30. Oktober 2008

The Fox and the Hound

And we'll always be friends forever. Won't we?

Er war einer der Zeichner von Walt Disney und hat speziell in den Siebzigern für das Studio an Filmen wie Robin Hood und The Rescuers gearbeitet. Doch Ende der siebziger Jahre hatte Don Bluth genug, vielmehr wollte er sein eigenes Animationsstudio gründen und tat dies letztlich auch. Hierbei warb Bluth elf Zeichner seines vorigen Arbeitgebers ab (17% der Angestellten), sodass Disney gezwungen war neue und unerfahrene Zeichner einzustellen. Zu diesen neuen und jungen Zeichnern zählten neben den späteren Disney Regisseuren Ron Clements und John Musker (The Little Mermaid, Aladdin) auch Tim Burton und der zweifache Oscarpreisträger Brad Bird (Ratatouille, The Incredibles). Die jungen Zeichner und Gestalter propagierten für The Fox and the Hound, einer Geschichte die auf dem gleichnamigen Roman von Daniel Pratt Mannix aus dem Jahr 1967 basierte, letztlich einen konservativen Zeichenstil.

Der Film ist weniger wild, wie man es aus den Zeiten von Bluth (z.B. The Rescuers) gewohnt war. Vielmehr wird dem Publikum hier eine meist ruhige, in klassischen Bildern gehaltene Moralgeschichte erzählt. Die konservative Stimmung des Filmes wird auch durch die Musik noch mal untermalt. Durch die Abwanderung der Zeichner wurde die Produktion ein Jahr lang hinausgezögert, letztlich war der Film ein Symbol für einen Neubeginn. Nicht nur die neuen, ehrgeizigen Zeichner waren an Bord, sondern The Fox and the Hound verwendete auch als letzter Disney-Film die Abblende „The End“. Anschließend wurden die Credits nicht mehr zu Beginn gezeigt, sondern in einem Abspann, ein klassisches „The End“ sollte keine Disney-Geschichte mehr erfahren. Wenn auch nicht perfekt, so wird dieser Film aus dem Jahr 1981 von vielen doch sträflich unterschätzt, besitzt er doch im Gegensatz zu anderen Disney-Filmen eine klare sozialkritische Botschaft.

Der Film wird durch eine Analogie zu Bambi eingeleitet. Ein Jäger verfolgt eine Füchsin und ihr Junges. Während die Füchsin ihr Junges absetzt, sieht sie kurz darauf ihrem Tod entgegen. Das Junge ist zum Waisenkind geworden und die großmütterliche Eule Big Mamma nimmt sich des Kleinen an. Mit Hilfe ihrer gefiederten Freunde Dinky und Boomer kann sie die gutmütige Witwe Tweed auf das Fuchsjunge aufmerksam machen. Diese benennt das Junge wegen seines Kleinkindstatus (engl. toddler) „Tod“ und zieht es fortan auf. Auch der benachbarte Jäger Amos hat Zuwachs bekommen. Zu seinem in die Jahre gekommenen Jagdhund Chief hat er sich den Spürhundwelpen Copper (gesprochen von Corey Feldman) zugelegt. Während Tods alltäglicher Eskapaden treibt ihn die Langweile ein wenig über die Grenzen von Witwe Tweeds Grundstück hinaus. Die natürlichen Feinde Tod und Copper begegnen sich – sind sich ihrer gesellschaftlich vorgegebenen Abneigungen nicht bewusst. Vielmehr freunden sie sich an und verbringen ihre Freizeit miteinander.

Doch der Jäger und Chief dürfen davon nichts erfahren und als Tod eines Tages aus Versehen auf das Grundstück des Jägers wandert, ist dessen Bild von dem Fuchsjungen vorgefertigt. Fortan ist Tod auf dem Radar des Jägers und vom alten Chief. Die Jahreszeiten wechseln und der Jäger nimmt Copper über den Winter mit zur Ausbildung als Jagdhund. Nachdem Copper (gesprochen von Kurt Russell) im Frühjahr zurückkehrt, ist er erwachsen geworden und so auch Tod. Während dieser seinen Freund besucht, beginnt eine Hetzjagd unter der Führung von Chief. Als Copper seinen Freund findet, lässt er ihn von der Angel, doch durch einen Unfall wird Chief schwer verletzt. Copper schwört Rache und so auch der Jäger. Witwe Tweed sieht keine andere Möglichkeit, als Tod in einem Naturschutzgebiet auszusetzen. Dort lernt er die reizende Füchsin Vixey kennen, ist vor den Rachegelüsten des Jägers aber nicht in Sicherheit.

Die erste Hälfte des Filmes ist ein einziger Schmusefaktor. Wie oft der Fall kann man Tierjungen relativ schlecht widerstehen und wenn Copper anfängt zu reden und Tod beginnt zu schauen, dann ist man bereits mitten drin in der Geschichte. Vordergründig spielt hier jedoch die Sozialkritik eine Rolle. Tod und Copper stehen für die unbefleckte Jugend, die keinerlei Animositäten hegt – schon gar nicht gegen einander. Beide sind frei von den Vorurteilen, die in der Gesellschaft verankert sind. Der Fuchs, der gewiefte Dieb und Räuber, immer hinter den Hühnern her. Aus dem Zusammenhang gerissen unterläuft auch der Jäger diesem Vorurteil, als er aufgescheuchte Hühner und Tod zusammen sieht. Doch Tod ist kein gewöhnlicher Fuchs, hegt keinerlei Interesse an den Hühnern.

Ebenso wenig wie Copper unbedingt Gefallen an der Jagd auf Tiere findet. Für ihn ist es vielmehr ein Spiel, eine Herausforderung. Er spürt etwas auf und jault wenn er es gefunden hat. Die Konsequenzen seines Handelns sind ihm dabei nicht bewusst, ihm wird nicht erklärt, dass hierbei andere Tiere sterben müssen. Für Copper ist die Freundschaft zu Tod etwas Universelles, erst im Erwachsenenalter wird ihm die Gefahr, in der Tod schwebt, klar. Als sein Mentor Chief zu Schaden kommt, fällt jedoch auch Copper in das Muster der Vorurteile. Was genau geschah wird nicht thematisiert, hierzu hat Tod auch keine Gelegenheit sich zu erklären. Am Ende stehen sich die beiden Freunde als Feinde gegenüber und ihre Freundschaft scheint vorbei.

Die einzig reine Figur in The Fox and the Hound ist im Grunde Tod beziehungsweise auch die beiden mütterlichen Figuren Big Mamma und Witwe Tweed. Als hauszahmer Fuchs lebt Tod zugegeben in unnatürlichen Verhältnissen. Diese bewirken seinen Charakter, der vollkommen vorurteilsfrei ist. Zu keinem Zeitpunkt hat Tod etwas Böses im Sinn und obschon er ihm nach dem Leben trachtete, ist es letztlich Tod, der seinen Freund Copper nicht im Stich lässt und ihm zu Hilfe eilt. Die Ursachen finden sich hier wohl in den Erziehern, wie es auch im wahren Leben der Fall ist. Menschen werden nicht mit Vorurteilen geboren, sondern diese werden ihnen beigebracht. Rassismus als Erziehung. Der vorurteilsfreie Copper entwickelt nach dem Unfall von Chief selbst Vorurteile, ausgelöst durch seine beiden Bezugspersonen Jäger und Chief. Die Umgebung in der Tod lebt, von Witwe Tweed über Big Mamma bis hin zu Vixey und dem Stachelschwein, ist vorurteilsfrei. Eine Welt in der ein Miteinander und kein Nebeneinander herrscht. Hass und andere negative Gefühle werden in dieser Welt von außen herein getragen.

Die Freundschaft zwischen Fuchs und Jagdhund scheint untolerierbar, keine Brücke zwischen den beiden Parteien möglich. Dass es möglich ist, zeigt Disney in vielen seiner Filme, die ohnehin meist Parallelen aufweisen. Jäger und Beute als Freunde, dass kennt man auch aus The Lion King oder Jungle Book. In letzterem findet sich auch die Thematik der gefiederten Freunde und Helfer, die ebenfalls Einzug in Dumbo, Finding Nemo oder The Little Mermaid erhalten haben. Der Humor von The Fox and the Hound ist ebenfalls klassisch, kommt hier noch ohne popkulturelle Referenzen aus, welche in heutigen Animationsfilmen unabdingbar sind, um das Publikum noch zu amüsieren. Doch der Film leidet teilweise an seiner redundanten Erzählstruktur, verläuft sich gelegentlich und hat denselben Fehler, wie andere Werke. Der Konflikt zwischen den Parteien wird nicht hinterfragt. Ähnlich wie Simba sieht man Tod nie Beute machen. Zu verzeihen ist es jedoch dieser unschuldigen Disney-Welt. Spätestens wenn Tod uns einen Blick zuwirft oder Copper etwas sagt. Kein Meisterwerk, aber ein Klassiker.

8/10

28. Oktober 2008

Obsluhoval jsem anglického krále

Es war immer mein Glück, Unglück zu haben.

So beginnt die Geschichte von Jan Dítě (Oldrich Kaiser), der nach 15 Jahren Gefängnishaft in die Freiheit entlassen wird. Beziehungsweise 14 Jahren und 9 Monaten. Jan Dítě ist ein Mann der Gastronomie, kein Lebemann, aber ein Frauenheld. Und noch etwas zeichnet Jan Dítě aus: er hat den Kaiser von Äthiopien bedient. Für jenen Abend hat er sogar einen Orden bekommen, obwohl er diesen nicht unbedingt verdient gehabt hat. Aber das ist zu weit vorgegriffen, denn Jan Dítěs Geschichte beginnt Anfang der dreißiger Jahre an einem der Bahnhöfe in der Tschechoslowakei. Als Würstchenverkäufer händigt Jan Dítě (Ivan Barnev) einem Geschäftsmann eine Wurst aus, braucht jedoch so lange zum Abzählen des Rückgeldes, dass jener mit erhobener Faust den Blondschopf hinterher zürnt. Mit dem neu gewonnenen Geld weiß Jan dann seinem Traum eines Tages Millionär zu werden ein Stückchen näher zu kommen. Seine nächste Stelle zeigt ihn dem Publikum als Aushilfskellner in einer kleinen Gastronomie. Als Spielball seines Chefs lernt Jan hier alles zu Sehen und zu Hören – dabei jedoch nichts zu Sehen und zu Hören. Der junge Mann geht in seiner Stelle auf, weiß gekonnt alle Schritte seines täglichen Geschäftes blind auszuüben. Eine Änderung tritt mit der Ankunft einer Prostituierten ein. Jan entwickelt ein Interesse, beginnt das weibliche Geschlecht zu bemerken und spart sich sein Geld zusammen für einen ersten Besuch. Schon bald ist Jan auch nicht mehr in seiner aktuellen Anstellung tragbar und wechselt ein Ferienhotel für reiche Juden. Hier werden die kulinarischen mit den sexuellen Gelüsten kombiniert und auch Jan bekommt seinen Teil ab, vom großen erotischen Kuchen. Stück für Stück entwickelt sich Jan weiter, wird nicht mehr tragbar und sucht sich eine neue, höhere Stellung.

Einen Wendepunkt nimmt sein Leben als er die Stellung eines Kellners im renommiertesten Prager Hotel Paříž annimt. Hier untersteht er dem Oberkellner Skřivánek (Martin Huba), einem erfahrenen Bediensteten, der von sich behaupten kann, den englischen König bedient zu haben. Jene Tätigkeit hat Skřivánek einen geschulten Blick verlieren, sodass er nicht nur die Herkunft seiner Gäste erahnen sondern auch ihre Bestellungen vorausahnen kann. Auch im Hotel Paříž setzt sich die Verbindung von kulinarischen und erotischen Genüssen fort. Doch das Leben in der Tschechoslowakei ändert sich Ende der Dreißiger. Das Dritte Reich annektiert die sudetendeutschen Teile des Landes und sorgt für Verstimmungen in Prag. Bei einem Übergriff seiner Landsleute kommt Jan der Sudetendeutschen Líza (Julia Jentsch) zu Hilfe. Fortan entspinnt sich eine Romanze zwischen den beiden jungen Menschen, die jedoch starke Einschränkungen durch Lisas starke faschistische Züge erhält. Doch aus Liebe lässt Jan alles über sich ergehen und entfernt sich immer mehr von seinen eigenen Landsleuten. „Es war immer mein Glück, Unglück zu haben“, erklärte Jan Dítě zu Beginn des Filmes. Eine Äußerung die sich dem Publikum nicht unbedingt erschließen will. Denn Unglück hat Jan Dítě keines in seinem Leben. Alles was er tut bringt ihn letztlich weiter. Nicht auf Umwegen, sondern direkt. Es verwundert durchaus, dass Jan stets gute Zeugnisse ausgestellt bekommt, wo er doch nach eigenen Aussagen ab einem gewissen Zeitpunkt stets nicht mehr tragbar sei. Egal ob er ein enormes Trinkgeld oder eine Auszeichnung des äthiopischen Kaisers erhält. Für seine Verhältnisse geht es Jan somit ausgesprochen gut, denn selbst wenn er in einer kleinen Wohnung lebt, spart er sich sein Geld lediglich für seinen Traum eines eigenen Hotels auf.

Die Filmographie des tschechischen Regisseurs Jiří Menzel ist durchzogen von zwei Namen. Zum einen stechen viele Filme hervor, deren Drehbuch von Zdenek Sverák, der dieses Jahr mit Vratné lahve im Kino war, geschrieben wurden. Zum anderen durch seine Adaptionen der Geschichten von Schriftsteller Bohumil Hrabal. Deren Zusammenarbeit fand ihren Höhepunkt bereits 1966, als Menzel den Fremdsprachenoscar für Ostre sledované vlaky entgegen nehmen durfte. Auch Obsluhoval jsem anglického krále (dt. Ich habe den englischen König bedient) stellt erneut eine Adaption eines von Hrabals Romanen dar. Menzel versucht in seinem neuesten Film viele verschiedene Aspekte einzubringen. Eine gehörige Portion Satire, jedoch gefüllt mit etwas Ernsthaftigkeit. Seine Geschichte, die sich als tschechische Variante von Forrest Gump anmaßen könnte, jedoch nicht in deren Tiefe und Komik einzudringen vermag, versucht sich ein ums andere Mal als Historienfilm. Hier scheitert der Film jedoch gerade an seiner mischartigen Form einer ernsten Satire beziehungsweise eines satirischen Dramas. Zwar möchte Menzel die Figur Adolf Hitler nicht zu einer allgegenwärtigen und –mächtigen Bedrohung verkommen lassen, doch seine zaghaften Versuche ihn in komische Momente einzubinden (Jan ändert sein Äußeres nach dem Führer, da Líza, wie sich später bei dem gemeinsamen Befruchtungssex zeigen wird, eine sexuelle Affinität zu diesem hat) scheitern am Rest der Handlung.

Denn von einem period piece erwarte ich dann auch, dass man sich der Begebenheiten und Probleme der Situation gemäß annimmt. Die Blauäugigkeit und Naivität von Jan in allen Ehren, aber eine einzelne Szene am Bahnhof, wenn er Juden bei Abtransport sieht und dann mit einem Leib Brot hinter dem fahrenden Zug her rennt, um in einer Analogie zum Anfang des Filmes jenen das Zukommen zu lassen, was ihnen zusteht, ist einfach nur enttäuschend. Schön und gut dass Jan sich quasi die Beziehung zu Líza zu Nutzen macht, um der nationalsozialistischen Besatzung aus dem Weg zu gehen, aber diese vollkommene Fehlen jeglicher Reflektion auf das eigene Treiben und Umfeld ist mehr als dilettantisch. Hier hätte man sich nicht nur mehr Auseinandersetzung mit der faschistischen Bedrohung gewünscht, vielmehr wäre eine solche bitter nötig gewesen. Zudem ergibt der Nebenplot des gegenwärtigen Jan und seiner beiden Nachbarn im Exil wenig bis gar keinen Sinn, sprich er fügt sich nicht in das Ganze ein. Jenes Ganze selbst ist auch keineswegs stringent, sondern bisweilen überaus redundant. Durchaus reizvoll die Idee, dass Jan stets Münzen auf den Boden schmeißt, um die Reichen dabei zu beobachten, wie sie sich sprichwörtlich erniedrigen, um an jenes Geld zu kommen. Allerdings wirkt dies auf Dauer ebenso eintönig, wie sein offensichtlicher Fetisch seine sexuellen Gespielinnen hinterher mit beliebigen Gegenständen zu bedenken. Von der Diskrepanz zwischen seinen Affären und ihm selbst ebenso zu schweigen, wie der Tatsache, dass Fräulein Jentsch sich beginnt wie die meisten deutschen Schauspieler in Filmen mit nationalsozialistischer Thematik zu verlieren. Immerhin hat sich inzwischen den Hitlergruß aus dem ff drauf. Allen Lobeshymnen zum Trotz (Filmstarts vergibt 9/10, Rotten Tomatoes 80%) ist Obsluhoval jsem anglického krále ein durchschnittlicher Film – aber immerhin einer mit viel weiblicher nackter Haut.

5.5/10

26. Oktober 2008

Vorlage vs. Film: The Golden Compass

Northern Lights (1995)

Das Fantasygenre wurde für große Epen geboren. Hier kann man sich austoben, hier lassen sich neue Welten erschaffen. Eigene Strukturen, eigene Richtlinien und doch meist sehr viel Vertrautes. Durch die Kraft der Phantasie ermöglichen sich Abenteuer ungeahnten Ausmaßes. Michael Ende schickte Bastian Balthasar Bux und mit ihm die Leser auf eine unendliche Geschichte ins sprichwörtliche Fantasien. Ungeachtet der Tatsache, dass Ende ein Buch verfasste, welches in einer Kinotrilogie mündete, verfügen einige verfasste Epen über eine Trilogie. Die bekannteste und beliebteste unter ihnen ist sicherlich J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings. In seiner Trilogie – die ironischerweise nie als solche verfasst wurde – erschuf Tolkien nicht nur mit Mittelerde einen ganzen imaginären Kontinent, sondern auch individuelle Kulturen mit eigenen Sprachen. Wenige Jahre vor Tolkien hatte dessen Freund C.S. Lewis mit den Chronicles of Narnia bereits eine siebenteilige Saga verfasst – einer Saga von Parallelwelten und prophezeiten Konflikten. Erst in den letzten Jahren hatte J.K. Rowling mit ihren sieben Harry Potter-Bänden für einen neuerlichen Boom im Fantasygenre gesorgt, der in Arbeiten von Christopher Paolini (Eragorn) und Eoin Colfer (Artemis Fowl) seinen Ausdruck fand. Doch bereits vor Rowling hatte 1995 der britische Autor Philip Pullman mit seinem Roman Northern Lights seine His Dark Materials-Trilogie eingeleitet, die im letzten Jahr ihre erste Verfilmung fand. New Line Cinema unter ihrem Vorsitzenden Toby Emmerich sicherten sich die Rechte, nachdem ihre von Peter Jackson umgesetzte Lord of the Rings-Trilogie zu einem der erfolgreichsten Franchises aller Zeiten aufstieg. Mit His Dark Materials gelang es Pullman sich ebenso einen Namen zu machen, wie zuvor den Kollegen Lewis, Tolkien und Rowling.

Im Grunde ist Northern Lights kein wirkliches Kinderbuch, zumindest nicht in dem Maße, wie bei Harry Potter der Fall. Pullman konfrontiert den Leser gleich zu Beginn mit komplexen Themen, die er zu diesem Zeitpunkt nicht ansatzweise erklärt. Die Rede ist von Dust und geteilten Kindern, verwickelt in das Ganze sind auch Iofur Raknison und Stanislaus Grumman. Selbst als Erwachsener muss man hier den Überblick behalten, wenn man auf den ersten Seiten nicht die Geschichte aus den Augen verlieren möchte. Dass die hier bezeichneten Namen und Objekte erst mehrere hundert Seiten später aufgegriffen und allmählich erläutert werden, dürfte für Kinder schwer nachzuvollziehen sein. Doch Pullman beginnt sein Epos klassisch – mit der Einführung der Hauptprotagonistin. Und bereits wie er dies tut, formt den Charakter seiner Heldin. Die 12-jährige Lyra Belacqua verletzt die Hausregeln ihres Heimatkollegs Jordan in Oxford. Sie befindet sich in einem Raum, in dem sie nichts zu suchen hat. Einige Seiten später widmet Pullman in Lyra’s Jordan seiner Figur ein ganzes Kapitel, um ihren ambivalenten Charakter zu beleuchten. Denn entgegen anderer Epen ist Lyra – zumindest zu Beginn – keine sonderlich sympathische Figur. „She was a coarse and greedy little savage”, schreibt Pullman auf Seite 37. Lyras Welt ist im Vergleich zu unserer rückständig und durchaus auch sexistisch geprägt – ein Weltbild, das die Protagonistin teilt. „[Lyra] regarded female Scholars with (…) disdain. (…) Poor things, they could never be taken more seriously than animals dressed up and acting a play”, heißt es dann auf Seite 67. Für sich selbst macht Lyra jedoch stets eine Ausnahme, denn schließlich sieht sie sich durch ihre adelige Abstammung auf einem anderen Level, als ihre Umwelt („No one should speak to her like this: she was an aristocrat.”, The Subtle Knife, S. 104).

Nun ist es durchaus Sinn und Zweck in Pullmans Trilogie, dass seine Heldin reift und an ihren Aufgaben wächst. Dies ist auch fraglos eine der Stärken seiner Buchreihe. Lyra streift ihre Überheblichkeit („Lyra (…) regarded visiting scholars and eminent professors from elsewhere with pitying scorn, because they didn’t belong to Jordan and so must know less”, S. 35) und ihre Arroganz („She considered it a deplorable lapse on the part of her subjects not to tell her everything at once.”, S. 59) im Laufe von Northern Lights nach und nach ab, ohne sie jedoch vollends zu verlieren. Die Ursache für ihr Verhalten findet sich fraglos in ihrer Erziehung. Als scheinbare Waise fristet sie ein relativ trostloses Dasein am Jordan College, wo sie tun und lassen kann was sie will. Unabhängig von den Hausregeln gibt es lediglich eine Person, die ihr Respekt einflößt: ihr Onkel, Lord Asriel. Einmal im Jahr besucht er Lyra und zwischen beiden existiert eher ein unterkühltes Verhältnis. Doch Asriels Wagemut und Abenteuerdrang erweckt in Lyra durchaus Bewunderung. Es ist Asriel, der die Ereignisse in Northern Lights lostritt. Eine seiner nördlichen Expeditionen ließ ihn auf den mysteriösen Dust in der Nähe von Svalbard stoßen. Etwas befindet sich in der Aurora, eine neue und fremde Welt. Es ist eine Geschichte von außerordentlichem Ausmaß, der die Grenzen der Phantasie mitunter sprengt und Reflexionen auf unsere eigene Vergangenheit und Gegenwart zuzulassen wünscht.

Pullman erschuf eine Welt, in der die Kirche das Sagen hat, quasi ein Pendant zum europäischen frühen Mittelalter. „The Church in recent times (…) it’s been a-getting more commanding. There’s councils for this and councils for that”, heißt es auf S. 128. In Pullmans Welt blieb die Aufklärung aus, es fand keine säkulare Gesellschaft statt. Die Kirche kontrolliert alles und was den Dogmen widerspricht, wird als Häresie verschrien. Das Böse in seiner reinen Form glaubt die Kirche dabei in ebenjenem Dust zu finden. Die Überschneidung dieser beiden Interessensfelder wird Lord Asriel automatisch zum Gegner der Kirche machen. Pullman, selbst erklärter Atheist, zeichnet hier ein düsteres und altruistisches Bild von der Kirche. Wo fadenscheinig im Wohle aller gehandelt wird und man sich somit ein Alibi verschaffen kann. Portraitiert wird die Kirche in Northern Lights dabei von Mrs. Coulter, einer auf den ersten Blick warmherzigen, im Nachhinein jedoch zutiefst diabolischen Person. „There is more suffering to come. We have a thousand years of experience in this Church of ours. We can draw out your suffering endlessly”, erklärt Mrs. Coulter in The Subtle Knife auf Seite 38 bei der Folterung einer Hexe. Es ist jene Kritik an der Kirche, welche für Kontroversen gegenüber Pullmans Buch sorgte und die Katholische Kirche zu einem Boykott für die Verfilmung aufrufen ließ. Und man kann sich durchaus darüber streiten, ob jene Portraitierung wirklich gelungen ist, fußt sie doch auf einem lange verblichenen Bild einer Institution in ihrer Frühphase. Als Antagonist in seiner Saga sind viele Eigenschaften der Kirche jedoch bisweilen sehr authentisch. Das engstirnige Festhalten an Grundsätzen, egal ob richtig oder falsch und das uneingeschränkte Handeln für ein höheres Ziel. Kulminieren lässt Pullman sein „Anti-Werk“ zu Lewis’ Chronicles of Narnia dann in seiner Figur des Lord Asriel, der sich zum Vorsatz gemacht hat im freudschen Verständnis Gott zu finden und zu töten.

Doch Northern Lights ist kein politisches Buch, selbst wenn es den Anschein zu erwecken vermag. Pullman gelang hier fraglos ein tief schürfendes Epos von großer Tragweite, indem er philosophische und metaphysische Gesichtspunkte berücksichtigt. In Pullmans Welt manifestiert sich die Seele eines Menschen in einem dæmon, einem animalischen Begleiter, meist von gegensätzlichen Geschlecht zum eigenen. Die Konfrontation von Lyra und ihrem dæmon Pantalaimon mit Wesen ohne solchen Begleiter sind zentrale Aspekte zum Verständnis der Handlung. „A human being with no dæmon was like someone without a face”, erklärt Lyra auf S. 214. Im Zuge der Pubertät fokussiert sich der dæmon eines Menschen auf eine feste Form. Wenn man diesem Verständnis nach die Festlegung eines dæmon in der Pubertät mit der sexuellen Entwicklung eines Menschen gleichsetzt, hat man wieder eine Wegweisung zur antagonistischen Haltung der Kirche in Pullmans Epos. Sex, wie alle kirchlichen Sünden, findet sich in His Dark Materials in Dust wieder. Die Befreiung der Kinder von jenem Dust ist daher das Ziel der Kirche. Das alles lässt Pullman immer wieder neben seiner Geschichte aufflammen, die von großer Tragweite ist. Lyra ist der Schlüssel zu allem, Bestandteil einer Prophezeiung und Spielball der Ereignisse. „Without this child, we shall all die”, offenbart der Hexenkonsul auf Seite 175 und kratzt dabei lediglich an der Oberfläche der Dinge. Denn entgegen anderer Auserwählter wie Neo in The Matrix besitzen die Charaktere in Pullmans Welt keinen freien Willen oder sollen es zumindest nicht („We are all subjects to the fates. But we must all act as if we are not (…) or die in despair”, S. 308).

Die Ironie in Northern Lights findet sich in dem Bewusstsein der Figuren, dass ihnen die Möglichkeit des freien Willens nicht gegeben ist. Die Prophezeiung um Lyra ist alt, sie ist sowohl den Hexen um Serafina Pekkala bekannt, wie auch dem Master of Jordan. Lyra hat ihre Rolle zu spielen, andernfalls ist nicht nur ihre eigene Welt, sondern alle Welten die existieren gefährdet. Helfen kann ihr dabei jedoch niemand, denn Einschreiten bedeutet Veränderung. „But she must fulfil this destiny in ignorance of what she is doing, because only in her ignorance can we be saved”, erklärt der Hexenkonsul auf S. 175. Pullman verzichtet in seiner Geschichte nicht auf Opfer, deren Schicksal bereits bekannt ist und dennoch nicht verändert werden darf. Auch Gewalt ist ein Aspekt, den er nicht unterschlägt, sondern sogar bedenklich gewichtet. Als Lyra den panserbjørne Iorek Byrnison trifft, ist es die Tatsache, dass er verbotenerweise jemanden getötet hat, der Aspekt, der sie zu ihm hinzieht. Auch in The Subtle Knife fühlt sie sich in Gegenwart eines Mörders durchaus sicher und geborgen. Pullman beschönigt nichts und macht auch vor toten Kindern in His Dark Materials nicht halt. Es ist wie so oft ein Krieg, der jene behütete Welt gefährdet, deren Schicksal in den Händen einer Person liegt, die für ihre Aufgabe nicht gewachsen zu sein scheint. Seien es friedliebende Hobbits oder Londoner Kinder. Northern Lights ist ein komplexer Roman, der oft abschweift und in Themenbereiche der Physik (Dunkle Materie, Schwarze Löcher), Philosophie (Seelenfrage, Freier Wille) und Theologie driftet. Im Gegensatz zu Kollegen wie Rowling macht sich Pullman nicht die Mühe seine Wesen wie panserbjørne, Hexen und dæmonen ausführlich zu umschreiben und macht damit alles richtig. Es ist eine Geschichte, die sich langsam entfaltet und ihre Zeit braucht, zu Beginn verwirrt, aber wächst und letztlich gebührend abschließt. Kein neuer Lord of the Rings, aber durchaus respektabel.

The Golden Compass (2007)

That’s some pretty fast work.

Wie eingangs erwähnt war es der Erfolg von Lord of the Rings, der New Line Cinema an das Projekt His Dark Materials glauben ließ. Doch anstatt die Reihe wie Peter Jackson back-to-back zu verfilmen, schob man versuchsweise den ersten Band vor. Dieser lautet in Amerika aus wohl wie immer unerheblichen Gründen nicht wie in seinem Heimatland England. Schon Harry Potter and the Philosopher’s Stone musste sich in den USA die Umkehr zum Sorcerer’s Stone gefallen lassen, während man Pullmans Northern Lights fehlinterpretierend The Golden Compass taufte. Oscarpreisträger Tom Stoppard (Brazil) verfasste ein Drehbuch und Sam Mendes kündigte Interesse an dem Regieposten an. Doch wie so oft kam alles anders als geplant. Statt Mendes wurde American Pie-Mitbegründer Chris Weitz engagiert, der im folgenden Stoppards Drehbuch verwarf und einen eigenen Entwurf verfasste. Im Laufe des Projektes bekam Weitz jedoch weiche Knie angesichts der Effektlastigkeit der Geschichte und verließ das Projekt, um nach einem kurzen Intermezzo zurück auf den Regiestuhl zu kehren. Für 180 Millionen Dollar wurde The Golden Compass anschließend gedreht, mit namhafter Besetzung, die jedoch niemanden wirklich überzeugte. Hatte Pullman selbst Jason Isaacs als Lord Asriel und Samuel L. Jackson als Lee Scoresby vorgeschlagen, übernahm man lediglich Nicole Kidman als Mrs. Coulter von seiner Wunschliste. Während Weitz den unbekannten britischen Darsteller Nonso Anozie als Stimme für Iorek Byrnison gewinnen wollte, setzte sich New Line über seine Besetzung hinweg und heuerte Ian McKellen an. „It was a studio decision...You can understand why you would cast Ian McKellen for anything, but letting go of Nonso was one of the most painful experiences on this movie for me”, machte Weitz seinem Unmut gegenüber EMPIRE Luft.

Entgegen den Erwartungen war The Golden Compass dann nicht der erwartete Hit. Obschon der Film international 300 Millionen Dollar einspielte, „floppte“ er in den USA, wo ihm lediglich ein Viertel jenes Einspiels gelang. Seither sind die filmischen Fortsetzungen von The Subtle Knife und The Amber Spyglass erstmal auf Eis gelegt und ob Weitz, entgegen seinen Wünschen, als Regisseur zurückkehren darf, ist auch nicht absehbar. Mit seiner Adaption von Northern Lights bewies New Line wieder einmal, dass Eingriffe des Filmstudios in dem Film selbst nur desaströs enden können. Um sich dem Publikum anzubiedern wurde die Filmlaufzeit unter zwei Stunden gehalten – obwohl man mit Lord of the Rings erfolgreich mit langer Laufzeit gefahren war. Außerdem änderte man auch Namen von Figuren (Iofur Raknison wird zu Ragnar Sturlusson), um der Tatsache vorzubeugen, dass Verwechslungen stattfinden. Immerhin hatte Scholastic in seiner Buchpublikation den Lesern durchaus zugetraut einige Konsonanten und Vokale auseinander halten zu können. Auch aus anderen Erfahrungen hat man bei New Line wenig gelernt. War man in Lord of the Rings gut gefahren, relativ wenig bekannten Darstellern die Rollen zu überlassen – da sie sich ohnehin der Geschichte unterordnen -, so setzte man in The Golden Compass auf den Popularitätsfaktor. Als Zugpferde dienten Oscarpreisträgerin Nicole Kidman und Neu-Bond Daniel Craig. Gerade Craig erweist sich als desolate Fehlbesetzung im Laufe des Filmes und reiht sich damit ein neben die Entscheidung Ian McKellen als voice actor zu casten. Auch die Darstellungen von John Faa und Farder Coram sind wenig gelungen, sodass hier allgemein ein bitterer Nachgeschmack besteht. Die Spitze des Eisberges sind dann die digitalen Effekte, die sehr oft aus einem Videospiel entlehnt wirken und durch ihre Überverwendung meist dilettantisch aussehen. Hier wäre weniger mal wieder mehr gewesen und dass die Academy das Ganze auch noch mit dem Besten Effektoscar versehen hat, spricht für sich.

Seinen Filmanfang übernimmt Weitz bei Jacksons Fellowship of the Ring...

Wenn also bereits die Oberfläche nicht stimmt, muss der Film inhaltlich funktionieren, um noch etwas zu retten. Tut er jedoch nicht und kann er auch gar nicht. Zwischen Skylla und Charybdis versucht Weitz sein Boot in den sicheren Hafen zu bringen und scheitert grandios. Sein Versuch den gut vierhundert Seiten langen Roman von Pullman in weniger als zwei Stunden zu erzählen kann ebenso wenig gelingen wie es bei David Yates Adaption von Harry Potter and the Order of the Phoenix der Fall war. Es ist durchaus löblich, dass Weitz keinen Aspekt von Northern Lights vernachlässigen will, aber unter zwei Stunden lässt sich Pullmans Geschichte nicht erzählen. Hier ist die Tatsache, dass man sich für ein weichgespültes Klischeenende entscheiden hat, indem man die letzten drei Kapitel nicht verfilmte, das kleinste Übel. Dass Weitz sich scheinbar einem Producer’s Cut unterwerfen musste, lässt zumindest noch etwas Hoffnung für einen möglichen Director’s Cut zu. Die Kinofassung jedoch ist in ihrer Form desolat. Mit einem ungemeinen Tempo schnellt Weitz praktisch durch die Geschichte, die von unsäglichen Schnitten gezeichnet ist, was unweigerlich Logikfehler nach sich ziehen muss (und tut). Von allem ein wenig ist nicht genug und kann der Handlung keinen Gefallen tun. Das Traurigste an The Golden Compass ist die Tatsache, dass man den Film von all seinen starken Eigenschaften befreit hat. New Line beschränkt sich einzig auf den Abenteuer-Aspekt und zwingt den Charakteren somit eine unablässige Bewegung auf. Ruhephasen sind hier die Seltenheit und so wirkt die Handlung mehr als unglaubwürdig. Immer zum richtigen Augenblick tauchen die richtigen Figuren auf, um Lyra auf die nächste Etappe zu helfen. Essentielle Punkte der Geschichte werden hierbei quasi im Vorbeigehen mitgeteilt (am frechsten noch in Lyras erster Begegnung mit Iorek Byrnison der Fall). Nur nicht zu lange aufhalten, lediglich so viel sagen, dass man halbwegs der Handlung folgen kann. Die Straffung ist das Todesurteil für den gesamten Film.

Der Inbegriff der Scheiterung ist hier die von Eva Green dargestellte Serafina Pekkala. Ihre Integrierung in das Geschehen ist bezeichnend für die gesamte Gezwungenheit des Filmes und macht gerade die letzte Einstellung in Verbindung mit Weitz’ Audiokommentar überhaupt keinen Sinn. Zwar wird die Prophezeiung um Lyra öfters kurz angerissen, jedoch nicht ernsthaft verfolgt. Von dem vorbestimmten Schicksal und der möglichen Auslöschung allen Lebens ist ebenso wenig die Rede. Da Lyra im Bewusstsein aller Bestandteil einer wichtigen Prophezeiung ist, verwundert es durchaus, dass sie insbesondere von den Zigeunern oftmals – und widersprüchlich zu Pullmans Schilderungen – aus den Augen gelassen wird. Auch hier könnte es wieder nur am Producer’s Cut liegen, doch macht dies den Film keineswegs besser. Während New Line seinen Film somit von seinen wissenschaftlichen Gesichtspunkten befreit, subtrahiert er auch seine Charaktere von deren Eigenschaften. Von Lyras Wandel ist im Film nichts zu merken, da Weitz hier keinen solchen Wandel propagiert. Er lässt seine Figuren nicht reifen, zumindest nicht nachvollziehbar. Stattdessen ist auch die Charakterzeichnung wie alles andere stets abrupt und von einer Gewalt durchzogen, die einen erschaudern lässt. Mit ungemein wenig Liebe wurde hier an das Projekt herangegangen, von New Line alles bloß auf ein neues erfolgreiches Produkt ausgelegt. Doch auch Chris Weitz ist deswegen keinesfalls frei von Schuld, war das Projekt – Producer’s Cut hin oder her – einfach eine Nummer zu groß für ihn. Lieber bedient er sich dann im Spielzeugenladen der Traumfabrik und übernimmt die Anfangs- und Endsequenzen von anderen großen Filmen.

...und sein Ende dann von Spielbergs Jurassic Park.

Völlig unnötig – und falsch fokussiert – beginnt Weitz The Golden Compass mit einer Off-Erzählung, die in jene neue Welt einführt. Nach der weiblichen Erzählstimme folgt der Schwenk hinüber in die Handlung, hinein in einen Wald und zur Heldin der Geschichte. Genauso wie Peter Jackson seinen The Fellowship of the Ring sechs Jahre zuvor begonnen hat. Bei seiner finalen Einstellung ließ sich Weitz dann von Steven Spielbergs Jurassic Park inspirieren, was man neben der Einstellung auch der musikalischen Untermalung von Alexandre Desplat anmerkt. Die Propagierung des Alethiometers als „einziges seiner Art“ rückt das Ganze dann erneut in das Tolkiensche Licht. Wäre The Golden Compass nicht von New Line Cinema, man hätte ihn fraglos den Vorwurf des Plagiats angehängt. Und nicht einmal die Darstellung des Alethiometers vermag Weitz zu gelingen. Sein „Eintauchen“ in bebildertes Geschehen, vor allem in Verbindung mit Lyras plötzlichem Beherrschen des Apparates, beißt sich mit dem Rest des Filmes. Dieser ist ohnehin, wie durch die Effekte bereits angesprochen, von einer derartigen Künstlichkeit durchzogen, dass einen seine Sterilität geradezu anwidert. Lediglich die erste Außenaufnahme verfügt über eine Spur von Wärme, die später überkandidelten Farben weichen muss. Insgesamt gesehen krankt und scheitert The Golden Compass an etlichen Dingen, angefangen von seiner viel zu durch gehetzten Geschichte bis hin zu seinem dilettantischen Regisseur. Das Potential, eine gelungene Adaption zum einen und einen funktionierenden Film zum anderen zu drehen, war durchaus vorhanden. Ausgeschöpft haben es vor allem New Line aber auch Weitz nur sehr bedingt. Die letzte Hoffnung ist hier wohl ein möglicher Director’s Cut, sollte dieser nicht nur die Schnitt- sondern auch Handlungslücken zu schließen vermögen. Andernfalls wären die kommenden beiden Filme lediglich dann zu retten, wenn ein kompetenter Regisseur hinter der Kamera sitzt, der sich nicht von New Line Cinema und Toby Emmerich unterbuttern lässt.

3.5/10

24. Oktober 2008

Clueless

I can't find my Cranberries CD. I gotta go to the quad before anyone snags it.

Es waren fast dreizehn Jahre vergangen, ehe Regisseurin Amy Heckerling zurück zur Schule ging. Nach ihrem Kulthit Fast Times at Ridgemont High aus dem Jahr 1982 lieferte sie quasi 1995 mit Clueless eine Fortsetzung. Dabei hatte Clueless inhaltlich nichts mit „Fast Times“ gemein und doch jede Menge Übereinstimmungen. Nachdem sich Heckerling mit Filmen wie European Vacation und den beiden Look Who’s Talking-Werken fest in der neuen Welle von Komödienregisseuren etabliert hatte, folgte 1995 nun dieses gewagte Clueless-Experiment. Die Intention des Filmes strebte eine Mischung aus Jane Austens Emma und Aaron Spellings Beverly Hills 90210 an. Der Roman von Austen bildete hierbei die Grundlage für den eigentlichen Handlungsrahmen, während die 90210-Einflüsse unweigerlich Einzug in die lose Adaption von Heckerlings Kulthit fanden. Dabei ist Clueless weniger ein Abziehbild von Fast Times, als vielmehr als Neuerfindung zu sehen. Beide Filme passen perfekt in ihre Zeit und spiegeln ihre jeweilige Epoche blendend wieder. Der Erfolg des Filmes hielt sich dabei in Grenzen, reichte jedoch wie im Falle von Fast Times aus, um eine Fernsehserie hervorzubringen.

Beschäftigte sich Heckerling in Fast Times mit den Erlebnissen einiger Teenager, die mit den Problemen des Erwachsenwerden und somit der teen angst zu kämpfen hatten, wendet sich Clueless einer anderen Zielgruppe zu. Hier sind es die Schönen und Reichen denen die Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Gegensatz zu Brad, Stacy, Linda und Rat müssen die Pubertierenden hier keineswegs arbeiten, das merkt man bereits zu Beginn, wenn sich Cher (Alicia Silverstone) ihr tägliches Outfit von einem Computer zusammenstellen lässt. Um ihren Kindern extravagante Namen zu verpassen, erhielten Cher und ihre beste Freundin Dionne (Stacey Dash) auch noch die Namen berühmter Sängerinnen, auch Mitschüler Elton (Jeremy Sisto) trägt einen solchen Namen. Sorgenlose Schüler, in deren Leben es nur um eines geht: ihr soziales Standing. Dieses lässt sich insbesondere durch ihr Outfit bestimmen, ein Trend wie man ihn selbst heute noch findet. Wer neu an die Schule kommt und in heruntergekommenen Klamotten durch die Gänge läuft, wird wie Tai (Brittany Murphy) schief angesehen – insbesondere in einer so oberflächlichen Kultur wie sie in Clueless zum Tragen kommt. Ein Fremdkörper ist hier dann Chers Stiefbruder Josh (Paul Rudd): existentialistisch, politisch engagiert und frei von Vorurteilen. Wie grundverschieden beide sind, zeigt sich in ihrer gemeinsamen Fernsehserie: während es Cher nach Beavis & Butthead gelüstet, möchte Josh Waldbrände auf CNN verfolgen.

Doch auch Clueless ist ein coming-of-age-Drama und beansprucht somit seine Portion an teen angst. Hinter den teuren Kostümen und dem vielen bling bling muss man die natürlich erst mal suchen, aber sie ist durchaus da. „He does dress better than I do, what would I bring to the relationship?”, fragt sich Cher voller Selbstzweifel, als sie ihren Traummann Christian trifft. Dieser wiederum ist selbst ein Kind der 90210-Generation, ein sprichwörtliches Abziehbild von Jason Priestley. Ihr Aussehen hat für die Mädchen in Clueless also eine ausgesprochene wichtige Bedeutung, bildet sogleich Schutz für Angriffsfläche. Emanzipierter ist hier noch Dionne, die sich im Gegensatz zu Cher und Tai weniger unterkriegen lässt. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass sie ihre Ängste und Sorgen auf etwas anderes projiziert, als Cher und Tai: ihren Freund Murray (Donald Faison). Mit den offensichtlichen Problemen einer Beziehung müssen sich die beiden kaukasischen Mädchen nicht herumschlagen, was ihr Liebesleben jedoch nicht unbedingt einfacher macht. Hier findet sich das Austensche Element des sozialen Aufstiegs über sein Liebesleben. Als sich der Stoner Travis (Breckin Meyer) für Tai interessiert, blocken Cher und Dionne total ab. Ohnehin erachtet Cher jeden Kerl aus ihrer High School für unter ihrer Würde.

Die Ähnlichkeiten zu Austens Emma sind dabei natürlich offensichtlich, die Identifikation mit den Figuren schnell gefunden. Klassische Literatur für die lesefaule Jugend aufzubereiten hat sich bereits in Baz Lurhmanns Romeo + Juliet positiv bewährt. Auffallen dürften die Verweise auf Jane Austen den wenigsten Zuschauern, die nicht unbedingt mit dem Roman vertraut sind. Für diese sind die Parallelen zu Fast Times dagegen präsenter. Hier wie dort zelebriert Heckerling das Mekka der Teenager, das örtliche Einkaufszentrum. Ebenso verhält es sich mit der Figur von Travis, die – trotz Heckerlings Widersprüchen – stark an Kultfigur Spicoli erinnert. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass Travis ein kiffender Skater ist, sondern wegen seiner Etablierung in den Kontext von Clueless, als Gegenpart des Lehrers in der Aufmerksamkeit des Klassenzimmers. Im Gegensatz zu Spicoli haucht Heckerling Breckin Meyers Figur jedoch mehr Leben ein, mehr Wünsche und Träume jenseits des Hasch. Unabhängig von der gelungenen Interpretation von Emma ist Clueless, wie zuvor Fast Times, ein amüsantes Portrait der Jugend dieser Zeit. Ihr Denken, ihre Interessen, Ansichten und Erwartungen werden zum größten Teil authentisch transferiert, obschon es sich natürlich um die Oberschicht der amerikanischen Westküste handelt.

War Fast Times weitestgehend inhaltsfrei, so scheitert Clueless über weite Strecken seiner Laufzeit an dem Versuch einer stringenten Handlung. Insbesondere Silverstones Erzählstimme ist hier ein großes Übel, da sie wenig bis gar keine Emotion rüberbringt. Wo Serien wie Grey’s Anatomy oder Scrubs von den Erzählstimmen ihrer beiden Hauptprotagonisten leben, versackt Clueless ein ums andere Mal. Beim Schauspiel sieht das wiederum besser aus, hier kann Silverstone – zuvor berühmt geworden durch ihre drei Musikvideoauftritte für Aerosmith – als oberflächliche Blondine durchaus punkten. Auch die vielen anderen Gesichter (Rudd, Murphy, Sisto) machen Spaß, selbst wenn diesen Darstellern eine weniger ruhmreiche Karriere vorbehalten blieb, wie ihren Fast Times-Kollegen. Die Pausen im Film sind jedoch bemerkbar und vor allem zu groß, die großartigen Momente fehlen. Zudem scheitert Heckerling auch dabei, ihren klischeehaften Figuren eine spezielle Tiefe verleihen zu wollen. Insgesamt gesehen lässt sich Clueless als Anbeginn von Heckerlings Verabschiedung der Top-Elite sehen. Selbst wenn Clueless keine sonderliche Enttäuschung ist, verebbte die Karriere der Regisseurin anschließend. Als Portrait seiner Zeit funktioniert der Film dennoch wie als Interpretation von Emma.

7.5/10

22. Oktober 2008

Hellboy II: The Golden Army

World, here I come.

Der Mexikaner Giullermo del Toro ist nicht erst seit El laberinto del fauno gefragt. Nach Cronos lockte ihn Hollywood und mit Mimic lieferte del Toro durchschnittlichen US-Horror ab. Anschließend ging er erstmal wieder zurück nach Mexiko und drehte dort seinen Bürgerkriegshorror El espinazo del diablo. Gekonnt verknüpfte del Toro die historische Dramatik mit Gruselelementen und einer Geschichte über Freundschaft. Erneut kam Hollywood und sicherte sich seine Dienste. Dank Blade begann die neue Erfolgswelle der Comicverfilmungen und del Toro durfte 2002 den zweiten Teil inszenieren. Und es machte dieses Mal nichts, dass die Erwartungen nicht erfüllt wurden und der Mexikaner verkroch sich auch nicht erneut in seiner Heimat. Denn nun hatte er sich einen Namen gemacht in Hollywood. Einen Ruf, der bis heute anhält und der del Toro all seinen Erfolg brachte.

Del Toro, der Meister des Phantastischen. Warner wollte ihn für die Regie zu Harry Potter and the Prisoner of Azkaban und musste am Ende doch mit Landmann Alfonso Cúaron vorlieb nehmen. Denn del Toro selbst hatte ein anderes Projekt ausgewählt, entschied sich für ein Herzensprojekt und adaptierte Mike Mignolas Hellboy, ein in der Comicwelt renommiertes Stück Fantasy. Darin wusste er der Vorlage gegenüber treu zu bleiben und doch seinen eigenen Touch einzubringen. Nach Hellboy folgte die Oscarprämierte mexikanische Mär El laberinto del fauno und im Anschluss daran das Angebot, die Regie von J.R.R. Tolkiens The Hobbit zu übernehmen. Der wurde zwar wegen Produktionsproblemen letztlich doch von Peter Jackson selbst inszeniert, aber zumindest am Drehbuch war der Mexikaner beteiligt. Davor widmete er sich jedoch erneut seinem Baby.

Am Ende des Films bekommt der Held immer das Mädchen. Selbst ein Teufel mit riesiger Steinhand die Brünette, die Feuer und Flamme für ihn ist. Und was will man noch großartig erzählen? Die letzten Nazis sind tot, die sieben Chaosgötter aus der Nachbargalaxie vernichtet und das Böse vom Guten im Bösen besiegt. Guillermo del Toro macht sich gar nicht die Mühe, sich nochmals irgendwie an jener Thematik zu versuchen. Vielmehr geht er einen anderen Weg, einen persönlicheren. Denn Hellboy II: The Golden Army ist im Grunde eine Geschichte in der Geschichte. Ein phantastisches Märchen in einem Fantasy-Film. Da lässt es sich der Mexikaner auch nicht nehmen, für den Prolog erneut John Hurt zurückzuholen, um in einer liebevollen Animation das Märchen einzuläuten. Elfen, Trolle, Kobolde – sie alle führten Krieg gegen die Menschen.

Bis die Kobolde für Elfenkönig Balor eine Armee von unzerstörbaren Kriegern anfertigten. Deren Kriegswut war so desaströs, dass Balor Frieden schloss und mit seinesgleichen in den Untergrund wanderte. Doch nun kehrt sein Sohn, Prinz Nuada (Luke Goss), aus dem Exil zurück, um die Armee zu beschwören und die Menschheit zu vernichten. Warum kehrt Nuada jetzt, Anfang des 21. Jahrhunderts, zurück? Eine unwichtige Frage, del Toro interessiert sie nicht und auf formaler Ebene will er meist auch gar nicht überzeugen. Stattdessen lässt er die Bilder sprechen. Doch auch trügerische Bilder. Bilder, die ihn verraten. Bilder, die vermuten lassen, dass auch die Phantasie eines Guillermo del Toro nicht ohne Grenzen ist. Oder ihm war die Zeit zu knapp, sich neue Storyboards auszudenken, wenn er ohnehin noch welche von El laberinto del fauno übrig hatte.

Da hat man kleine Zahnfeen, die unverkennbar eine Verwandtschaft mit den Feen aus der Oscarmär aufweisen. Und der Engel des Todes, der sicher ein Cousin vom blassen Mann ist. Das sieht natürlich nicht weniger spektakulär aus, aber das kennt man inzwischen. Genauso wie die harte rechte Faust aus einem speziellen Material von Nuadas stummem Begleiter Wink. Es wuselt zwar in Hellboy II was das Zeug hält, aber dies lädt auch zu Wiederholungen ein. Der Freitagsspaziergang von Abe (Doug Jones) und Manning (Jeffrey Tambor) wirkt dann auch wie eine starke Referenz zu Barry Sonnenfelds Men in Black und die Wirkung des Trollmarktes kennt das Publikum zumindest aus Chris Colombus’ Harry Potter and the Philosopher’s Stone. Del Toro evoziert somit einen extrem hohen Wiedererkennungswert anderer Genrevertreter der vergangenen Jahre.

Eine ganze Welt zu erschaffen, voller seltsamer Figuren, ist nicht einfach. Dass der Mexikaner stets respektvoll und mit Hingabe an seine Figuren herangeht, macht das Ganze besser. Speziell weil die Effekte im Gegensatz zu Hellboy auch weitaus gelungener sind, von den Zahnfeen bis hin zum Waldgott und Johann Krauss (Seth MacFarlane). Enttäuschen wollen die Effekte lediglich im finalen Kampf zwischen Hellboy und der Goldenen Armee. Die gesamte Inszenierung lässt die Entstehung am Computer offensichtlich werden, wobei dies auch an der Hochauflösung der Blu-Ray gelegen haben mag. Keine übermenschlichen Nazis also, kein russischer Zauberer, keine außerirdischen Götter. Stattdessen Elfen und Trolle. Mittelerde reloaded. Die Platzierung von Hellboy (Ron Perlman), seiner Flamme Liz (Selma Blair) und dem Rest in einem großen Märchen.

Der Held bekommt das Mädchen. Soweit so gut, denn viel ändert sich sonst nicht. Manning und Hellboy sind sich noch immer spinnefeind und auch das Untergrundleben hat der große Rote langsam satt. Umso gerne lässt man sich dann im Park fotografieren und unterschreibt das Ganze auch noch fleißig. Bei einem seiner Einsätze wird es Hellboy dann zu blöd und er ergreift die Chance, sich der Welt gegenüber zu outen. Sogar zu Jimmy Kimmel schafft er es damit, doch ändern tut sich wider Erwarten nichts. Er ist fremd, er ist anders. Man traut ihm nicht, ebenso wenig wie man Jahrhunderte zuvor den anderen Fabelwesen getraut hat. Dieser Punkt ist nun nicht universell, vielmehr ist es der Alltag im X-Men-Universum und anderer Superhelden. Man ist zwar toleriert, wird jedoch nicht respektiert. Stattdessen verabscheuen einen die Menschen.

Da bildet sich auch schnell mal ein Pulk von Menschen, um Hellboy wie Frankenstein ans Leder zu wollen. Im ersten Teil hätte der hier noch nachgedacht, ob es sich lohnt, diese zu retten. Und da Nuada erst wenige Minuten zuvor gesäuselt hat, dass Hellboy eigentlich auf seiner Seite stehe sollte, würde man dergleichen nun erwarten. Doch Hellboy scheint reifer geworden zu sein. Oder es liegt nur an Liz, für die er seine Arbeit und das Schicksal der Menschen gerne aufgeben würde. Das ist wahre Liebe, wenn man sagen kann: fuck the mankind. Aber so tief innen drin, da hätte man sich dennoch eine etwas tiefere Auseinandersetzung gewünscht. Wenn Hellboy durch den Trollmarkt latscht und sich wie ein Derwisch freut, dass hier mal keiner starrt und man einfach akzeptiert wird. Doch del Toro geht dem aus dem Weg und beginnt erneut, seine Bilder sprechen zu lassen.

Was folgt, ist eine im Kontext des Films unerhebliche Szene voller Effekte. Unerheblich deshalb, da sie vom Protagonisten nicht wirklich reflektiert oder eingeordnet wird. Aber auch jene Szene besitzt wieder einmal zwei Seiten einer Medaille, wie im Grunde der ganze Film. Denn del Toro schenkt seinem Publikum den vielleicht schönsten Charaktertod in der Filmgeschichte. Ungemein bild- und dadurch ausdruckstark. Für die Geschichte nicht erheblich, aber daran denkt man in jenem Augenblick nicht. Hellboy II: The Golden Army will dabei keine Geschichte über Diskriminierung und Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit wie in Bryan Singers X2 erzählen. Auch keine Geschichte über verbitterten Hass und den Drang nach Gerechtigkeit wie bei Batman oder die selbstverständliche Hörigkeit einer ideologisierten Kultur eines Superman.

Kein Kampf mit dem inneren Dämon wie in Hulk. Nein, Hellboy II ist eine Geschichte fernab von der sozialpolitischen Kritik der Marvel- und mit Abstrichen DC-Comics. Vielmehr ist es eine Geschichte um ihrer selbst willen. Eine Geschichte, um der Phantasie willen. Und es ist durchaus eine Geschichte, die del Toro hier erzählt, nur eine etwas flache. Sie wirkt herausgelöst und ohne Zusammenhang. Es gibt keine Prämisse, keine Reflektion, keine wirkliche Stringenz. Es ist ein Märchen, das sich im Nachhinein wie ein Lückenfüller anbiedert. Ein Lückenfüller für einen abschließenden und gewaltigen dritten Teil der Hellboy-Trilogie. Eine Trilogie, die im Grunde nur auf eine Art enden kann, zumindest deutet The Golden Army dies an. Del Toro besinnt sich auf die positiven Eigenschaften aus Hellboy und setzt ganz auf genreüberschreitenden Humor.

Hatte sich Hellboy aus Liebeskummer einst auf einem Hausdach mit einem Jungen bei Milch und Keksen ereifert, so sitzt er nun betrunken auf dem Teppich und singt Lieder von Barry Manilow. Del Toro nimmt sich Zeit für diese Momente, die sich neben der Handlung abspielen und eher dafür stehen, dass sie im Grunde für nichts stehen. Aber sie machen den Charakter des Films aus, jene Szenen für sich, abstrahiert vom Rest. Die humoristischen Einbindungen von Witzen über sprechende Tumore und Nazibegriffe – mal einfach so, ganz flapsig nebenbei. Eine Fantasy-Komödie, weitaus lustiger als der erste Teil, diesmal zwar nicht redundant, aber dennoch viel zu lang geraten. Erneut verliert sich del Toro in seiner phantastischen Welt und seiner narrativen Ebene – dabei hat er an sich nicht genug zu erzählen. Doch übel nimmt man es dem Mexikaner nicht.

Dafür ist Hellboy II: The Golden Army zu lustig und zu liebevoll detailliert. Ein Stöhnen hier, ein Ächzen da, keine Kreatur muss ohne auskommen. Unterstützt wird dies von dem sehr gelungenen Pop-Soundtrack auf der einen und der nicht minder gelungenen Komposition von Danny Elfman auf der anderen Seite. Dessen Arbeit macht sich in dieser märchenhaften Welt ohne Frage bezahlter als es einem Marco Beltrami gelungen wäre. Und als Fazit ließe sich nun sagen, dass del Toro zuvorderst Shakespeare beachtet und dessen Zitat aus Henry V: Dies über alles dir selber sei treu. Denn del Toro ist der Mann des Phantastischen, zu Hause in jener Welt, die er seit 15 Jahren sein eigen nennt. Eine Welt voller sympathischer Monster und Wichtel. Und eine Welt, in der er hoffentlich irgendwann trotz aller bisherigen Dementis mit Hellboy III nochmals zurückkehren wird.

7.5/10

20. Oktober 2008

Pineapple Express

Fuck the po-lice!

Vor drei Jahren veröffentlichte Der Spiegel eine Studie, der zufolge jeder Fünfte Europäer zwischen 15 und 34 Jahren Cannabis konsumiere. Die meisten Menschen könnten auch in ihrem Freundeskreis eine oder mehr Personen aufzählen, die bereits einmal oder immer noch Haschisch rauchen. Weltweit bekannt ist die Handhabung in den Niederlanden, wo Marihuana inzwischen legalisiert wurde und in Coffee Shops frei zugänglich ist. Konservative Kreise verteufeln Haschisch, indem sie den Benutzern nachsagen, dass sie durch den Konsum verblöden würden. Dass Drogen sowohl berauschend als auch sucht gefährdend und lebensbedrohlich sein können hat kaum ein Film besser gezeigt als Darren Aronofskys Requiem for a Dream. Doch verteufelt werden meist nur die so genannten „harten Drogen“ wie Heroin, Crack und dergleichen. Gerade in den USA ist Cannabis eher eine lieb gewonnene Droge, speziell bei Heranwachsenden. Kiffer als sympathische Cliquen-Maskottchen finden sich in so Filmen wie Fast Times at Ridgemont High in der Person von Sean „Spicolli“ Penn oder auch in Tony Scotts True Romance durch den von Brad Pitt dargestellten Floyd. Letzterer diente dem neuen US-Komödien Guru Judd Apatow auch als Inspiration für seine aktuelle Produktion Pineapple Express, deren Drehbuch von Seth Rogen und Evan Goldberg stammt. Dasselbe Team also, welches bereits Superbad zu einem Hit hat werden lassen und auch mit ihrem neuen Werk konnten sie an ihre Erfolgsquote anknüpfen. Das britische EMPIRE Magazin hat Pineapple Express zu einem der Knüller des Sommers erklärt, waren es schließlich Rogen, Goldberg und Apatow, die Ansatzweise The Dark Knight zu gefährden vermochten. Letztlich war der Actionklamauk jedoch der Beweis, dass Amerikaner immer noch gerne über ihre kiffenden Slacker zu lachen vermögen und so befindet sich auch Hauptdarsteller Rogen weiterhin auf dem aufsteigenden Ast.

Regisseur David Gordon Green, der sich bisher durch namhaft besetzte Independent-Filme auszeichnen konnte, lässt seine Kiffermär durchaus charmant beginnen. In Schwarzweiß startet Pineapple Express wie ein guter alter Krimi, schlägt jedoch schon früh absurde Bahnen ein. Anfang der Dreißiger untersuchte die Regierung die Auswirkungen von Marihuana in der Person eines ihrer Soldaten (Bill Hader) am Menschen. Die Folgen waren katastrophal. Wirres Gerede und antiautoritäres Verhalten – diese Droge musste für illegal erklärt werden. Mehr als siebzig Jahre später knüpft die Handlung nun an und hat in den Folgenden zwei Stunden im Grunde überhaupt nichts mehr mit jenem schwarzweißen Prolog zu tun. Eddy Grants „Electric Avenue“ dröhnt aus den Boxen, nicht nur denen des Kinos, sondern auch aus Dales Autoboxen. Dale (Seth Rogen) ist ein sympathischer Kiffer, der seinen Job aus sprichwörtlich vollen Zügen genießt. Er überstellt gerichtliche Vorladungen und um all den Anfeindungen zu begegnen, zieht er hin und wieder einen durch. „We gonna rock down to Electric Avenue and then we'll take it higher” ist das Motto in Dales Leben. Doch es ist kein sorgenfreies Leben, denn Dales High School Freundin Angie (Amber Heard) versteht sich zu gut mit ihren gleichaltrigen Klassenkameraden. Zumindest nach Dales Geschmack. Und sein potentieller Nebenbuhler kann immerhin Jeff Goldblum nachmachen, was hat Dale da schon dagegen zu setzen. „Fuck Jeff Goldblum, man!“, wird Dale von seinem Dealer Saul (James Franco) eingeschworen. Zwar kennen sich beide erst seit zwei Monaten, doch die Freundschaft zwischen ihnen ist stark und innig. Jedenfalls wenn es nach Saul geht. Und deswegen bietet er Dale auch bereitwillig eine Kostprobe seines neuesten Produktes an. Der Ananas Express haut richtig rein und wird beiden anschließend noch gehörig Ärger verursachen. Als Dale zufällig einen Drogenmord beobachtet, können die Täter (Gary Cole, Rosie Perez) ihn und Saul anhand des Ananas Express identifizieren. Eine wilde Flucht-Verfolgung-Flucht nimmt ihren Lauf.

Grundsätzlich war die Idee, die hinter Pineapple Express steckt die, das es eine bekiffte Variante von Midnight Run sein sollte. Und per se hält Greens Film auch das was er verspricht. Gerade die erste Viertelstunde konzentriert sich stark darauf Dale und Saul als zwei strunzdoofe Klischeekiffer zu etablieren, wenn sie sich auf der Couch bei zwei gleichzeitig laufenden Fernsehern über sinnloses Zeug ereifern. Dass dies ziemlich schnell eintönig wird ergibt sich von selbst. Zudem sind die Dialoge der beiden über die meiste Zeit hinweg auch nicht besonders wort- und geistreich, sodass einem das Lachen in vielen Situationen schwer fällt. Doch hin und wieder gelingt es Rogen und Goldberg durchaus einen genialen Einzeiler raus zuhauen („Prepare to suck the cock of karma!“), die enttäuschenderweise rar gesät sind. Man merkt es dem Skript somit sehr wohl an, dass Rogen es bereits vor einigen Jahren geschrieben hat, denn im Gegensatz zu seinem Superbad verliert sich Pineapple Express unglaublich oft in seinen Nebenschauplätzen, dreht sich im Kreis und streckt sich dadurch. Am deutlichsten wird dies durch die Figur von Dales Freundin Angie und deren Familie. Jenes Handlungselement ist so überflüssig, dass nicht einmal Amber Heard darüber hinweg zu täuschen vermag. Unverständlich weshalb Rogen hier gut und gerne 15 Minuten für die Exposition einer Szene aufwendet, die im Kontext des Geschehens absolut belanglos ist und sich in einem Klischeeausspruch („You’re as high as a fucking kite“) verliert. Ähnliches gilt für das Finale des Filmes, der weitaus besser in eine Laufzeit von 90 Minuten gepasst hätte und den man ab einem gewissen Zeitpunkt anfangen muss zu ertragen anstatt ihn zu genießen. Denn nicht nur der Film selbst hätte gekürzt werden müssen, sondern auch die meisten Szenen sind viel zu langatmig und langweilen insbesondere durch ihren unlustigen Charakter. Eine Schlägerei zwischen drei Kiffern mag wohl nur dann wahrhaft lustig sein, wenn man selbst in jenem Augenblick bekifft ist.

Gut möglich dass man auch nur dann vollends seinen Spaß an Pineapple Express hat, wenn man selbst gerade bekifft oder am Kiffen ist. Doch zur Überraschung des Zuschauers stellen beide Figuren schon bald das Kiffen ein, wenn der eigentliche Actionanteil des Filmes losgeht. Dass sich an der Intelligenz der beiden Protagonisten trotz Cannabis-Mangels nichts großartig ändert, spricht dabei im Grunde für die konservative Einstellung des verdummenden Rauschmittels. Und so wirklich will die gezeigte Action dann auch nicht mit dem komödiantischen Teil konform gehen. Was sich in Shane Blacks Kiss Kiss Bang Bang zu einem wahnwitzigen Cocktail vermischte geht in Pineapple Express nicht auf. Viel zu unglaubwürdig ist das Szenario hier aufgebaut, was sich perfekt in den beiden Killern Budlofsky (Kevin Corrigan) und Matheson (Craig Robinson) manifestiert. Gut möglich dass man den beiden aufgrund ihrer Beteiligung an den Comedy-Formaten Grounded for Life und The Office nicht so recht die unbarmherzigen Killer abkauft, doch passen sie somit perfekt ins Bild. Denn dass Saul und Red (Danny McBride) die Drogendealer Nummer 3 und 2 in Los Angeles sind, will bei deren Geisteszustand auch nicht wirklich einleuchten. Hier ist es auch nicht hilfreich, dass Pineapple Express sich selbst nicht ernst und andere Genrevertreter hoch nehmen will. Dazu fehlt es Greens Film im Gegensatz zu einem Hot Fuzz viel zu sehr an unaufgesetzter Lockerheit, die entgegen der Erwartungen nicht von den beiden Kiffern versprüht wird. Zu Ideenlos, zu lang ist das ganze Theater, die Anspielungen auf das Genre verpuffen ins Nichts. Vielleicht funktionieren die Kifferkomödien nur in den USA, so richtig überzeugen will Pineapple Express jedenfalls nicht. Ganz im Gegensatz zum Soundtrack, für welchen Rogen auch Musikgröße Huey Lewis and the News gewinnen konnte, um den stimmigen Abspannsong zu komponieren. Dass der Song besser ist als der vorangegangene Film dürfte kaum überraschen.

5.5/10

18. Oktober 2008

Blindness

The only thing more terrifying than blindness is being the only one who can see.

Unter den Blinden ist der Einäugige König. Die Redewendung kennt man ja und bedeutet, dass man selbst mit Mittelmäßigkeit noch jemandem überlegen sein kann, der schlechter dran ist als man selbst. Der portugiesische Schriftsteller José Saramango verfasste 1995 mit Blindness einen Roman, der in eine andere Richtung geht. Saramango entwarf eine Geschichte über eine Gesellschaft, die plötzlich blind wird. Nicht alle auf einmal, sondern nach und nach. Wie bei einer Epidemie. Was der Portugiese anschließend skizziert ist eine sich selbst demontierende Gesellschaft, die abseits ihrer erschaffenen Bequemlichkeit kaum im Stande ist ihre zivilisierte Ordnung aufrecht zu erhalten. Lange Zeit galt Blindness als einer jener Romane, denen man das Prädikat „unverfilmbar“ anheftet. Doch in heutigen Zeiten bedeutet das nichts mehr. Peter Jackson adaptiert mehr schlecht als recht Tolkiens Lord of the Rings und Tom Tykwer versucht sich noch eine Nummer größer an Süßkinds Das Pafüm. Der Mann, der sich an Saramangos Werk wagte, war schließlich Fernando Meirelles, der sich inzwischen dank Cidade de Deus und The Constant Gardener einen Namen gemacht hat. Mit seinem Film, der die Filmfestspiele von Cannes dieses Jahr eröffnet hat, läutet Meirelles dann auch den Herbst der Oscaranwärter ein, der noch so namhafte Konkurrenz wie Sam Mendes’ Revolutionary Road beherbergt. Ob es dem Brasilianer gelingt erneut seinen Film in der vordersten Front der Kategorien zu platzieren dürfte fraglich sein. Obschon Blindness bisweilen ein filmisches Werk von meisterlicher Intensität ist, büßt die Narration der Geschichte gerade zum Schluss hin stark ein und trübt das Gesamtergebnis.

Urplötzlich wird ein Mann (Yusuke Iseya) in seinem Auto auf offener Straße von einer milchigen Blindheit geschlagen. Der Besucht bei seinem Augenarzt (Mark Ruffalo) eröffnet, dass an seinen Augen kein Schaden festzustellen ist. Ehe er sich versieht, leidet am folgenden Tag auch der Arzt an jener milchigen Blindheit und übergibt sich der Gesundheitsbehörde. Die befürchtete Epidemie bewahrheitet sich. Neben dem Augenarzt und dem ersten Blinden finden sich in einer verlassenen Irrenanstalt auch andere Patienten des Arztes wieder, die in Reichweite des ersten Blinden gekommen sind. Was die anderen Patienten und auch die Gesundheitsbehörde nicht wissen, die Frau des Arztes (Julianne Moore) hat sich ebenfalls einweisen lassen – obwohl sie bestens sehen kann. Im folgenden fungiert sie insgeheim als die Augen des ganzen Blocks, während sich die Zahl der Infizierten immer mehr erhöht. Schon kurze Zeit später beginnen sich Spannungen aufzubauen, denn die Essensrationen der Regierung decken nicht den Bedarf aller Insassen. Deren Zahl wiederum übersteigt allmählich die Kapazität der Anstalt. Bei dem Versuch einer Aussprache erklärt sich ein Barkeeper (Gael Garcia Bernal) zum König von Block 3 und kurz darauf zum Anführer der Anstalt. Er erpresst die anderen Patienten im Austausch für Geld und Schmuck an den Lebensmittelrationen teilhaben zu können. Als die finanziellen Mittel nicht mehr ausreichen, macht er den Vorschlag, dass sich die Frauen des Blocks zur sexuellen Verfügung stellen. Während die gesellschaftliche Ordnung innerhalb der Anstalt fortwährend degeneriert, entfremden sich auch der Arzt und seine Frau, ehe die Situation letztendlich zur Eskalation führt.

Passend zur Thematik der milchigen Blindheit seiner Protagonisten hält Meirelles seine Bilder in oftmals klaren und ausgesprochen hellen Bildern. Diese wirken mitunter fast schon ausgebleicht und verhelfen Blindness zu einer gewissen Sterilität, die das Gezeigte eine Spur transzendenter erscheinen lässt. Durch die Kameraführung von César Charlone fühlt sich der Zuschauer speziell in den Szenen innerhalb der Anstalt gelegentlich selbst wie einer der wenigen Sehenden respektive wie die Frau des Arztes. Unterstützt wird jenes Szenario von der träumerischen Musik Marco Antônio Guimarães’, dessen Thema zum Film in manchen Einstellungen fast schon grotesk ob seines versteckten Optimismus wirkt. Von seiner technischen Seite präsentiert sich Blindness hervorragend. Dem Wunsch von Saramango kam man zwar nach, keine reale Stadt als Hintergrund zu verwenden, doch sind die Einstellungen zu Beginn aus Brasilien durchaus erkennbar. Diese vermischen sich dann später mit Szenenwechseln nach Kanada und Uruguay, sodass Meirelles seinem Film auf überzeugende Weise eine spezielle Globalität zu verleihen weiß. Gerade jene Szenen in der verwahrlosten Stadt hinterlassen einen bleibenden Eindruck, nicht weniger jedoch wie ihre Pendants in der Anstalt. Mehr und mehr degenerieren die Menschen mit ihrer Umgebung, welche sie visuell nicht einmal wahrnehmen können, sodass dieser Umstand nur noch stärker als Spiegelbild ihres eigenen Niedergangs angesehen werden kann.

Mit der visuellen Kraft des Filmes kann die Geschichte selbst dann eher nicht mithalten. Durch Nichtkenntnis der Vorlage lässt sich schlecht bestimmen, ob dies an Saramango oder Meirelles liegt, es wird jedoch von letzterem ausgegangen. Mehrfach verschiebt sich die Sichtweise innerhalb des Filmes, versucht man sich zu Beginn an einer gewissen Objektivität, folgt Blindness ab der Anstaltseinweisung verstärkt der Frau des Arztes. Allerdings wechselt diese Perspektive nach einiger Zeit zu Gunsten des Mannes mit der Augenklappe (Danny Glover), welcher zuvor für den eigentlichen Ablauf der Handlung keine Bedeutung hatte. Er ist es dann auch, der den Film durch seine Erzählstimme bis zum Ende begleitet, was es nicht unbedingt schwer macht der Handlung zu folgen, doch ist es ein etwas störendes Stilmittel, dessen sich der Brasilianer hier bedient. Hierzu zählt auch die fehlende Fokussierung auf alle Figuren, deren Oberfläche Meirelles gelegentlich ankratzt, aber dem nie näher nachgeht. Neben dem Mann mit der Augenklappe trifft dies auch auf die Frau mit der Sonnenbrille (Alice Braga) zu. Wer ist sie? Was macht sie aus? Zwischen der einen Einstellung und der nächsten präsentiert Meirelles auf einmal emotionale Spannungen zwischen ihr und dem Arzt, die dann wieder ebenso schnell verblassen. Und praktisch nebenher führt er eine Beziehung zwischen ihr und dem Mann mit der Augenklappe ein. Große Gefühle, die unverständlich wirken, da man beide Figuren zuvor kein einziges Mal zusammen in einer Einstellung gesehen hat. Traurigerweise trifft diese Vernachlässigung der Charaktere nicht nur die Nebendarsteller, sondern auch den Arzt und seine Frau. Was in ihnen und den anderen vorgeht weiß der Regisseur nicht in seine Bilder zu packen, sodass es einem trotz der dramatischen Bilder schwer fällt, wirklich mit den Figuren zu sympathisieren.

Dies fällt einem besonders beim Verhalten von Julianne Moores Figur schwer, welches selten bis gar nicht nachvollziehbar ist, speziell wenn man die Umstände betrachtet. So offenbart sie jederzeit den Ausweg aus dieser „Hölle“, doch lässt Meirelles sie nicht diesen Pfad bestreiten. In gewissem Sinne ist daher jene Massenvergewaltigungsszene der Höhepunkt des Filmes, von einer derartigen Intensität geprägt, dass sich einem der Magen umdreht. Gerade die Szenen mit dem König von Block 3 sind schwer zu ertragen, da hier die wahre Fratze der menschlichen Existenz zum Vorschein dringt. Dabei besitzt Bernals Figur durchaus Tiefe, wie auch von ihm selbst bestimmt, doch auch jene Tiefe wird von Meirelles nicht wirklich auf die Leinwand transferiert. Der König ist ein Mensch, wie man ihn überall findet, die andere Seite zur Medaille, die mit dem Arzt vervollständigt wird. Wenn hier die Sitten verrohen, nimmt Blindness immense Fahrt auf, ist ein schwer erträgliches, da authentisches Bild der Menschheit und fasziniert. Durch die Vernachlässigung der Figuren, die Art und Weise der Narration und der unsäglichen – obschon hervorragend inszenierten – letzten Viertelstunde verliert der Film sehr viel. Ratsamer wäre es gewesen, weniger Charaktere einzubauen oder wenn schon so viele, diese auch entsprechend auszuleuchten. Mal hü und mal hott geht dann jedoch nicht. Dass Meirelles vieles im Raum stehen lässt, kann man oft nachvollziehen, spielt einiges – zum Beispiel was die Blindheit ist – auch nur eine untergeordnete Rolle. Was Blindness wirklich sein will, verrät sich in seiner letzten Einstellung und den finalen Worten. Dass das, was man zuvor gesehen hat, unweigerlich damit zusammenhängt, erschließt sich einem nicht unbedingt. Meirelles verschenkt viel Potential, was sich seinen mehrfachen Wendungen verdankt. Ist Blindness sowohl vom technischen Aspekt wie seinen Schauspielern gelungen, hapert es doch ein wenig an seiner Geschichte.

6/10

16. Oktober 2008

Dawson’s Creek - Season Three

This ruins everything.

Der Schnitt ist ziemlich offensichtlich, man merkt ihn bereits nach wenigen Minuten. Anstatt „I Don’t Want To Wait“ von Paula Cole läuft in den Anfangscredits nunmehr „Run Like Mad“ von Jann Arden. Ein schlechterer Song, der eine schlechtere Qualität der Serie von Kevin Williamson einläutet. Doch die Schuld von Williamson ist das, wenn, nur bedingt. Am Ende der zweiten Staffel, die bereits durch das eine oder andere „schlampige“ Drehbuch hervorstechen konnte, verließ der Schöpfer von Dawson’s Creek die Serie. Die dritte Staffel fällt im Vergleich zu den beiden mehr als gelungenen Vorgänger deutlich ab, aus verschiedenen Gründen. Nicht nur das – in meinen Augen – schlechtere Titellied markiert den Wandel, sondern auch die Dezentralisierung der Serie. Der Fokus rückt von Dawson Leery immer mehr auf Joey Potter, einhergehend mit dem aufkommenden Liebesdreieck. Die Serie büßt viel von ihrer Selbstironie ein, auch etwaige Referenzen, wie sie in Like a Virgin noch auftreten (Risky Business) werden zur Mangelware. Später dreht sich Escape from Witch Island noch in den Sphären eines Blair Witch Project aber damit hat es sich auch schon. Spektakuläre Gaststars warten in dieser Staffel nicht auf, weiß Brittany Daniels (Eve) lediglich seither die Wayans-Brüder Komödien White Chicks und Little Man aufzuweisen. Bekannter dürften Julie Bowen (Lost, Happy Gilmore) und natürlich Michael Pitt sein. Problematisch an der Staffel ist vielleicht auch, dass sie sich ein wenig in ihren Charakteren verläuft. Das ist nicht unbedingt schlecht, auch die anderen Figuren haben es verdient mehr Leben eingehaucht zu bekommen. Jedoch schadet es etwas dem Fluss, da sich auch verschiedene Handlungselemente innerhalb der Staffel wiederholen beziehungsweise sich im Kreis drehen.

Nach dem „Cliffhanger“ der zweiten Staffel (Joey will nie wieder etwas mit Dawson zu tun haben) folgt natürlich in der ersten Episode (Like a Virgin) der sofortige Rückzieher. Dawson (James Van Der Beek) verbrachte den Sommer in Atlanta bei seiner Mutter Gail und als er zurück nach Capeside kommt will ihn Joey (Katie Holmes) wieder haben. Doch Dawson lehnt ab, vielleicht weil er im Bus die mysteriöse Eve (Brittany Daniels) getroffen hat? Diese hat auch einen eher schlechteren und von Joey missbilligten Einfluss auf den Nachwuchsregisseur. Dawson hingegen bittet Pacey (Joshua Jackson) darum, ein Auge auf Joey zu haben – ein Ereignis wird losgetreten. Oder doch nicht? Retrospektiv gesehen etablierte Williamson bereits in den beiden früheren Staffeln unterschwellige Emotionen zwischen Pacey und Joey, zumindest jedoch von Seiten Paceys (Double Date, #110). Die „Affäre“ der beiden dreht sich dann auch etwas im Kreis, bis beide merken, dass sie Gefühle füreinander hegen. Wobei dies bei Pacey bereits frühzeitig der Fall ist, zumindest in der Mitte der Staffel. Geschehen konnte das Ganze deshalb, weil Andie (Meredith Monroe) in ihrer Reha mit einem Mitpatienten geschlafen hat, was ihre Beziehung mit Pacey zum Scheitern brachte. Ihre Beziehung lebt kurzzeitig wieder auf, als Andie versucht Pacey zu manipulieren, doch führt sie letztlich nirgends hin. Für Jen (Michelle Williams) und Jack (Kerr Smith) stehen zwei Liebesabenteuer bevor, die sich jedoch auch eher zaghaft und langsam entwickeln. Besonders im Falle von Jen sehr widersprüchlich, mal hat sie Interesse an Schulanfänger Henry (Michael Pitt), dann aber wieder nicht, wenn es ernster wird. Ähnlich verhält es sich bei Mitch (John Wesley Shipp) und Gail (Mary-Margaret Humes), die mal hü und mal hott machen, ehe sie schließlich wieder zusammen landen und in der finalen Episode True Love erneut heiraten. Das große Motto der dritten Staffel ist somit: Liebeschaos.

Von ihrem Inhalt her weiß die dritte Staffel weniger zu überzeugen. Die große Einführung von Eve und ihrer Vergangenheit als Jens Halbschwester findet keine dramatische Auflösung und wird im Kanon der Serie auch nie mehr erwähnt werden. Auch die Lösung der beiden Beziehungen von Dawson und Joey sowie Andie und Pacey wirkt ziemlich schlampig. Die Entscheidung des vorigen Staffelfinales spielt kaum eine Rolle, warum Joey sich so schnell besonnen hat und weshalb Dawson sich verwehrt, bleibt unklar. Selbiges gilt für das andere Paar. Andie ist ziemlich schnell gesund, ist aber fremdgegangen. Pacey kann dies nicht verzeihen, der Figur fehlt jegliches Verständnis, dass sie in der zweiten Staffel ausgezeichnet hatte. Ironischerweise wird ihr dieses selbst am Ende der dritten Staffel nicht zuteil. Ebenso unverständlich wie die Einführung von Eve ist eine Ablenkung zwischen Pacey und Jen. Beide versuchen eine Sexbeziehung, die nicht in die Gänge kommen will. Wohin dies führen soll(te) und was man damit bezweckte, scheinen auch die Autoren nicht gewusst zu haben. Vielmehr propagieren sie das amerikanische Fernsehserienklischee a la Melrose Place, in welchem jeder mal etwas mit jedem gehabt haben muss. Ganz vorne in der „Schlampen“-Rangliste befindet sich nun Joey, die mit jedem Typen aus ihrem Freundeskreis sexuelle Erlebnisse gehabt hat. Von der unschuldigen Joey Potter aus Staffel Eins ist hier nicht mehr viel zu sehen. Ihre „sexuellen Eskapaden“ werden in den letzten beiden Staffeln zunehmen.

Ohne Kevin Williamson fehlt Dawson’s Creek in der dritten Staffel irgendwie die Richtung, in welche sich die Serie entwickeln soll. Die Beziehungsdramen, insbesondere zwischen Jen und Henry, nerven mit der Zeit, da sie stagnieren. Auch die Charakterentwicklungen drehen sich im Kreis, viel propagiertes Erwachsenensein scheitert an jugendlichem Gedöns. Dabei sind die Figuren weitaus reifer, das haben sie in den vorigen Staffeln gezeigt. Vor allem das ewige Heckmeck zwischen Dawson und Joey überbeansprucht nicht nur die Nerven von Pacey, sondern auch vom Zuschauer. Weitaus gelungener ist in dieser Staffel Jack, der sich quasi emanzipiert. Es verwundert zwar, dass dieselben Teenager, die ihn in der Staffel zuvor wegen seiner Homosexualität gehänselt haben ihn nun als Football-Star feiern, aber das kann man unter den Tisch fallen lassen. Er findet sich als akzeptierter Mensch, nicht nur von seinen Mitschülern, sondern auch seinem Vater. Zudem hat er mit Ethan seine erste schwule Liebe, wenn auch am Ende eher unglücklich. Diese Storyentwicklung weiß im Gegensatz zu den anderen (Dawson & Eve/Nikki, Joey & A.J., Jen & Henry) zumindest zu unterhalten ohne zugleich zu nerven. Erfreulich ist auch die Tatsache, dass die Serie sprichwörtlich etwas mehr Farbe bekommt. Traurig, dass es ethnische Minderheiten nicht wirklich ins amerikanische Fernsehen schaffen, so wartet Capeside im Grunde fast völlig frei von solchen auf. Keine Afroamerikaner, keine Latinos, keine Asiaten und nicht einmal Juden – bloß Jack, als einziger Homosexueller. Etwas Abwechslung bringen hier Nikki Green (Bianca Lawson) und ihr Vater, der neue Schulrektor (Obba Babatundé). Dennoch bleibt Dawson’s Creek meist frei von allem was nicht kaukasisch ist und reiht sich somit ein in andere Serien, wo dies der Fall ist („Friends“, How I Met Your Mother, etc.). Viele Folgen dümpeln vor sich hin, wirklich gute Episoden gibt es eigentlich nur drei Bezeichnenderweise sind zwei davon aufeinander folgend und mit dem Outing von Joey und Pacey thematisiert (Stolen Kisses & The Longest Day). Neben diesen beiden weiß auch A Weekend in the Country zu überzeugen, der Rest ist meist durchschnittlich. Man fragt sich, was gewesen wäre, hätte Williamson die Serie nicht verlassen.

8/10

14. Oktober 2008

Mein Freund aus Faro

Bin ich jetzt lesbisch?

Manchmal sitzt man im Kino und neben einem sitzt ein Pärchen und knutscht rum. Und manchmal sitzt ein lesbisches Pärchen neben einem im Kino und knutscht rum. Insbesondere dann, wenn man zu Gast beim 15. Queer Film Festival in Bremen ist. Da kommt man sich als Hetero in einem Kinosaal voller Homosexueller respektive Lesben doch etwas deplatziert vor. Zudem ist es auch etwas schade, dass ein Film wie Mein Freund aus Faro sowohl beim Queer Film Festival als auch regulär hier in Bremen im Cinemaxx in einer Lesben-Nacht gezeigt wird. Das gibt dem Werk ein derartiges Etikett, dass manch einer sich vielleicht vergrault fühlt. Gerade diejenigen, die etwas homophob sind. Als besonderes Schmankerl wussten die Bremer dann auch noch mit einer Interviewrunde mit Regisseurin und Autorin Nana Neul aufzuwarten, die zuvor beim Max-Ophüls-Preis in der Kategorie SR/ZDF-Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde. Dass gerade die Authentizität des Drehbuches beim, selbstverständlich nicht nur, homosexuellen Publikum gut ankam, bekräftigt die Auszeichnung nochmals. Und in der Tat weiß Neul durchaus gelungen die gegenwärtige Jugend in ihrem Portrait in eine zeitlose Geschichte zu verpacken und dennoch ungemein authentisch zu wirken. Vorab sei jedoch gesagt, dass obschon die Geschichte laut Regisseurin auf einer wahren Geschichte basiert, sie nicht sonderlich innovativ ist. Dabei muss sie dies nicht zwingend sein, wirkt allerdings letztlich doch nur wie ein deutscher Abklatsch von Kimberly Peirces Boys Don’t Cry. Nichtsdestotrotz ist es für einen deutschen Film eine beachtliche Leistung und innerhalb des nationalen Wettbewerbs mit Schrott aus der Eichinger Schmiede und Co. ein kleines Juwel. Dafür dass es sich um das Spielfilmdebüt von Neul handelt, wirkt die Bewertung eventuell schlechter als der Film wirklich ist.

Neul wirft den Zuschauer direkt hinein in ihre Geschichte und hält sich auch nicht mit Erklärungen auf. Die 22-jährige Mel (Anjorka Strechel) trägt ihre Haare gerne kurz und kleidet sich recht maskulin. So hat sie auch schon längst ihren Gang den männlichen Bewegungen angepasst. Es wird also gleich klar, Mel ist eher der Kategorie der Butches zuzuordnen. Ihr Leben ist recht trostlos, der Job in ihrer Fabrik erfüllt sie genauso wenig wie ihr Privatleben. Und als sie zu Hause erfährt, dass ihr Bruder Knut (Florian Panzner) mit seiner Freundin zusammen ziehen will, verliert sie endgültig den Boden unter den Füßen. Scheinbar sind Mel und Knut richtig dicke Geschwister, zumindest lässt ein gemeinsames Tattoo und die Ungeniertheit vor dem Körper des Anderen dies vermuten. Die ersten Minuten lassen daher nicht erahnen, dass Knut nichts von Mels Homosexualität weiß. Auch ihr Vater (Tilo Prückner) hält seine Tochter für „normal“. Dabei würde man meinen, dass zumindest Knut bei Mels Kleidungs- und Bewegungsstil in unserer heutigen Zeit auf den Trichter gekommen wäre. Doch das Outing von Mel hat noch nicht stattgefunden. Die Beziehung zu Knut und was die Geschwister einst auseinander trieb, lässt Neul außen vor. Dass Mel keine Freunde zu haben scheint, hängt wohl mit ihrer eigenen Unsicherheit zusammen. „[Mel] weiß nicht wirklich wer sie ist“, erklärte Neul nach der Vorführung. Das Hin und Her gerissen sein kauft man der Figur aber nicht unbedingt ab, zumindest nicht als Hetero. Zu keinem Zeitpunkt wird deutlich, dass Mel zwischen den beiden sexuellen Gesinnungen schwankt. Vielmehr macht sie später sogar deutlich, dass Männer für sie keinerlei Reize bergen. Das Fehlen ihrer Mutter könnte böse Zungen dazu bringen zu behaupten, dass jenes Fehlen der femininen Seite im Haushalt der Tochter hier zuwider gelaufen scheint. Hier hätte Neul vielleicht eindeutiger Stellung zur Abwesenheit der Mutter ziehen sollen beziehungsweise zur Bedeutung, was dies für Mel zur Folge gehabt hatte in ihrer emotionalen Entwicklung gerade in Bezug auf das eher zerrüttete Familienbild zwischen Vater, Sohn und Tochter,

Es ist dann eine folgenreiche Nacht, welche die Ereignisse ins Rollen bringt. Die 14-jährige Jenny (Lucie Hollmann) will gemeinsam mit ihrer Freundin in eine Diskothek, findet jedoch keine Mitfahrgelegenheit. Der inszenierte Unfall führt schließlich Mel und Jenny zusammen. Durch ein Missverständnis nimmt Jenny an, dass es sich bei Mel um einen Portugiesen handelt, schließlich hat Mel das Handy von ihrem neuen Arbeitskollegen Nuno (Manuel Cortez) mitgenommen. Ohne sich wirklich Hoffnung zu machen spielt Mel das Spiel mit. Geistesblitzartig adoptiert sie den Namen Miguel und findet ihren Ursprung in Nunos Heimatstadt Faro in Portugal. Mit der Hilfe von Mel kommen die beiden Minderjährigen schließlich in die Disco und verleben einen gemeinsamen Abend. Es mag das dämmrige Licht sein, aber vor allem dürfte Mels Verhalten dazu führen, ihre Umwelt zu täuschen. Statt es bei dem einen Abend zu belassen, will Mel jedoch mehr und ehe sie sich versieht, muss sie die Fassade „Miguel“ auf beiden Seiten aufrecht erhalten. Einmal selbst als männlicher Interessent gegenüber Jenny und zum anderen als eigenen männlichen Interessenten in Form von Nuno. Laut Neul versucht Mel sich sowohl als Junge als auch als Mädchen, doch zeigt der Grillabend mit Nuno ein anderes Bild. Nur widerwillig zieht sie ein Kleid an und schminkt sich – bis der Abend am Ende noch eskaliert. Zu keinem Zeitpunkt erweckt Neuls Film daher die Option für Mel einen heterosexuellen Weg einzuschlagen. Somit kann auch nur schwerlich Neuls Aussage zugestimmt werden, dass die Figur am Ende „schließlich ihre Mitte findet“. Viel zu konträr sind die vorherigen Ereignisse, gerade jene im Finale. Die Wahlmöglichkeiten wirft Mein Freund aus Faro nie auf, alles wirkt vorherbestimmt und gezwungen, als gäbe es keinen Ausweg und nur die Entscheidungen, die letztlich gefällt werden. Dem Ganzen dann ein verzerrtes Happy End aufzusetzen schadet der ohnehin schlecht dargestellten Prämisse des Filmes.

Gerade bei der Charakterzeichnung seiner Hauptfigur scheitert Neuls Film dann, denn über Mel erfährt man weit weniger als beispielsweise Jenny. Ihre Ängste werden nicht kanalisiert, ihre Probleme nicht ausgeleuchtet. Wie sehr hadert sie mit ihrer Homosexualität oder hadert sie überhaupt? Bewirkte ihre Erkenntnis ein Einmauern und somit ein Freundloses Dasein und selbst wenn, wie haben ihre alten Freunde reagiert? Der Hintergrund von Mel bleibt unklar und blass. Gut möglich dass Neul so gegebenenfalls die Identifikation des Zuschauers mit der Figur leichter machen wollte. Abstrahiert von alle persönlichen Problemen könnte Mel eine Jugendliche sein wie jede andere – nur eben lesbisch. Hier hat es Lucia Puenzo mit ihrem diesjährigen Beitrag XXY sehr viel besser gemacht. Wo Puenzo ihre problembelastete Hauptfigur zur Genüge ausleuchtet, selbst durch kleine Details, wirkt Neuls Protagonistin eindimensional. Strechels Spiel ist zwar ordentlich, weiß aber dem Charakter auch nicht wirklich den Stempel aufzudrücken. Man merkt Strechel hier durchaus an, dass sie noch eine gewisse Unerfahrenheit mit sich bringt, sodass es der 14-jährigen Hollmann gelingt dank ihrer Die Wilden Hühner-Erfahrung mitunter die Aufmerksamkeit auf sich zu fokussieren. Allerdings hat Hollmann auch die dankbarere, da dreidimensionale Figur abbekommen. Das rebellische Verhalten als Ausdruck der mütterlichen Vernachlässigung. Man beachte auch hier wieder das Spiegelbild zwischen den beiden „Liebenden“. Wo Mel eine maskuline Richtung mit Vorliebe für Autos einschlägt und eine Mutter vermisst, ziert Jennys Zimmer ein Einhorn und Gestaltung in Pink bei Abwesenheit eines Vaters. Wie bereits angesprochen könnten sich hier falsche Rückschlüsse zulassen, die dem konservativen Lager in die Karten spielen würden. Die desaströse Konsequenz: Sexualität ist erziehbar. Hier hätte Neul ein besseres Händchen zeigen müssen, um hervorzuheben, dass jene Konsequenz zu keinem Zeitpunkt lang auch nur in Erwägung zu ziehen ist.

Die Ähnlichkeit zu Boys Don’t Cry ist zudem selten zu übersehen, da ändert auch Neuls Aussage nichts, dass der Film auf einer wahren Geschichte aus dem Bekanntenkreis basiert. Es gibt sicherlich jede Menge homosexueller Frauen, die aufgrund ihres selbst auferlegten Aussehens bisweilen die Identität eines Mannes annahmen, um Kontakt zu anderen Frauen zu knüpfen. Somit geht Mein Freund aus Faro etwas die Universalität ab. Trotzdem ist es lobenswert, dass auch von deutscher Seite hierzu ein Beitrag kommt – wobei es nicht der erste oder einzige ist. In ihrem Spielfilmdebüt macht Neul vieles richtig was manchen Fauxpas verzeihen lässt. Gerade die Komik als gelegentlicher comic relief ist überaus gelungen, subtil und vor allem simpel eingebaut. Hier können sich Amerikaner und Vertreter der deutschen Kabarettistenbranche (Schröder, Herbig, Pocher) mal eine Scheibe von abschneiden. Außerdem gelingt es dem Film sogar einen magic moment zu zaubern, wenn Mel und Jenny während eines Regengusses Unterschlupf in einer Einkaufswagenunterdachung finden. Auf so eine Location ist wohl noch niemand zuvor gekommen, dabei ist jene Szene eine der besonders gelungenen im Film. Aber all die guten Eigenschaften des Filmes wissen dann doch nicht die inhaltlichen und sozialkritischen Fehler auszumerzen. Als Debüt geht Neuls erster Kinofilm, der Ende des Monats regulär im startet, dennoch in Ordnung und lässt von der Kölner Absolventin noch einiges erhoffen. Für einen deutschen Film ist das jedenfalls mehr als ordentlich und kann sich ohne Frage sehen lassen.

6/10

12. Oktober 2008

Hellboy - Director’s Cut

Red, white, whatever. Guys are all the same.

Was Comics angeht, beherrschen Marvel und DC den Markt, es verwundert daher nicht, dass es neben den Marvel-Hits Spider-Man und X-Men gerade die DC-Serien sind, die sich im Kino gehalten haben. Nachdem Christopher Nolan mit Batman Begins den dunklen Ritter zurückbrachte, stieß er mit seiner Fortsetzung The Dark Knight in neue Sphären für Comicverfilmungen vor. Doch es gibt es auch kleinere Verlage, darunter das vor 25 Jahren entstandene Dark Horse Comics, dessen medial präsentestes Zugpferd der 1993 erschaffene Hellboy ist. Für diesen waren Zeichner Mike Mignola und Texter John Byrne verantwortlich, dessen erste Abenteuer in dem Band Seed of Destruction kulminieren sollten. Dabei war Mignolas erste Idee eines teuflischen Dämons, der sich der guten Seite zuwendet, zu Beginn relativ prätentiös geraten.

Doch schon nach wenigen Versuchen konnte er der Hellboy-Reihe seinen eigenen Stempel aufdrücken. Die paranormalen Fälle, in die Hellboy verwickelt ist, weisen einen starken Einfluss der Werke H.P. Lovecrafts auf. Zudem arbeitet Mignola in seiner Comicserie viel mit Schatten und einer düsteren Atmosphäre. Einige optische Ansätze erinnern an Frank Millers Sin City und auch seine narrative Erzählstruktur weckt durchaus Erinnerungen an Millers Kultcomic. Generell zeichnet sich Hellboy jedoch durch seine investigative Note aus, welche den Fällen Hellboys einen gewissen Noir-Charakter verleiht und gerade dadurch so simpel wirkt, dass sie unspektakulär Spektakuläres zu präsentieren versucht. Elf Jahre nach seiner Erstehung schaffte es Hellboy auf die große Leinwand und findet dieses Jahr in Hellboy II: The Golden Army seine Fortsetzung.

Nachdem er sich 1993 mit Cronos einen Namen macht, ging der Mexikaner Guillermo del Toro vier Jahre später für Mimic nach Hollywood. Der Monsterhorror in New Yorks U-Bahn war jedoch nicht der erhoffte Hit und so kehrte del Toro erst einmal wieder nach Mexiko zurück, wo er 2001 seinen ruhmreichen El espinazo del diablo inszenierte. Auf den erneuten Erfolg in der Heimat folgte die erneute Rückkehr nach Kalifornien. Hier vertraute man del Toro schließlich Blade II an – das Sequel zu jener Comicverfilmung, die dem Genre neues Leben eingehaucht hatte. Die Kritiken und der Erfolg war verhalten, del Toro blieb sich selbst in seiner düsteren Zeichnung eines phantastischen Stoffes treu, wusste aber nicht an den cool durchgestylten ersten Teil heranzureichen. Dennoch war das Resultat akzeptabler als seine Rieseninsekten fünf Jahre zuvor.

Neben dem Abschluss der Blade-Trilogie offerierte man del Toro zudem die Regie zum dritten Harry Potter-Abenteuer. Letztere würde schließlich an Landsmann Alfonso Cúaron gehen, während sich del Toro einen Wunsch erfüllte. Als er die Chance erhielt, Hellboy zu inszenieren, ließ er sich dies nicht nehmen. Entgegen der Einstellung des Filmstudios – unter anderem wünschte man sich Vin Diesel als Hauptdarsteller und Hellboy als eine Art Hulk-Verschnitt – konnte del Toro seine kreativen Ideen durchsetzen. Als Hauptdarsteller holte er mit Ron Perlman seinen Lieblingsschauspieler mit an Bord und adaptierte für seinen Hellboy das Grundgerüst von Seed of Destruction neben einigen Kurzgeschichten zu einer über zweistündigen Abenteuerfahrt durch die phantastischen Gefilde mit einem mehr als sympathischen Dämon voller Eifersucht und Liebeskummer.

Die Einleitung zu Hellboy ist dabei direkt dem Prolog von Mignolas Seed of Destruction entnommen, auch wenn einige Differenzen zwischen Comic und Film zu erkennen sind. So verzichtet del Toro beispielsweise auf den Torch of Liberty und lässt außerdem die Nazis und Alliierte nicht direkt aufeinander treffen. Interessanterweise wird Rasputin (Karel Roden) im Film dann bei seiner Beschwörung nicht mit zwei elektrifizierten Glashandschuhen dargestellt, sondern lediglich mit einem einzigen solchen an seiner rechten Hand. Ob del Toro hier eine spezifische Analogie zu Rasputins „Schöpfung“ Hellboy selbst porträtieren wollte, wäre nun zu diskutieren. Nach der Eröffnungssequenz zeigt der Mexikaner dann sogleich, dass er sehr selbstironisch mit seinem Stoff umzugehen versteht.

Hellboy ist durchaus Teil der pop-kulturellen Medien und es existiert sogar ein scheinbares Video von ihm, eine Parodie des berühmten Films von Patterson-Gimlin über Bigfoot. Der Leiter des FBI weiß solcherlei Beweise schmierig abzuschmettern, denn stets sind Bilder von Hellboy lediglich unscharf zu betrachten. Seinen Höhepunkt nimmt das Ganze dann an, wenn Hellboy in seiner Freizeit seine eigenen Comics ließt, natürlich nicht ohne gebührend Kritik anzubringen (“I hate those comic books. They never get the eyes right.”). Außerdem wurde der Name von Schöpfer Mike Mignola in der Friedhofszene auf Russisch an eines der Gräber angebracht und del Toro ließ es sich nicht nehmen Charakteren wie Ivan seine eigene Stimme zu leihen und dem Projekt einen persönlichen Touch zu geben.

Wo Hellboy im Comic den Titel “World’s Greatest Paranormal Investigator” trägt und seine Abenteuer einen solchen Charakter haben (“What a mess! You’ll have to let me read your report on this one, Hellboy.”), fügt sich del Toros Hellboy (Ron Perlman) nur widerwillig seinem Schicksal. Er hadert mit seinem Äußeren, will sich nicht unter der Oberfläche verstecken. Und weil sein Ziehvater Prof. Bruttenholm (John Hurt) an Krebs erkrankt ist, sucht er seinen Nachfolger im Bureau for Paranormal Research and Defense (BPRD). Agent John Myers (Rupert Evans) erscheint ihm viel versprechend und in einer seiner vielen Referenzen schickt del Toro Myers mit einem Baby Ruth Schokoriegel im Goonies-Stil zum großen Roten.

Doch Hellboy ist stur und uneinsichtig – Schuld sind seine Hormone. Er ist verliebt und wenn seine Auserkorene, Liz Sherman (Selma Blair), auch beim BPRD wäre, würden die ganzen Konflikte nur halb so schlimm sein. Doch Liz hadert im Gegensatz zum Comic selbst mit ihrem Schicksal, schlummert in ihr doch ein unkontrollierbares Feuer. Am Ende kommt sie dank Myers doch zum Bureau und bezeichnenderweise nimmt sich del Toro hier eine außergewöhnliche Auszeit. Er lässt Liz und Myers auf ein Date gehen und schickt seinen gehörnten Hünen als Stalker hinterher. Klimax der Szene wird schließlich eine Referenz zu On the Waterfront, wenn Hellboy darüber siniert, warum er sich von einem Jungen Ratschläge in Liebesdingen gibt, während er dessen Milch und Kekse verputzt.

Gerade durch seinen Sarkasmus hebt sich Hellboy nicht nur von seiner Umgebung, sondern auch Kollegen wie Wolverine und Co. ab. Gefördert wird dies insbesondere von einer laxen Arbeitseinstellung, die durch jenen Sarkasmus zusammengehalten wird. Beispielhaft in einer an The Matrix erinnernden U-Bahn-Schlacht mit dem unsterblichen Dämon Sammael, dessen Hiebversuch Hellboy offenbar nicht getroffen hat. Der rote Hüne staubt sich den Ärmel ab und erklärt süffisant: “You missed” – nur um durch ein Knirschen im Fundament eines Besseren belehrt zu werden. “Oh, crap!”, äußert er seinen Lieblingsspruch. Der Unterhaltungsfaktor in Hellboy wird gerade dadurch gefördert, dass es Hellboys phlegmatische Arbeitsauffassung ist, die ihn stets noch etwas tiefer reinreitet.

Der Humor des Films ist dabei eine seiner großen Stärke und prägendes Bindeglied in del Toros US-Filmen. In Ron Perlman haben del Toro und Mignola – die beide den über 60-Jährigen im Kopf hatten – die perfekte Inkarnation für Hellboy gefunden. Von seinem plumpen Wesen erinnert er mitunter an Marv aus Sin City und man kann sich auch darüber streiten, ob der Rot-Ton im Film nicht eine Spur zu hell ist, nichtsdestotrotz ist Hellboy wohl die einprägsamste Figur in Perlmans Filmographie, die immerhin einige Arbeiten mit Woody Allen vorzuweisen hat. Nicht minder wissen die anderen Darsteller rund um Selma Blair, Doug Jones und John Hurt zu gefallen. Sie alle gehen in ihren Rollen auf und verleihen ihnen das nötige Leben. Allerdings hadert Hellboy ganz klar mit seiner Redundanz.

Es ist durchaus bemerkenswert, wie man durch einige Anderungen den inhaltlich recht einfach strukturierten und sparsamen Seed of Destruction aufgebläht hat. Daher kommt del Toro nicht umhin, sich vermehrt zu wiederholen, sodass gerade die Auseinandersetzungen zwischen Hellboy und Sammael mit der Zeit ihren Reiz verlieren. Auch der (Re)Etablierung von Liz hätten einige Minuten weniger durchaus gut getan. Del Toro verwendet zu viel Zeit darauf, seine Hellboy-Welt zu gestalten, die zu diesem Zeitpunkt bereits problemlos etabliert ist. Das merkt man dem Film speziell im zehn Minuten längeren Director’s Cut an, der weniger wegen der neuen Szenen störend wirkt – die ergänzen sinnvoll –, sondern jene Szenen verschlimmert, die schon im Kino-Cut redundant waren.

Dass die Spezialeffekte etwas künstlich ausgefallen sind, tut dem Spaß in Hellboy keinen Abbruch. Für eine 60 Millionen Dollar teure Produktion sind sie ohnehin mehr als beachtlich. Und dafür, dass der kleine Hellboy etwas stark animiert wirkt, macht die Gestaltung von Sammael einiges wieder wett. Insgesamt ist Hellboy eine gelungene Adaption von Mignolas Werk, auch wenn gerade die Noir-Aspekte zu Gunsten des selbstironischen Zuges gestrichen wurden. Del Toro steigert sich nach seinen vorherigen Filmen erneut, wobei seine mexikanischen Filme – man sieht es an El laberinto del fauno – ohnehin eine Spur besser sind, da del Toro hier einen anderen Schwerpunkt legen kann, der dem US-amerikanischen respektive internationalen Publikum kaum zuzutrauen ist. Ingesamt gesehen ist Hellboy ein vergnüglicher Spaß über einen sympathischen Superhelden.

7.5/10