27. Mai 2014

Saga – Vol. I-III

Hush. Let them geek out.
(Chapter 14)


Sequels, Prequels, Reboots – die Filmlandschaft scheint verseucht vom Wahn, Franchises zu melken, bis sie nur noch Haut und Knochen sind. Besonders populär sind Comicverfilmungen, weshalb es irgendwie nicht verwundern mag, dass die Seuche auch im Printbereich grasiert. So produziert Marvel aktuell parallel Uncanny Avengers, Mighty Avengers und Avengers, ebenso wie ein Wolverine-Comic, ein Wolverine & the X-Men-Comic sowie X-Men, Amazing X-Men und Uncanny X-Men. Fans von X-Men wird es freuen, wer gerne etwas Originäres hätte, kann zumindest auf das pop-kulturelle Sci-Fi-Fantasy-Werk Saga zurückgreifen, die aktuelle Comic-Serie von Y: The Last Man-Schöpfer Brian K. Vaughan und Fiona Staples.

Darin vermischt Vaughan nach eigener Aussage Elemente von Star Wars und The Lord of the Rings mit einem Drama, das an Romeo and Juliet erinnert. Geflügelte Wesen des Planeten Landfall befinden sich in einem Krieg mit gehörnten Bewohnern ihres Mondes Wreath. Ausgefochten wird der Konflikt fernab in anderen Sternsystemen, beispielsweise auf dem Planet Cleave (dt. spalten). Dort trifft die Landfall-Gefreite Alana in einem Internierungscamp auf den inhaftierten Wreath-Krieger Marko, beide verlieben sich, flüchten, heiraten und zeugen in Hazel eine gemeinsame Tochter. Ein Umstand, den keine der beiden Seiten öffentlich bekannt wissen will. Weswegen die beteiligten Parteien jeweils Jagd auf Alana, Marko und ihr Kind machen.

Landfall schickt vom Kriegskoalitionspartner Prince Robot IV, der eigentlich lieber daheim bei seiner schwangeren Gemahlin wäre. Wreath hingegen hat mehrere Kopfgeldjäger angeheuert, allen voran The Will inklusive Sidekick Lying Cat. Aber auch die kaltblütige The Stalk, die wie es der Zufall so will The Will’s Ex-Partner ist. In doppelter Hinsicht. Alana und Marko läuft die Zeit davon, Cleave zu verlassen, ehe sie ihre Gegner ausfindig machen. Ihr Weg soll sie auf den Planeten Quietus führen, wo in D. Oswald Heist jener Autor lebt, dessen Pulp-Romanze das ungleiche Paar im Kriegsgefangenenlager vereinte: “A Night Time Smoke”. Dumm nur, dass sich plötzlich nicht nur Markos Eltern einschalten, sondern in Gwendolyn auch seine Ex-Verlobte.

Damit wäre im Groben die Handlung umrissen, welche die ersten drei komprimierten Bände von Saga ausmacht. In deren Mittelpunkt steht dabei die junge Elternschaft von Alana und Marko - und das nicht von ungefähr. Denn auch wenn Vaughan das Konzept von Saga bereits in seiner Jugend erdachte, entwickelte er die eigentliche Geschichte des Comics erst, als seine Frau mit ihrer zweiten Tochter schwanger war. Insofern erzählt Saga eine Geschichte von Elternschaft – als Teil eines großen Ganzen. “If there’s an opposite of a honeymoon”, schreibt Vaughan über Alana und Marko in Chapter 2, “it’s the week after a couple’s first child is born”. Aber natürlich ist die Belastung des ersten gemeinsamen Kindes nicht genug.

“It was a time of war”, erklärt Hazel zu Beginn. “Isn’t it always?” Sie begleitet die Handlung gelegentlich als Erzählerin und verrät uns: “I started out as an idea, but I ended up something more”. Immerhin könnte sie, das Produkt der Liebe zwischen zweier verfeindeter Parteien, doch als Symbol für einen möglichen Frieden gelten. Insofern mag hinter dem Bestreben beider Rassen, die junge Familie auszumerzen, mehr stecken, als in den ersten Bänden von Saga durchscheint. Familien jedenfalls stehen bislang im Fokus, nicht nur die rund um Hazel. Auch Einblicke in Markos Kindheit werden geschenkt, während die sich anbahnende Familie von Prince Robot IV bereits angesprochen wurde. Auch The Will hat mit zerrütteten Familien zu tun.

Denn statt mit seinem eigentlich Auftrag verliert er sich relativ bald in einem Nebenplot, der ihn auf die Amüsiermeile Sextillion verschlägt, wo er eine minderjährige Prostituierte namens Slave Girl befreit. Der Umgang mit und die Fürsorge um das Mädchen verleihen sowohl The Will als auch Lying Cat (eine Katze, die Lügen identifiziert) einen sympathischen Touch, ebenso wie die verblichene Romanze zwischen dem Kopfgeldjäger und The Stalk Letztere etwas menschlicher macht. Was angesichts ihres Daseins als armlose Spinnenfrau umso beachtlicher ist. Derartige Identifikationsmöglichkeiten haben sich für den bislang stoisch-kalten Prince Robot IV nicht aufgetan. Wie generell die Beteiligung seines Königshauses am Kriegskonflikt offen bleibt.

Vermutlich hat Vaughan viele Elemente von Saga bisher nur grob angerissen, darunter eine unlängst eingeführte Nebenhandlung um das homosexuelle Journalistenpaar Upsher und Doff vom Planet Jetsam, die wider Willen tiefer in ihre Story um Alana und Marko hineingezogen wurden als ihnen lieb ist. Rassismus, Diskriminierung, Militarismus – alles Themen, die unterschwellig Bestandteil von Saga sind. Doch das Sci-Fi-Fantasy-Element steht fraglos im Vordergrund. Dessen Stärke liegt gerade in Vaughans kontemporärer Darstellung von diesem. Denn wenn hier gehörnte “moonies” Zaubersprüche in den Himmel jagen, schickt sich Saga dennoch an, viele Elemente aus unserer Gegenwart zu integrieren. Von Romanen bis zur High School.

So erinnert der Kopf von Prince Robot IV und Co. an alte Röhrenfernseher, während die Figuren auch mal Hoodies, Beanies oder ähnliche Klamotten auftragen. Quasi als wäre unsere Realität ins Fantastische pervertiert. Was Vaughan Raum für pop-kulturelle Anspielungen lässt, die zum Glück nicht derart nervtötend ausufern wie in Y: The Last Man der Fall. Vielmehr ist sie ziemlich erfrischend, diese Welt, die Vaughan in Saga erschafft. Auch, weil sein narrativer Ideenfluss kongenial kreativ im Visuellen von Fiona Staples umgesetzt wird. Als Ergebnis ist The Stalk so erschreckend wie schön, haben Riesen mit hängenden Hodensäcken zugleich etwas absurd-lächerliches und dennoch bedrohliches. Sagas Stil jedenfalls ist originär. Und ordinär.

Denn Sex spielt hier immer eine Rolle, egal ob im Sterben liegende humanoide Roboter ihre Emotionen in Fellatio (“dying sucks”?) auf den Bildschirm schicken oder mal eben ein von der Mutter beobachteter Blowjob einige Spannungen lösen soll. Auch hierin wohnt dem Comic sein Humor und seine Atmosphäre inne, in dieser totalen Vermischung verschiedener Genres und Tonalitäten. Erquicklich ist auch die Interaktion verschiedener Spezies und die Selbstverständlichkeit ihrer Beziehungen. Egal ob The Will nun eine Spinnenfrau mit dezimierten Torso liebt oder Robotermenschen auf dem Kriegsfeld von Sanitäter-Feldmäusen gerettet werden. Umso überraschender erscheint dann jedoch der (Rassen-)Hass zwischen Landfall und Wreath.

Alles in allem ist Saga ein totaler Genuss, superb gezeichnet, unterhaltsam geschrieben. Zudem mit Wendungen, die man nicht erwartet – und umso mehr zu schätzen weiß. Die Charaktere dominieren den Comic, mit Lying Cat als klarem Highlight. Insofern ist Brian K. Vaughans und Fiona Staples’ Werk jedem ans Herz zu legen, der etwas für Comic oder Fantasy übrig hat. Die beiden Schöpfer haben bereits kundgetan, dass Saga nicht adaptiert werden soll. Und referieren jene Ausschlachtungsseuche, von der ich eingangs sprach, scheinbar selbst, wenn Marko in einem Panel aus A Night Time Smoke zitiert: “There are two kinds of people left in this world, consumers and destroyers. We used to have creators, but they all ran away.”

9/10

20. Mai 2014

X-Men: Days of Future Past

Is the future truly set?

Man kann die Marvel-Filme um die Avengers mögen oder nicht, zumindest kann man ihnen nicht vorwerfen, dass sie nicht bestrebt sind, eine gewisse Kohärenz aufrecht zu erhalten. Ineinander zu laufen, sich gegenseitig zu referieren – aus einem Guss zu sein. Damit sind die Marvel-Filme von Paramount im Prinzip das komplette Gegenteil zu den Marvel-Filmen von 20th Century Fox. Denn deren X-Men-Werke sind sicherlich einiges, aber nicht sonderlich stringent. Mit X-Men: Days of Future Past kehrte Bryan Singer zu jenem Franchise zurück, das er nach X2 verließ. In einem Anfall von Ehrgeiz versucht er sich dabei nicht nur an einer der meist geschätzten X-Men-Storylines, sondern auch an der totalen Kohärenz.

Days of Future Past ist neben der Dark Phoenix Saga – die zum Teil in X-Men: The Last Stand integriert wurde – eine der populärsten Story Arcs im X-Men-Universum. Die Handlung präsentiert eine dystopische Zukunft, in der Mutanten von Robotern, den Sentinels, fast komplett ausradiert oder interniert worden sind. Der Auslöser dieser Misere ist ein Attentat, das in den 1970er Jahren von einem Mutanten auf Senator Kelly verübt wird. Im Comic reist daher Kitty Pryde (in der 1990er Animationsserie wiederum Bishop) in die Vergangenheit, um die X-Men zu warnen und das Attentat sowie die daraus resultierende Zukunft zu verhindern. Oder zumindest eine alternative Zeitachse zu erschaffen, wo dies dann der Fall ist.

Mit jener dystopischen Zukunft, die an die der Terminator-Filme erinnert, beginnt Singer seinen dritten und den insgesamt siebten X-Men-Film. Professor X (Patrick Stewart), Magneto (Ian McKellen), Wolverine (Hugh Jackman) und Storm (Halle Berry) treffen sich in China mit Kitty Pryde (Ellen Page), Iceman (Shawn Ashmore), Bishop (Omar Sy) und anderen. Die Zeit drängt, denn die Sentinels können sie jeden Moment ausfindig machen. Kitty soll Wolverines Bewusstsein durch die Zeit in sein jüngeres Ich schicken, damit dieses im Jahr 1973 Kontakt mit Charles Xavier (James McAvoy) und Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) aufnimmt, um ein Attentat zu verhindern aus dem schließlich die Sentinels resultieren.

Verübt wird das Attentat von Mystique (Jennifer Lawrence) an Bolivar Trask (Peter Dinklage), dem Erfinder der Sentinels, der für deren Verbesserung an Mutanten experimentiert. Obschon Mystiques Attentat Erfolg hat, gerät sie dabei in Gefangenschaft. Und ihre Mutation der Replikation erlaubt es den Sentinels, in der Zukunft unbesiegbar zu werden. Nur gemeinsam können Charles und Erik jene Frau stoppen, die sie in X-Men: First Class elf Jahre zuvor entzweite. Weil Charles, von den Vorfällen damals querschnittsgelähmt, aber nicht gut auf Erik, der seit zehn Jahren unter dem Pentagon in Einzelhaft sitzt, zu sprechen ist, bedarf es viel Geduld für Wolverine, seinen jungen Mentor zu überzeugen.

“Patience”, raunt Wolverine, “isn’t my strong suit”. Daher kriegt Beast (Nicholas Hoult) auch erstmal eins auf die Nase, als dieser ihn an der Tür zu Charles’ Villa zu lange aufhält. Nach etwas Überzeugungsarbeit willigt der Professor, der dank eines Serums zu Lasten seiner Mutation wieder Gehen kann, ein, Wolverine zu unterstützen. Doch damit beginnen die eigentlichen Probleme erst, müssen sich die Figuren fortan immer wieder mit ihrer Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft auseinandersetzen, während sie ihre Suche nach Mystique von Amerika nach Paris und zurück treibt. Ein Szenario, das letztlich auch Bolivar Trask in die Karten spielt und somit das eigentliche Sentinel-Problem der X-Men nur weiter verstärkt.

Soviel zur Prämisse des Films, die im Grunde relativ simpel ist. Die Komplexität von Days of Future Past liegt entsprechend weniger in ihrer Jahrzehnte umspannenden Zeitreise-Handlung, sondern im Bestreben von Bryan Singer, seinen Film kanonisch geraten zu lassen. Als Folge vereint er nicht nur die Ensembles der X-Men-Trilogie und von X-Men: First Class, sondern auch deren inhärente Widersprüche. Im Nachhinein ein Unterfangen, das Singer lieber hätte lassen sollen, geraten seine Erklärversuche doch oft wenig plausibel, während er zugleich neue Fragen aufwirft. Immerhin, wäre man gewillt zu sagen, präsentiert sich seine Handlung auch abseits der rückwirkenden Stringenz meist wenig plausibel.

So bietet der Film keine Erklärung, wieso Professor X, nachdem er in X-Men: The Last Stand pulverisiert wurde, nun wieder lebt (aber dennoch nicht laufen kann). Oder warum Wolverine plötzlich wieder Adamantium auf seinen Krallen hat, obwohl ihm diese in The Wolverine doch abgetrennt wurden. Passend ist da natürlich, dass es für den Film irrelevant ist, ob die Dinger aus Adamantium sind oder nicht. Dafür verrät Patrick Stewart plötzlich, dass er mit Mystique (wie in First Class gesehen) gemeinsam aufwuchs. Wovon in X-Men, als Mystique Charles vergiftete, wenig zu spüren war. Aber in jenem Film erinnerte sich auch Sabretooth nicht an Wolverine, obwohl er laut X-Men Origins: Wolverine sein Bruder ist.

In jenem Film, der 1981 spielt, begegnete der Zuschauer auch erstmals Emma Frost, damals Anfang 20. Die von January Jones gespielte Version der Figur von 1962 in First Class war dagegen um die 30, in Days of Future Past erfahren wir nun, dass die Figur vor Jahren als eines von Trasks Versuchsopfern verstarb. Ein Großteil dieser Widersprüche, von denen an dieser Stelle nur ein paar aufgeführt wurden, verdankt sich fraglos First Class. Dass Bryan Singer dennoch etwaige Kurskorrekturen probiert, verschlimmbessert allerdings einiges. Genauso, wenn Figuren aus den vorherigen Filmen wie Stryker, Havok oder Toad in unerheblichen Nebenrollen auftauchen, obwohl sie in der Handlung keine Rolle spielen.

Damit sind sie nicht die einzigen. Denn auch Hugh Jackmans Wolverine ist im Grunde für den Film ohne jeden Belang. Abseits seiner Funktion als Übermittler der Botschaft wird er die meiste Zeit zum Beobachter degradiert. Dass er statt Kitty Pryde oder Bishop zurückgeschickt wurde, erklärt sich somit weniger mit seiner regenerativen Mutation, sondern eher mit Hugh Jackmans Star-Appeal. Nicht von ungefähr gilt der Australier beziehungsweise Wolverine als das Gesicht der X-Men, spielten seine beiden Solo-Filme mehr ein als First Class. Insofern fungiert Wolverine hier mehr zum Zweck des comic relief, als one liner ausspuckende Type aus der Zukunft, der nochmals die Flower-Power-Generation erleben darf.

Somit steht eigentlich Mystique mehr im Vordergrund, was aufgrund des Hypes um Jennifer Lawrence ebenso verständlich ist. Die meistert die Rolle, die dankenswerter Weise mit verbessertem Make-up daherkommt, ziemlich überzeugend, auch wenn die Motivation und Aktionen der Figur wie das meiste in Days of Future Past nur bedingt Sinn ergeben. Der Fokus auf sie ist ebenso erfreulich wie die Szenen der neu eingeführten Charaktere von Blink (Fan Bingbing) und Quicksilver (Evan Peters). Gerade die beiden letzteren erinnern in Aktion von der Qualität her an Nightcrawlers Intro in X2, einem Höhepunkt der X-Men-Serie. Generell lässt sich Days of Future Past technisch kaum ein Vorwurf machen.

Und trotz aller logischen Unebenheiten in der Handlung ist diese, manche Längen außen vor, fast durchweg mitreißend und spannend inszeniert. Die Interaktion der Figuren gefällt, die Chemie zwischen den Darstellern stimmt. Erfreulicherweise wird Action weniger pompös eingesetzt als vergleichsweise in The Last Stand. Als Folge wirkt das Finale beinahe antiklimatisch in seiner simplen Auflösung – gerade nach dem Tamtam seiner Exposition. Allerdings wäre vielleicht etwas mehr Zeit in der Zukunft nicht verkehrt und möglich gewesen, wenn Singer dafür einen belanglosen Ausflug in ein Militärlager in Vietnam ausgespart hätte. Von der für die Menschen so bedrohlichen Zukunft sehen wir also nur bedingt etwas.

Letztlich zeigt sich, dass das X-Men-Universum in den Händen von Bryan Singer am besten aufgehoben ist. Allem Kuddelmuddel in Stringenz, Logik und historischer Einordnung zum Trotz. Wenn man mag, kann man X-Men: Days of Future Past dank seines Zeitreise-Elements auch als das Star Trek-Reboot des X-Men-Franchises sehen. Diskutabel genug ist das Ende des Films jedenfalls ausreichend. Selbst wenn Singer also nicht wirklich darin reüssiert, hiermit alle Vorgänger unter einem Dach zu vereinen, ist der Versuch aller Ehren wert und eines der meist ambitionierten Bestreben des Genres. Und das Ergebnis allemal unterhaltsamer als die kohärenteren Marvel-Filme von Paramount. Das ist doch schlussendlich auch was.

6.5/10

14. Mai 2014

Godzilla

Your courage will never be more needed than it is today.

Jedes Teilchen hat sein Antiteilchen. Und so bescherten die 1990er Jahre Filmfans zwar auf der einen Seite die als Meisterwerke erachteten Fight Club und The Matrix, andererseits aber eben auch Joel Schumachers Batman-Filme und Roland Emmerichs Godzilla. Letzterer hinterließ zwar Eindrücke an den Kinokassen, gilt jedoch - ungerechtfertigter Weise - sowohl bei Kritikern als auch bei Fans der Riesenechse als Flop. Wenn nicht gar als Tiefpunkt der Godzilla-Reihe. Nun heißt es wie so oft in Hollywood: alles auf neu. Gareth Edwards, der vor einigen Jahren mit Monsters einen Arthouse-Monsterfilm drehte, durfte für Godzilla einen erneuten Versuch für das US-Kino wagen, den König der Monster ins Kino zu bringen.

Zuvorderst geht es im neuen Godzilla aber nicht um Godzilla. Sondern um Cloverfield-Monster, die Atombomben fressen und in San Francisco ein Nest bauen wollen. Blöd, dass dort Elle Brody (Elizabeth Olsen) mit ihrem Sohn lebt, die Familie von US-Soldat Ford Brody (Aaron Taylor-Johnson), einem Bombenexperten. Der hat vor 15 Jahren in Japan seine Mutter (Juliette Binoche) bei einem Kernreaktorunfall verloren – ein Erlebnis, das bis heute seinen Vater, Nuklearphysiker Joe Brody (Bryan Cranston), nicht loslässt. Er forscht auf eigene Faust nach, was eigentlich vor sich geht und wird dabei auf ein geheimes Militärprojekt von Dr. Ishiro Serizawa (Ken Watanabe) und seiner Kollegin (Sally Hawkins) aufmerksam.

Grob versucht sich Edwards dabei an Honda Ishirōs Gojira von 1954 zu orientieren. Hier wie dort ist Godzilla ein Urtier aus vergangenen Zeiten, das unter dem Meer in einer Höhle haust. Also kein durch Atomversuche mutierter Riesen-Iguana wie bei Emmerich. Allerdings fokussiert sich dieser Godzilla nicht ausschließlich auf die Bedrohung durch die Echse, die bei Honda vor 60 Jahren noch als Metapher für die Atomkraft stand, die Japan nach den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki schwer erschüttert zurückgelassen hat. Später durfte Godzilla sich mit anderen Monstern, so genannten Kaijū, kloppen. In Mothra vs. Godzilla 1964 noch als Antagonist, im Anschluss in Ghidorah, the Three-Headed Monster dann als Held.

Im Mittelpunkt der Handlung, was fraglos auch an Kostengründen lag, standen jedoch die menschlichen Figuren. So im Original das junge Paar Emiko und Ogata sowie Dr. Serizawa, dessen Erfindung des Oxygen-Zerstörers – eine Nachgeburt der Atombombe, die wiederum Gojira freigesetzt hatte – schließlich des Rätsels Lösung sein sollte. Edwards hat zwar auch einen Dr. Serizawa, aber einen völlig anderen Fokus. Sein Film dreht sich um Familienzusammenführung, sei es die von Ford und Elle Brody oder die der Cloverfield-Viecher (im Film M.U.T.O. genannt). In einer Sequenz darf sich sogar eine japanische Familie inmitten eines zerstörten Hawaii wiederfinden, damit die Botschaft auch bloß an keinem vorbeigeht.

Sie zählt zu den vielen teils lächerlichen, teils absurden Einstellungen, die Edwards sich für sein Bombast-Spektakel erdacht hat. Und die sich immer wieder wiederholen und einreihen in eine Handlung, die selten wirklich Sinn ergeben will. Zugleich aber auch so behäbig voranschreitet, dass man nicht umhin kommt, sich über sie Gedanken zu machen. Da werden Atombomben von einem Ort zum nächsten befördert – erst per Zug, als der dann angegriffen wird, doch lieber per Helikopter. Mit Flugzeugen fliegt man generell gerne in Godzilla, selbst wenn es gegen einen Gegner geht, der einen elektromagnetischen Puls aussenden kann (und das, Urtier hin oder her, auch zu wissen scheint und entsprechend bisweilen anwendet).

Ungeachtet dessen ist die bevorzugte Reaktion der Militärs dennoch, auf die Monster mit MGs zu schießen, wenn nicht gerade Schulkinder über genau die Brücken evakuiert werden, die auf dem Weg der Monster liegen. Großartig sind auch etwaige Einstellungen, in denen Edwards vermeintlich Kinder oder Hunde in Gefahr bringt, diese dann aber natürlich doch rettet – während im Hintergrund Dutzende Erwachsene sterben. Das Ganze als „strunzdoof“ zu bezeichnen, wäre überzogen. Immerhin strotzten auch andere Godzilla-Filme nicht vor ausgeklügelten Plots, egal ob Mini-Mädchen Rieseneier zurückhaben wollen oder Marsianer Mordkomplotte auf der Erde austragen. Anstrengend ist die Handlung dieses Films dennoch.

Gerade, weil der Film gefühlt drei Stunden dauert, da die sehr sporadische Dramaturgie sich fortbewegt wie Godzilla selbst – als wäre sie ein klobiges Riesentier. Der eigentliche Star des Films taucht in diesem eher peripher auf und will optisch nicht recht gefallen, wirkt er doch oft wie ein aufgedunsener Riesen-Turtle. Und auch wenn Edwards der Figur eine Motivation aufs Auge drückt, kann diese am Ende nicht überzeugen. Sie wirkt wie nahezu alles in Godzilla beliebig konstruiert. Eben so, wie es praktisch ist und sich anderswo an den Kinokassen bereits als erfolgreich erwiesen hat. Eine echte Botschaft wie Hondas Gojira besitzt dieser Godzilla nicht. Genauso wenig den Unterhaltswert seines US-Vorgängers.

Der nahm sich – wie die meisten Godzilla-Filme – nicht zu ernst. Was sich von Gareth Edwards’ Version nicht sagen lässt. Sonderlich berühren will das Zwischenmenschliche in seinem Film dennoch nicht, auch die Monster-Action im veraschten Chinatown San Franciscos begeistert nur bedingt, wenn auch durchaus gefällige Szenen existieren (darunter Godzillas Silhouette unter einem Kriegsschiff oder ein Fallschirmsprung mitten durch einen Kaijū-Kampf). Wer sehen will, wie sich riesige CGI-Geschöpfe eins auf die Zwölf geben, dürfte bei Pacific Rim aber womöglich doch besser aufgehoben sein. Dieser Godzilla wirkt jedenfalls wie ein Antiteilchen zur US-Version von ´98. Für manche dürften das wohl gute Nachrichten sein.

4/10

7. Mai 2014

The Crash Reel

It’s just part of the game.

An einer Stelle in Lucy Walkers HBO Dokumentation The Crash Reel heißt es: Die Mutigen leben vielleicht nicht ewig, die Zaghaften hingegen leben gar nicht. Man fühlt sich an das Zitat “live fast, die young” aus Nicholas Rays Knock On any Door erinnert. Dieses schwebt in gewisser Weise wie ein Damoklesschwert über Walkers Film, der sich Snowboarder Kevin Pearce zum Thema nimmt. Pearce galt in der Szene als eines der vielversprechendsten Talente – bis ihn ein Trainingsunfall fast das Leben kostete. Mit Freunden wollte sich der damals 22-Jährige im Dezember 2009 in Park City, Utah auf die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver vorbereiten. Doch Pearces Traum wurde am Silvestermorgen jäh beendet.

Als er in der Halfpipe zu einem Double Cork ansetzte, einem doppelten Salto, verlor er bei der Landung das Gleichgewicht und prallte auf sein Gesicht. Fast vier Wochen verbrachte er daraufhin auf der Intensivstation, fast fünf Monate wiederum im Krankenhaus. Er hatte sich ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen – und dennoch dabei noch mal Glück gehabt. Sein Leben würde trotzdem nie mehr dasselbe sein und der heute 26-Jährige musste sich damit auseinandersetzen statt zu den Mutigen nun zu den Zaghaften zu gehören. In The Crash Reel zeichnet Lucy Walker ein Bild von Kevin Pearce vor und nach dem Unfall am Morgen des 31. Dezember 2009. Und wie der junge Mann sich anschließend ins Leben zurückkämpfte.

Der erste Akt unterscheidet sich stilistische und dramatisch vom Rest der Doku. Mit Filmmaterial von Kevin Pearce und seiner Snowboardclique wird deren Kultur sowie ihre Mentalität skizziert. Textmarker im Bild halten fest, wen wir gerade sehen, während sich Pearce vom ungeholfenen Jungen zum größten Talent der Szene mausert. Sein Potential hebt Lucy Walker im Vergleich mit Shaun White hervor, dem zweifachen Olympiasieger und ehemaligen Jugendfreund von Kevin Pearce. Ehe dessen Erfolg in den beiden Jahren vor seinem Unfall einen Keil zwischen die beiden trieb. Und während der eine (Pearce) ein Kumpel war, der mit seinen Freunden über die Piste jagte, avancierte der andere (White) zum “machine athlete”.

Sinn und Zweck ist, zu etablieren, welchen Weg Pearce hätte gehen können. Und was er durch den Unfall alles verlor. Beängstigend ist sein Anblick nach diesem, wenn leere Blicke und fehlende Reaktionen einen schweren Hirnschaden androhen. Umso erstaunlicher gerät der Fortschritt, den er im Laufe eines Jahres macht. Zwar bereiten die Augen und die Feinmotorik noch Probleme, aber der Snowboarder ist sicher, bald wieder auf sein Brett steigen zu können. Um da weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Sehr zum Bestürzen seiner Familie, die einen Unfall wie jenen von Silvester 2009 nicht erneut durchmachen will. Und den Kevin Pearce, so das Echo seiner Neurologen, auch nicht erneut überleben würde.

Gerade in jenen Familienmomenten gewinnt The Crash Reel eine enorme emotionale Tiefe. Was auch der Verdienst der Pearces ist, von Mutter Pia bis runter zum am Down-Syndrom leidenden Bruder David. “Oh my God”, bricht der in einer Szene in Tränen aus, als er von den Comeback-Überlegungen von Kevin hört. Die Sorge der Familie scheint berechtigt, wie Lucy Walker anhand zweier anderer Beispiele von wiederholten Schädel-Hirn-Traumata aufzeigt. Auch ein tatsächliches, minutenlanges “crash reel” erwartet das Publikum, mit allerlei Sturzverletzungen von Snowboarder-, Ski- und Dirt Bike-Fahrern, sodass man als Zuschauer gar nicht verstehen kann, wie sich überhaupt jemand einem derartigen Risiko aussetzen will.

Und so verschiebt sich in der zweiten Filmhälfte der Fokus von der Szene, Kevins Freunden und seiner Passion – mit der er seinen Lebensunterhalt bestritt – hin zum Familiendrama. Das dieses den Zuschauer ergreift, verdankt sich auch dem intimen Zugang zu den Pearces, der Lucy Walker gelungen ist. Die legt mit The Crash Reel letztlich durchaus eine Comeback-Story vor, wenn auch eine etwas andere als man vermuten oder sich wünschen würde. Immerhin war Kevin Pearce ein solches Comeback vergönnt, was andere Kollegen der Szene, wie der Film dokumentiert, nicht von sich behaupten können. Sie lebten schnell und starben jung, Kevin Pearce wiederum zeigte Mut. Den Mut zur Vorsicht.

7.5/10

The Crash Reel ist im deutschen iTunes-Store erhältlich – zum Kauf oder zur Leihe.

1. Mai 2014

Filmtagebuch: April 2014

48 HRS. [NUR 48 STUNDEN]
(USA 1982, Walter Hill)

7/10

AFTERNOON DELIGHT
(USA 2013, Jill Soloway)
5/10

ANOTHER 48 HRS. [UND WIEDER 48 STUNDEN]
(USA 1990, Walter Hill)

7/10

AO NO ROKU GÔ [BLUE SUBMARINE NO.6]
(J 1998, Mahiro Maeda/Kôichi Chigira)

8/10

A BRIEF HISTORY OF TIME [EINE KURZE GESCHICHTE DER ZEIT]
(UK/J/USA 1991, Errol Morris)

7.5/10

COMMUNITY - SEASON 5
(USA 2014, Tristram Shapeero u.a.)
7/10

THE FAMILY MAN
(USA 2000, Brett Ratner)
7.5/10

FROZEN [DIE EISKÖNIGIN - VÖLLIG UNVERFROREN] (3D)
(USA 2013, Chris Buck/Jennifer Lee)

4/10

GENERATION IRON
(USA 2013, Vlad Yudin)
6.5/10

HAROLD AND MAUDE
(USA 1971, Hal Ashby)
4.5/10

IDIOCRACY
(USA 2006, Mike Judge)
7.5/10

INTO THE BLUE
(USA 2005, John Stockwell)
6/10

IT [ES]
(USA/CDN 1990, Tommy Lee Wallace)

5.5/10

JOE
(USA 2013, David Gordon Green)
7/10

JOHNNY MNEMONIC [VERNETZT]
(CDN/USA 1995, Robert Longo)

5/10

LADY IN THE WATER [DAS MÄDCHEN AUS DEM WASSER]
(USA 2006, M. Night Shyamalan)

3.5/10

LAKE PLACID
(USA/CDN 1999, Steve Miner)
6/10

MATCHSTICK MEN [TRICKS]
(USA 2003, Ridley Scott)

8/10

PARKS AND RECREATION - SEASON 6
(USA 2013/14, Dean Holland u.a.)
7.5/10

LE PASSÉ [LE PASSÉ - DAS VERGANGENE]
(F/I 2013, Asghar Farhadi)

6.5/10

RE-ANIMATOR
(USA 1985, Stuart Gordon)
8/10

THE RUNDOWN [WELCOME TO THE JUNGLE]
(USA 2003, Peter Berg)

4.5/10

SAVING MR. BANKS
(USA/UK/AUS 2013, John Lee Hancock)
7/10

THE SECRET LIFE OF WALTER MITTY
[DAS ERSTAUNLICHE LEBEN DES WALTER MITTY]
(USA 2013, Ben Stiller)

5.5/10

SHARK NIGHT (3D)
(USA 2011, David R. Ellis)

5.5/10

SIGNS
(USA 2002, M. Night Shyamalan)
6/10

THE SIXTH SENSE
(USA 1999, M. Night Shyamalan)
6.5/10

TIAN ZHU DING [A TOUCH OF SIN]
(CN 2013, Zhangke Jia)

6/10

UNBREAKABLE
(USA 2000, M. Night Shyamalan)
7.5/10

THE VILLAGE
(USA 2004, M. Night Shyamalan)
7.5/10

VOLCANO
(USA 1997, Mick Jackson)
5/10

WALKING TALL
(USA 2004, Kevin Bray)
7/10

THE WOLF OF WALL STREET
(USA 2013, Martin Scorsese)
0/10