Jeder ist seines Glückes Schmied, heißt es so schön. Oder umgekehrt sicher auch seines Unglückes. Letzteres dürfte in der Person von Redmond Barry (Ryan O’Neal) zutreffend sein, der zwar spät das Glück fand, es dann aber nicht zu nutzen wusste. Stanley Kubrick erzählt in Barry Lyndon seine Geschichte, die sich in der Mitte und zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts abspielt. Und, wie es Filmkritiker Geoffrey O’Brien im Essay der Criterion Edition des Films trefflich beschreibt, von einem “nobody who wants to be somebody” handelt. Vom armen irischen Jüngling Redmond Barry, der den Siebenjährigen Krieg in zwei unterschiedlichen Armeen überlebte und später zum wohlhabenden Barry Lyndon avancierte, ehe er alles wieder verlor.
Kubrick adaptierte den Kern der Geschichte aus dem Roman The Luck of Barry Lyndon von William Makepeace Thackerey aus dem Jahr 1844. Barry Lyndon mag in gewisser Weise eine Art Vorläufer von Robert Zemeckis’ Forrest Gump sein, begleiten beide Filme doch über viele Jahrzehnte hinweg den Aufstieg ihrer Figur inmitten verschiedener historischer Ereignisse. Im Fall von Redmond Barry nimmt seine Geschichte nach einer unglücklichen Romanze ihren Lauf. Redmonds Liaison mit seiner Cousine Nora (Gay Hamilton) wird von deren Familie für eine Ehe mit dem englischen Captain Quin (Leonard Rossiter) und dessen Einkommen geopfert. Die finanzielle Absicherung steht über der Emotion – daraus wird Redmond später lernen.
Ein inszeniertes Duell vertreibt den jungen Nebenbuhler, der nach einem Raubüberfall des Vater-Sohn-Gespanns um Captain Feeny (Arthur O’Sullivan) ohne Geld und Pferd selbst als Soldat in der Armee seiner Majestät anheuert. In Captain Grogan (Godfrey Quigley) findet er dort zwar eine väterliche Figur, die jedoch kurz darauf in einem Gefecht des Siebenjährigen Krieges verstirbt. Redmond nimmt sein Glück selbst in die Hand, desertiert und landet am Ende doch nur im Dienst der preußischen Alliierten, als ihn deren Hauptmann Potzdorf (Hardy Krüger) überführt. Vom Regen in die Traufe geraten, macht Redmond das Beste aus der Lage. Ähnlich wie er es die nächsten Jahrzehnte des Öfteren tun wird – oder es zumindest versucht.
“He seems to me little more than a common opportunist”, erkennt der 10-jährige Lord Bullingdon (Dominic Savage). Mit seiner verwitweten Mutter Lady Lyndon (Marisa Berenson) ging Redmond zuvor die Ehe ein – reich und adelig, finanzielle Absicherung vor Emotionen. Redmond geht nun denselben Weg wie Nora. Kubrick inszeniert die Begegnung der Figuren subtil romantisch – insofern man bei Kubrick von Romantik sprechen mag. Beide sind jung und hübsch – doch Redmonds Avancen Kalkül. “Lady Lyndon was soon destined to occupy a place in Barry’s life, not very much more important than the elegant carpets and pictures which would form the pleasant background of his existence”, verrät der Erzähler (Michael Hordern).
Redmond scheint am Ziel angelangt, erhält vom König die Erlaubnis, als “Barry Lyndon” den Namen seiner Frau anzunehmen. Ist der Ruf erst generiert, lebt es sich ganz ungeniert – zwar zeugt Barry mit Lady Lyndon einen Nachfahren, frönt ansonsten aber dem Glücksspiel und Alkohol in offenkundiger Untreue gegenüber seiner Gattin. Immerhin verhätschelt er seinen Sohn in derartiger Weise, wie sie ihm selbst stets verwehrt geblieben ist. Die einzige zur Schau gestellte Zuneigung neben jenen Gefühlen für Nora zuvor. Lord Bullingdon (Leon Vitali) als eigentlicher Erbe des Nachlasses seines Vaters verkommt zur tolerierten Randerscheinung. Und erkennt selbst, dass er seines Glückes – und das seiner Mutter – Schmied sein muss.
Dabei ähneln sich Redmond und Bullingdon zumindest dahingehend, dass beide überwiegend passive Figuren sind, die eher reagieren als agieren. So erreicht Redmond selbst relativ wenig im Leben, als ihm die Dinge eher zufallen. Stets unternimmt er lediglich die geringsten Anstrengungen für seine Ziele, beispielsweise das Werben um Lady Lyndons Gunst. Als ein Vertreter des Adels ist es Lord Bullingdon wiederum nicht gewöhnt, selbst aktiv zu werden, um sich seine Wünsche zu erfüllen. Indem Barry Lyndon beide Charaktere denselben Raum teilen lässt, wird deutlich, dass eine Konfrontation unausweichlich ist. Was eine glückliche Patchwork-Familie hätte werden können, scheitert an Redmonds egoistischer Sichtweise.
Das Ensemble um O’Neal, Berenson oder Patrick Magee als Chevalier du Balibari fügt sich mit oft ausdruckslosem, reservierten Spiel in diese augenscheinlich lieblose Welt. Jene Welt, die Barry Lyndon für seine Figuren erschafft, fasziniert dabei mehr als diese selbst. Der Film profitiert hier von Kubricks Anspruch an Perfektion: Ausstattung, Kostüme und Maske sind auf den Punkt genau, die Kameraarbeit und Inszenierung mit vielen Totalen und Outzooms sowie den Dreharbeiten bei Kerzenlicht (dank für die NASA produzierter Zeiss-Linsen) berühmt. Die aus klassischen Stücken bestehende musikalische Untermalung, allen voran durch Georg Friedrich Händels „Sarabande“, bildet die Krönung. Barry Lyndon ist ein audiovisueller Traum.
Die Geschichte von Redmond Barry erscheint da zweitrangig. Wie so oft vermittelt Kubrick keinen wirklichen Zugang zu seinen Figuren (auch das eint den Film mit einem Forrest Gump). „Wer ist Redmond und wie tickt er?“ sind Fragen, die ebenso wie das Innenleben und die Gefühlswelt von Lady Lyndon – Marisa Berenson spricht nur gut ein Dutzend Zeilen – auf der Strecke bleiben (müssen). Ähnlich einem Werk wie Paths of Glory wirken die Charaktere primär als Spielbälle eines Schicksals, das sie nicht beeinflussen können. Letzten Endes sind sie somit austauschbar, erscheinen willkürlich. “Good or bad, handsome or ugly, rich or poor – they are all equal now”, informiert die finale Texttafel passend in Hinblick auf ihr Nachleben.
Barry Lyndon erzählt dabei weniger vom Aufstieg und Fall des Redmond Barry, berücksichtigt man, dass die Hochphase von Redmond nur einen kurzen Zeitraum in der Filmmitte ausmacht. Vielmehr gerät die Figur von einer Bredouille in die nächste, ehe sie sich plötzlich wider Erwarten am Ziel angelangt findet, nur um sich selbst letzten Endes im Weg zu stehen. “In my profession we hear many such stories. Yours is one of the most intriguing and touching I’ve heard in many weeks”, unkt Captain Feeny über Redmonds Misere. Genauso wie es sich gut auf die drei Soldaten in Paths of Glory, Humphrey Humphrey in Lolita oder Alex in A Clockwork Orange münzen ließe. Und da soll noch einer sagen, Kubrick liege nichts an seinen Figuren.
Kubrick adaptierte den Kern der Geschichte aus dem Roman The Luck of Barry Lyndon von William Makepeace Thackerey aus dem Jahr 1844. Barry Lyndon mag in gewisser Weise eine Art Vorläufer von Robert Zemeckis’ Forrest Gump sein, begleiten beide Filme doch über viele Jahrzehnte hinweg den Aufstieg ihrer Figur inmitten verschiedener historischer Ereignisse. Im Fall von Redmond Barry nimmt seine Geschichte nach einer unglücklichen Romanze ihren Lauf. Redmonds Liaison mit seiner Cousine Nora (Gay Hamilton) wird von deren Familie für eine Ehe mit dem englischen Captain Quin (Leonard Rossiter) und dessen Einkommen geopfert. Die finanzielle Absicherung steht über der Emotion – daraus wird Redmond später lernen.
Ein inszeniertes Duell vertreibt den jungen Nebenbuhler, der nach einem Raubüberfall des Vater-Sohn-Gespanns um Captain Feeny (Arthur O’Sullivan) ohne Geld und Pferd selbst als Soldat in der Armee seiner Majestät anheuert. In Captain Grogan (Godfrey Quigley) findet er dort zwar eine väterliche Figur, die jedoch kurz darauf in einem Gefecht des Siebenjährigen Krieges verstirbt. Redmond nimmt sein Glück selbst in die Hand, desertiert und landet am Ende doch nur im Dienst der preußischen Alliierten, als ihn deren Hauptmann Potzdorf (Hardy Krüger) überführt. Vom Regen in die Traufe geraten, macht Redmond das Beste aus der Lage. Ähnlich wie er es die nächsten Jahrzehnte des Öfteren tun wird – oder es zumindest versucht.
“He seems to me little more than a common opportunist”, erkennt der 10-jährige Lord Bullingdon (Dominic Savage). Mit seiner verwitweten Mutter Lady Lyndon (Marisa Berenson) ging Redmond zuvor die Ehe ein – reich und adelig, finanzielle Absicherung vor Emotionen. Redmond geht nun denselben Weg wie Nora. Kubrick inszeniert die Begegnung der Figuren subtil romantisch – insofern man bei Kubrick von Romantik sprechen mag. Beide sind jung und hübsch – doch Redmonds Avancen Kalkül. “Lady Lyndon was soon destined to occupy a place in Barry’s life, not very much more important than the elegant carpets and pictures which would form the pleasant background of his existence”, verrät der Erzähler (Michael Hordern).
Redmond scheint am Ziel angelangt, erhält vom König die Erlaubnis, als “Barry Lyndon” den Namen seiner Frau anzunehmen. Ist der Ruf erst generiert, lebt es sich ganz ungeniert – zwar zeugt Barry mit Lady Lyndon einen Nachfahren, frönt ansonsten aber dem Glücksspiel und Alkohol in offenkundiger Untreue gegenüber seiner Gattin. Immerhin verhätschelt er seinen Sohn in derartiger Weise, wie sie ihm selbst stets verwehrt geblieben ist. Die einzige zur Schau gestellte Zuneigung neben jenen Gefühlen für Nora zuvor. Lord Bullingdon (Leon Vitali) als eigentlicher Erbe des Nachlasses seines Vaters verkommt zur tolerierten Randerscheinung. Und erkennt selbst, dass er seines Glückes – und das seiner Mutter – Schmied sein muss.
Dabei ähneln sich Redmond und Bullingdon zumindest dahingehend, dass beide überwiegend passive Figuren sind, die eher reagieren als agieren. So erreicht Redmond selbst relativ wenig im Leben, als ihm die Dinge eher zufallen. Stets unternimmt er lediglich die geringsten Anstrengungen für seine Ziele, beispielsweise das Werben um Lady Lyndons Gunst. Als ein Vertreter des Adels ist es Lord Bullingdon wiederum nicht gewöhnt, selbst aktiv zu werden, um sich seine Wünsche zu erfüllen. Indem Barry Lyndon beide Charaktere denselben Raum teilen lässt, wird deutlich, dass eine Konfrontation unausweichlich ist. Was eine glückliche Patchwork-Familie hätte werden können, scheitert an Redmonds egoistischer Sichtweise.
Das Ensemble um O’Neal, Berenson oder Patrick Magee als Chevalier du Balibari fügt sich mit oft ausdruckslosem, reservierten Spiel in diese augenscheinlich lieblose Welt. Jene Welt, die Barry Lyndon für seine Figuren erschafft, fasziniert dabei mehr als diese selbst. Der Film profitiert hier von Kubricks Anspruch an Perfektion: Ausstattung, Kostüme und Maske sind auf den Punkt genau, die Kameraarbeit und Inszenierung mit vielen Totalen und Outzooms sowie den Dreharbeiten bei Kerzenlicht (dank für die NASA produzierter Zeiss-Linsen) berühmt. Die aus klassischen Stücken bestehende musikalische Untermalung, allen voran durch Georg Friedrich Händels „Sarabande“, bildet die Krönung. Barry Lyndon ist ein audiovisueller Traum.
Die Geschichte von Redmond Barry erscheint da zweitrangig. Wie so oft vermittelt Kubrick keinen wirklichen Zugang zu seinen Figuren (auch das eint den Film mit einem Forrest Gump). „Wer ist Redmond und wie tickt er?“ sind Fragen, die ebenso wie das Innenleben und die Gefühlswelt von Lady Lyndon – Marisa Berenson spricht nur gut ein Dutzend Zeilen – auf der Strecke bleiben (müssen). Ähnlich einem Werk wie Paths of Glory wirken die Charaktere primär als Spielbälle eines Schicksals, das sie nicht beeinflussen können. Letzten Endes sind sie somit austauschbar, erscheinen willkürlich. “Good or bad, handsome or ugly, rich or poor – they are all equal now”, informiert die finale Texttafel passend in Hinblick auf ihr Nachleben.
Barry Lyndon erzählt dabei weniger vom Aufstieg und Fall des Redmond Barry, berücksichtigt man, dass die Hochphase von Redmond nur einen kurzen Zeitraum in der Filmmitte ausmacht. Vielmehr gerät die Figur von einer Bredouille in die nächste, ehe sie sich plötzlich wider Erwarten am Ziel angelangt findet, nur um sich selbst letzten Endes im Weg zu stehen. “In my profession we hear many such stories. Yours is one of the most intriguing and touching I’ve heard in many weeks”, unkt Captain Feeny über Redmonds Misere. Genauso wie es sich gut auf die drei Soldaten in Paths of Glory, Humphrey Humphrey in Lolita oder Alex in A Clockwork Orange münzen ließe. Und da soll noch einer sagen, Kubrick liege nichts an seinen Figuren.
9/10