14. September 2018

Paths of Glory [Wege zum Ruhm]

Ready to kill more Germans?

In einer der einprägsamsten Szenen von Terrence Malicks The Thin Red Line verweigert Captain Staros (Elias Koteas) zum Schutz des Lebens seiner Männer einen Befehl seines Vorgesetzten Colonel Tall (Nick Nolte). Der hatte zuvor den Angriff einer Schlüsselposition für die Schlacht um Guadalcanal im Zweiten Weltkrieg angeordert. “How many men do you think it’s worth? How many lives?”, fragt Tall später Staros, ob er zum Erlangen militärischer Ziele überhaupt gewillt ist, menschliche Opfer zu bringen. Ein Austausch, der genauso in Stanley Kubricks Paths of Glory – hierzulande eingedeutscht als Wege zum Ruhm – stattfinden könnte. Die vermeintliche Verweigerung eines aussichtslosen Angriffsbefehls bildet schließlich dessen narrativen Kern.

Es gibt sogar eine ziemlich ähnliche Szene in Kubricks Adaption des Romans von Humphrey Cobb. So unterrichtet zu Beginn des Films General Broulard (Adolphe Menjou) im Frankreich des Jahres 1916 nahe der Front General Mireau (Geroge Macready) über eine innerhalb der nächsten 48 Stunden einzunehmende Schlüsselposition: den “Anthill”. Doch Mireau windet sich. “My division was cut to pieces”, klagt er über jenen Frontbesuch, von dem die Männer gerade erst zurückkehrten. Und behauptet: “My men come first of all.” Die humanistische Standhaftigkeit eines Staros geht Mireau jedoch letztlich vollends ab, sodass die von Broulard in Aussicht gestellte Beförderung über dem Wohl seiner ohnehin bereits dezimierten Einheit steht.

Später ist er selbst es, der seinem Untergebenen den spontanen Angriff schmackhaft macht. Peu à peu rechnet er Colonel Dax (Kirk Douglas) vor, mit welchen Verlusten zu rechnen sein dürfte. Allein die Einnahme des Anthill dürfte ein Drittel aller Männer ihr Leben kosten, ein weiteres Viertel wiederum das Halten der Position gegen deutsche Vergeltungsangriffe mit dem Tod bezahlen. Summa summarum kalkuliert Mireau, 60 Prozent seiner Männer bei dem Angriff zu verlieren. “It’s a terrible price to pay”, seufzt er heuchlerisch. Aber der Ertrag sei umso bedeutender. Ähnlich wie Mireau ist auch Dax’ Widerstand von kurzer Dauer. Et kütt wie et kütt, würde der Rheinländer wohl sagen. Und so fügen sich die Protagonisten in ihr Schicksal.

Für ranghohe Figuren wie Tall und Mireau steht das große Ganze über dem Einzelnen. Wie in einer Schachpartie ein Bauer geopfert wird, so lässt sich auch kein Krieg ohne eigene Verluste gewinnen. Ist er überhaupt willens, einen seiner Männer zu opfern, fragt Tall da Staros in The Thin Red Line. Welcher Preis ein Sieg haben darf und ob dies gerechtfertigt ist – mit diesen Fragen befassen sich aber weder Malick noch Kubrick. In beiden Fällen finden die Attacken statt, in Paths of Glory endet sie allerdings erfolglos. Als wahrer Held stürzt sich Dax zwar als Erster ins Gefecht und überlebt, wo links wie rechts und hinter ihm seine Männer fallen. Doch die Verstärkung bleibt aus und der Angriff erstickt im Keim, ehe er überhaupt richtig beginnen konnte.

Die zweite Kompanie von Lieutenant Roget (Wayne Morris) verharrt im Schützengraben, kann diesen aufgrund des MG-Feuers nicht verlassen. In einem bezeichnenden Moment will der zurückgekehrte Dax auch diesen Männern Vorbild sein, doch vermag er selbst den Graben nicht zu verlassen, weil die Front-Welle ihm praktisch buchstäblich die Leiche eines Kameraden entgegenspült. Ein Umstand, den Mireau im später folgenden Schauprozess für Feigheit gegen drei der Soldaten als Beweis anführt. Die Reklamation, es sei nicht möglich gewesen, die Gräben zu verlassen und den Anthill einzunehmen, entgegnet er mit einem zynischen “if it was impossible, the only proof would be their dead bodies at the bottom of the trenches”.

Das statuierte Exempel der Exekution dreier Soldaten wird nur noch von deren Auswahl karikiert. So traf den Gefreiten Arnaud (Joseph Turkel) der Losentscheid, obwohl er selbst zuvor für Tapferkeit ausgezeichnet wurde. Der Gefreite Ferol (Timothy Carey) verdankt es seinem sozialen Status und Korporal Paris (Ralph Meeker) selbst zahlt dafür, dass er mit Roget in der Nacht zuvor bei einer missglückten Aufklärungsmission aneinandergeraten ist. Sie alle sind mehr oder weniger willkürliche Sündenböcke. Daher ist es an Dax, im zivilen Alltag praktischer Weise Strafverteidiger (und damit wie Staros ein Jurist), sich im Prozess erneut für das Leben seiner Männer einzusetzen, wo er am Vorabend des Angriffs zuvor noch versagt hatte.

Obschon ursprünglich von Kubrick vorgesehen, kommt es Paths of Glory hierbei zu Gute, dass wir während des Angriffs auf den Anthill die späteren Angeklagten gar nicht begleiten, um ihre jeweilige Rolle – und damit ihre Aussagen – richtig einzuschätzen. Die Situation von Paris, Arnaud und Ferol ist vor dem einberufenen Gericht letzten Endes nicht minder aussichtslos wie die zuvor im Schützengraben. Und ihre Exekution unausweichlich, selbst wenn Kubrick den Film nicht vollends auf einer deprimierenden Note enden lässt. Die während des Gefechts von Mireau gegebene Order, die eigene Kompanie unter Feuer aus ihrem Schutzgraben zu locken, holt diesen schließlich ein. Obgleich dies einen geringen moralischen Sieg darstellt.

Jene Vorfälle beruhen dabei auf wahren Begebenheiten. Im Jahr 1915 gab Divisions-General Géraud Réveilhac vergeblich den Befehl, auf seine Männer im Graben zu schießen, als diese sich weigerten, ihn für einen Angriff zu verlassen. Als Resultat dieser so genannten „Souain Affäre“ wurden vier Korporale für ihre vermeintliche Feigheit hingerichtet. Weithin als führender Vertreter des Antikriegsfilms erachtet, widerspricht der Filmkritiker Gary Giddins dieser Sicht in seinem Audiokommentar der Criterion Edition von Paths of Glory. “This film is about power, class, manipulation and the absurdity of war as a continuation of these civilian instincts”, findet Giddins. Auch wenn diese Punkte wohl bestenfalls subtil im Film selbst auftauchen.

Die Konflikte in Paths of Glory sind sicher auch narzisstisch motiviert, aber die Befehlskette am Ende eben auch eine des Erfolgs. Der Leidtragende bleibt der einfache Soldat, bei dem seine Funktion über der Person steht. “Successful attacks were measured in hundreds of yards and paid for in lives by hundreds of thousands”, informiert eingangs die Erzählstimme von Peter Capell aus dem Off. Kubrick fängt dies nicht nur mit dem eigentlichen Angriff auf den Anthill ein, sondern bereits in jener nächtlichen Aufklärungsmission von Paris und Roget zuvor. Während diese durch das Niemandsland robben, offenbart eine Leuchtgranate im Terrain plötzlich ein wahres Leichenmeer, dem die Figuren selbst schon gar keine wirkliche Beachtung mehr schenken.

In seiner Inszenierung ist Kubrick, obschon es erst sein vierter Spielfilm und der erste mit höherem Budget war, schon nah an jenem Stil, der die nächsten Jahrzehnte sein Schaffen definieren sollte. Einprägsam ist dabei die Dolly-Fahrt durch den Schützengraben aus der Ego-Perspektive – zuerst von Mireau, später dann auch von Dax. Ähnlich wie in seinen anderen Filmen, von The Killing über Lolita hin zu Full Metal Jacket, erwartet den Zuschauer kein wirkliches Happy End, selbst wenn Kubrick scheinbar kurzzeitig mit einer Rettung der drei Soldaten gespielt haben soll. Auf Dax’ Einheit wartet stattdessen der nächste Einsatz, der auf einen kurzen Moment der Ruhe während eines Lieds einer deutschen Kellnerin (Susanne Christian) folgt.

Paths of Glory ist dabei weitestgehend ein darstellerisches Vehikel für seinen Star Kirk Douglas, dessen Figur in Cobbs Roman in ihrer filmischen Form gar nicht auftauchte. Sein Dax ist prinzipiell ein makelloser Charakter, ein Ehrenmann, der sich bis zuletzt für seine Männer einsetzt. Auch wenn der Kampf im Grunde von Anfang an verloren war. Am ehesten schaffen es da noch Macready und Menjou, sich aufgrund ihrer Leinwandpräsenz zu behaupten – auch, da die Motivation ihrer Rollen etwas stärker ausgearbeitet ist. Meeker, Turkel und Carey sollen weniger dreidimensionale Figuren mit Ecken und Kanten sein, sondern als repräsentative Sündenböcke und Platzhalter für ihre Kameraden in der Armee bzw. Kompanie fungieren.

Die Kritik hievt der Film dabei weniger auf die Soldaten, als auf die Entscheider abseits der Front. Das mag Kubrick in dieser Hinsicht mit dem Ansatz eines Michael Bay einen. Als Folge beobachtet das Publikum aber eher einen Prozess der Illoyalität und des aussterbenden Humanismus’. Da wir Paris, Ferol und Arnaud weder als Menschen noch als Soldaten wirklich kennenlernen und auch das gerichtliche Verfahren schnell abgehandelt wird, als in die Tiefe zu gehen, kann der Zuschauer nicht vollends Sympathien in ihr Schicksal investieren. Eben weil es dem Film weniger um konkret diese drei Soldaten geht, sondern die Behandlung aller. Um den Soldat per se – auch hierin ähneln sich letztlich Paths of Glory und The Thin Red Line.

8.5/10

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