(Gwen Stefani, Hollaback Girl)
Fast schon affig ist die Diskussion, inwieweit der Mensch und der Schimpanse miteinander verwandt sind. Oder ob überhaupt, wenn es nach Kreationisten geht. Mal mehr, mal weniger hoch ist die Prozentzahl der übereinstimmenden DNS, im Schnitt heißt es, sie belaufe sich auf fast 99 Prozent. Naheliegend also für Anthropologen, sich eingehender mit unserem scheinbar nächsten Verwandten zu beschäftigen. Wie viel Mensch steckt im Affen beziehungsweise zu wie viel „Mensch“ ist ein Schimpanse fähig? Damit setzten sich Forscher Ende der 1960er und Anfang der 1970er ausgiebig auseinander, als zwei Schimpansen von Menschen aufgezogen und ihnen American Sign Language (ASL) beigebracht wurde.
Einer von ihnen war Nim, der im November 1973 zwei Wochen nach seiner Geburt den Armen seiner Mutter Carolyn entrissen und in die Obhut von Herbert Terrace (Columbia University) übergeben wurde. “She knew what was going to happen better than I did“, erinnert sich Stephanie LaFarge in James Marshs Dokumentation Project Nim. Zuvor hatte Carolyn bereits sechs andere Kinder verloren, Nim würde dabei eine besondere Rolle zufallen. Aufgabe von LaFarge war es, ihn aufzuziehen “as if he were a child“. Dementsprechend stillte die mehrfache Mutter einer wohlhabenden New Yorker Familie der Upper Westside den Primaten sogar. “It was the seventies“, lacht LaFarges Tochter Jenny Lee in die Kamera.
“It was sort of a hippie mentality“, resümiert auch Herbert Terrace rückblickend über die Obhut im Hause der LaFarges. Hier durfte Nim seine ödipalen Komplexe gegenüber der Ersatzmutter ausleben, Alkohol trinken und hin und wieder auch mal an einem Joint ziehen. “We didn’t have to treat him like a child“, sagt nun LaFarge plötzlich entgegen des zuvor verkündeten Versuchziels. Es verwundert also nicht, wenn eine neue Projektassistentin von Terrace, Laura-Ann Petitto, diesen Zustand als “chaos“ beschreibt. Auch Terrace selbst realisierte irgendwann, “I could not do what I called good science in Stephanie’s house“. Nim wurde ihr darauf genauso wie zuvor Carolyn entrissen und Petitto anvertraut.
In neuer Umgebung mit neuen ASL-Lehrern entwickelte sich Nim dann nur bedingt weiter. Auch, weil er mit dem Alter körperlich gefährlicher wurde. Besonders Petitto kritisiert, man könne einem Tier, das einen töten kann, keine menschliche Pflege bieten. Selbst leichte Angriffe und Bisse von Nim sorgten allerdings für keine größeren Probleme. “It didn’t seem to be a cause for alarm“, sagt Terrace. “At that point.” Der Punkt kam dann 1977, als Nim nach Meinung der Forscher zu unberechenbar geworden war. Das Projekt wurde abgebrochen, Nim in eine Primatenversuchsanstalt überwiesen. “And from there on it’s downhill“, nimmt ein späterer Interviewpartner von Marsh den weiteren Verlauf von Project Nim vorweg.
Was folgt, dürfte manchem Kinogänger aus dem letztjährigen Rise of the Planet of the Apes bekannt vorkommen. Der von Menschen aufgezogene Schimpanse wird in einen Käfig abgeschoben, unter Artgenossen, mit denen er zuvor noch nie konfrontiert wurde. Im Gegensatz zu Andy Serkis’ Caesar stiftete Nim dann keine Revolution an, die Parallelen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sind ansonsten dennoch verblüffend. Sporadisch suchen frühere Freunde und „Familie“ wie Terrace, LaFarge oder der Pfleger Bob Ingersoll den Schimpansen über die Jahre auf. Nach dem Motto: Hey, wie geht’s, auf Wiedersehen. Von Einrichtung zu Einrichtung weitergereicht, fand Nims Odyssee dann erst spät ein glückliches Ende.
Mittels Talking Heads (erfreulicherweise mit allen in das Projekt beteiligten Personen), einer Masse an Archivmaterial und hier und da gelegentlichen Reenactments berichtet Oscarpreisträger Marsh (Man on Wire) von der Chronologie der Ereignisse. Dabei verzichtet er im Gegensatz zu Kollegen wie Charles Ferguson darauf, seine Gesprächspartner zu kritisieren oder mit der Ethik ihres Handelns zu konfrontieren. Marsh gibt sich weniger als Journalist denn Chronist dieses gescheiterten Projekts von Terrace. Bedauerlich ist es jedoch schon, dass er vermeintliche Widersprüche wie in der Aufzucht von LaFarge oder im Vergleich zum ähnlich gearteten Projekt um die Schimpansin Washoe Ende der 1960er nicht thematisiert.
Das Konstatieren der inkonsequenten Herangehensweise von Project Nim fällt in Project Nim daher dem Publikum zu. Wenn die Protagonisten wie eine Bande Hippies wirken, die einem Schimpansen eine Handvoll Begriffe in ASL beigebracht haben und sonst mit ihm kifften, dann, weil dies tatsächlich der Fall war. Bemerkenswert auch, dass obschon hier oftmals von Tierquälerei die Rede ist, niemand einordnen will, wie es ist, einem Affen Drogen zu geben und ihn nach Jahren des ausschließlich menschlichen Kontakts letztlich sich selbst zu überlassen. Somit setzt sich das Scheitern von Terrace, LaFarge, Petitto, Ingersoll und Co. in gewisser Weise auch auf James Marsh und seine Dokumentation der Ereignisse fort.
Am Ende war Nim weniger ein Versuchsobjekt zur Frage, ob ein Schimpanse sich bei Menschenaufzucht wie ein solcher verhält, sondern was aus einem als Mensch aufgezogenen Schimpansen wird, wenn man ihn seiner Umgebung entreißt. Würde man ein menschliches Kind in jungen Jahren von einem Erzieher zum nächsten reichen, mit Alkohol und Joints konfrontieren und es mit fünf Jahren in einem Käfig voller Affen sich selbst überlassen – es wäre ein Skandal. Und dies letztlich nur wegen der knapp ein Prozent Unterschied in unserem DNS-Material. So gesehen verrät uns Project Nim weniger darüber, wie viel „Mensch“ in einem Schimpansen steckt, sondern eher, wie wenig „Mensch“ doch tatsächlich im Menschen.
Einer von ihnen war Nim, der im November 1973 zwei Wochen nach seiner Geburt den Armen seiner Mutter Carolyn entrissen und in die Obhut von Herbert Terrace (Columbia University) übergeben wurde. “She knew what was going to happen better than I did“, erinnert sich Stephanie LaFarge in James Marshs Dokumentation Project Nim. Zuvor hatte Carolyn bereits sechs andere Kinder verloren, Nim würde dabei eine besondere Rolle zufallen. Aufgabe von LaFarge war es, ihn aufzuziehen “as if he were a child“. Dementsprechend stillte die mehrfache Mutter einer wohlhabenden New Yorker Familie der Upper Westside den Primaten sogar. “It was the seventies“, lacht LaFarges Tochter Jenny Lee in die Kamera.
“It was sort of a hippie mentality“, resümiert auch Herbert Terrace rückblickend über die Obhut im Hause der LaFarges. Hier durfte Nim seine ödipalen Komplexe gegenüber der Ersatzmutter ausleben, Alkohol trinken und hin und wieder auch mal an einem Joint ziehen. “We didn’t have to treat him like a child“, sagt nun LaFarge plötzlich entgegen des zuvor verkündeten Versuchziels. Es verwundert also nicht, wenn eine neue Projektassistentin von Terrace, Laura-Ann Petitto, diesen Zustand als “chaos“ beschreibt. Auch Terrace selbst realisierte irgendwann, “I could not do what I called good science in Stephanie’s house“. Nim wurde ihr darauf genauso wie zuvor Carolyn entrissen und Petitto anvertraut.
In neuer Umgebung mit neuen ASL-Lehrern entwickelte sich Nim dann nur bedingt weiter. Auch, weil er mit dem Alter körperlich gefährlicher wurde. Besonders Petitto kritisiert, man könne einem Tier, das einen töten kann, keine menschliche Pflege bieten. Selbst leichte Angriffe und Bisse von Nim sorgten allerdings für keine größeren Probleme. “It didn’t seem to be a cause for alarm“, sagt Terrace. “At that point.” Der Punkt kam dann 1977, als Nim nach Meinung der Forscher zu unberechenbar geworden war. Das Projekt wurde abgebrochen, Nim in eine Primatenversuchsanstalt überwiesen. “And from there on it’s downhill“, nimmt ein späterer Interviewpartner von Marsh den weiteren Verlauf von Project Nim vorweg.
Was folgt, dürfte manchem Kinogänger aus dem letztjährigen Rise of the Planet of the Apes bekannt vorkommen. Der von Menschen aufgezogene Schimpanse wird in einen Käfig abgeschoben, unter Artgenossen, mit denen er zuvor noch nie konfrontiert wurde. Im Gegensatz zu Andy Serkis’ Caesar stiftete Nim dann keine Revolution an, die Parallelen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sind ansonsten dennoch verblüffend. Sporadisch suchen frühere Freunde und „Familie“ wie Terrace, LaFarge oder der Pfleger Bob Ingersoll den Schimpansen über die Jahre auf. Nach dem Motto: Hey, wie geht’s, auf Wiedersehen. Von Einrichtung zu Einrichtung weitergereicht, fand Nims Odyssee dann erst spät ein glückliches Ende.
Mittels Talking Heads (erfreulicherweise mit allen in das Projekt beteiligten Personen), einer Masse an Archivmaterial und hier und da gelegentlichen Reenactments berichtet Oscarpreisträger Marsh (Man on Wire) von der Chronologie der Ereignisse. Dabei verzichtet er im Gegensatz zu Kollegen wie Charles Ferguson darauf, seine Gesprächspartner zu kritisieren oder mit der Ethik ihres Handelns zu konfrontieren. Marsh gibt sich weniger als Journalist denn Chronist dieses gescheiterten Projekts von Terrace. Bedauerlich ist es jedoch schon, dass er vermeintliche Widersprüche wie in der Aufzucht von LaFarge oder im Vergleich zum ähnlich gearteten Projekt um die Schimpansin Washoe Ende der 1960er nicht thematisiert.
Das Konstatieren der inkonsequenten Herangehensweise von Project Nim fällt in Project Nim daher dem Publikum zu. Wenn die Protagonisten wie eine Bande Hippies wirken, die einem Schimpansen eine Handvoll Begriffe in ASL beigebracht haben und sonst mit ihm kifften, dann, weil dies tatsächlich der Fall war. Bemerkenswert auch, dass obschon hier oftmals von Tierquälerei die Rede ist, niemand einordnen will, wie es ist, einem Affen Drogen zu geben und ihn nach Jahren des ausschließlich menschlichen Kontakts letztlich sich selbst zu überlassen. Somit setzt sich das Scheitern von Terrace, LaFarge, Petitto, Ingersoll und Co. in gewisser Weise auch auf James Marsh und seine Dokumentation der Ereignisse fort.
Am Ende war Nim weniger ein Versuchsobjekt zur Frage, ob ein Schimpanse sich bei Menschenaufzucht wie ein solcher verhält, sondern was aus einem als Mensch aufgezogenen Schimpansen wird, wenn man ihn seiner Umgebung entreißt. Würde man ein menschliches Kind in jungen Jahren von einem Erzieher zum nächsten reichen, mit Alkohol und Joints konfrontieren und es mit fünf Jahren in einem Käfig voller Affen sich selbst überlassen – es wäre ein Skandal. Und dies letztlich nur wegen der knapp ein Prozent Unterschied in unserem DNS-Material. So gesehen verrät uns Project Nim weniger darüber, wie viel „Mensch“ in einem Schimpansen steckt, sondern eher, wie wenig „Mensch“ doch tatsächlich im Menschen.
8.5/10
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