In der mythologischen Heldenreise nach Joseph Campbell sollte eine Figur etwa in der Mitte der Handlung kurzzeitig ihren tiefsten Punkt erreichen, dessen Überwindung sie dann auf die Siegesstraße (zurück-)führt. In Showgirls von Regisseur Paul Verhoeven und Autor Joe Eszterhas aus dem Jahr 1995 findet sich die Hauptfigur allerdings bereits zu Beginn des Films an ihrem persönlichen Tiefpunkt. “I just got here”, lamentiert Nomi (Elizabeth Berkley) als sie kurz nach ihrer Ankunft in Las Vegas ihres Koffers beraubt wird. Ohne Geld und ohne Klamotten bleibt der Figur zu diesem frühen Zeitpunkt nichts außer ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben, die sie mit dem Traum, eine Tänzerin zu werden, in die Stadt der Sünde lockte.
“Shit happen. Life sucks”, würde Nomi wohl resümieren. Für sie sind derartige Floskeln quasi über die Jahre zum Mantra geworden. Sie ist eine Figur, die inzwischen kaum noch etwas erschüttern kann, was wir den ganzen Film hindurch in Ansätzen spüren, obschon ihre Biografie erst in der Schlussviertelstunde von Showgirls wirklich näher umrissen wird. Nach einem Zeitsprung von einigen Wochen scheint Nomi jedenfalls bereits wieder auf ihren Füßen zu sein. Sie hat Unterschlupf bei der Kostümdesignerin Molly (Gina Ravera) gefunden und einen Job als Tänzerin im Strip-Club Cheetahs. So täte es jedenfalls Nomi beschreiben. “If it’s at the Cheetah, it’s not dancing”, kommentiert Burlesque-Star Cristal Connors (Gina Gershon).
Die Beziehung zwischen diesen beiden Figuren, Nomi und Cristal, ist die entscheidende in Eszterhas’ Drehbuch und im Kern eine exemplarische für unsere Gesellschaft. Cristal nimmt Nomi unter ihre Fittiche und zieht sie als ihre Nachfolgerin heran, stählt sie aber zugleich durch zynisch-fieses Verhalten für die Welt, in der sich Nomi niederlassen will. Motivationen, die der Hauptfigur selbst eher verborgen bleiben bis zur finalen Konfrontation, die in ihrer gut gemeinten, aber teilweise verletzenden Art und der damit einhergehenden Ambivalenz aber das menschliche Miteinander widerspiegeln sowie den sozial-moralischen Konflikt, der einer solch ausbeuterischen Stadt wie es Las Vegas ist mit ihrem Lockvogel-Charakter durchaus innewohnt.
“You and me are exactly alike”, beschwört Cristal, die ursprünglich Chrissie Lou hieß und aus einem texanischen Kaff stammt. Das eint sie wiederum mit Nomi respektive Polly-Ann, die ihre Heimat nur als “from back East” und “different places” angibt. Woher sie kommen und wer sie waren ist für beide Frauen irrelevant, solange sie sich nun in Las Vegas neu erfinden können. “She thinks she could be a worthy successor”, erklärte Gina Gershon in einem Interview damals Cristal. Und hebt hervor, dass sich beide Figuren erstmals im Spiegel begegnen – als Kontrast von Gegenwart und Zukunft. Cristal ist dann letztlich die treibende Kraft, die Nomi in der Glitzerwelt von Las Vegas einen Schritt näher zur Erfüllung ihres Kindheitstraums führt.
Verhoeven kontrastiert beide Frauen dabei mehrfach und betont ihre Ähnlichkeiten. So imitiert Nomi die Bewegungen von Cristal bei ihrem ersten Besuch der “Goddess”-Show im Stardust Hotel, ähnlich wie Cristal später als sie mit Zack (Kyle Maclachlan), dem Entertainment-Manager des Stardust, die Performance von Nomi im Cheetahs besucht und einen Privattanz bucht. Es ist daraufhin Cristals Empfehlung, die Nomi ein Vortanzen für “Goddess”-Direktor Tony Moss (Alan Rachins) beschert und ihr damit letztlich eine Funktion in der Aufführung. “Maybe I like the way you dance, maybe I like you”, hält Cristal ihre Karten gegenüber Nomi bedeckt was ihre Motivation anbelangt. Was wiederum eine der Stärken ihrer Beziehung darstellt.
Viele von Cristals Handlungen werden von Nomi oftmals missverstanden – zumindest andeutungsweise. Die Buchung des Privattanzes empfindet Nomi da als Affront und Versuch, sie für ihre Tätigkeit als Stripperin bloßzustellen. Der Privattanz avanciert dabei aber nicht nur zum ersten Casting seitens Cristal für “Goddess”, sondern ermöglicht es Nomi auch, durch den erhöhten Preis von $500 ein Kleid von Versace (oder wie sie es betont: “Versayce”) zu erstehen. Zugleich weiß Cristal, dass ein reines Betüdeln von Nomi ihr im Sündenpfuhl Vegas auf lange Sicht hinderlich ist, ihr Zuckerbrot-und-Peitsche-Gebaren ist somit Kalkül, um Nomi auf die Zacks von Las Vegas vorzubereiten – genauso wie auf die irgendwann eintreffende Nomi 2.0.
“There’s always someone younger and hungrier coming down the stairs after you”, verzeiht Cristal am Ende des Films ihren durch Nomi ausgelösten Unfall. Zumal der im Grunde von dem ehemaligen Show-Star selbstverschuldet ist. “The best advice I ever got? (…) If someone gets in your way, step on ’em”, verriet Cristal ihrem Zögling da zuvor. Nach acht Jahren auf der Bühne bietet Nomis Ankunft für Cristal auch die Möglichkeit zum Ausstieg – denn der, so suggeriert Showgirls, muss das Resultat einer Wirkung von außen sein. Mit der Positionierung von Nomi als Nachfolgerin findet sich ein Ausweg aus dem moralischen Sumpf für Cristal – zugleich bietet der Film auch Nomi am Ende einen solchen, allerdings fehlgeleitet.
Die Gruppenvergewaltigung von Molly durch Andrew Carver (William Shockley) dient ihrer Freundin schließlich zum Ausstieg aus dem Showgeschäft der Glitzerstadt. Für Joe Eszterhas war Showgirls ein Film über ein Mädchen, das sich von einer korrupten Welt abwendet. In dem guten Menschen in Vegas schlimme Dinge widerfahren, wenn sie sich selbst nicht korrumpieren. Dass die einzig moralisch integre Figur der Geschichte ihr zum Opfer fallen muss, sollte dies unterstreichen. Nur fällt Mollys Vergewaltigung sowohl tonlich als auch narrativ aus dem Rahmen dieser zuvor sleazigen Strip-Sozialsatire. “The rape scene was a god-awful mistake”, räumte Joe Eszterhas bereits im Jahr 1997 gegenüber der Washington Post ein.
Ebenfalls wenig zweckdienlich ist, dass Nomis Vergangenheit erst in der Schlussviertelstunde zum Thema wird. Hätte Verhoeven die Aufdeckung ihrer tragischen Familiengeschichte und die daran anschließende Prostitution ans Ende des zweiten Aktes gestellt (sodass die Figur an ihrem vermeintlich tiefsten Punkt angelangt und ihr Erfolg gefährdet scheint), hätte Nomi im Laufe des finalen Aktes zusätzlich an Profil gewinnen können. Eszterhas zeichnet sie als durchaus interessante flatterhafte Frau, die einerseits leicht in Wutausbrüche fällt, wenn sie sich vorgeführt oder angegriffen fühlt, die andererseits aber auch problemlos mädchenhafte Züge annehmen kann, wenn sie – meist von Molly – Warmherzigkeit durch andere verspürt.
Showgirls erzählt somit auch von einer Selbstfindung seiner Hauptfigur, die weniger zu ihren Ursprüngen gelangen als mit sich ins Reine kommen muss. “I see you hidin’ (…) from you”, bemerkt Nomis kurzweilige Affäre James (Glenn Powell). Ihre Vergangenheit kann sie folglich nicht einfach irgendwo im Osten lassen, auch sie folgt ihr per Anhalter nach. Zumal Cristal mit ihrem Prostitutionsvergleich der “Goddess”-Aufführung nicht allzu Unrecht hat, was durch Nomis echauffierte Reaktion quasi bestätigt wird. Es ist also eine schöne narrative Klammer, wenn Nomi am Ende des Films erneut zufällig in den Wagen von Jeff (Dewey Weber) steigt und ihr Springmesser zückt, nur um dieses Mal jedoch unterwegs ins Ungewisse zu sein.
Eher unerklärlich galt Showgirls lange Zeit als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten, hatte jedoch auch schwierige Voraussetzungen. Sein NC-17-Rating (entspricht unserem FSK 18) schränkte die Möglichkeiten des Marketings ein, sodass trotz breiter Kino-Auswertung auf ein damals üppiges Budget (für einen NC-17-Film zumindest) von $45 Millionen nur ein Einspiel von $37 Millionen folgte. Showgirls avancierte dann zu einem dieser Filme, der per VHS und DVD Kultcharakter entwickeln sollte. So geriet er schlussendlich mit weiteren Einnahmen von $100 Millionen doch noch profitabel und nach seinem Tiefpunkt doch noch zu einem späten Sieger. Wie sagte schon Jeff zu Filmbeginn: “Gotta gamble if you’re gonna win.”
“Shit happen. Life sucks”, würde Nomi wohl resümieren. Für sie sind derartige Floskeln quasi über die Jahre zum Mantra geworden. Sie ist eine Figur, die inzwischen kaum noch etwas erschüttern kann, was wir den ganzen Film hindurch in Ansätzen spüren, obschon ihre Biografie erst in der Schlussviertelstunde von Showgirls wirklich näher umrissen wird. Nach einem Zeitsprung von einigen Wochen scheint Nomi jedenfalls bereits wieder auf ihren Füßen zu sein. Sie hat Unterschlupf bei der Kostümdesignerin Molly (Gina Ravera) gefunden und einen Job als Tänzerin im Strip-Club Cheetahs. So täte es jedenfalls Nomi beschreiben. “If it’s at the Cheetah, it’s not dancing”, kommentiert Burlesque-Star Cristal Connors (Gina Gershon).
Die Beziehung zwischen diesen beiden Figuren, Nomi und Cristal, ist die entscheidende in Eszterhas’ Drehbuch und im Kern eine exemplarische für unsere Gesellschaft. Cristal nimmt Nomi unter ihre Fittiche und zieht sie als ihre Nachfolgerin heran, stählt sie aber zugleich durch zynisch-fieses Verhalten für die Welt, in der sich Nomi niederlassen will. Motivationen, die der Hauptfigur selbst eher verborgen bleiben bis zur finalen Konfrontation, die in ihrer gut gemeinten, aber teilweise verletzenden Art und der damit einhergehenden Ambivalenz aber das menschliche Miteinander widerspiegeln sowie den sozial-moralischen Konflikt, der einer solch ausbeuterischen Stadt wie es Las Vegas ist mit ihrem Lockvogel-Charakter durchaus innewohnt.
“You and me are exactly alike”, beschwört Cristal, die ursprünglich Chrissie Lou hieß und aus einem texanischen Kaff stammt. Das eint sie wiederum mit Nomi respektive Polly-Ann, die ihre Heimat nur als “from back East” und “different places” angibt. Woher sie kommen und wer sie waren ist für beide Frauen irrelevant, solange sie sich nun in Las Vegas neu erfinden können. “She thinks she could be a worthy successor”, erklärte Gina Gershon in einem Interview damals Cristal. Und hebt hervor, dass sich beide Figuren erstmals im Spiegel begegnen – als Kontrast von Gegenwart und Zukunft. Cristal ist dann letztlich die treibende Kraft, die Nomi in der Glitzerwelt von Las Vegas einen Schritt näher zur Erfüllung ihres Kindheitstraums führt.
Verhoeven kontrastiert beide Frauen dabei mehrfach und betont ihre Ähnlichkeiten. So imitiert Nomi die Bewegungen von Cristal bei ihrem ersten Besuch der “Goddess”-Show im Stardust Hotel, ähnlich wie Cristal später als sie mit Zack (Kyle Maclachlan), dem Entertainment-Manager des Stardust, die Performance von Nomi im Cheetahs besucht und einen Privattanz bucht. Es ist daraufhin Cristals Empfehlung, die Nomi ein Vortanzen für “Goddess”-Direktor Tony Moss (Alan Rachins) beschert und ihr damit letztlich eine Funktion in der Aufführung. “Maybe I like the way you dance, maybe I like you”, hält Cristal ihre Karten gegenüber Nomi bedeckt was ihre Motivation anbelangt. Was wiederum eine der Stärken ihrer Beziehung darstellt.
Viele von Cristals Handlungen werden von Nomi oftmals missverstanden – zumindest andeutungsweise. Die Buchung des Privattanzes empfindet Nomi da als Affront und Versuch, sie für ihre Tätigkeit als Stripperin bloßzustellen. Der Privattanz avanciert dabei aber nicht nur zum ersten Casting seitens Cristal für “Goddess”, sondern ermöglicht es Nomi auch, durch den erhöhten Preis von $500 ein Kleid von Versace (oder wie sie es betont: “Versayce”) zu erstehen. Zugleich weiß Cristal, dass ein reines Betüdeln von Nomi ihr im Sündenpfuhl Vegas auf lange Sicht hinderlich ist, ihr Zuckerbrot-und-Peitsche-Gebaren ist somit Kalkül, um Nomi auf die Zacks von Las Vegas vorzubereiten – genauso wie auf die irgendwann eintreffende Nomi 2.0.
“There’s always someone younger and hungrier coming down the stairs after you”, verzeiht Cristal am Ende des Films ihren durch Nomi ausgelösten Unfall. Zumal der im Grunde von dem ehemaligen Show-Star selbstverschuldet ist. “The best advice I ever got? (…) If someone gets in your way, step on ’em”, verriet Cristal ihrem Zögling da zuvor. Nach acht Jahren auf der Bühne bietet Nomis Ankunft für Cristal auch die Möglichkeit zum Ausstieg – denn der, so suggeriert Showgirls, muss das Resultat einer Wirkung von außen sein. Mit der Positionierung von Nomi als Nachfolgerin findet sich ein Ausweg aus dem moralischen Sumpf für Cristal – zugleich bietet der Film auch Nomi am Ende einen solchen, allerdings fehlgeleitet.
Die Gruppenvergewaltigung von Molly durch Andrew Carver (William Shockley) dient ihrer Freundin schließlich zum Ausstieg aus dem Showgeschäft der Glitzerstadt. Für Joe Eszterhas war Showgirls ein Film über ein Mädchen, das sich von einer korrupten Welt abwendet. In dem guten Menschen in Vegas schlimme Dinge widerfahren, wenn sie sich selbst nicht korrumpieren. Dass die einzig moralisch integre Figur der Geschichte ihr zum Opfer fallen muss, sollte dies unterstreichen. Nur fällt Mollys Vergewaltigung sowohl tonlich als auch narrativ aus dem Rahmen dieser zuvor sleazigen Strip-Sozialsatire. “The rape scene was a god-awful mistake”, räumte Joe Eszterhas bereits im Jahr 1997 gegenüber der Washington Post ein.
Ebenfalls wenig zweckdienlich ist, dass Nomis Vergangenheit erst in der Schlussviertelstunde zum Thema wird. Hätte Verhoeven die Aufdeckung ihrer tragischen Familiengeschichte und die daran anschließende Prostitution ans Ende des zweiten Aktes gestellt (sodass die Figur an ihrem vermeintlich tiefsten Punkt angelangt und ihr Erfolg gefährdet scheint), hätte Nomi im Laufe des finalen Aktes zusätzlich an Profil gewinnen können. Eszterhas zeichnet sie als durchaus interessante flatterhafte Frau, die einerseits leicht in Wutausbrüche fällt, wenn sie sich vorgeführt oder angegriffen fühlt, die andererseits aber auch problemlos mädchenhafte Züge annehmen kann, wenn sie – meist von Molly – Warmherzigkeit durch andere verspürt.
Showgirls erzählt somit auch von einer Selbstfindung seiner Hauptfigur, die weniger zu ihren Ursprüngen gelangen als mit sich ins Reine kommen muss. “I see you hidin’ (…) from you”, bemerkt Nomis kurzweilige Affäre James (Glenn Powell). Ihre Vergangenheit kann sie folglich nicht einfach irgendwo im Osten lassen, auch sie folgt ihr per Anhalter nach. Zumal Cristal mit ihrem Prostitutionsvergleich der “Goddess”-Aufführung nicht allzu Unrecht hat, was durch Nomis echauffierte Reaktion quasi bestätigt wird. Es ist also eine schöne narrative Klammer, wenn Nomi am Ende des Films erneut zufällig in den Wagen von Jeff (Dewey Weber) steigt und ihr Springmesser zückt, nur um dieses Mal jedoch unterwegs ins Ungewisse zu sein.
Eher unerklärlich galt Showgirls lange Zeit als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten, hatte jedoch auch schwierige Voraussetzungen. Sein NC-17-Rating (entspricht unserem FSK 18) schränkte die Möglichkeiten des Marketings ein, sodass trotz breiter Kino-Auswertung auf ein damals üppiges Budget (für einen NC-17-Film zumindest) von $45 Millionen nur ein Einspiel von $37 Millionen folgte. Showgirls avancierte dann zu einem dieser Filme, der per VHS und DVD Kultcharakter entwickeln sollte. So geriet er schlussendlich mit weiteren Einnahmen von $100 Millionen doch noch profitabel und nach seinem Tiefpunkt doch noch zu einem späten Sieger. Wie sagte schon Jeff zu Filmbeginn: “Gotta gamble if you’re gonna win.”
7/10