17. Oktober 2015

Saga – Volume Five | Bitch Planet #4-5

Family reunions can be complicated things.

In einem Interview mit dem Stern über sein jüngstes Buch darauf angesprochen, wieso die Handlung in einer Fantasiewelt spielt, antwortete Autor Salman Rushdie: „Ich wollte nicht in engem Sinne über reale Konflikte schreiben.“ Wie sein Roman zeigen aber auch andere Fantasy-Werke wie J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings, dass gegenwärtige Probleme durchaus als Fundament für Märchenausflüge dienen können. Ähnlich verhält es sich mit dem innewohnenden Kernkonflikt von Brian K. Vaughans und Fiona Staples’ Fantasy-Comic Saga. Zu Beginn des fünften Sammelbandes Volume Five erhalten die Leser eine kurze Rückschau auf den Krieg zwischen dem Planeten Landfall und seinem Mond Wreath, die erstaunlich real wirkt.

Rekrutierte Landfall zu Beginn des Krieges seine Soldaten per Lotterie, wich dies bald einer Freiwilligenarmee – der es jedoch nicht an Truppenstärke fehlte. Einige meldeten sich “out of a genuine sense of duty. Others were merely looking for adventure”. Mit der Zeit verlagerten die Parteien ihren Konflikt, der sich unweigerlich auf andere Planeten ausgeweitet hat, weg von sich selbst. Ruhe kehrte für die Zurückgebliebenen in der Heimat ein. “For most folk back on Landfall, war was something that would never directly impact their lives”, legt Vaughan seiner Erzählstimme Hazel in den Mund. Und somit (womöglich) zugleich ein Echo für seine US-amerikanischen Leser, deren Nation gerne Kriege vor der Haustür von anderen Ländern führt.

Doch der Konflikt, um den es derzeit in Saga geht, ist nicht das große Ganze, sondern im Kleinen zu finden. Roboter-Proletarier Dengo hat nicht nur den Sprössling von Prince Robot IV entführt, sondern als potentielles Faustpfand auch noch Alana und ihre Tochter Hazel. Letztere will er der rebellischen Splittergruppe The Last Revolution überlassen, die das Mischlingskind für Kriegsgefangene eintauschen möchte. Prince Robot IV hat derweil mit Marko sowie Ghüs und Yuma im Schlepptau die Verfolgung aufgenommen, die jedoch noch ihre eigenen Probleme mit sich bringt. Unterdessen suchen Gwendolyn, Sophie und The Brand auf dem von Drachen bewohnten buchstäblichen Halbplaneten Demimonde nach einem Heilmittel für The Will.

Eine Dreiteilung der Handlung, die den ganzen Band hindurch beibehalten wird – was alle Charaktere eint, ist die vermeintliche Hilflosigkeit, der sie sich gegenwärtig ausgesetzt sehen. Alana und Klara suchen nach einem Weg, wie sie sich Dengos Zugriff entreißen können – und versuchen es schließlich mit gutem Zureden. Kommunikation wiederum ist etwas, das zwischen den beiden Vätern Robot IV und Marko nur bedingt funktioniert. Was nicht besser wird, als sich Marko und Yuma fataler Weise in einer Überdosis Fadeaway verlieren, als Marko erneut mit seinem Temperament und seinen Trauma hadert. Es ist bezeichnend für Vaughan, dass man just in diesem Moment erfährt, dass Vater und Tochter sich Jahrelang nicht sehen werden.

Und wie bereits in der Vergangenheit kommt die Serie auch diesmal nicht umhin, sich von einigen Charakteren zu verabschieden. So überraschend zumindest einer der Todesfälle auch sein mag, fehlt dem Verlust hier irgendwie die Gravitas, da es Figuren betrifft, mit denen man zuvor nicht allzu viel Zeit verbracht hat, in der sie einem ans Herz wachsen könnten. Selbiges ließe sich da natürlich auch über The Stalk sagen und dennoch bildet deren Ableben einen bezeichnenden Kontrast zum aktuellen Verlauf. Figuren verlassen die Bildfläche so schnell sie diese betreten haben, Izabel sowie Upsher und Doff tauchen in Volume Five sogar überhaupt nicht auf. Dafür erweist sich Ghüs weiter als Humor-Geheimwaffe (“What did I do?”).

Am Ende bleibt somit ein Band, der sich generell – trotz der dramatischen Ereignisse in den letzten beiden Ausgaben – wie die Ruhe vor dem Sturm anfühlt. Was allerdings in gewisser Weise schon für den Vorgänger galt. Das Tempo der ersten drei Bände scheint derzeit irgendwie zu fehlen, manches Potential verheizt, womöglich mag dies auch bloß an den etwaigen Zeitsprüngen liegen. Ein solcher weiterer, das impliziert der Schluss von Volume Five, wird die Leser auch im kommenden Band erwarten. Was Saga aber dafür weiter auszeichnet, ist die (zurecht) hochgelobte Kunst von Fiona Staples, mit ihren vielen liebevollen und oft bewegenden wie amüsanten Detailaufnahmen. Selten waren reale Konflikte wohl schöner dargestellt.

7.5/10


Everybody likes a good story.

Die USA sind ein Land von Recht und Ordnung. Wer hier einmal die Fahrspur wechselt ohne zu Blinken, landet schnurstracks im Gefängnis – zumindest wenn die betreffende Person schwarz ist. So geschehen am 10. Juli dieses Jahres, als die 28-jährige Sandra Bland in Texas von einem weißen Polizisten angehalten wurde. Nach drei Tagen wurde Bland tot in ihrer Zelle gefunden. Neun Tage später erschoss ein weißer Polizist in Cincinnati den 43-jährigen Schwarzen Samuel DuBose, nachdem er diesen wegen eines fehlenden Autokennzeichens anhielt. Zwei Ereignisse, die Kelly Sue DeConnick, Autorin des Sci-Fi-Comics Bitch Planet, in ihrem Editorial der fünften Ausgabe aufgreift, da Realität und Themen des Comics sich nicht unähnlich sind.

Schon in ihrem Essay in Ausgabe #4 ging Journalistin Mikki Kendall darauf ein, dass auf schwarze Schülerinnen weitaus schlimmere Bestrafungen warten als auf ihre weißen Kameradinnen für dieselben Vergehen. Was wiederum eine Spirale lostritt, die letztlich im Gefängnis enden kann. Dort befinden sich natürlich auch weiterhin die Protagonistinnen von Bitch Planet rund um Kamau Kogo, die wir in den Ausgaben #1 bis #3 kennenlernten. Bezeichnete ich diese bereits als Exposition, geht diese auch in den jüngsten Ausgaben weiter. Inhaltlich legen DeConnick und Zeichner Valentine De Landro den Fokus auf Duemila aka Megaton. “Duemila for Dummies (Women)” heißt ein Medien-Segment, dass den Figuren das Event erläutert.

Was ich zuvor als mediales Sportereignis à la Running Man vermutete, offenbart sich weitaus simpler: die Macher übernehmen schlicht den Calcio Fiorentino, einen gewalttätigen Hybrid aus Fußball und Rugby, der in Florenz gespielt wird. Kein ungefährliches Unterfangen für unsere Damen, worauf Kamau auch von Mithäftling Fanny hingewiesen wird. “You’re making a hit list”, bezeichnet diese Kamaus Kaderzusammenstellung, während wir das Ganze in der “obligatory shower scene” miterleben. DeConnick und De Landro spielen hier gekonnt mit ihrem Exploitation-Genre, die Leser werden dabei ebenso zu Spannern wie eine Gefängniswärter-Figur. Doch Kamau, so scheint es zumindest, bereitet insgeheim ihren ganz eigenen Plan vor.

Dient Ausgabe #4 also dazu, uns Duemila/Megaton zu erklären und Details von Kamaus Plan zu erfahren, dreht sich Ausgabe #5 um ein Übungsspiel zwischen Kamaus Team und einigen Wärtern. Ein Hauch The Longest Yard, wenn man so will. Für die Insassen um Penny Rolle zugleich die Gelegenheit, ihre Unterdrücker körperlich anzugehen – Regeln werden während der Einheit ausgesetzt. Was jedoch nicht ohne Folgen bleibt – und das ist noch gelinde gesagt. Mit Hinblick auf einen Nebenplot um einen Stadiondesigner in Ausgabe #5, der sich für einen Duemila Court auf zum Bitch Planet macht, und einen ersten Plan, der zum Ende von Ausgabe #2 angedeutet wurde, scheint die Richtung von Bitch Planet im Moment ungewisser denn je.

Hinsichtlich des dem Comic innewohnenden Feminismus-Themas halten sich etwaige Sexismus-Tendenzen aufgrund der Duemila-Exposition diesmal in Grenzen. Interesse am Spiel soll Frauen helfen, ihren Partner glücklicher zu machen, in der Nachrichten-Berichterstattung muss sich ein weiblicher News Anchor von einem Reporter unentwegt mit “sweetheart” adressieren lassen und ein Häftling von Bitch Planet, erfahren wir, verdankt dies “disrespect”. Weitaus prägnanter sind derweil wieder die falschen Werbeanzeigen von Laurenn McCubbin auf dem Buchrücken, die uns “Niagra” anpreisen (“from the makers of Agreenex™”), zur künstlichen weiblichen Erregung oder Vaginalparfüm, damit man(n) sich erbarmt, mit seiner Frau Sex zu haben.

Bis auf den dramatischen Schluss von Ausgabe #5 hält sich die Fortentwicklung von Bitch Planet somit in Grenzen, was sich aber womöglich schon bald ändern könnte. Der nähere Blick auf Duemila schadet jedoch nicht und zumindest unterschwellig verdichtet sich das sozio-kulturelle Ausmaß im Universum des Comics. Ähnlich wie in Saga sehen wir hier wohl (hoffentlich?) die Ruhe vor dem Sturm. Stürmisch geraten inzwischen auch die Leserzuschriften und Tattoodebatte, die sich in Ausgabe #5 auf mehrere Seiten erstrecken (und im Sammelband wie die Essays fehlen dürften) – für meinen Geschmack fast schon etwas ausufernd. Aber eben zugleich wohl auch Ausdruck, wie weit Unterdrückung in unserer Gesellschaft noch reicht.

7.5/10

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