25. Juni 2016

Diarios de motocicleta [Die Reise des jungen Che]

This isn’t a tale of heroic feats.

Das Time Magazin zählt ihn als eine der 100 einflussreichsten Personen des 20. Jahrhunderts. Einem Jahrhundert, in dem er von den meisten Menschen als der Freiheitskämpfer schlechthin angesehen wird. Ernesto Guevara de la Serna ging gemeinsam mit seinem Freund Fidel Castro in die Geschichtsbücher ein, als Begründer der heutigen Republik Kuba. Alberto Kordas Guerrillero Heroico, ein Konterfei von Guevara, gilt seit Jahrzehnten als politisches Symbol unter Jugendlichen. Schon lange ist Guevara, der von seinen Anhängern nur liebevoll „Che“ genannt wurde, zu einer Marke geworden. Einer Legende, einem Märtyrer, einem Symbol. Um zu verstehen, wer „Che“ Guevara wirklich war, muss man in seine Vergangenheit blicken.

Gut ein Dutzend Filme beschäftigen sich mit Guevara, darunter Steven Soderberghs siebenstündige Biographie Che, die in zwei Teilen im Kino erschien. Die ganze politische Ära des Guerilla-Führers wollte sich dagegen der brasilianische Regisseur Walter Salles nicht antun. Er konzentriert sich in Diarios de motocicleta vielmehr auf ein besonderes Kapitel des jungen Argentiniers. Ende Dezember des Jahres 1951 machte sich der 23-jährige Ernesto (Gael García Bernal) gemeinsam mit seinem Freund Alberto Granado (Rodrigo de la Serna) auf einer reparierten 500er Norton namens „La Poderosa II“ (dt. die Mächtige II) auf, eine siebenmonatige Reise anzutreten, die den Medizinabsolventen bis nach Miami, Florida treiben sollte.

Salles hält sich akribisch an die veröffentlichten Tagebücher von Guevara und Granado und arbeitet ihre Reise Station für Station ab. Der lobenswerteste Faktor ist sicher, dass der Brasilianer den Film einfach für sich selbst sprechen lässt, ohne ihn in ein größeres Ganzes einzuordnen. Mit Diarios de motocicleta analysiert er folglich das ganzheitliche System „Che“ anhand des Teilsystems der 1952er Südamerika-Reise. Und doch begeht Salles den Fehler, seinen Guevara teils durchaus als „Mini-Che“ zu zelebrieren. Als hätte der Freiheitskämpfer damals bereits in Guevara geschlummert und sei durch die Reise aufgewacht. Sicher veränderte die Reise ihn, ist aber weniger Revoluzzer-Prolog denn Frühstadium (s)einer Persönlichkeitsentwicklung.

Guevara, damals Fuser (dt. der rasende Serna) gerufen, hatte sich zu Beginn der 1950er Jahre weniger mit dem Marxismus als mit Gandhi beschäftigt. Im Film selbst schlägt lediglich sein „Raidismus“ durch. Geographisch arbeitet Salles das Itinerar der Argentinier punktgenau ab. Vom ersten Aufenthalt bei Ernestos Freundin María del Carmen Ferreyra, genannt „Chichina“ (Mía Maestro), bis hin zum alkoholträchtigen Abgang in Lautaro, Chile. Eine gewisse Ernsthaftigkeit gewinnt Diarios de motocicleta dann, als Ernesto und Alberto Zeugen der Bergbauarbeiter-Bedingungen in Antofagasta werden. Ohnehin ist es fraglos der Aufenthalt in Peru, der dem damals noch jungen Guevara von seiner Reise am eindringlichsten in Erinnerung bleiben wird.

Hier wird er mit der Vergänglichkeit des Lebens und dem Verhalten der Menschen untereinander konfrontiert, als er mit Alberto in San Pablo bei einer Lepra-Krankenstation angestellt ist. Die Erlebnisse in San Pablo werden Guevara formen und gemeinsam mit seinen anderen Erlebnissen, speziell dem Rassismus der Peruaner gegenüber den Ureinwohnern und der Diskriminierung der Kommunisten sowie der gesellschaftlichen Schere von Arm und Reich die Initialzündung für jenen Charakter bilden, der als „Che“ in die Geschichte eingehen sollte. Leider zeigt Walter Salles nicht allzu viel von diesen Punkten, abgesehen von der Lepra-Station, mit der er eventuell den Bruch Guevaras mit seiner medizinischen Karriere aufzeigen wollte.

Neben den wunderschönen Landschaftsaufnahmen beeindruckt im Film jedenfalls auch die musikalische Untermalung von Gustavo Santaollala und Jorge Drexler. In seiner Gesamtheit betrachtet ist Diarios de motocicleta durchaus mehr Road Movie als tatsächliche Che-Biographie. Der bisweilen starke Einschlag der biographischen Züge, die selbstverständlich aufgrund des herrschenden Vorwissens retrospektiv gesehen werden, wirkt dennoch mitunter als Störfaktor. Trotz alledem ist Salles’ Film überzeugend in seiner Botschaft und weitestgehend glaubwürdig und authentisch von Bernal und de la Serna gespielt. Für alle Fans von Motorradreisen sollte dies ebenso ein Muss sein, wie für Fans und Interessierte von Ernesto „Che“ Guevara.

7/10

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