20. Oktober 2017

mother!

You gotta fight for your right to party.
(Beastie Boys, [You Gotta] Fight for Your Right [to Party])


Der US-Zirkuspionier P.T. Barnum wird mit dem Ausspruch “there’s no such thing as bad publicity” assoziiert. Selbst negative Werbung sei letztlich trotz allem noch Produktwerbung – das gilt bei Filmen vielleicht noch am ehesten, je weiter das Meinungs-Pendel in die qualitative Gegenrichtung schlägt. Nach dem Motto: So schlecht, wie der Film gemacht wird, kann er gar nicht sein. Daraus folgert gegebenenfalls ein Drang zur Selbstüberzeugung. Immer öfter drohen Hollywood-Filme dennoch, früh zu Kassen-Flops zu werden, indem ihnen ihr vermeintlich schlechter Ruf vorauseilt. Ohne dass sie deswegen jedoch schlecht sind – mitunter, wie Gore Verbinskis vergnüglicher The Lone Ranger, sogar im Gegenteil ausgesprochen gelungen ausfallen können.

Ob nun eine Note F der US-Film-Marktforscher von CinemaScore, die schlechteste mögliche Wertung seitens der Befragten, hierunter fällt, sei dahingestellt. Zumindest ist die Wertung wahrlich eine Auszeichnung, wird sie doch relativ selten vergeben (u.a. an Richard Kellys The Box). Dass sein jüngster Film die Meinungen spalten würde, hat Darren Aronofsky sicher kalkuliert. Das Feedback zu mother! umfasst das volle Spektrum von Meisterwerk bis Katastrophe. Er wollte einen “Punk-Film“ machen, erklärte Aronofsky im Nachhinein. Einen Film, der das Publikum konfrontiere und provoziere. Die Ablehnung, so folgert der Regisseur, ist somit letztlich ein Eingeständnis für den Wahrheitsgehalt der intendierten Filmaussage.

Erzählt wird im simpelsten Sinne von einer jungen Frau (Jennifer Lawrence), die mit ihrem Mann (Javier Bardem), einem Poeten, in einem Landhaus wohnt, das sie soeben renoviert. Bis zuerst ein kränkelnder Orthopäde (Ed Harris), kurz darauf seine egozentrische Gattin (Michelle Pfeiffer), dann deren Söhne (Domhnall Gleeson, Brian Gleeson) und schließlich eine ganze Horde von Verehrern des Poeten inklusive dessen Publizistin (Kristen Wiig) auf der Bildfläche erscheinen und die Nerven der Hausherrin (über-)strapazieren. Im weitesten Sinne verfilmt mother! derweil lose Passagen aus der Bibel, vom 1. Buch Mose hin zu den Evangelien und kulminierend in der Offenbarung des Johannes als sozio-ökologischen Kommentar.

So repräsentiert Jennifer Lawrences im Laufe des Films schwanger werdende Frau die titelgebende Mutter Natur, Bardems an Schreibblockade leidender Poet dagegen steht für Jahwe, ihr gemeinsames Haus, um welches sich die Frau kümmert (“I wanna make a paradise”), für die Erde. Ihr Leben verläuft weitestgehend harmonisch, bis zum Eintreffen der Menschen an ihrer Pforte. Erst ist es Harris’ Double für Adam, das die Aufmerksamkeit des Hausherren auf sich zieht. Mit Eintreffen von Pfeiffers Eva-Vertretung geraten die Dinge noch schneller aus den Fugen. Sie steckt ihre Nase in Angelegenheiten und Orte, die sie nichts angehen. Korrumpierende Aktionen, die verstärkt drohen, das sie aus dem „Paradies“ des Hauses vertrieben werden könnten.

Die Idee, das 1. Buche Mose um Adam und Eva sowie den Brudermord von Kain, hin zum Gericht über Sodom und Gomorra, der Geburt Jesu und seinen Tod und schließlich der Apokalypse in ein zeitgenössisches, fast kammerspielartiges Szenario zu pressen, ist sicher nicht verkehrt. Die Umsetzung dieser Idee in Form von mother! dann allerdings schon. Bereits mit seinen früheren Werken wie The Fountain mag sich Aronofsky den Vorwurf der Prätention verdient haben, doch mother! setzt dem Ganzen die Krone auf. Die verschiedenen ineinander überfließenden Vignetten sind nie wirklich nuanciert oder subtil, vielmehr überaus plump und uninspiriert. Sie passieren und lösen einander ab, kommunizieren aber nicht wirklich etwas.

Da treten Kain (Domhnall Gleeson) und Abel (Brian Gleeson) auf und nach dem Brudermord gleich wieder ab. Nach einem ausufernden Leichenschmaus mit Sintflut-Referenzen (“could you come down, the sink’s not brazed”) macht der Film mit der einsetzenden Schwangerschaft eine kurze Pause, ehe sich das Chaos erneut Bahn bricht. Der Schlussakt ist eine Tour de Force für die Mutter-Figur. Der sich in seiner Eitelkeit verlierende Poet wird von der Zuneigung der Menschen geblendet, ein privates Abendessen mutiert zur wilden Hausparty, die ein Sonderkommando aufzulösen versucht, ehe die Lage eskaliert. Das ist wenig spitzfindig, auch nicht, als später Jesu geboren und buchstäblich verspeist wird („Nehmt, das ist mein Leib“, Mk, 14,22).

mother! ist eine mit dem Holzhammer kommunizierte Allegorie auf die Umweltzerstörung durch die Menschheit. Verächtlich blickt und agiert diese mit der Figur von Lawrence, wird am Ende sogar gewaltsam. Sie unterminiert das Konstrukt des Hauses – erneut buchstäblich. Die Botschaft: Wir zerstören den Planeten und ignorieren die Klagen von Mutter Natur. Gott selbst interveniert nicht, zu sehr ist er in der durch die Anhimmlung der Menschen ausgelösten Eitelkeit verloren. Die Mutter-Figur ist dabei auch eine solche für den Poeten, doppeldeutig zitiert Aronofsky nach hinten raus in einer Szene zwischen Ihr und Ihm daher aus Shel Silversteins The Giving Tree (“I wish that I could give you something but I have nothing left”).

Aufgrund der Bibel-Allegorien ist der Film zugleich ein Kommentar auf das Christentum – hier jedoch kritischer beäugt als in Aronofskys jüngster Bibel-Adaption Noah. Nur fehlt es wie in der Umwelt-Metapher einer genauen Motivation des Gezeigten. Die Affektion für den Poeten wird nicht erklärt, seine Barmherzigkeit ebenso nicht. Von der Reue Jahwes aus dem Alten Testament hinsichtlich der Menschen fehlt viel in mother! – und den Bildern ein gewisses Gewicht. Es reicht nicht, die sinnbildliche Abendsmahlgabe des Leib Christi in der eucharistischen Gestalt der Hostie ins buchstäbliche Grafische umzumünzen, wenn die gezeigte Handlung nicht eingeordnet wird. Positive Menschenbilder (z.B. Mose, Abraham) fehlen zudem gänzlich.

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, die Zerstörung des Planeten anhand von in die Gegenwart übertragene Bibelstellen zu kommentieren. Ein Kommentar sollte jedoch mehr sein, als eine simple Kritik ohne Einordnung. mother! hätte in der Form als Allegorie womöglich besser funktioniert, wenn der Film nicht zugleich seine Botschaft mit einem Sauseschritt durch die einprägsamsten Momente der Bibel verknüpfen wollte. Generell hätte dem Film deutlich mehr Subtilität gut zu Gesicht gestanden, die mother! jedoch gänzlich vermissen lässt. Für Darren Aronofsky ist dies der nächste filmische Rückschritt nach den zuletzt enttäuschenden Noah und Black Swan. Insofern ist mother! letzten Endes doch weniger “punk” und eher “junk”.

4/10

3 Kommentare:

  1. Nach "Black Swan" habe ich gar keinen Aronofsky mehr geguckt, so anti-begeistert war ich damals (sogar im Kino). Dabei klingt der allgemeine hate it or love it-Tenor mother gegenüber irgendwo ganz reizvoll. Will ich meine Zeit damit verschwenden oder werde ich positiv überrascht sein?

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    1. Schwer zu sagen. Ich kann den Ansatz der positiven Rezeption verstehen, fand die Umsetzung aber schlicht zu plump. Ich bin etwas enttäuscht von Aronofsky nachdem er mit Requiem for a Dream, The Fountain und The Wrestler drei richtige Bretter gebohrt hat. Black Swan mag ich mit jeder Sichtung weniger, Noah fand ich zuletzt etwas besser als damals im Kino aber weiterhin ziemlich daneben. mother! könnte im Heimkino vielleicht etwas an Wert zulegen. Gucken kann man das denke ich schon, einfach weil die Grundidee ganz nett ist, wie ich finde.

      Generell handhabe ich es ja immer so, dass ich bei jedem Film die Erwartungen so niedrig wie möglich halte oder totale Scheiße erwarte. Dann wird man meistens positiv überrascht. Hat zuletzt in meinem Fall bei Power Rangers ganz gut geklappt ;)

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    2. Mit der Einstellung gehe ich seit einiger Zeit an beinahe jeden Film heran... ;)

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