre, welches die Gefahr des Kalten Krieges und die darauf resultierende Angst vor Nuklearwaffen (
Godzilla,
Them!) geschickt zu rezitieren weiß. Wer Fan der Sitcom
Scrubs ist, darf sich auf einen Cameo der besonderen Art freuen: Fords
The Fugitive-Genosse Neil Flynn taucht im Film auf. Entgegen von Thomas-Nero Wolff wird er aber von Michael Iwannek (u.a. Matthew Perry) gesprochen – was dem Spaß jedoch keinen Abbruch bereitet. Bevor weiter auf den Film eingegangen wird lässt sich noch sagen, dass obschon natürlich die Originalfassung vorzuziehen wäre, die Synchronisation eine gute Arbeit geleistet hat. Von Borbach bis zu Wolfgang Pampel (Ford) und David Turba (LaBeouf), sie alle leisten verhältnismäßig gute Arbeit, auch wenn man den Stimmen ihre durch die Aufnahmestudios verliehene Sterilität anmerkt.
Spielberg knüpft eiligst an die nächste Referenz an. Was als fragwürdige Einführung der Figur von Mutt Williams (Shia LaBeouf) erscheint, ist per se gesehen fast logisch. 1953 erschien
The Wild One, Elvis beherrscht die Musikcharts, da ist es nur verständlich, dass ein Jungspund wie Mutt sich an diesen beiden Charakteren orientiert und modelliert. Dass es sich bei LaBeouf um keinen guten Schauspieler handelt, lässt sich allein an der Tatsache ablesen, dass er 90% seiner Rollen inzwischen Papa Spielberg zu verdanken hat. Dabei darf man ihn nicht mit seiner Figur Mutt Williams verwechseln, die durchaus besser gelungen ist, als es LaBeoufs Schauspiel erwarten lässt. Er weiß jedoch im Vergleich zu
Transformers und
Disturbia weitaus besser zu überzeugen, dennoch wäre ein Joseph Gordon-Levitt die bessere Wahl gewesen, von einem Kevin Costner als kleinem Bruder ganz zu schweigen. Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass der Transfer in die fünfziger Jahre mehr als gelungen ist, die Stimmung, der Look, das Verhalten, alles fügt sich zu einem größeren Ganzen zusammen und funktioniert. Die heraufbeschworene Gefahr des Kommunismus scheint allgegenwärtig, macht selbst in Indys obligatorischer Ruhephase am Marshall College nicht halt.
Hier unterläuft Spielberg ein kleiner Fauxpas, wenn er Jim Broadbent in einer verschandelten Rolle als Marcus Brody Verschnitt für den bedauerlicherweise verstorbenen Denholm Elliott auflaufen lässt. Noch unverständlicher ist lediglich, weshalb beide Figuren sich in der synchronisierten Version Siezen, obschon sie selbst erklärte, jahrelange Freunde sind. Die nächste „Actionszene“ wartet auf, Spielberg schraubt das Tempo hoch in seinem neuesten Film, die Momente am Marshall College selbst verweisen wiederum mehrfach auf frühere Ereignisse der Trilogie. Wie immer wird Indy auf die Suche nach einem Artefakt geschickt, für das er sich selbst kaum interessiert. War es die eigene Regierung, ein Dorfoberhaupt oder ein ominöser Finanzier, von selbst war Indy nie der Auslöser. Am ehesten spiegelt
Kingdom hier noch Crusade wieder, geht es doch weniger um das Artefakt, als vielmehr um eine Rettungsaktion, welche wiederum mit ebenjenem Artefakt verbunden ist.
Das Artefakt selbst jedoch, ist wie gesagt das Problem des Filmes, zumindest wird es die Durchschiffung von Skylla und Charybdis für das Publikum werden. Wer unbeschadet durchgelangt, wird an dem Film seinen Narren fressen können. Vielleicht hat man sich mit der gewählten Thematik keinen Gefallen getan, auch wenn diese nicht sonderlich unglaubwürdiger wie die vorangegangenen Teile scheinen mag.
Kingdom selbst ist hier lediglich Kind seiner Zeit: der Fünfziger. Der Trailer offenbart es bereits teilweise, die Ereignisse von Roswell im Jahre 1947 spielen eine Rolle im Film, und zwar grundsätzlich. In den fünfziger Jahren kamen in Hollywood erstmals Filme über Fliegende Untertassen und Außerirdische in die Kinos. Dazu zählt neben der ersten Adaption von H.G. Wells
The War of the Worlds auch
The Day the Earth Stood Still oder
Earth vs. the Flying Saucers. Im Jahrzehnt von Sputnik 1 befürchteten die Menschen eine Invasion aus dem All und würde
Kingdom nicht 2008, sondern 1958 in die Kinos kommen, wäre seine Handlung nichts Besonderes gewesen. Dies ist der Schlüssel zur Erkenntnis des gesamten Filmes, eine Erkenntnis, welche sich mir offen gestanden bei der ersten Sichtung nicht erschließen wollte.
Doch man kann von einem Indiana Jones Ende der fünfziger Jahre nicht dasselbe erwarten wie von einem Indiana Jones am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Es ist eine andere Zeit, eine andere Ära, andere Ängste, andere Umstände. Auch das Dr. Jones mehrfach und fast ausschließlich körperliche Unterstützung von Jungspund Mutt erhält, sollte man nicht verdammen. Der gute Professor geht auf die Sechzig zu, Spielberg huldigt den alten Indy oft, aber nicht ständig. Gerade diese Szenen sind im Grunde glaubwürdig und das Ende lässt zumindest hoffen, dass den Fans ein
Indy-Franchise ohne Indy erspart bleibt. Der Film selbst hat ein etwas schwächeres Drehbuch, wie die Trilogie-Teile, unnötige Figuren wie Ray Winstone, Jim Broadbent und John Hurt, ist in der Mitte etwas zu rührselig, besitzt zu viel digitalen Schnick-Schnack und das Ende ist wie beschrieben grenzwertig, gewinnt jedoch vielleicht bei mehrmaligem Sehen dazu. Der Rest ist total Indy, die Ochiophobie, der Patriotismus, der Charme, der Zynismus, die Action, das Abenteuer. Mit dem vierten Film verhält es sich wie bei mancher Geburt: es ist zwar nicht unbedingt ein Wunschkind, doch „lieben“ tut man es dennoch. Ein durchaus würdiger Teil der Reihe. Nun ist aber auch gut.
6.5/10 - erschienen bei
Wicked-Vision[Edit: Der Text wurde nach der Zweitsichtung zum größten Teil geändert, daher weichen die Kommentare vom Inhalt der Review stark ab]