28. Mai 2016

James White

What am I supposed to do?

Krebs ist inzwischen eine Volkskrankheit. Jede/r vierte verstorbene Deutsche erlag in den letzten Jahren einem Krebsleiden. Jährlich erkrankt eine halbe Million Menschen neu, beinahe halb so hoch ist die Zahl der Todesopfer. Kaum jemand dürfte nicht jemand aus dem Familien- oder Bekanntenkreis kennen, der an Krebs erkrankte oder verstarb. So auch die Mütter von Josh Mond und Cynthia Nixon – Letztere besiegte die Krankheit sogar selbst. Der Produzent Mond verarbeitete den Tod seiner Mutter in seinem Regiedebüt James White, in welchem Cynthia Nixon den Part der todkranken Mutter übernimmt, die Krebs im Endstadium hat. Hierunter leidet nicht nur sie, sondern auch ihr Sohn, der sein Leben der Pflege der Mutter widmet.

Monds Film beginnt dabei mit einer Beerdigung oder genauer gesagt Shiv’a in der Wohnung von Gail White (Cynthia Nixon), allerdings der ihres Ex-Mannes und Vaters von Sohn James (Christopher Abbott). Der kommt direkt aus einem Nachtclub zur Trauerveranstaltung, die ihn mit der Zweitfamilie des Vaters zusammenführt. Ein Szenario, das Mutter und Sohn überfordert, schließlich haben sie mit der Krankheit und Pflege von Gail bereits genug Sorgen. Um etwas abzuschalten, besucht James seinen Freund Nick (Scott Mescudi) in einem Hotel in Mexiko, wo dieser als Animateur arbeitet. Und lernt dort die urlaubende Jayne (Makenzie Leigh) kennen. Da bekommt er einen Anruf aus New York, dass sich Gails Zustand verschlechtert hat.

James White ist ein kurzweiliger Film weniger Worte. Oftmals muss man sich Zusammenhänge selbst erschließen – was einerseits durchaus erfreulich ist, zugleich aber auch vieles vage lässt. So verwundert die Abhaltung der Shiv’a in den Räumen von Gail, wenn doch der Großteil der angeheirateten Verwandtschaft asiatischer Abstammung ist. Dass diese nicht selbst die Gedenkfeier ausrichten, mag sich durch Gails Krankheitszustand erklären. Wird aber nicht eigens thematisiert. Genauso wenig die Beziehung von Nick zu Mutter und Sohn. Ist er nur ein guter Freund von James oder eher ein Ziehsohn von Gail, so liebevoll und herzlich wie diese mit ihm umgeht? Josh Mond überlässt solche Interpretationen ganz seinem Zuschauer.

Vorausgesetzt wird eingangs auch die Historie des Krebs- und Pflegeverlaufs. James sagt, er kümmere sich seit vier Jahren um Gail, sie erwidert, er würde ihr seit zwei Jahren auf der Tasche liegen. Ben (Ron Livingston), ein Freund seines Vaters, bietet dem scheinbar schriftstellerisch talentierten James ein Bewerbungsgespräch bei seinem Magazin an. Zuvor will der junge Mann um die 30 jedoch erstmal in Mexiko durchatmen. “When I come back I will be ready for life”, verspricht er. James ist selbst ebenfalls ein Opfer der Umstände, scheint sein Leben für die Pflege seiner Mutter auf Eis gelegt zu haben. “All you do is take breaks”, wirft Gail ihm vor. Und schreibt die Reise nach Mexiko selbstsüchtigen Gründen zu. Was nicht so falsch ist.

Wie schwer die Krankheit der Mutter auf James wiegt, zeigt sich nur in wenigen Szenen. Und ist oft verbunden mit emotionalen Zusammenbrüchen, die ihn letztlich auch seine nach New York gerettete Beziehung zu Urlaubsflirt Jayne kosten. “She may die any day”, presst der Sohn da in einer Szene in all seiner Ohnmacht hervor. Während er im Krankenhaus versucht, ein Bett für Gail zu bekommen, die unterdessen in ihren eigenen Fäkalien liegt, oder telefonisch von einem Hospiz Anweisungen erbittet, wie er mit Fieberschüben der Mutter klarkommen soll. “What am I supposed to do?”, fragt sich die Figur nicht nur einmal – und ist offensichtlich mit der Situation ebenso, wenn nicht vielleicht sogar noch mehr, überfordert als ihr krankes Elternteil.

Die Geschichte wird dabei getragen von ihren Darstellern, allen voran dem soliden Christopher Abbott und der stark aufspielenden Cynthia Nixon. Gerade Nixon gibt alles in einer offenlegenden Darbietung. So kraftlos wie sich ihre Gail äußerlich gibt, scheint wiederum James innerlich zu sein. Auch wenn die Einblicke in die Figur da bereits aufhören. Dennoch ist James White auch dank seiner kurzen Laufzeit von knapp anderthalb Stunden ein starkes Charakter-Drama. Als Krebsfilm fühlt sich der Film zugleich authentischer, jedoch auch tragischer, an als Genrevertreter wie Me and Earl and the Dying Girl oder The Fault in Our Stars. Enden tun alle drei Geschichten letztlich gleich. Da unterscheidet sich die Fiktion also nicht so sehr vom Leben.

6.5/10

21. Mai 2016

Uncharted 4: A Thief's End

I am a Man of Fortune, and I must seek my Fortune.

Manchmal heißt es Loslassen, wenn einem das eigene Wohl am Herzen liegt. “Let it go“, appellierte da Henry Jones, Sr. (Sean Connery) am Ende von Indiana Jones and the Last Crusade an seinen Grabräubernden Sohn Indy (Harrison Ford), als dieser inmitten einer einstürzenden Tempelruine nach dem Heiligen Gral greifen wollte. Lass gut sein – so das Motto. Ein solches wäre auch Naughty Dog zu empfehlen gewesen, ehe sie für dieses Jahr mit einem weiteren Sequel zu ihrer erfolgreichen Spielreihe Uncharted um die Ecke kamen. Nach Drake’s Fortune und dem starken Among Thieves geriet die Reihe vor fünf Jahren mit Drake’s Deception aus der Bahn. Was damals verbockt wurde, verschlimmert der Hersteller nun mit A Thief’s End noch.

Loslassen ist auch eines der Themen in diesem vierten Teil der Serie. Nathan Drake (Nolan North) hat seine Tage als schießwütiger Grabräuber hinter sich gelassen und geht jetzt – auch seiner Frau Elena Fisher (Emily Rose) zuliebe – einer geregelten Arbeit nach. Wirklich erfüllen vermag ihn diese jedoch nicht, weshalb es Nate nicht ganz ungelegen kommt, als plötzlich sein verstorben geglaubter älterer Bruder Sam (Troy Baker) vor der Tür steht. Einst jagten beide den Schatz des Piraten Henry Avery, doch der bei der Mission totgeglaubte Sam landete für 15 Jahre im Gefängnis. Ein südamerikanischer Drogenboss half ihm, zu fliehen. Verlangt nun jedoch den Schatzfund Averys als Ausgleich – ansonsten kostet es Sam das Leben.

“Just when I though I was out… they pull me back in”, mag sich Nate da im Stile von Michael Corleone (Al Pacino) aus The Godfather – Part III denken. Elena wird in der Folge mit einem Jobauftrag im Ausland angelogen, Ex-Partner und Ziehvater Sully (Richard McGonagle) kontaktiert. Über Monte Carlo und Schottland zieht das Trio schließlich nach Madagascar, immer auf den Fersen von Nate und Sams ehemaligen Partner Rafe Adler (Warren Kole) und dessen umfangreicher Söldnertruppe um Nadine Ross (Laura Bailey). Es gilt, die von Henry Avery hinterlassenen Rätsel und Hinweise zu lösen, die auf den größten Piratenschatz aller Zeiten hindeuten. Während gleichzeitig Gattin Elena in der Heimat weiterhin angelogen und vertröstet wird.

Über weite Strecken zwingt Uncharted 4: A Thief’s End somit Emily Roses Elena auf die Ersatzbank, als Frauchen, das Zuhause bleiben muss, während die Männer ihrem Abenteuerdrang nachgeben. Naturgemäß findet die Figur im Verlauf des Spiels aber heraus, was gespielt wird, was wieder mal zu einem Konfliktszenario mit Nate führt. Der, so das Urteil, vermag nicht loszulassen von jenem Leben, das ihn und sie bereits mehrfach beinahe das Leben gekostet hat. Nate wiederum bekommt keine rechte Chance, um zu erklären, dass die Suche nach Averys Schatz weniger um des Schatzes Willen geschieht, sondern um seinen Bruder zu retten. Jenen Bruder, von dessen Existenz sowohl Elena als auch der Spieler erst hier erfahren.

Mit der Integration von Sam tut sich Naughty Dog keinen wirklichen Gefallen. Vor allem dann nicht, wenn Rückblenden, in denen Nate und Sam als Jugendliche auf erste Beutezüge gehen, sich mit Rückblenden beißen, die es zuvor in Drake’s Deception zu spielen gab. Dort traf ein 15-jähriger Nate in Kolumbien auf Sully, hier nun sehen wir ihn weitaus jünger eine Karriere mit seinem Bruder beginnen. Von dem wiederum war in vorheriger Rückblende nichts zu sehen oder zu hören. Das Drama in der Drakeschen Bruderbeziehung ist dabei auch keineswegs derart, dass es sich verboten hätte, seiner Ehefrau von ihm zu erzählen, was A Thief’s End im Verlauf als vermeintliche Ausrede für die Figur – und zugleich Hersteller – anführt.

Aber Sam musste natürlich zum Bruder werden, wo ein guter Freund wohl als Motivation nicht ausgereicht hätte. Für den Spieler ergibt sich kein Unterschied, da die brüderliche Beziehung hier bestenfalls auf Hörensagen basiert. Großartig wird es dann, wenn Elena Nates Lügen auf die Schliche kommt und Sam seinem Bruder versichert, die Gattin werde sich wieder beruhigen. Dabei kennt er sie gar nicht. Zuvor warf Elena ihrem Mann den Blick in seinen Augen vor, als er von einer Hinweis-Schnitzeljagd zurückkehrt – allerdings hatte sie ihm den Rücken zugewandt gehabt. Es sind Details wie diese, die verdeutlichen, wie unsauber das Drehbuch von Neil Druckmann und Josh Scherr (immerhin auch die Autoren von Among Thieves) ist.

Lächerlich wird es schließlich gegen Ende des Spiels, wenn die Figuren in Afrika auf einen von Piraten gegründeten Stadtstaat stoßen, der derart pompös und nobel gestaltet daherkommt, als hätte hier Louis XIV. persönlich gehaust. Die Frage, wie Piraten derartige Paläste gebaut haben und das Material hierfür nach Afrika beschafften, wie viele Jahre all das gedauert haben muss – Naughty Dog opfert jegliche Rationalität für einige hübsche Set Pieces. Immerhin, wenn schon von Rationalität gesprochen wird, kommt A Thief’s End im Gegensatz zu früheren Teilen ohne übernatürliche Elemente wie Zombies oder Yeti-Monster aus. Ansonsten wird sich jedoch freizügig bei den drei Vorgängern wie auch Square Enix’ Tomb Raider bedient.

Das Ergebnis ist vom Gameplay her wenig originell, außer dass die Locations variieren. Gespielt hat man das alles jedoch schon anderswo. Und vor allem: besser. Die Sequenz in Monte Carlo mit Sam ist nahezu identisch mit dem Türkei-Raub aus Among Thieves (dort unterstützt von Harry Flynn), eine spätere motorisierte Verfolgungsjagd, in der Nate unterwegs die Fahrzeuge wechseln muss, gab es zuvor schon in Drake’s Deception zu spielen. Auf Madagascar wiederum klaut Naughty Dog visuelle Gestaltungen direkt von Tomb Raider, aus dem das Gameplay nun auch eine Kletteraxt übernommen hat, mittels der sich Nate teils an Felsvorsprüngen festhaken kann. Weitere Neuerungen: ein Seil, mit dem sich unentwegt schwingen lässt.

Besonders ärgerlich ist, dass auch A Thief’s End wie zuvor Drake’s Deception in seinem Schlussakt jegliche Narration beiseite legt, um von Adventure-Game zum banalen Third-Person-Shooter zu mutieren. Unentwegt fliegen Dinge hoch, schleudern Nate in die Luft, während eine nicht abebben wollende Armee mehrerer Hundert Gegner auf einen losballert. Die zuvor offerierte Option, im Stealth-Modus derartige Szenarien zu vermeiden – oder wie in Naughty Dogs The Last of Us gänzlich Konflikten aus dem Weg zu gehen –, bleibt hier aus. Nicht das einzige was begrenzt ist, so abgesteckt wie die Welt von Uncharted 4 ist. Hingehen lässt sich nur, wo man darf. Und Türen öffnen sich erst dann, wenn das Spiel es plötzlich für nötig hält.

Frustrierend gerät auch, wenn Interaktionen manuell weitergeführt werden müssen. Eine Option, die Naughty Dog in The Last of Us einführte, für diejenigen, die die Beziehung zwischen Joel und Ellie vertiefen wollten. Wenn hier jedoch eigens zu einer Spielfigur gerannt werden muss, um einen Dialog weiterzuführen, der notwendig ist, damit ein Hinweis aufblinkt, der das Fortführen der Handlung ermöglicht, ist dies ebenso ärgerlich, wie wenn Nate alle möglichen Dinge selbst durchführen muss, selbst wenn andere Figuren dies genauso gut könnten. Der Frustfaktor bei der Gestaltung des Spiels, vom großen Ganzen wie der Handlung bis zu kleinen Details wie dem Warten eines Dialogendes, um eine Tür öffnen zu können, ist somit groß.

Dabei hat A Thief’s End durchaus auch positive Dinge zu bieten, allen voran natürlich eine überzeugende Grafik mit hervorragenden Bildern. Wie weit die Entwicklung hier vorangeschritten ist, zeigt sich allein bei der Gestaltung und Mimik von Elena, aber auch die Ausflüge in den matschigen Dschungel Madagascars sowie einer Insel- und Meerlandschaft beeindrucken optisch durch ihre Farbgestaltung und Detailreichtum. Gerade die erste Hälfte – des in der Summe ausufernd langen – Madagascar-Segments weiß zu gefallen, auch die Rätsel, die primär in der ersten Hälfte des Spielverlaufs auftauchen (später wird ja nur noch geschossen) sind ganz nett, obschon grundsätzlich relativ simpel. Letztlich ist das alles jedoch zu wenig, um zu überzeugen.

Das Gameplay ist prinzipiell dasselbe der Vorgänger, somit keineswegs schlecht, aber eben schlicht nichts Neues, wie A Thief’s End generell als ein Best of daherkommt. Es enthält wenig bis nichts, was nicht bekannt ist, was den vierten Uncharted-Teil wie Naughty Dogs Pendant zu uninspirierten Filmfortsetzungen à la Star Wars – Episode VII: The Force Awakens oder Jurassic World macht. Filme, die primär funktionieren, weil sie sich auf ein ihnen vorausgehendes Erbe stützen und dieses wie ein Echo wiederholen. Wer jedoch derart uninspiriert zu Werke geht, sollte es besser gleich lassen oder seine Energie in originärere Projekte stecken. In diesem Sinne, Naughty Dog, rate ich euch bezüglich Uncharted getreu Henry Jones, Sr.: Let it go.

6/10

14. Mai 2016

X-Men: Apocalypse (3D)

Die Welt mit Staub bedeckt, doch ich will sehn wo’s hingeht.
Steig auf den Berg aus Dreck, weil oben frischer Wind weht.
(Peter Fox, Alles Neu)


„Ich verbrenn mein Studio, schnupfe die Asche wie Koks“, singt Peter Fox in seinem Lied „Alles Neu“. Und fährt fort mit Verszeilen wie „Ich jag meine Bude hoch, alles was ich hab lass ich los“. Insofern passt das Lied ganz gut zur jüngeren Generation von Comicverfilmungen, die im großen Stil Städte pulverisieren und Destruktion zelebrieren. Dieses Jahr beschäftigten sich dann mit Batman V Superman: Dawn of Justice und Captain America: Civil War zwei Studiofilme mit den Folgen dieser Zerstörungsorgien und der Verantwortung der Superhelden an dieser. Auch in X-Men: Apocalypse werden Städte buchstäblich zu Asche gemacht und Menschen sterben en Masse. So sehr, dass Roland Emmerich mit der Zunge schnalzen würde.

Ähnlich formulierte es ein Filmkritiker nach der Pressevorführung, was vielleicht auch ganz passend ist, da Regisseur Bryan Singer seinen vierten X-Men-Film mit einer Quasi-Hommage an Stargate beginnen lässt. Im Ägypten des Jahres 3600 vor Christus ist der als Gott verehrte erste Mutant En Sabah Nur gerade dabei, sein Bewusstsein in einen jüngeren Körper (Oscar Isaac) zu transferieren, als eine Revolution die Prozedur stoppt. Erst Jahrtausende später, im Jahr 1983, wird er wiederauferstehen – unter den Augen von CIA-Agentin Moira MacTaggert (Rose Byrne). Ein weltweit spürbares Ereignis, auch für Charles Xavier (James McAvoy) und Hank McCoy (Nicholas Hoult) in ihrem Internat für junge Mutanten wie Scott Summers (Tye Sheridan).

Dort sieht Studentin Jean Grey (Sophie Turner) das Ende der Welt voraus, welches durch die Rückkehr von En Sabah Nur – der dankenswerter Weise nie „Apocalypse“ genannt wird – eingeleitet wird. Der schart wiederum erstmal andere Mutanten als Gefolgsleute um sich, zuvorderst die junge Diebin Storm (Alexandra Shipp), später auch noch Psylocke (Olivia Munn), Angel (Ben Hardy) und schließlich Erik Lehnsherr (Michael Fassbender). Der hat sein Dasein als Magneto eigentlich hinter sich gelassen, doch ein tragisches Unglück befeuert seinen Hass auf die Menschheit. Ein Vorfall, den auch Mystique (Jennifer Lawrence) mitbekommt, nachdem sie einen jungen Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee) aus der Gefangenschaft befreit.

So simpel die eigentliche Handlung des Films – En Sabah Nur will die Reset-Taste der Menschheit drücken –, so umfangreich gerät die Exposition, bis diese Handlung startet. Die erste halbe Stunde von X-Men: Apocalypse gerät zum konstanten Szenenwechsel, während Singer mit allen bislang und noch nicht eingeführten Figuren auf dem neuesten Stand ist. Was bei einem umfangreichen Ensemble wie es die X-Men sind dauern kann. Zu Beginn des zweiten Akts haben sich dann – wie bei X-Men-Filmen üblich – die zwei Lager rund um Professor X und Magneto gebildet. Auch wenn Letzterer über weite Strecken eine passive Handlanger-Rolle im Konflikt von Xavier und En Sabah Nur einnimmt. Ein Schicksal, das er sich mit Storm, Psylocke und Angel teilt.

Hier zeigt sich eines der (Genre-)Probleme des Films: die unausgearbeiteten Antagonisten. Egal ob sie nun Lex Luthor oder Helmut Zemo heißen, Bolivar Trask oder En Sabah Nur – wie diese Personen wirklich ticken, wird nie wirklich klar. Was auch daran liegt, dass Comicverfilmungen – und eben auch die X-Men-Filme – immer aufgeblähter geraten was ihre Figuren angeht. Da haben die Helden Priorität und unter ihnen die Hollywood-Stars noch mehr. Rudimentär gerät da die Motivation von Figuren wie Storm und Angel, sich En Sabah Nur zu fügen, im Fall von Psylocke existiert gar kein Anlass. Und auch wenn sich Magnetos abermalige Abwendung nachvollziehen lässt, sie resultiert wie in den Vorgängern immer aus demselben Anlass.

Auch En Sabah Nur, als Apocalypse einer der profiliertesten X-Men-Gegner, wirkt eindimensional. Das klassische (und immer noch tolle) Xavier-Intro-Voice-over muss ausreichen, um seine umfangreiche Macht als Auslöser von Größenwahn zu erklären. Von dieser Menschheit voll mit Nuklearwaffen und Supermächten will er jedenfalls nicht als Gott verehrt werden. Also alles auf neu – oder angesichts der geplanten Zerstörungsorgie eher: zurück zu den Wurzeln. Erfreulicherweise mittendrin statt nur dabei sind die jüngeren Versionen der aus X-Men und X2 bekannten Figuren um Nightcrawler, Jean Grey und Scott Summers – ebenfalls hier noch nicht Cyclops getauft. Gerade die letzten Beiden hadern jedoch noch mit den Ausmaß ihrer Mutation.

Gegenüber X-Men: Days of Future Past hat Apocalypse den Vorteil, dass Singer nicht versuchen muss, alle Beiträge zum Franchise irgendwie unter einem Dach zu vereinen. Abgesehen von den schwach ausgearbeiteten Antagonisten existiert somit ein etwas flüssigerer Handlungsverlauf. Und dennoch kann dieser neueste Eintrag in die Serie durchaus auch als eine Art Best of verstanden werden. Die Rückkehr von Quicksilver (Evan Peters) geschieht mit einer ähnlichen Szene wie im Vorgänger, was ihr – bei allem Vergnügen, das sie bereitet – etwas ihres Effekts beraubt. Auch sonst gibt es Rückgriffe zu X-Men und X-Men: First Class, wenn En Sabah Nur mit Magneto einen (leicht geschmacklosen) Ausflug nach Auschwitz unternimmt.

Insgesamt – und in diesem Absatz sind Spoiler enthalten – gefallen jedoch gerade die Referenzen zum Comic und den TV-Serien. Und zeugen von den cojones Singers, derartig populäre Stränge in diesen bereits umfangreichen Film zu integrieren. Von dem Verweis auf X-Men/X2 und der Einbettung von Barry Windsor-Smiths Weapon X mit dem Gastauftritt von Wolverine (Hugh Jackman) – ungeachtet der Frage, wie er vom Ende von Days of Future Past hier landete –, über die Zugabe der Dark Phoenix-Storyline im Finale bis hin zum Post-Credit-Stinger, der auf Mr. Sinister verweist. Mit Zitaten und visuellen Verweisen auf die Apocalypse-Storys der TV-Serien X-Men und X-Men: Evolution bis hin zu Storms Mohawk – hier geht dem Fan das Herz auf.

Inwiefern sich die Welt nun tatsächlich geändert hat seit den Ereignissen am Ende von Days of Future Past, bleibt offen. Außer, dass es Schulthema ist und Mystique in der Mutanten-Community zur Legende wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem destruktiven Finale, das zwar die ganze Welt betrifft, aber sich dennoch auf unser Dutzend Protagonisten in Kairo konzentriert. Immerhin muss sich hier niemand im nächsten Teil für Kollateralschäden entschuldigen, weiß Bryan Singer doch im Gegensatz zu den anderen Franchises seine X-Men nicht pseudo-seriös auf dem Boden der Tatsachen zu verankern, sondern inszeniert seine Geschichte als das, was sie ist: ein Superhelden-Action-Film, der sich zuvorderst an die X-Men-Fans richtet.

Wer mit Comic-Filmen wenig anfangen kann, ist hier gnadenlos verloren, auch DC- und MCU-Fans dürften Probleme kriegen. Belebte Bryan Singer vor 16 Jahren mit X-Men das heute florierende Genre neu, inszeniert er nun primär für ein exklusives Klientel. Das wiederum wird es ihm danken, selbst wenn Oscar Isaacs En Sabah Nur mit seiner Aufmachung in einem Power Rangers-Film besser aufgehoben scheint. Im Vergleich zu Leuten wie Zack Snyder, Joss Whedon und den Russo-Brüdern hat Singer jedoch verstanden und verinnerlicht, was einen Comic-Film ausmacht. Gespannt darf man da auf das nächste X-Men-Abenteuer warten. „Bereit die Welt zu retten, auch wenn das vielleicht zu viel gewollt ist“, würde Peter Fox dazu wohl sagen.

7/10

7. Mai 2016

The Jungle Book (3D)

Am I in the right monkey temple?

Geht es um das Thema „zwischen zwei Kulturen“, dann verweist das Internet meist auf junge Deutsche, die einen türkischstämmigen Hintergrund haben. Zwar hier geboren und aufgewachsen, aber dennoch stark mit ihrer türkischen Herkunft verhaftet. Und zugleich mögliche Brückenbauer zwischen beiden Welten. Ein Kind zwischen zwei Kulturen ist seit jeher auch Mogli (Neel Sethi), ein Waisenjunge, der einst von Panther Baghira (Ben Kingsley) im Dschungel in die Obhut des Wolfsrudels um Akela (Giancarlo Esposito) und Raksha (Lupity Nyong’o) gegeben wurde. Wie ein Wolf soll sich Mogli da verhalten, doch sein menschlicher Charakter schlägt immer wieder durch. Seine Herkunft ist es dann, die ihm zum Verhängnis zu werden droht.

Während einer Dürreperiode kehrt Tiger Shir Khan (Idris Elba) in den Dschungel zurück – und hat es auf den Mensch in der tierischen Gesellschaft abgesehen. Er, der Neuling aus einer anderen, fremden Kultur, ist nicht gern gesehen im Tierreich. Sein Charakter befremdet selbst die Wölfe, mehr schlecht als recht gelingt seine Anpassung. Mit dem aggressiven Element Shir Khans muss sich nun der „Rechtsstaat“ um Akela auseinandersetzen. Sucht man die Konfrontation mit einem aufhetzerischen Gegner oder fügt man sich, und schickt Mogli zurück ins Land seiner Väter? Das Für und Wider dieser Frage klärt der Junge selbst, er will zwar bleiben, sieht aber, dass er nicht akzeptiert wird. Und soll nun von Baghira zurückeskortiert werden.

Genauso gut ließe sich gegenwärtig in Mogli also eine Art Flüchtling sehen. Der Unterkunft erfährt, aber nicht von jedem gerne gesehen ist. Manche haben es ihm gar aufs Leben abgesehen. Nun ist Jon Favreaus Adaption von The Jungle Book sicher kein Sozialkommentar auf die Flüchtlingskrise, sondern zuvorderst eine „Live Action“- respektive CGI-Verfilmung basierend auf Disneys klassischer Zeichentrickadaption des Werks von Rudyard Kipling. Parallelen sind aber durchaus erkennbar, sofern man solche ausmachen möchte. Mogli ist dabei fraglos ein Ausnahmefall. Er kennt nur den Dschungel und auch sonst keine Menschen. Für ihn existiert nur eine – seine – Heimat. Die Aussicht, in die Fremde zu ziehen, ist schwer nachvollziehbar.

Die Stationen, die Favreau in seinem Film nun abgrast, sind in etwa dieselben wie in der Disney-Version von 1967 – obschon in dieser Version die Konfrontation mit Shir Khan weitaus früher eingeführt wird. Als Ausgleich wird die Begegnung mit Schlange Kaa (Scarlett Johansson) auf einen kurzen Gastauftritt reduziert, dafür eine spätere Begegnung mit Affenkönig Louie (Christopher Walken) etwas bedrohlicher aufgeladen. Zwischendrin darf natürlich die Freundschaft mit Bär Balu (Bill Murray) nicht fehlen, die hier erst etwas aufblühen darf. Ein Nutznießer von Moglis Talenten möchte der faule Bär sein, einen wirklichen Ausgleich für dessen Leistung bietet ihm der verfressene Balu nicht. Außer eben, die Flucht vor seiner „Verantwortung“.

Zumindest lässt Balu den Jungen so sein wie er will. Ob dieser sich nun wie ein Wolf gebiert oder auf seine menschlichen Tricks zurückgreift. Erstmals wird Mogli schlicht akzeptiert, wie er ist. Ohne sich den Ansprüchen oder Vorstellungen anderer fügen zu müssen. An der Gefahr durch Shir Khan ändert das wenig. Den Tiger interessiert nicht, ob Mogli eingegliedert ist oder nicht. Er be- und verurteilt das Menschenkind ob seiner Vorurteile gegenüber dessen Rasse. Solche sind es auch, die Louie auf den Plan rufen. Ihn sehnt es nach der roten Blume – der Umschreibung der Tiere für das Feuer. Dessen will sich der Primat bemächtigen. “I want to be like you”, singt er da zwar. Will aber weniger Mensch sein, als lediglich über dessen Macht verfügen.

Seine Menschlichkeit spielte in der Zeichentrick-Version keine wirkliche Rolle, vielmehr ging es um Begegnungen Moglis im Dschungel. Wirkliche Gefahr wollte da nicht aufkommen, anders nun in der Motion-Capture-Version. Die schickt sich an, „düsterer“ zu sein – was The Jungle Book in dieser Variante sogar ganz gut zu Gesicht steht. Umso unpassender wirkt es dann, wenn Favreau doch zwei der bekannten Songs in die Handlung mit aufnimmt (was im Falle von Balus “Bare Necessities” zumindest noch halbwegs Sinn macht). Dieser Mogli ist vernarbt ob vergangener Erlebnisse, dies eher buchstäblich als sinnbildlich gesehen. Und um Todesfälle kommt diese Adaption auch nicht herum. Wodurch die Atmosphäre entsprechend aufgeladener gerät.

Was im ersten Trailer mit „real“ aussehenden und sprechenden Tieren noch ein Desaster erahnen ließ, funktioniert im fertigen Film dann überraschend gut. Selbst wenn die Effekte durchweg als solche erkennbar sind. Was die Synchronisation angeht, ist das Ergebnis schon durchwachsener. Wo Bill Murray, Idris Elba und Ben Kingsley überzeugen, wirkt Scarlett Johansson eher wie ein Fremdkörper und auch Christopher Walken mit seinem Godfather-mäßigen Louie wirkt eher befremdlich (wäre James Gandolfini nicht verstorben, wäre der Part wohl sowieso an ihn gegangen). Auch Neel Sethi trumpft nicht gerade mit Schauspieltalent auf, obschon man sich mit fortlaufender Filmdauer an ihn gewöhnt. Und Zeit dafür existiert genug.

Mit fast zwei Stunden gerät The Jungle Book gerade in seinem Schlussdrittel etwas langatmig. Wie auch das Finale leicht überladen wirkt, was wohl auch dem aktuellen Trend in Hollywood geschuldet ist. Die etwaigen Referenzen Favreaus von The Godfather über Apocalypse Now bis hin zu The Lion King und natürlich dem Original gefallen mal mehr, mal weniger. Das abgewandelte Ende wiederum fühlt sich angesichts der thematischen Tiefe dieser Neuverfilmung authentisch an. Logisch und konsequent ist, dass Mogli zum Ende als Kind zweier Kulturen die Brücke zwischen beiden schlagen darf. Sein Menschsein wird nicht mehr unterdrückt, sondern imitiert. Wenn sich dann sogar Balu auf einen Baum bemüht, ist die Integration vollendet.

7.5/10