20. März 2017

Tanna

Listen to the song.

Für die westliche Gesellschaft ist Liebe vermutlich die Kernbasis für eine funktionierende Beziehung und Ehe. Die Menschen heiraten, wen sie lieben, das Gefühl kommt also zuerst. Ganz anders sieht dies im südasiatischen Raum aus. Wie der Nachrichtensender CNN vor einigen Jahren berichtete, sind neun von zehn Ehen in Indien beispielsweise arrangiert – eine gewöhnliche Tradition. Ähnlich sah dies bis Ende der 1980er Jahre auch im Inselstaat Vanuatu aus, wo der lokale Brauch Kastom diktierte, welche Ehen zu Stande kamen. So auch in Martin Butlers und Bentley Deans dieses Jahr Oscarnominierten Film Tanna, der die wahren Begebenheiten eines jungen Liebespaares auf der zu Vanuatu gehörenden Insel Tanna erzählt.

Dort lebt die junge Wawa (Marie Wawa) ein relativ sorgenfreies Leben mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Selin (Marceline Rofit). Bis zu jenem Tag, an dem Wawas Großvater und Dorf-Schamane (Albi Nagia) von Männern des verfeindeten Stamms der Imedin fast getötet wird. Um den Frieden zu erhalten, soll Wawa den Sohn des Imedin-Stammeshäuptlings ehelichen. Dabei ist Wawa in Dain (Mungau Dain) verliebt, den Enkel ihres eigenen Stammeshäuptlings. Das junge Mädchen gibt sich widerspenstig, genauso wie Dain selbst. Nachdem dieser aus dem Dorf verbannt wird, ergreift Wawa in der Nacht vor ihrer Hochzeit die Flucht zu ihrem Geliebten. Was wiederum eine Hetzjagd der Imedin auf das junge Liebespaar lostritt.

“Since the beginning of time the chiefs have arranged marriage (…) but two lovers chose to walk a different path”, informiert zu Beginn des Films eine Texttafel. Tanna erzählt dabei nicht so sehr eine Geschichte über romantische Liebe als eine über gesellschaftliche Rollen, die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Mehrheit und das Erwachsenwerden. “You’re not a child anymore“, teilt da Wawas Mutter (Linette Yowayin) der Tochter mit, als diese lieber mit ihren Freunden spielen möchte, statt mit den anderen Frauen zu arbeiten. Wawas kleine Schwester Selin ist da unbeschwerter, sie kann noch jenes Leben leben, dem die große Schwester entwachsen zu sein scheint. Doch auch ihr Handeln hat Konsequenzen.

Selins unachtsames Verhalten bringt ihren Großvater dazu, das Mädchen zu Yahul zu führen, den Vulkan der Insel, den ihr Stamm als Gottheit erachtet. “You have to start being more responsible”, belehrt der Schamane seine Enkelin. Ihr Ausflug ruft dann zwei Imedin-Krieger auf den Plan, die den Schamanen für ihre missratene Ernte verantwortlich machen. Letztendlich ist es somit das Verhalten von Selin, das eine Ereigniskette lostritt, die das Schicksal von Wawa für immer zu beeinflussen droht. Auf die Folgen des Tuns scheint es keine Alternative zu geben, so sehr sich die Figuren auch dagegen widerstreben. Zusätzliches Drama bringt der Umstand, dass es die Imedin waren, die einst Dains Eltern töteten und ihn zur Waise machten.

Bereits hier scheint absehbar, dass der Stamm unter Dains designierter Führung kaum eine friedliche Zukunft mit den Imedin führen kann, nicht zuletzt ob Wawas arrangierter Ehe. Ein Umstand, den sein Großvater (Charlie Kahla) ahnen müsste. Es ist somit deutlich, dass Dain nicht beim Stamm bleiben kann, Verbannung hin oder her. Ebenfalls keine Wahl scheint Wawa zu haben, bedenkt man die Umstände. “We’ve all experienced what you’re feeling”, weist ihre Großmutter (Dadwa Mungau) sie auf die Historie der arrangierten Ehen hin. Und betont: “This is not about you. This is about all of us.” Von Wawa wird erwartet, ihr eigenes Wohl hinter das des Stammes zu stellen. Doch das Mädchen wählt sein Glück vor dem der anderen.

Die Laiendarsteller machen ihre Sache dabei ordentlich, eindrucksvoller sind jedoch Bentley Deans Bilder der tollen Location Vanuatus sowie des dortigen Vulkans Yasur. Es ist schade, dass Dean und Butler sich für Digitalkameras entschieden, deren Künstlichkeit den Bildern das Cineastische nehmen. Auch wenn die Entscheidung wohl (mit) durch die Handlichkeit der Canon-Kameras begründet sein dürfte. Narrativ wie visuell gerät Tanna in seinem Schlussakt dann zwar etwas pathetisch und an der Grenze zum Kitsch, dies ist angesichts des Settings jedoch sicher verzeihenswert. Zumal natürlich die Botschaft, begründet in ihrer historischen Faktizität, eine schöne ist. Tanna zeigt, dass man eine Wahl hat, selbst wenn man (scheinbar) keine Wahl hat.

6/10

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