23. März 2018

The Death of Stalin

I should’ve intercepted his fist with my face.

Der Schein kann trügen, gerade im politischen Kosmos. Freund und Feind liegen hier nah beieinander und ein unbedachtes Wort kann weitreichende Konsequenzen haben. Insbesondere dann, wenn an der Spitze des Regierungsapparates ein diktatorischer Tyrann sitzt, mit der Hoheitsgewalt eines mittelalterlichen Königs. Zugleich bietet sich hier Nährboden für reichlich schwarzen, bissigen Humor, weshalb sich Fabian Nury und Thierry Robin vergangenes Jahr in ihrem Comic The Death of Stalin der Endphase des Stalinismus um des Todes von Josef Stalin widmeten. Eine Geschichte, wie gemacht für Armando Iannucci, den schottischen Satiriker und Schöpfer solcher politischer Farcen wie The Thick of It, In the Loop und Veep.

Immer wieder greift Iannucci in The Death of Stalin jenes Klima der Angst auf, das in Zeiten Stalins – hier gespielt von Adrian McLoughlin – in Moskau vorherrschte. So erfährt der Leiter von Radio Moskau (Paddy Considine) gegen Ende eines klassischen Konzertes via einem Anruf, dass Stalin eine Aufnahme des Events wünscht. Nur wurde dieses nicht aufgezeichnet, sodass kurzerhand alle Beteiligten das Konzert von vorne spielen müssen. “Don’t worry, nobody’s going to get killed”, versucht er zwar Orchester und Publikum zu beruhigen, fürchtet jedoch selbst, bei einem möglichen Versagen ins Gulag geschickt oder direkt eliminiert zu werden. Im Russland Anfang der 1950er Jahre kann dies schließlich nahezu jeden treffen.

Darunter zum Beispiel auch Polina, die jüdische Ehefrau des Außenministers Molotow (Michael Palin), der seiner Gattin nach einem jüngsten Treffen mit Stalin bald folgen dürfte. Selbst Georgi Malenkow (Jeffrey Tambor) handelt sich von seinem Staatsoberhaupt einen Rüffel ein, als er sich nach jemand erkundigt, der in Wirklichkeit längst einer von Stalins Säuberungen zum Opfer fiel. “I can’t remember who’s alive and who isn’t”, jammert Malenkow da im engsten Kreis des Zentralkomitees der KPdSU. Und wer mag es ihm verdenken, so fleißig wie sein Chef seine Todeslisten schreibt, als wären es Einkaufszettel oder Hochzeitseinladungen. Kritisch wird es dann für den engen Zirkel des Komitees, als Stalin in der Nacht einen Hirnschlag erleidet.

Was ist zu tun – und von wem? Falsche Entscheidungen können ein ungünstiges Licht auf die betreffende Person lenken. Weshalb Lawrenti Beria (Simon Russell Beale), Leiter des Geheimdienstes NKWD, erstmal keinen Arzt rufen lässt. Nicht zuletzt deshalb, da alle guten Mediziner wenige Monate zuvor Ende 1952 im Zuge einer vermeintlichen Ärzteverschwörung in Straflager geschickt wurden. Für Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi), Parteichef der KPdSU, ein geringfügiges Problem. Rettet ein schlechter Arzt das Leben Stalins, war er kein schlechter Arzt. Verstirbt der Patient, kriegt er davon ohnehin nichts mit. Und als letzterer Fall eintritt, beginnt auch schon das machtpolitische Ränkespiel zwischen allen Beteiligten im Kreml.

Auch hier setzt sich der Aspekt des trügenden Scheins fort, wenn speziell Chruschtschow und Beria sich in Position bringen, während Malenkow, nominell als Stalins Stellvertreter dessen Nachfolger, eher unbeholfen wirkt. Es gilt, das politische Gesicht zu wahren, insbesondere auch gegenüber Stalins Kindern Swetlana (Andrea Riseborough) und Wassili (Rupert Friend). Selbst im Nachgang zu Stalins Tod lebt die von ihm ausgelöste Unsicherheit fort, zum einen durch seinen Personenkult und zum anderen durch das Machtvakuum, welches er hinterlässt. Da verkommt auf die Frage nach dem eigenen Alter die Antwort „alt“ noch zur sichersten Option. Wie alt ist zu alt und wie jung ist zu jung, um sich für eine Kugel im Kopf zu qualifizieren?

Mit reichlich schwarzem Humor inszeniert Armando Iannucci die Ausmaße dieser Stalinschen Säuberungen, die oft im Hintergrund stattfinden, während sich im Vordergrund Figuren wie Beria alltäglichen Fragen widmen. Die politischen Personen sind dabei überspitzt dargestellt, von der tölpelhaften Zeichnung solcher Beteiligten wie Beria und Molotow hin zum Super-Macho-Gehabe eines Georgi Schukow (Jason Isaacs), dem militärischen Oberbefehlshaber. The Death of Stalin ist somit keine Geschichtsstunde, obschon natürlich viele wahre Elemente wie Stalins Säuberungen, die Ärzteverschwörung oder das Schicksal der Molotows auf Historie beruhen. Die macht sich Iannucci gekonnt für seine nahezu perfekte Satire zu Nutze.

Immer wieder finden sich herrlich absurde Momente, die auf der Einschüchterung vor dem politischen Apparat, der eigenen Rolle in diesem und den Konsequenzen eines möglichen Scheiterns basieren. Sei es wenn Chruschtschow sich in der Eile den Anzug über den Pyjama anzieht, um ja nicht als Letzter zur nicht einberufenen Sitzung des Komitees zu erscheinen oder wenn Wassili bestrebt ist, einen tragischen Unfall zu kaschieren, für den er letztlich nichts kann, aber nominell doch die Verantwortung trägt. Da halten Charaktere selbst dann an ihren scheinbaren Überzeugungen fest, als dies nicht mehr nötig ist – nur um auf der sicheren Seite zu sein. Mit Ausnahme von Olga Kurylenkos Pianistin, die das Herz auf der Zunge trägt.

Im weitesten Sinne ist The Death of Stalin dabei durchaus ein klassischer Iannucci, wirkt dann aber zumindest von seinen Dialogen her doch etwas weniger vulgär, sondern spitzfindiger als die Dinge, die sich die Figuren in The Thick of It oder Veep an den Kopf werfen. Neben dem bitterbösen Humor lebt der Film wie alle Werke Iannuccis von seinem stets herrlich aufspielenden Ensemble. Sei es ein losgelöster Steve Buscemi, die schrillen Andrea Riseborough und Rupert Friend oder in ihren kurzen Nebenrollen die gegensätzlichen Darstellungen von Paddy Considine und Jason Isaacs. Einzig Olga Kurylenko fällt etwas aus dem Rahmen, da ihre sehr seriöse Figur eher nüchtern daherkommt, statt wie alle ebenfalls dem Wahnsinn zu verfallen.

Wo In the Loop etwas daran scheiterte, eine Art Kino-Adaption des gelungeneren The Thick of It zu sein, reüssiert Armando Iannucci in seiner zweiten Regiearbeit besser. Wüsste man es nicht, man würde nicht einmal ein französisches Comic als Vorlage vermuten, sondern dem Schotten das ganze Lob zuschreiben. Zugleich zeigt The Death of Stalin, wie gut sich auch mit historischen Bezügen der offensichtlichen Art – bereits The Thick of It lehnte sich an realen Ereignissen an – für Iannuccis Schaffen arbeiten lässt. Da lechzt der Zuschauer am Ende des Films fast schon nach einer ähnlichen Adaption für die finalen Tage eines Adolf Hitlers. Das wäre dann der nächste Geniestreich von Iannucci – quasi die nächste historische «farce excellence».

8.5/10

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