9. September 2009

Coraline

You probably think this world is a dream come true... but you're wrong.

Er ist einer der ganz Großen und wird problemlos in einem Atemzug mit Namen wie Alan Moore, Frank Miller, Garth Ennis oder anderen genannt. Am meisten Lob hat sich der britische Autor Neil Gaiman sicherlich für seine – auch tatsächlich gelungene – The Sandman-Reihe verdient. Doch auch seine Romane wie Stardust, Neverland oder Coraline werden zumindest von den Kritikern ebenfalls sehr geschätzt. Dabei sind Gaimans Geschichten mal mehr und mal weniger düster, hier mit mehr Humor versetzt als an anderer Stelle. Wirklich beeindruckend ist an seinen drei angesprochenen Romanen nicht wirklich etwas. Nette Fantasy-Literatur, die allerdings keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Das gilt auch für Coraline, einen knapp 200 Seiten starken Roman, der 2002 erschien und als „Novelle“ noch einen Hugo Award mitnehmen konnte. Die Geschichte selbst liest sich wie eine düstere, leblose Variante von Lewis Carrolls Alice’s Adventures in Wonderland, versehen mit einem relativ unkomplexen Handlungsgerüst und einem schnell abgespulten Finale.

Dass sich Henry Selick nun an Gaimans Roman versuchte, ist grundsätzlich aller Ehren wert. Ohnehin kann man jede Stop-Motion-Verfilmung in heutigen Zeiten nur begrüßen, selbst wenn Selick mittels der hier verwendeten 3-D-Technik sich die Tür zur cameron’schen Zukunft offen hält. Dabei scheint zumindest finanziell Selick alles richtig gemacht zu haben, toppt doch Coraline nochmals seine bisherigen Stop-Motion-Erfolge von James and the Giant Peach sowie A Nightmare Before Christmas. Und an der Inszenierung krankt es Coraline nicht wirklich, vielmehr kämpft die Verfilmung mit den inhaltlichen Problemen der Vorlage und verstärkt diese bedauerlicherweise sogar noch, wenn unnötige, Hollywoodgerechte Änderungen vorgenommen werden. Auch die Laufzeit von fast zwei Stunden bekommt Selicks Film nicht wirklich gut, geht Coraline am Ende doch eher gefühlte drei Stunden ohne in all der Zeit tatsächlich begeistern zu können. Lediglich der Springmauszirkus irgendwann in der Mitte weiß kurzzeitig so etwas wie Filmmagie zu erzeugen und auch die 3-D-Technik für sich zu nutzen.

Diese selbst bleibt ansonsten jedoch durchgehend nur die nette kleine Spielerei, die sie eben ist und zumindest noch drei Monate bleiben wird, ehe Camerons Avatar, wie es das britische Filmmagazin Empire wie viele beschwört, das Kino für immer verändern wird. Ein jump the shark Moment, wenn man so will. Doch wirklich Neues weiß auch Coraline mit 3-D nicht anzufangen. Da wird zu Beginn eine Puppe genäht, wobei die Nadel direkt ins Publikum fliegt, oder später eine pompöse Gartenszene erschaffen, die zwar nett anzusehen ist, die Handlung allerdings keinen Meter weiterbringt. Es ist und bleibt ein Gimmick, welches das Kino im Grunde nicht braucht und dieses – insofern dies überhaupt nötig sein sollte – auch nicht retten kann. Doch nachdem James Cameron es sagt, bleibt der Branche nichts anderes mehr übrig, als 3-D zu gehen, was Kollegen wie Zemeckis, Jackson und Spielberg schon gehorsam in Angriff genommen haben. Immerhin weiß Selick die Technik etwas sinniger einzusetzen als die Kollegen aus dem Horrorfach für ihre aktuellen Beiträge wie unter anderem The Final Destination.

Da in Coraline im Grunde nur ein Kind auftritt, wirkt es nicht unbedingt wie eine typische Kindergeschichte. Wahrscheinlich einer der Auslöser, weshalb Selick die Geschichte mit dem unnützen Charakter von Wybie ergänzt hat. Dieser darf sich als verquerer Stein des Anstoßes ausgeben, wenn er Coraline eine Puppe übergibt, die scheinbar ihrer anderen Mutter entstammt. Ansonsten hat der etwas untersetzte Junge im weiteren Verlauf nichts zu tun, bis er schließlich im Finale den Helden markieren darf (wobei das Finale auch dementsprechend abgeändert wurde, damit es eines Helden bedarf). Während man hier also eine Figur hat, der es in der Geschichte nicht bedarf, beschränkt Selick andere Figuren wiederum um einige ihrer Eigenschaften. So kommt der Kater – der bei Gaiman sogar eine doppelte Referenz zu Lewis Carroll darstellte, indem er Charaktermerkmale der Grinsekatze und der Raupe vereinte – bei Selick sehr viel sympathischer da normaler daher.

Enttäuschend ist zudem die teilweise grausige deutsche Synchronisation, die zwar bei Bettina Weiß reibungslos funktioniert, jedoch durch die von Luisa Wietzorek gesprochene Coraline die meiste Zeit negativ auffällt. Hinzu kommt schließlich noch die Tatsache, dass der zeitgenössische Jugendslang (die Eltern müssen natürlich im Deutschen mit „Mum“ und „Dad“ angesprochen werden) nicht so recht zu dem eigentlich altmodischen Ambiente passen möchte (sonst würde sich Coraline nicht im Freien austoben, sondern wie die Eltern über ihren Computer bei MySpace und Facebook einloggen). Auch das umgeänderte Finale – das nunmehr die Klimax noch schneller und unbedrohlicher abspult – will einen nicht so recht interessieren, wie man den ganzen Film an sich eher etwas reserviert aufnimmt. So ist Coraline zwar mitunter durchaus ein visuelles Vergnügen, das über die inhaltlichen Stolpersteine – die jedoch Gaiman zu verantworten hat – hinwegtrösten kann, doch auf eine überlange Laufzeit von zwei Stunden kann Selicks neuester Film nicht vollends überzeugen.

6.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

1 Kommentar:

  1. Für mich als Fan klassischer Adventure Computerspiele war Coraline ein Film, bei dem ich mir schon ab der ersten Minute gewünscht habe - "Coraline" - das Spiel - zu spielen. Gerade die ruhigere Machart steht für mich im Kontrast zu den spritzigen und schrillen Pixar und Warner Animationsfilmen gut da, obwohl ich diese Produktionen auch extrem gern schaue.

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