22. Februar 2013

How to Survive a Plague

Life is worth living. Isn’t it?

Von “Oscar snubs” ist meist die Rede, wenn ein Film oder eine Person wider Erwarten der Cineasten nicht für den prestigeträchtigsten Filmpreis der Welt nominiert wird. Oft treten solche Fälle in der Dokumentarfilm-Kategorie auf, mit prominenten Beispielen wie Grizzly Man oder Senna. In beiden Fällen wurde zuerst gemutmaßt, dass ihre Auslassung damit zusammenhängt, dass sie zu einem Großteil aus Archivmaterial bestehen. Dass dem nicht so ist, stellte vor zwei Jahren ein Jury-Mitglied klar und zeigt dieses Jahr auch David Frances How to Survive a Plague. In diesem erzählt France primär mit Archivmaterial von dem Kampf der New Yorker Bewegung Act Up und ihrer Politisierung von AIDS Anfang der 1990er.

Von 1981 bis 2009 hat AIDS weltweit rund 30 Millionen Tote gefordert. Bis heute gibt es keine Heilung, aber zumindest eine effektivere Behandlung als vor 20 Jahren, einer Zeit, in der für Erkrankte wenig Hoffnung bestand. Zwischen 1991 und 1992 starben 900.000 Menschen an AIDS, drei Jahre später waren es bereits doppelt so viele in einem Zeitraum von einem Jahr. “We’re as good as dead”, sagt an einer Stelle der HIV-infizierte Schriftsteller Larry Kramer. “I’m gonna die from this”, gibt zu Beginn von How to Survive a Plague der Banker Peter Staley konsterniert zu Protokoll. “This isn’t gonna be cured for years and years and years.” Was sie vermissen, ist ein öffentliches und politisches Bewusstsein von AIDS.

Einer der Schuldigen ist die Regierung. Zuerst die von Ronald Reagan, dann die von George Bush. Rettung verspricht aber auch nicht die Kandidatur von Bill Clinton im Jahr 1992. Es scheint, die schwul-lesbische Gemeinde und die HIV- und AIDS-Kranken sind auf sich allein gestellt. Und damit abhängig von Bewegungen wie Act Up. “It’s like living in a war”, beschreibt Staley Anfang der 1990er die Situation, dass Freunde um einen herum sterben. Wie lässt sich die Krankheit behandeln? Was könnte medizinisch helfen? Die Erkrankten “had to become scientists to some degree”, erläutert Staley. Zwar kommt 1987 AZT als viel versprechendes Medikament auf den Markt, kostet jedoch pro Patient $10.000 im Jahr.

“The most expensive drug in history”, schnaubt Staley. Was folgt, sind Demonstrationen. Vor Behörden, in Politiker-Büros, auf Kongressen. Die HIV- und AIDS-Bewegung will wahr- und ernst genommen werden. Und wenn schon keine Heilung, dann zumindest die Chance auf ein Überleben bekommen. Währenddessen sterben weiterhin die Freunde und Bekannte von Aktivisten wie Staley, Kramer oder auch Bob Rafsky. Der AIDS-kranke Journalist und Vater konfrontierte Bill Clinton 1992 während einer seiner Wahlkampfreden und verfluchte – sprichwörtlich – George Bush. Verständlich, bei Hunderttausenden neuen Toten pro Jahr. Am Ende von Frances Film wird nicht jeder der Protagonisten noch am Leben sein.

Thematisch ähnlich wie der ebenfalls Oscarnominierte We Were Here von 2011, ist Frances Film jedoch weniger persönlich und dafür mehr protokollarisch geraten. Über acht Jahre umfasst How to Survive a Plague, der abgesehen von Talking Heads mit den Protagonisten hauptsächlich aus einer erstaunlichen Fülle an Archivmaterial von damals besteht. Zwar ist er kein derart einnehmendes Ergebnis wie bei Herzog und Kapadia der Fall, dennoch gelingt France auch dank der starken musikalischen Untermalung von Stuart Bogie ein spannendes Dokument Zeitgeschichte. Mit einem vermeintlich versöhnlichen Abschluss, wenn man Mitte der Neunziger schließlich in der Kombinationstherapie einen ersten Lösungsansatz findet.

Wo We Were Here etwas mehr Fakten vertragen hätte, dürfte How to Survive a Plague gerne persönlicher sein. Zwar gibt Staley als “frontrunner” eine sympathische Identifikationsfigur ab, auf die anderen Protagonisten wie Iris Long hätte man jedoch mehr Fokus setzen können. Eine Mischung aus beiden Dokumentationen oder eine AIDS-thematische Mini-Serie wäre vielleicht der Weisheit letzter Schluss, aber auch so stellen die zwei Dokumentationen eine interessante Doppelvorstellung dar. Ohne zuviel zu verraten, sind entgegen der Befürchtungen im Film Larry Kramer und Peter Staley bis heute wohlauf. Für eine Auszeichnung am Sonntag dürfte das zwar nicht reichen, für einen “Oscar snub” allerdings auch nicht.

7/10

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