25. Februar 2015

To Kill a Mockingbird [Wer die Nachtigall stört]

What kind of man are you?

Jahr(zehnt)elang habe ich geglaubt, Robert Mulligans To Kill a Mockingbird – in Deutschland: Wer die Nachtigall stört – wäre ein Gerichtsdrama. Ich kannte die Prämisse des Films, dass Gregory Pecks Anwalt Atticus Finch einen Schwarzen vertritt – mehr aber auch nicht. Entsprechend schob sich eine Sichtung immer wieder und wieder auf, da ein Gerichtsdrama grundsätzlich wie das nächste ist. Nun wurde diese filmhistorische Lücke doch endlich geschlossen und umso größer war meine Überraschung, dass ich dem Film seit jeher Unrecht getan habe. Sicher, To Kill a Mockingbird ist auch ein Gerichtsdrama, allerdings nur gut ein Viertel seiner Zeit. Rund die Hälfte des Films, wenn nicht sogar mehr, fokussiert sich auf Atticus’ Kinder.

Die beiden Halbwaisen Jem (Phillip Alford) und Scout (Mary Badham) lernen während der Sommerferien Dill (John Megna), den Neffen ihrer Nachbarin kennen. Gemeinsam versuchen sie, einen Blick auf Boo Radley, einen weiteren, sehr zurückgezogenen lebenden Nachbarsjungen, zu erhaschen. Gleichzeitig weckt aber auch Atticus’ jüngster Fall ihre Aufmerksamkeit – wie auch die der ganzen Stadt. Immerhin wurde der Anwalt vom örtlichen Richter gebeten, den schwarzen Farmarbeiter Tom Robinson (Brock Peters) zu verteidigen, dem vorgeworfen wird, er habe eine weiße Frau vergewaltigt. Aus nächster Nähe können Jem und Scout lernen, was es heißt, tolerant zu sein. Und sehen zudem, wie rassistisch ihre Gesellschaft in Wirklichkeit ist.

Atticus Finch wird dabei als der Gutmensch schlechthin dargestellt – falls es jemals einen gegeben hat. Wenn seine Klienten ihn nicht bezahlen können, gibt er sich auch mit ein paar Lebensmitteln zufrieden. Schließlich liegt die Weltwirtschaftskrise – der Film spielt Anfang der 1930er Jahre – erst ein paar Jahre zurück und seine Klienten seien Farmer vom Land. “Crash hit them the hardest”, erklärt Atticus seiner Tochter. Die ruft wie ihr Bruder den Vater beim Vornamen, was so ungewohnt wie amüsant ist. Ohnehin sorgen die Kinder für allerlei humorvolle Auflockerung. Beispielsweise wenn Tomboy Scout zu ihrem ersten Schultag ein Kleid tragen soll. Und in der Pause gleich in eine Rauferei gerät. Dennoch ist der Respekt vor ihrem Vater enorm.

Insofern ist To Kill a Mockingbird ein Film über Werte und infolgedessen auch über Erziehung. Man müsse lernen, die Welt aus der Sicht der anderen zu sehen, sagt Atticus seiner Tochter. “There just didn’t seem to be anyone or anything Atticus couldn’t explain”, verrät uns die Erzählstimme der älteren Scout zugleich. Egal ob es die biestige alte Nachbarin oder ein tollwütiger Hund in der Straße ist, Attticus weiß, wie man sich zu verhalten hat. Auch, wenn ein Schwarzer in den Südstaaten der USA in den Dreißiger Jahren eines Verbrechen gegen eine Weiße beschuldigt wird. Zumindest denkt so die städtische Bevölkerung. Aber anstatt dem Lynchmobgedanken nachzugeben, setzt sich der Anwalt und Witwer für seinen Gerechtigkeitsglauben ein.

Auch hier gibt es wie in Stanley Kramers The Defiant Ones eine Szene mit einem Lynchmob, die de-eskaliert werden muss. Die Art und Weise wie dies in Harper Lees Roman und Robert Mulligans Adaption geschieht, wirkt obschon etwas konstruierter im selben Moment jedoch innerhalb der Handlung glaubwürdiger. Dasselbe Urteil muss man auch für den Verlauf des Gerichtsfalls fällen, ist der Prozess wie hier gezeigt doch in seiner Zeit verhaftet und könnte so heutzutage keinesfalls mehr funktionieren. Sein Ausgang kommt dennoch unerwartet, wie auch der der Schlusssequenz. Sicher ist nicht alles völlig rund in To Kill a Mockingbird, aber grundsätzlich dient die Handlung auch nur dem Verbreiten einer moralischen Botschaft.

Zuvorderst lebt der Film aber von seinen zwei Kinderdarstellern, besonders Mary Badham als altkluge Scout ist eine echte Sympathieträgerin mit ihrer gewinnenden Art. Zugleich inszeniert Mulligan seinen Film überraschend modern, sei es das Credit-Intro (das mich entfernt an Wes Anderson erinnerte) oder auch so manche Kameraeinstellung. In seiner Summe ist diese Harper-Lee-Adaption ein stets unterhaltsamer, oftmals amüsanter und speziell gegen Ende auch bewegender Film, der zurecht als Klassiker gilt. Wieso ich eine Sichtung so lange vor mich her geschoben habe, Gerichtsdrama hin oder her, mag sich mir nicht erklären. Ich weiß jedoch, dass ich To Kill a Mockingbird keinesfalls zum letzten Mal gesehen habe.

9/10

2 Kommentare:

  1. Eine meiner größten Filmlücken. Dein Artikel sollte nun Ansporn sein selbst einmal reinzuschauen, denn immerhin steht die Blu-ray schon seit geraumer Zeit im Regal. Klingt auf jeden Fall toll. Da dürften die 10 Punkte bei mir ja ein Klacks sein! :D

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    1. War auch bei mir lange eine Lücke. Bin froh, sie endlich geschlossen zu haben. Blu-ray muss dann bei Gelegenheit auch mal besorgt werden.

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