1. Dezember 2010

You Will Meet a Tall Dark Stranger

Life was full of sound and fury - and in the end, signified nothing.

Seinem Macbeth legte Shakespeare das Urteil in den Mund, dass das Leben eine Geschichte sei, „von einem Idioten erzählt, voller Schall und Raserei, ohne Bedeutung“. Wenn man so will, nahm sich Woody Allen für seinen 41. Spielfilm in 44 Jahren jenes Shakespeare-Zitates an und verfilmte es sehr selbstironisch. Sein You Will Meet a Tall Dark Stranger ist eine Geschichte über das Leben und über die Liebe, voller Schall und Raserei, letztlich jedoch ohne Bedeutung. Es ist eine klassische allensche Geschichte, die der 75-jährige Auteur dem Publikum präsentiert. Aufgemacht wie immer mit weißem Windsor Elongated auf schwarzem Hintergrund, präsentiert der New Yorker sein Darstellerensemble in alphabethischer Reihenfolge. Und wie so oft, sind illustre Namen darunter, wie Naomi Watts, Anthony Hopkins, Josh Brolin und Antonio Banderas.

Es geht um zerrüttete Ehen, sei es die von Alfie (Anthony Hopkins) und seiner Frau Helena (Gemma Jones), die sich nach 40 Jahren scheiden lassen, oder die ihrer Tochter Sally (Naomi Watts) mit ihrem Mann Roy (Josh Brolin), einem gescheiterten Schriftsteller. Während sich Alfie nicht so alt fühlt, wie er ist, und deswegen eine neue Ehe mit der halb so alten Prostituierten Charmaine (Lucy Punch) eingeht, will Roy dem Kindeswunsch von Sally nicht nachkommen und verliert sich stattdessen in voyeuristischen Blicken ins gegenüberliegende Schlafzimmer der Nachbarin Dia (Freido Pinto). Auch Sally entwickelt Gefühle für jemand anders, namentlich ihren Chef und Galeriebesitzer Greg (Antonio Banderas), der ebenfalls unter seiner zerrütteten Ehe leidet. Helena gibt sich derweil ganz den Prophezeiungen der Wahrsagerin Cristal hin.

Im Folgenden wechselt der Film nun die Perspektiven der vier Familienmitglieder, wobei es ihm gelingt, allen gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken. Angefangen mit Alfie, einem klassischen Fall von (später) Midlife Crisis. Während sich Helena so alt fühlt, wie sie ist, strebt Alfie die gegensätzliche Richtung an. Der Scheidung folgen Besuche im Fitness-Center, Sonnenstudio, Zahnbleichung und ein Sportauto. Da versteht es sich von selbst, dass das Ganze in der Beziehung zu einer jüngeren Frau enden muss, die so alt wie seine Tochter ist. Das verbindet Alfie in gewisser Weise mit anderen allenschen Figuren wie zuletzt Larry Davids Boris in Whatever Works, nur dass in diesen Fällen immerhin ein gewisses Maß Gegenliebe vorhanden war. Vermutlich weil Alfie nicht vom selbstironischen Witz der allenschen Intellektuellenfigur beseelt ist.

Was ihn wie seine übrigen Familienmitglieder eint, ist die Angst vor dem Alleinsein. Speziell Helena befällt diese, weshalb sie die vermeintliche Scharlatanin Cristal aufsucht. Deren Prophezeiungen wirken sich im Laufe des Filmes vor allem für Roy und Sally noch negativ aus, wobei gerade Sally jenen Hokuspokus anfangs unterstützt. Dagegen sind Nebenfiguren wie die Musikstudentin Dia weitaus charakterloser. Von ihr erfährt man letztlich nur, dass ihr Verlobter beim Auswärtigen Amt in Brüssel arbeitet und deshalb die meiste Zeit abwesend ist. Wieso sich daraufhin Gefühle - ausgerechnet - für Roy entwickeln, bleibt ein Rätsel und vermutlich eher Mittel zum Zweck. Ähnlich verhält es sich mit Antonio Banderas’ Galeriebesitzer Greg, der scheinbar mit Sally in einer Szene nur deswegen flirtet, damit diese sich wiederum in romantische Gefühle verrennen kann.

Obschon Tall Dark Stranger wie die meisten Filme von Allen nur rund 90 Minuten dauert, ist sein jüngstes Werk zugleich eines seiner Langatmigsten. Nach zuletzt Whatever Works und Vicky Cristina Barcelona, verschlägt es den Auteur erneut nach London. Hierbei ähnelt die Atmosphäre am ehesten Cassandra’s Dream, auch wenn die Thematik der klassischen allenschen Komödie entspricht. Vielleicht liegt es am unterkühlten und etwas bieder wirkenden London, dass die vierfache Liebes- und Lebenskrise nicht richtig in Fahrt kommt. Eventuell ist dies jedoch auch auf die zumeist unsympathischen Figuren zurückzuführen. So erfährt man von Roy zwar, dass er erst nach seinem Medizinstudium Schriftsteller wurde (anfangs sogar ein Vielversprechender), aber was ihn genau von der Medizin zur Literatur trieb, bleibt im Dunklen.

Bei seiner Ehefrau ist es dasselbe. Zwar verfügt sie über ein Kunststudium, scheint aber beruflich dennoch in einer Sackgasse zu stecken (Roy deutet in einer Szene an, dass sie zuvor bereits aus drei anderen Jobs ausgestiegen ist). Egal ob der bemitleidenswert jüngliche Alfie, die extrem naive Helena, der hoffnungslose Roy oder die verloren wirkende Sally - sie alle werden zwar gut gespielt und interpretiert (Lucy Punch setzt neben Gemma Jones besondere Akzente), vermögen jedoch selten zu greifbaren Figuren zu avancieren, deren Verhalten nachvollziehbar ist oder mitreißen kann. Dass Allen seine Geschichte dabei offensichtlich als shakespearesches Stück anlegt (oft untermalt von bardischer Musik, die jedoch eher nervt) - und somit in gewissen Sinne der Tradition seiner Filme wie Mighty Aphrodite folgt -, hilft ebenfalls wenig.

Von seinen Londoner Werken ist dies klar sein schwächster Beitrag, der jedoch immerhin runder daherkommt als sein jüngster Ausflug zurück in den Big Apple. Zwar zeichnen den Film zahlreiche allensche Merkmale aus, doch ein wirklich stimmiges Ergebnis will in diesem Fall am Ende nicht dabei herauskommen. Dass es schlussendlich zu einem etwas absurden Ende kommt (auch wenn Allen an sich weiterhin dem shakespeareschen Einfluss folgt), wirkt ebenfalls reichlich bitter-süß. Insgesamt entschuldigt den Film auch nicht die eingangs angesprochene unterstellende Prämisse, dass es sich bei You Will Meet a Tall Dark Stranger um eine selbstironische Adaption von Shakespeares Macbeth-Zitat handelt. Denn auch wenn Woody Allen hier einen bedeutungslosen Film über Schall und Raserei inszeniert, macht das ebenjenen Film deshalb noch nicht zu einem Guten.

6.5/10

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