20. März 2023

Beurokeo [Broker]

Thank you for being born.

Seine Familie, so besagt es ein Sprichwort, kann man sich nicht aussuchen. Hiervon können die Figuren in Kore-eda Hirokazus Filmen wie Aruitemo aruitemo [Still Walking], Umi yori mo mada fukaku [After the Storm] oder La vérité ein Lied singen, hadern Eltern doch mit den Personen, zu denen ihre Kinder geworden sind und umgekehrt die Kinder mit jenen Charakteren, die ihre Eltern schon immer waren. Zuletzt hatte Kore-eda aber mit Manbiki kazoku [Shoplifters] eine neue Perspektive auf dieses Familienbild geworfen, war jene Familie doch weniger auf Blut basiert, als vielmehr ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten. Eine Behelfs-Familie ist es auch, der wir in Beurokeo [Broker] begegnen, den Kore-eda in Südkorea inszeniert hat.

In diesem verkaufen die Kleinkriminellen Sang-hyun (Song Kang-ho) und Dong-soo (Gang Dong-won) Neugeborene, die sie aus einer Babyklappe stehlen, an Pärchen, die selbst keine Kinder haben können. Darunter auch Woo-song, den dessen Mutter, die Prostituierte Moon So-young (Ji-eun Lee), in einer regnerischen Nacht vor einer Babyklappe aufgibt – nur um tags darauf doch nach ihrem Sohn zu suchen. Kurzerhand holen Sang-hyun und Dong-soo also die junge Mutter mit ins Boot und machen sie zur Partnerin in ihrem Geschäft. Gleichzeitig sind die beiden Polizistinnen Su-jin (Bae Doona) und Lee (Lee Joo-young) dem Trio auf der Spur – und dabei nicht die einzigen Beamten, die sich wegen So-young in Ermittlungen wiederfinden.

“I’ll come back for you” hatte So-young dabei in einer Notiz Woo-song versprochen. Kein Einzelfall, erzählt ihr später Dong-soo. Aber nur eine von 40 Müttern würde tatsächlich wieder zurückkehren. Dong-soo weiß das nur zu gut, stammt selbst aus einem Waisenheim, in dem die Figuren später einen Zwischenstopp machen. Auch seine Mutter hatte ihm eine solche Notiz hinterlassen, sporadisch schaut er selbst nach Jahrzehnten noch in seinem Heim nach, ob sie inzwischen tatsächlich für ihn zurückgekehrt ist. Das Heim avancierte zum Zuhause, die anderen Kinder quasi zu einer ersten Ersatzfamilie. Dong-soo spricht dabei nicht von „zurückgelassenen“ oder „aufgegebenen“ Kindern, sondern sehr viel härter von „weggeworfenen“.

Auch Sang-hyun kennt nach eigenen Angaben “nothing but rejection” – er ist selbst Vater einer Tochter, die ihn aber scheinbar nicht in ihrem Leben haben will. Der junge Hae-jin (Seung-soo Im) aus Dong-soos Heim hätte gerne eine Familie, schließt sich kurzerhand dem Trio und Wong-soo an. Als Amoretten beschreibt Sang-hyun sich und Dong-soo gegenüber So-young, ihr Tun als Fürsorge, Dong-soo hingegen nennt es Schutz. Während die junge Mutter derartige Beschreibungen sarkastisch kommentiert, sind sie vom Kern nicht so weit weg, erwecken Sang-hyun und Dong-soo doch die Liebe zwischen kinderlosen Eltern und elternlosen Kindern, anstatt dass sie in Waisenhäusern zu jungen verbitterten Erwachsenen heranreifen.

Über So-youngs Hintergründe lernen wir wenig, immerhin, dass sie neben anderen Mädchen und jungen Frauen bei einer Dame unterkommt, die von allen „Mama“ genannt wird. Auch hier begegnet uns also wieder diese Form der Behelfs-Familie wieder, die So-young im Laufe des Films gegen eine andere solche eintauscht. “Let’s be happy with us”, begrüßt Sang-hyun eingangs Woo-song, dem er sich so erzieherisch widmet, wie er es bei seiner leiblichen Tochter nicht darf. Letztlich weitet sich diese Einladung über das Neugeborene hinaus aus, schließt auch dessen Mutter und Hae-jin ein. Es ist eine Sammlung von Abgelehnten, die erst durch- und miteinander die Wertschätzung erfahren, die ihnen zuvor lange verwehrt geblieben war.

Fehlende Wertschätzung ist zugleich etwas, das Ermittlerin Su-jin ihrem fürsorglichen Ehemann entgegenbringt, der sie und Lee bekocht oder mit frischen Klamotten versieht. Fehlende Wertschätzung erfuhr auch jene Ehefrau von So-youngs Freier, der zum Vater von Woo-song avancierte. Es handelt sich um C-Handlungsstränge, die Kore-eda noch in die Handlung verstrickt, denen sich das Drehbuch aber nicht wirklich widmet – ähnlich jenen Schulden, die Sang-hyun gegenüber einer Bande begleichen muss. Weniger wäre in Beurokeo mehr gewesen, zumal die Dramatisierung in die eigentliche Handlung im Grunde genommen gar nicht reinspielt, selbst wenn im Finale doch noch Zusammenhänge untereinander hergestellt werden.

Ähnlich unzureichend homogen gerät mit Abstrichen auch die Verortung nach Südkorea. Wie zuletzt La vérité sehr französisch ausfiel, gebiert sich Beurokeo durchweg koreanisch – was einerseits für Kore-eda Hirokazus Anpassungsfähigkeit an die fremden Kulturen spricht, andererseits fühlen sich seine beiden ersten ausländischen Filme aber zweifelsohne weniger „kore-edaesk“ an gegenüber seinem vorangegangenen japanischen Œuvre. Gewisse Elemente scheinen somit “lost in translation” und nicht übertragbar – da fügt sich gut ein, dass Bae Doona berichtet hat, dass sie das ins Koreanische übersetzte Drehbuch doch vorzog, im japanischen Original zu lesen, um alle Nuancen ihrer Figur und Dialoge korrekt erfassen zu können.

Beurokeo untersucht oberflächlicher als Manbiki kazoku oder Soshite chichi ni naru [Like Father, Like Son], wie ein Familienkonstrukt aussieht und sich losgelöst von Blutsbande zusammensetzen kann. Die Figuren sind weniger eine Einheit, als dass sie aneinander Halt finden, aber im Kern dann doch sehr auf sich fokussiert sind, während sie sich der Frage stellen müssen, was richtig und was falsch ist. Innerhalb seiner Filmografie markiert Beurokeo damit alles andere als Kore-edas Oberklasse, doch selbst ein eher gewöhnlicher Kore-eda ist im Vergleich mit dem, was sonst im Kino landet (oder mit Filmpreisen bedacht wird) noch höherrangig anzusiedeln. Sodass man dem Regisseur einen Zettel beilegen würde: I’ll come back for you.

7/10