6. August 2016

Der Bunker

It’s party time!

Das deutsche Kino kennt größtenteils nur drei Sorten Film. Da sind die Dramen zum Zweiten Weltkrieg, mal mehr, mal weniger auf den Holocaust fokussiert. Dazu, quasi als Schwesternfilm, jene Werke zur DDR und Trennung der beiden deutschen Länder respektive ihre Wiedervereinigung. Und dann noch die Filme der Marke Schweiger, Schweighöfer und Sat.1, die primär eingedeutschte Remakes von schlechten 0815-Hollywood-Rom-Coms auf Katherine-Heigl-Niveau sind. „Deutschland und Genrefilm gehen nur bedingt zusammen“, urteilt auch der Filmkritiker Oliver Nöding (Remember It For Later) in seinem Essay, den er für das Booklet des Labels Bildstörung zu dessen Blu-ray-Veröffentlichung von Nikias Chryssos’ Der Bunker schrieb.

Dem Titel zum Trotz erzählt Chryssos darin nicht von den finalen Tagen Adolf Hitlers, sondern eine originäre Geschichte. „Was Eigenes, was Besonderes“ sollte sein Spielfilmdebüt sein, erzählt der Regisseur im Making of. Und wie schwierig die Finanzierung für das Projekt war, so ganz ohne Franchise-Bezug oder sozialen Zusammenhang. Kein WW2, keine DDR – da scheinen die deutschen Filmförderungen den Geldbeutel zuzumachen. Dabei ist Deutschland eigentlich so innovativ, in Europa gar Patent-Europameister. 180 Erfindungen pro Tag reichten die Deutschen im Jahr 2014 im Schnitt ein. Bei Filmen sind sie dennoch höchstens Mittelklasse. Umso mehr ragt da ein Werk wie Der Bunker heraus, ein witzig-grotesker Genremix mit sozialer Note.

Chryssos erzählt darin von einem namenlosen Studenten (Pit Bukowski), der sich in einem Kellerzimmer eines Ehepaars (David Scheller, Oona von Maydell) in deren Haus im Wald einmietet. Ruhe und Abgeschiedenheit sucht der „Möchtegernprofessor“ – wie ihn Chryssos im Audiokommentar nennt –, um den Durchbruch in seiner wissenschaftlichen Arbeit zu schaffen. „Dann freue ich mich schon auf unseren geistigen Austausch“, verabschiedet ihn der Vater in seine erste Nacht und verweist auf seine eigenen Diplome. Der Hang des Studenten zum Nachschlag beim Abendessen – der Vater führt Buch über seinen Knödel-Verzehr –, läutet die Handlung ein. Zum Abbau seiner Schulden soll der Student den Sohn seiner Vermieter unterrichten.

Als Clou des Films wird der acht Jahre alte Klaus dabei vom 32-jährigen Daniel Fripan gespielt, in verschrobenen Kleidern mit Spätsiebziger-Muff und Prinz-Eisenherz-Frisur. Im Hausunterricht wird der vermeintlich hochbegabte Klaus auf seine zukünftige Rolle als US-Präsident vorbereitet. Neben der fiktiven Lektüre „Das globale Finanzsystem“ tummeln sich auch Hobbes’ Leviathan, Macchiavellis Principe und Platons Politeia im Unterrichtsmaterial. Wie der Student bei der Abfrage der Hauptstädte merkt, ist Klaus jedoch alles andere als hochbegabt. Die vorsichtige Frage beim späteren Abendessen, ob die Eltern mit dem Berufsziel als US-Präsident nicht etwas hoch greifen, fassen diese dennoch direkt als persönlichen Affront auf.

Insofern ist Der Bunker in gewisser Weise eine Art Parabel auf das deutsche Bildungssystem. Und thematisiert den Drang von Eltern, die bestmögliche und umfangreichste Erziehung gleichzusetzen mit späterem Erfolg im Leben. So stieg die Anzahl der überforderten Kinder an baden-württembergischen Gymnasien seit dort die Eltern über die weiterführende Schule ihres Nachwuchses entscheiden dürfen. Ähnlich wenig Widerworte dulden bei Chryssos Vater und Mutter. Denn Klaus ist zu Höherem bestimmt und der Student hat ihm dorthin zu helfen. Der junge Mann verliert sich wiederum in der Folge in einer Art Faustus-Allegorie, wenn er den Unterricht mit Klaus von der Mutter mit Inspiration für seine Studien vergütet bekommt.

Die Anspannung unter den vier Beteiligten nimmt nun mit fortlaufender Handlung zu, als sich zwischen Klaus und dem Studenten eine leichte Freundschaft entwickelt und die Mutter dadurch das große Ganze in Gefahr sieht. Der Film driftet hierbei gerade in seinem dritten Akt verstärkt in Gefilde des Thrillers und Horror-Films ab, nachdem er in seiner ersten Hälfte primär vom grotesken Charakter des Szenarios lebte, wenn Klaus zur Strafe auf der Terrasse sitzen muss statt am Esstisch oder der Vater müde Kalauer aus einem Witzbuch versucht mit philosophischer Bedeutung aufzuladen („Wo hört das Ich auf, wo beginnt das Du?“). Ein wiederkehrendes Highlight des Films ist dabei sicher Daniel Fripan als beschränkter Achtjähriger.

Zwischen Komödie, Melodrama und Horror verortet Chryssos seinen Film in seinem vorgetragenen Audiokommentar. Der hebt zugleich hervor, dass es ganz ohne Inspiration selbst bei Deutschlands Kreativen nicht geht. Von Sergio Leone über David Lynch und Terrence Malick bis hin zu Stanley Kubrick und Charlie Chaplin reichen die Referenzen, die der Regisseur seinen namhaften Kollegen erwiesen hat. Speziell das Ende gerät dann doch etwas generisch, sowohl was die narrative Auflösung als auch die visuelle Umsetzung angeht. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Der Bunker über weite Strecken – und sogar in seinem eher gewöhnlichen Ende – mehr zu leisten im Stande ist, als das Gros der übrigen deutschen Filme.

Reift der Mensch automatisch mit dem Alter oder hängt die Reife mit der Auf- beziehungsweise Erziehung ab? Offensichtlich schwankt Der Bunker mehr in letztere Richtung, wenn Klaus erst mit Ankunft des Studenten und dessen steigender Fürsorge für den Achtjährigen eine Weiterentwicklung beginnt. Nikias Chryssos erzählt seine Geschichte mit simplen Mitteln sehr effizient und verbindet als Botschaft eine nicht mit dem Holzhammer vorgetragene leichte Sozialkritik geschickt und gekonnt mit ungewöhnlichem deutschen Humor. Eigen und besonders ist das Ergebnis, weshalb Der Bunker aus der Masse an beliebigen deutschen Filmen problemlos herausragt. Und beweist, dass Genrefilm auch in Deutschland möglich sind.

7/10

Blu-ray
Der HD-Transfer der Blu-ray weiß zu überzeugen, gerade da der Großteil des Films ohne Tageslicht auskommt. Die HD-Tonspur gerät ebenso zufriedenstellend. Etwas durchwachsener, obschon umfangreich, fällt das Bonusmaterial aus. Nikias Chryssos’ Audiokommentar gerät etwas nüchtern und doppelt sich inhaltlich teils mit dem einstündigen Making of, das nacheinander verschiedene Produktionsumstände (Finanzierung, Bildausstattung, Figuren, etc.) anspricht. Die Deleted Scenes fehlen zurecht im Film, die Outtakes unterstreichen teils Äußerungen des Audiokommentars. Für Fans des Regisseur gibt es mit Schwarze Erdbeeren und Der Großvater noch zwei Kurzfilme in DVD-Qualität sowie das für Bildstörung übliche Booklet mit Oliver Nödings Essay (der sich jedoch mitunter zu sehr vom Film als solchen entfernt).

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