13. April 2011

Schule

Ob hier irgendjemand von euch gottverdammten Wichsern Schnubbi gesehen hat?

Die Schule ist die schönste Zeit des Lebens. Nur weiß man das meist erst dann, wenn man sie bereits verlassen hat. „Das sorglose Leben ist vorbei“, weiß Schulabgänger Stone (Niels Bruno Schmidt) in Marco Petrys Schule. Mit dem Unterfangen, einen Tag im Leben einer befreundeten Gruppe von Abiturienten drei Wochen vor ihrer schriftlichen Prüfung einzufangen, ist Petry fraglos der ultimative Schulfilm aus deutschen Landen gelungen. Wo US-High-School-Filme aufgrund ihrer Kulturschranken nur bedingt eine Identifikation zulassen (das hierarchische System von Cheerleadern und Jocks existiert in Europa nicht wirklich), ist Schule nah dran an dem, was das letzte Bildungsjahr für viele Nicht-Großstädter bereitgehalten hat.

Es ist fraglich, ob sich Gymnasiasten aus deutschen Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln oder München ähnlich stark mit Marcus Baasweiler (Daniel Brühl), Melanie (Mina Tander), Dirk (Axel Stein) und Co. identifizieren können. An einem Freitagabend plant Marcus mit seiner alten Clique raus an den See zu fahren. Ziel: auf der Wiese rumhocken und Dosenbier saufen. „Was willst’n du sonst machen?“, fragt Marcus eine skeptische Melanie. Das kleine Örtchen Kerkweiler, in dem Schule spielt, ist nicht einmal eine Kleinstadt, allenfalls ein Vorort (die Figuren sprechen mehrfach vom „Kaff“). Eine Diskothek scheint es nicht zu geben, die Figuren haben die Wahl zwischen Unterstufenpartys und Seeausflügen.

Von seiner Struktur und seinem Aufbau her ähnelt Petrys Debütfilm am ehesten Richard Linklaters Dazed and Confused, dem Schule auch bisweilen in seiner Bildkomposition Hommage erweist. Zwar wird lose eine Geschichte erzählt, wenn Marcus sich mit seiner Freundin und Melanies jüngerer Schwester Sandra (Jasmin Schwiers) verkracht und diese daraufhin den Tag mit Stone, einem härteren Wooderson-Klon, verbringt. Prinzipiell geht es jedoch um das Zusammensein von Freunden, weshalb Rüdiger Suchsland recht hat, wenn er sagt: „Nicht auf die Story kommt es an, sondern auf die Stimmung“. Und es dürfte kaum jemanden geben, der nicht eine der Figuren oder eine der Begebenheiten wiedererkennt.

Sei es der überintelligente, aber sozialschwache „Streber“ wie ihn hier Sebastian Kroehnert in Person von Karbrüggen („Karbrüggen? Karbrüggen ist ein Penis“) darstellt, die kleine Schwester aus der Unterstufe, die per Stadtbekanntem Medium den Kosenamen ihres Freundes outet („Würden Sie dem Unterricht besser folgen, wenn ich Sie ab heute nur noch Schnubbi nennen würde?“) oder die Sichtung des Sonnenaufgangs auf dem Schulgelände nach durchgefeierter Nacht. Schule greift solche Erlebnisse auf und zelebriert sie nicht als etwas Singulär-Individuelles, sondern als Massenerlebnis, länder- und bundesweit. Wenn Dirk später prostet: „Auf dat wahre Leben“, steht das für die Authentizität des Films.

Eine Sichtung von Schule steht somit gleichbedeutend mit einer Sichtung der eigenen (Schul-)Vergangenheit. Wer Steven (Christian Näthe) sieht, denkt an denen eigenen Schulhof-Kiffer und André (Tim Egloff) ruft Erinnerungen an jenen Klassenkamerad wach, der es mit der Treue ebenfalls nicht allzu ernst nahm. Und wenn Denis Moschitto, Deutschlands cineastisches Migrantenkind Nummer Eins, hier „Nabil, der Türke“ ist, dann repräsentiert er - zumindest für german suburbia - sprichwörtlich den Quotentürken der Stufe. Kaum ein anderer deutscher Film vermag derart viel Nostalgie zu erwecken und wenige Filme fangen das Ausmaß, die Intensität und die Vergänglichkeit von Schulfreundschaften so gut ein.

Dabei ist durchaus nicht alles Gold was in Petrys Regiedebüt glänzt. Der Film weist in technischer Hinsicht bisweilen Schärfe- und Schnittfehler auf, die Handlung wiederum beginnt sich zudem in dem Moment zu verlieren, wenn die Clique sich aufsprengt und auf drei unterschiedliche Erzählstränge verteilt. So kommt es, dass der Übergang vom zweiten zum dritten Akt etwas zäh gerät, insbesondere der Ausflug zu Jessicas Hausparty. Spätestens mit dem gelungen und erfreulicherweise gerade für Stone kathartischen Finale auf dem Schulgelände, kriegen Petry und sein Film aber wieder die Kurve. Das sorglose Leben ist vorbei, das mag wohl stimmen, aber dank Schule kann man es so oft man will besuchen.

8.5/10

1 Kommentar:

  1. Fand den damals auch ganz gut, wenngleich ich bei meiner bisher ersten Sichtung wohl noch zu nah am eigenen Schulerlebnis dran war.

    AntwortenLöschen