24. August 2015

Queen of the Desert [Königin der Wüste]

See the desert on a fine morning and die – if you can.
(Gertrude Bell, “Syria, The Desert and the Sown”, p. 64)

In der Regel scheint Werner Herzog eher dem Wahnsinn zugewandt. Egal ob er einen von der Leine losgelassenen Nicolas Cage in Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans agieren lässt, eine Dokumentation wie Grizzly Man über fanatische Bärenschützer erstellt oder sich mir Enfant terrible Klaus Kinski auseinandersetzte. Umso ungewöhnlicher ist es, dass Herzog nun mit Queen of the Desert der cineastischen Romantik verfällt. Und eine historische Biografie drehte, die klassischer kaum sein könnte. Als Thema wählte er dabei Gertrude Bell, eine Historikerin und Archäologin, die mit T. E. Lawrence mithalf, den Nahen Osten im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts politisch neu zu ordnen. Darunter fällt auch die Gründung des heutigen Irak.

Ende des 19. Jahrhunderts ist Gertrude Bell (Nicole Kidman) ihres Lebens auf dem Landgut ihres Vaters überdrüssig. Der sendet sie zum Schwager seiner Gattin nach Teheran, wo er als britischer Botschafter tätig ist. Hier lernt Bell den Botschaftssekretär Henry Cadogan (James Franco) kennen und lieben. Genauso wie ihre Passion für den nahen Osten. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wird sie das Land und seine Leute näher erkunden, allen voran die Beduinenvölker. Dabei macht sie die Bekanntschaft eines jungen T. E. Lawrence (Robert Pattinson) und die des Konsuls des osmanischen Mersins, Charles Doughty-Wylie (Damian Lewis). Ihre Kenntnisse der Region machen Bell dabei zur respektierten politischen Beraterin des britischen Empires.

Ein mannigfaltiges Leben, welches natürlich in einem zweistündigen Kinofilm nicht vollends Platz zur Würdigung findet. So streift auch Herzog in Queen of the Desert lediglich Auszüge aus dem Leben Bells – und lässt vieles unerwähnt. Beispielsweise ihre Passion als Alpinistin und zahlreichen Bergbesteigungen, auch ihre vielen Reisen nach Deutschland oder Japan tauchen im Film nicht auf. Der will lieber von einer dreifachen Liebe Gertrude Bells erzählen, zu den Männern Henry Cadogan und Charles Doughty-Wylie sowie zur arabisch-persischen Region. Immer wieder zieht es Bell und ihre Begleiter rund um den treuen Fattouh (Jay Abdo) hinaus in die Wüste, zu verschiedenen Scheichs und Stammesführern sowie in die Oasenstadt Ha’il.

Viele Reisen, noch mehr Bekanntschaften und ein immer verstärkter mitschwingender politischer Kontext. Es dürfte für Herzog kein leichtes Unterfangen gewesen sein, das komplexe Leben von Gertrude Bell in seinem Drehbuch zu fassen zu kriegen. Und vollends gelingen vermag es ihm verständlicherweise nicht. Die Bedeutung von Land und Leute für Bell will bis zum Ende des Films nicht wirklich greifbar werden. Genauso wenig die Rolle, die Bell und T. E. Lawrence zu der damaligen Zeit gespielt haben. Queen of the Desert wirkt wie ein Durchblättern einer Enzyklopädie, die mit einigen romantischen Bekanntschaften angereichert ist, die natürlich ebenfalls nicht genauer ergründet werden. Herzog bewegt sich stets an der Oberfläche.

Das ist auf der einen Seite zwar bedauerlich, aber vermutlich zugleich unumgänglich, will man sich der Person Gertrude Bell nicht in einer Mini-Serie nähern. Die meiste Zeit funktioniert Herzogs zurückgenommene Regie dennoch erstaunlich gut, nicht zuletzt dank der gefälligen Bilder von Kameramann Peter Zeitlinger. Die Darsteller selbst spielen solide, auch wenn es gerade zu Beginn etwas befremdlich ist, Nicole Kidman eine 24-jährige Gertrude Bell spielen zu sehen. Damian Lewis schlägt sich achtbar, die zurückgenommenen James Franco und Robert Pattinson vermögen nur bedingt ihre historischen Persönlichkeiten vor ihre eigene verfrachten zu können. Immerhin gehen beide Charaktere nicht über Nebenrollen hinaus.

Am erstaunlichsten fällt der Ton des Films aus, der an klassische Filme des Genres erinnert, wie sie heutzutage nicht mehr gedreht werden. Sicher auch, weil sie finanziell wenig Ertrag versprechen, sodass Queen of the Desert womöglich bewusst Handlung aussparte, um das Budget nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Nichtsdestotrotz erzählt Herzog eine glaubwürdige Geschichte einer jungen Frau, für die ihre eingeschränkte Welt in England zu klein schien. Und die mithalf, andere Welten neu zu gestalten. Als Ausgangspunkt für eine tiefergehende Beschäftigung mit Gertrude Bell funktioniert der Film somit durchaus. Und dürfte wohl all jene ansprechen, die klassische Werke wie Lawrence of Arabia und Co. zu schätzen wissen.

6.5/10

18. August 2015

True Detective – Season Two

Here we are, under the bright lights.

Erfolg kann auch eine Bürde sein und Fußstapfen bereiten, die anschließend schwer auszufüllen sind. So haderte auch Michael Douglas’ Figur in Wonder Boys damit, nach einem umjubelten Debütroman ein Folgewerk zu liefern, dass den Ansprüchen gerecht würde. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Staffel von True Detective, die im vergangenen Jahr quasi durch die Bank für ihre Atmosphäre und ihr Schauspielduo um Matthew McConaughey und Woody Harrelson gelobt wurde. Wie sich zeigte, wohl eher eine Eintagsfliege, deren Qualität sich scheinbar zuvorderst Regisseur Cary Joji Fukunaga verdankte, statt Serienschöpfer und Autor Nic Pizzolatto. Der liefert mit True Detectives zweiter Staffel krude Dialoge und uninteressante Charaktere.

Statt in Amerikas Süden spielt die Handlung im zweiten Jahr inmitten der korrupten fiktiven Industriestadt Vinci. Deren Stadtdirektor Ben Caspere wird tot von High Patrol Officer und Kriegsveteran Paul Woodrough (Taylor Kitsch) entdeckt. Woodrough soll gemeinsam mit den Ermittlern Ani Bezzerides (Rachel McAdams) und Ray Velcoro (Colin Farrell) den Mord an Caspere aufklären. Während Bezzerides promiskuitiv und spielsüchtig ist, ist Velcoro ein korrupter Polizist, der für seine Vorgesetzten in Vinci notfalls die Ermittlungen torpedieren soll. Zugleich arbeitet Velcoro auch noch dem Clubbesitzer und Anzug-Gangster Frank Semyon (Vince Vaughn) zu, der mit Caspere ein Millionenprojekt am laufen hatte und nun ohne Geld dasteht.

Die große Frage ist: Wer hat Caspere umgebracht und wieso? Und kann Semyon sein Geld zurück bekommen, dass ihm eigentlich mit einem Eisenbahnprojekt den Weg in die Legalität ebnen sollte? Kein leichtes Unterfangen. Schon gar nicht, weil das zweite Jahr True Detective eine Vielzahl an Figuren auf die Zuschauer loslässt, die alle irgendwie miteinander unter einer Decke stecken. Und mit verschiedenen nebulösen Subplots, die acht Episoden lang vor sich hin vegetieren, ohne wirklich von Belang zu sein. Beispielsweise Woodroughs heimliche Homosexualität oder das (erfolglose) Bestreben von Semyon und seiner Frau Jordan (Kelly Reilly), ein Kind zu zeugen. Hinzu kommen dann noch ein paar Fälle von vermissten Personen.

Am gelungensten ist True Detective zu Beginn in den ersten Folgen – primär, weil noch nicht klar ist, wo das zweite Jahr hinführt. Bis sich die Plan- und Orientierungslosigkeit der Staffel, die vermutlich versucht, sich in Noir-Gefilden zu bewegen, in den anschließenden Episoden verstärkt offenbart. Der Mord an Caspere ist weitaus weniger spannend als die Ritualmorde aus der ersten Staffel. Dass mit Caspere auch Semyons Zukunft sterben könnte, hat für das Publikum ebenfalls wenig Belang. Die Figur ist einem schlicht egal, was durch oft grausige Dialoge, die ihr Pizzolatto in den Mund legt, nicht besser wird. Ähnlich verhält es sich auch mit den drei Ermittlerfiguren, von denen kaum eine ihre Eindimensionalität zu überwinden vermag.

Bezzerides hadert mit ihrer Kindheit in der Hippie-Kommune ihres Vaters Eliot (David Morse), Woodrough mit seiner Zeit als Blackwater-Söldner in Afghanistan und seiner Liebelei mit einem Kameraden. Velcoro wiederum befindet sich in Semyons Schuld, da der ihm einst verriet, wer seine Frau (Abigail Spencer) vergewaltigt hatte. Eine Selbstjustiz-Wunde, die bis in die Gegenwart schmerzt und dem korrupten Ermittler ein zerrüttetes Verhältnis zu seinem Sohn beschert, der womöglich der Nachwuchs des Täters ist. Viel Drama, auch bei den anderen Figuren, wie dem versoffenen Vinci-Bürgermeister, dessen Zuhälter-Sprößling oder unter Semyons Männern, von denen plötzlich ebenfalls einer tot und mit Casperes Wunden auftaucht.

Es gibt derart viele Charaktere, dass man ihnen schwerlich allen folgen kann. Gesichter tauchen auf und gehen, hängen irgendwie miteinander zusammen. Eine Zuordnung fällt eher schwer, was aber auch nicht sonderlich problematisch ausfällt. Die Handlung dümpelt vor sich hin, die Ermittlungen im Fall bewegen sich zwar voran, werden Mitte der Staffel dann jedoch ausgebremst und dann wieder auf Anfang gestellt. Wo die Morde im ersten Jahr eine gewisse Faszination ausstrahlten, hält die zweite Staffel nur mit Mühe ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Dass man der Handlung dermaßen egal begegnet, liegt zugleich daran, dass man keine interessanten Charaktere hat, die einen an die Hand nehmen und durch den Plot begleiten.

Das Cop-Trio will nie wirklich miteinander harmonieren, am ehesten gelingt dies noch Velcoro und Bezzerides. Die Figuren bauen weder eine Beziehung zueinander auf, wie ihre Vorgänger im Vorjahr, noch reiben sie sich wie diese aneinander. Dass Pizzolatto dennoch so tut, als würden sich die Drei im Verlauf als Team und Einheit sehen, ist da schon fast bemitleidenswert. Hinzu kommen durch die Bank bedauernswerte Dialoge, die die Charaktere von sich geben müssen und sie teils noch dümmer dastehen lassen als sie durch ihre Aktionen bereits wirken. Schon jetzt ein Klassiker ist Woodroughs Ausspruch, als er in einer Folge auf eine Reihe Verträge stößt: “These contracts… signatures all over them!”, entfährt es Woodrough da ungläubig.

Übrige Gespräche werden meist von Plattitüden unterfüttert, die direkt aus Screenwriting for Dummies stammen könnten. Tempo gewinnt die Show nur dann, wenn buchstäblich Action geboten wird. Wie zum Ende der zweiten und vierten Folge oder auch im ansonsten katastrophalen Staffelfinale Omega Station. Am überzeugendsten gerät hier noch Night Finds You, auch aufgrund ihrer Schlussszene, die dann in der Folgeepisode sogleich revidiert wird. Kurzum: Es fehlt der zweiten Staffel True Detective das, was die erste Staffel ausgezeichnet hat. Interessante Figuren mit einer spannenden Dynamik und eine Atmosphäre, die eine im Grunde beliebige Handlung zu überstrahlen vermag. Fußstapfen, die für das zweite Jahr zu groß waren.

6.5/10

12. August 2015

Classic Scene: Kicking and Screaming – “How do you make God laugh?”

DIE SZENERIE: Nach mehreren Anläufen hört der Literaturabsolvent Grover (Josh Hamilton) endlich eine Nachricht seiner Ex-Freundin Jane auf seinem Anrufbeantworter ab. Jane war ein halbes Jahr zuvor nach ihrem College-Abschluss an eine Universität in Prag gegangen, statt bei Grover in den USA zu bleiben. Seither hat sie mehrmals erfolglos bei Grover angerufen, ansonsten eine Postkarte an Langzeitstudent Chet (Eric Stoltz) geschrieben, der in der Stammkneipe von Grovers Clique als Barkeeper arbeitet.

INT. BAR – GROVER SITS AT THE BAR WHILE CHET SHOWS HIM THE POSTCARD FROM JANE.

CHET: She’s really happy, her new professor’s terrific, and he’s very encouraging of her writing.

GROVER: She stopped calling me. I thought about calling her. Just seems like a lot to do, you know? She’s so far. That long-distance code is so long.

CHET: It’s long.

GROVER: It’s really long! I’m not there. Do you plan to leave here ever?

CHET: (sits down) Why would I... leave?

GROVER: I don’t know.

CHET: You know, I sold term papers to make a living… and slept with undergraduates, the whole deal. After my seventh or eighth year, I began to feel like I was using myself. Somehow I experienced my time as a postponement of my life…but eventually I just realized that this is my life.

GROVER: I could see getting used to it.

CHET: I met a woman – my third American History of the 20th Century professor. We had this child.

GROVER: Nice.

CHET: That is nice. It’s nice. But it’s not for everyone. Some people need to have a real career…which is something that I’ve never really understood. You know, why someone would want to be a vet or a lawyer…or a filmmaker. I’m paraphrasing myself here…but I am a student…and that’s what I chose. You might need to choose something else, and that’s –

CHET stops in midsentence and takes a sip from his whiskey.

GROVER: I like that you drink. I like a bartender who drinks. Otherwise I feel like I’m being poisoned. (takes a sip himself)

CHET: Here’s a joke: How do you make God laugh?

GROVER: How?

CHET: Make a plan.

6. August 2015

Vorlage vs. Film: High Fidelity

High Fidelity (1995)

Eins muss man schon sagen, der doppeldeutige Titel von Nick Hornbys drittem Buch High Fidelity ist vielleicht seine größte Stärke. Neben About a Boy gilt Hornbys 1995er Roman zu seinen erfolgreichsten Werken, noch vor seinem autobiografischem Fever Pitch. Inhaltlich erzählt der Engländer von einer Trennung und ihren Folgen für beide Parteien. Der 35-jährige Vinyl-Shop-Besitzer Rob wird zu Beginn des Buchs von seiner Freundin Laura verlassen. Und das nach drei Jahren Beziehung, so lange wie es Rob mit noch keiner Frau aushielt. Für ihn nun Anlass, eine Top-5-Liste seiner schlimmsten Trennungen anzufertigen, auf der für Laura jedoch kein Platz ist. So schlimm scheint das Beziehungsende Rob nicht getroffen zu haben.

Dass Rob verlassen oder verletzt wird, hat dabei Tradition. Seit er als 12- oder 13-Jähriger damals nach drei Tagen von seiner ersten Freundin Alison betrogen wurde. Ihre Beziehung “had lasted six hours”, rekapituliert Rob (S. 5) – drei Tage à zwei Stunden Rumknutschen nach der Schule. Zu mehr sollte es auch ein Jahr später nicht mit Penny kommen, nicht mal Rumfummeln war gestattet. “We had been going out for three months, which was as near to a permanent relationship as you could get in the fourth year”, entschuldigt er (S. 9). Kurz darauf schlief Penny dafür dann mit einem Klassenkameraden. “I had been humiliated, beaten, out-performed”, bemerkt Rob (S. 10). Ein Schicksal, das ihm noch mehrfach drohen sollte.

Sowohl seine vermeintlich große Liebe Charlie als auch deren Nachfolgerin Sarah verließen Rob für einen anderen Mann. Als er erfährt, dass auch Laura bereits einen Neuen hat – ihren ehemaligen Nachbarn –, zerrt dies die fortlaufende Handlung über an Robs Nerven. Die Beziehung von Rob und Laura bildet den Kern von High Fidelity, jedoch thematisiert Hornby auch eine existenzielle Angst seiner 35-jährigen Hauptfigur. Diese ist quasi pleite, wohnt in einer Ein-Zimmer-Wohnung und besitzt einen Plattenladen, der mehr schlecht als recht läuft. Für Abwechslung sorgen allenfalls seine mit ihm befreundeten Mitarbeiter Barry und Dick, mit denen Rob tagsüber verschiedene musikalische Top-5-Listen erstellt und die Abende verbringt.

Im Mittelpunkt steht aber das Verhältnis von Rob zu Frauen. “Girls”, erinnert er sich eingangs zurück an seine Kindheit. “One moment they weren’t there (…) and the next you couldn’t miss them” (S. 2). In der Reflektion seiner früheren Beziehungen zeigt sich wiederum eine große Unsicherheit gegenüber dem weiblichen Geschlecht. “I have never been entirely sure what it is women like about me”, gesteht Rob (S. 15). Jene Verunsicherung kostete ihn seinerzeit auch Charlie, jene Beziehung, die die größte Wunde hinterlassen hat. “I always think that women are going to save me, lead me through to a better life, that they can change and redeem me”, sagt Rob an anderer Stelle (S. 50). Und beginnt, sein bisherigen Leben zu hinterfragen.

Und während er Lauras neue Beziehung zu torpedieren versucht, bemüht er sich, die Kontakte zu seinen Top-5-Trennungen wieder aufzunehmen, um die Ursache seines Scheiterns zu ergründen. Am Ende ist es ein Todesfall in Lauras Familie, der die beiden Figuren wieder zusammenführt, ohne das wirklich ersichtlich wird, wieso. Hornby gelingt es, in Rob eine wenig sympathische Figur zu erschaffen (er spannte einem Freund einst die Freundin aus, betrog eine schwangere Laura, die daraufhin abtrieb, und lieh sich anschließend Geld von ihr), der man dennoch bereitwillig durch ein paar emotionale Wochen folgt. Mit einigen humorvoll-akkuraten Bemerkungen und popkulturellen Verweisen auf die Musik- und Filmlandschaft der 1990er.

Der Schluss will allerdings nicht wirklich überzeugen. Mehr aus Resignation denn Liebe kehrt Laura schließlich zu Rob zurück, ehe sich nach einigen Diskussionen beide scheinbar ihrem Schicksal ergeben, lieber zweisam statt einsam zu sein. Was sie an ihm und er an ihr findet, gelingt Hornby nicht vollends herauszuarbeiten. Genauso wenig wie Robs vermeintliche Katharsis glaubwürdig erscheint. “Maybe we live life at too high a pitch, those of us who absorb emotional things all day, and as a consequence we can never feel merely content”, sinniert Rob mal (S. 131) und liefert damit fast noch die Erklärung, die am ehesten zufriedenstellen kann. Auf eine Top-5-Liste der besten Romane aller Zeiten schafft es High Fidelity jedenfalls eher nicht.


High Fidelity (2000)

Hey! Do you have soul?

Fünf Jahre nach Erscheinen des Romans folgte dann die Verfilmung. Stephen Frears verlegte hierzu den Handlungsort von London nach Chicago, amerikanisierte das Original also wie es nicht selten (siehe Constantine) geschieht. Statt jemand wie Ewan McGregor übernimmt in High Fidelity also John Cusack die Rolle von Rob. Und wo wir schon beim Thema sind, darf festgehalten werden, dass die Besetzung des Ensembles durchwachsen ausfällt – wie die Adaption als Ganzes. Wo Cusack und Iben Hjelje als Laura in Ordnung gehen und Todd Louiso als introvertierter Dick sowie Jack Black als extrovertierter Barry herausragen, lässt sich dies nicht über jede Nebenrolle sagen. Allen voran hinsichtlich Joan Cusack und Tim Robbins.

Gerade Robbins’ Besetzung ist einer der Störfaktoren, mit langem Zopf ziemlich offensichtlich als Witzfigur gedacht, die dann auch noch unnötig in Traumsequenzen integriert wird (man bedenke, High Fidelity entstand in der Hochphase von Ally McBeal). Als solche irritieren auch Robs Suche nach Rat bei Bruce Springsteen, die wie die Szenen mit Robbins keinen wirklichen Zweck erfüllen. Eine Visualisierung von Lauras neuem Freund hätte es für dessen Einfluss auf ihre Beziehung zu Rob keineswegs gebraucht – schon gar nicht in derart lächerlicher Art und Weise. Weniger störend geraten derweil Catherine Zeta-Jones, Lili Taylor und Lisa Bonet als etwaige love interests, trotz einiger äußerlicher Änderungen gegenüber Nick Hornbys Vorlage.

Im Falle von Bonets Singer-Songwriterin Marie de Salle zeigt sich jedoch, dass der Transfer von England nach Amerika nicht vollends durchdacht war. Frears gelingt es nicht, wirklich deutlich zu machen, wieso im zweiten Akt Marie und Rob miteinander im Bett landen. Wo dies der Roman dadurch untermauert, dass Marie als Amerikanerin neu in England ist und in Rob, Barry und Dick erste Kontakte knüpft, wirkt es im Film selbst ungemein beliebig. Auch, weil die Figur danach nicht mehr wirklich in Erscheinung tritt und Bonets solide Darstellung somit verschenkt wirkt. Auch eine zeitliche Neueinordnung hätte High Fidelity hier gut getan, wirken die Mixtapes der Jungs doch ungemein altbacken, wenn Marie selbst bereits CDs verkauft.

Ein Problem, um das der Film wohl angesichts des Ich-Erzählers der Vorlage nicht herumkam, ist Robs ständiges Durchbrechen der vierten Wand. Fraglos ein delikates stilistisches Mittel, dessen sich selbst Michael Haneke in Funny Games oder John Hughes in Ferris Bueller’s Day Off nur mit Vorsicht bedienten. In High Fidelity ist es wiederum zu viel des Guten, auch da es Cusack in den Szenen oft nur bedingt gelingt, eine glaubwürdige Bindung zum Zuschauer zu erzeugen. Sicher sollte so der Charme im offenen Monolog zwischen Rob und dem Publikum vom Buch in den Film gerettet werden, eine eher traditionelle Erzählweise oder eine Erzählstimme wäre jedoch in diesem Fall vermutlich der Vorzug zu geben gewesen.

Grundsätzlich ist High Fidelity dabei eine Adaption, die sich bemüht, der Vorlage weitestgehend gerecht zu werden. Darunter durch verschiedene humorvolle Szenen, die direkt übernommen wurden, allerdings nicht immer mit ihrem gebührenden Kontext. Dazu gehört beispielsweise Barrys Band, ihren wechselnden Namen und Robs Widerwillen, sie in irgendeiner Form zu unterstützen. Hinzu kommt, dass die Struktur des Handlungsablaufs irritierender Weise im Film geändert wurde. So beginnt Rob hier weitaus früher, seine Top-5-Ex-Freundinnen – zu denen dann auch Laura addiert wird, damit man sich dafür eine weitere Figur sparen kann – aufzusuchen, selbst wenn die Figur noch gar nicht ihren kathartischen Anfang erreicht hat.

Auch Gespräche zwischen Rob und Laura aus den Schlusskapiteln finden sich im Film bereits im ersten Akt wieder, wodurch die Relevanz des Inhalts nicht dieselbe Bedeutung erhält, wie im Roman. Am verstörendsten gerät jedoch der Schluss des Films als solcher. Hier will noch weniger klar werden, wieso Rob und Laura erneut zueinanderfinden. Die Beerdigung von Lauras Vater ist erneut der Auslöser, doch weder spielt die Beerdigung und ihre Bedeutung für Rob eine Rolle, noch widmet sich Frears ihr vollends. Umso passender, dass im Gegensatz zum Buch der Film den Auto-Sex zwischen Rob und Laura nach der Beerdigung dann durchzieht. Schlicht, weil die Autoren nicht verstanden zu haben scheinen, worum es in jenem Moment eigentlich ging.

Der Film vermag nicht zu betonen, dass Rob eigentlich Laura gar nicht zurückhaben will, ehe er realisiert, dass dem doch nicht so ist. Roman-Rob geht es eher um ein größeres Ganzes, dessen jüngstes Teil von Laura dem Puzzle hinzugefügt wurde. Und der sich im Laufe des Buchs einredet, dass jenes Puzzle mit diesem Teil genauso gut beendet wäre wie mit einem weiteren. Dass beide Figuren nach ihrer Wiedervereinigung in Gesprächen weiter eruieren, ob sie als Paar wirklich Sinn machen – selbst wenn dies auch im Roman nicht vollends gelingt –, bleibt im Film ganz außen vor. Die vermeintliche Katharsis von Rob ist bei Stephen Frears insofern noch weniger glaubwürdig wie dies bei Nick Hornby bereits der Fall gewesen war.

War High Fidelity bis zu diesem Zeitpunkt eine unnötig in die USA verlagerte britische Adaption, die trotz einiger inhaltlicher Umstrukturierungen dennoch weitestgehend solide ausfiel, macht sich der Film in seinen finalen 20 Minuten unnötig sehr viel selbst kaputt. Was bleibt ist eine Verfilmung, die trotz der (mit rund 240 Seiten) durchaus knappen Vorlage bisweilen ungemein gehetzt wirkt und in ihrem Bestreben, möglichst lustige Szenen aus dem Buch zu integrieren – und obendrein sogar wenig überzeugende neue zu schaffen – viele der Figuren vernachlässigt. Darunter auch die Hauptfigur. Da bleibt einem nur, den Titel von Rob und Lauras gemeinsamen Song von Solomon Burke zu beherzigen: “Got to Get You Off My Mind”.

5.5/10

1. August 2015

Filmtagebuch: Juli 2015

ALIVE [ÜBERLEBEN!]
(USA/CDN 1993, Frank Marshall)

7.5/10

AN HONEST LIAR
(USA/CDN/E/I 2014, Tyler Measom/Justin Weinstein)
5/10

ANT-MAN
(USA 2015, Peyton Reed)
6.5/10

BOUNCE
(USA 2000, Don Roos)
6/10

COMMUNITY – SEASON 4
(USA 2013, Tristram Shapeero u.a.)
7/10

COMMUNITY – SEASON 5
(USA 2014, Tristram Shapeero u.a.)
7.5/10

COMMUNITY – SEASON 6
(USA 2015, Rob Schrab u.a.)
7/10

DAWN OF THE DEAD
(USA/CDN/J/F 2004, Zack Synder)
4/10

FAULTS
(USA 2014, Riley Stearns)
3/10

FRANCES HA
(USA 2012, Noah Baumbach)
8.5/10

GREY’S ANATOMY – SEASON 1
(USA 2005, Peter Horton u.a.)
7/10

GREENBERG
(USA 2010, Noah Baumbach)
6.5/10

HIGH FIDELITY
(USA/UK 2000, Stephen Frears)
5.5/10

INDECENT PROPOSAL [EIN UNMORALISCHES ANGEBOT]
(USA 1993, Adrian Lyne)

5.5/10

THE INTERVIEW
(USA 2014, Evan Goldberg/Seth Rogen)
6/10

JUMPER
(USA/CDN 2008, Doug Liman)
5.5/10

KICKING AND SCREAMING
(USA 1995, Noah Baumbach)
6/10

KNIGHT OF CUPS
(USA 2015, Terrence Malick)
7/10

PINEAPPLE EXPRESS [ANANAS EXPRESS]
(USA 2008, David Gordon Green)

5.5/10

PROMETHEUS
(USA/UK 2012, Ridley Scott)
4/10

QUEEN OF THE DESERT
(USA/MA 2015, Werner Herzog)
6.5/10

SLOW WEST
(UK/NZ 2015, John Maclean)
3.5/10

SOURCE CODE
(USA/CDN 2011, Duncan Jones)
6/10

THE TERMINATOR
(USA/UK 1984, James Cameron)
8/10

TERMINATOR 2: JUDGMENT DAY [DIRECTOR’S CUT]
(USA/F 1991, James Cameron)

6.5/10

TERMINATOR 3: RISE OF THE MACHINES
(USA/D/UK 2003, Jonathan Mostow)
1/10

TERMINATOR SALVATION [TERMINATOR: DIE ERLÖSUNG]
(USA/D/UK/I 2009, McG)

2.5/10

THIS IS THE END
(USA 2013, Evan Goldberg/Seth Rogen)
5/10

TOKYO TRIBE
(J 2014, Sono Sion)
6/10

WAYWARD PINES
(USA 2015, Zal Batmanglij/Tim Hunter u.a.)
7/10

WHILE WE’RE YOUNG [GEFÜHLT MITTE ZWANZIG]
(USA 2014, Noah Baumbach)

7/10

Hannibal Lecter-Series


MANHUNTER [BLUTMOND]
(USA 1986, Michael Mann)

6/10

THE SILENCE OF THE LAMBS [DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER]
(USA 1991, Jonathan Demme)

6.5/10

HANNIBAL
(USA/UK 2001, Ridley Scott)
3/10

RED DRAGON [ROTER DRACHE]
(USA/D 2002, Brett Ratner)

3.5/10

HANNIBAL RISING
(UK/F/I/CZ, Peter Webber)
5.5/10

HANNIBAL – SEASON 1
(USA 2013, David Slade/Guillermo Navarro u.a.)
6/10

HANNIBAL – SEASON 2
(USA 2014, Michael Rymer u.a.)
5.5/10