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20. Oktober 2017

mother!

You gotta fight for your right to party.
(Beastie Boys, [You Gotta] Fight for Your Right [to Party])


Der US-Zirkuspionier P.T. Barnum wird mit dem Ausspruch “there’s no such thing as bad publicity” assoziiert. Selbst negative Werbung sei letztlich trotz allem noch Produktwerbung – das gilt bei Filmen vielleicht noch am ehesten, je weiter das Meinungs-Pendel in die qualitative Gegenrichtung schlägt. Nach dem Motto: So schlecht, wie der Film gemacht wird, kann er gar nicht sein. Daraus folgert gegebenenfalls ein Drang zur Selbstüberzeugung. Immer öfter drohen Hollywood-Filme dennoch, früh zu Kassen-Flops zu werden, indem ihnen ihr vermeintlich schlechter Ruf vorauseilt. Ohne dass sie deswegen jedoch schlecht sind – mitunter, wie Gore Verbinskis vergnüglicher The Lone Ranger, sogar im Gegenteil ausgesprochen gelungen ausfallen können.

Ob nun eine Note F der US-Film-Marktforscher von CinemaScore, die schlechteste mögliche Wertung seitens der Befragten, hierunter fällt, sei dahingestellt. Zumindest ist die Wertung wahrlich eine Auszeichnung, wird sie doch relativ selten vergeben (u.a. an Richard Kellys The Box). Dass sein jüngster Film die Meinungen spalten würde, hat Darren Aronofsky sicher kalkuliert. Das Feedback zu mother! umfasst das volle Spektrum von Meisterwerk bis Katastrophe. Er wollte einen “Punk-Film“ machen, erklärte Aronofsky im Nachhinein. Einen Film, der das Publikum konfrontiere und provoziere. Die Ablehnung, so folgert der Regisseur, ist somit letztlich ein Eingeständnis für den Wahrheitsgehalt der intendierten Filmaussage.

Erzählt wird im simpelsten Sinne von einer jungen Frau (Jennifer Lawrence), die mit ihrem Mann (Javier Bardem), einem Poeten, in einem Landhaus wohnt, das sie soeben renoviert. Bis zuerst ein kränkelnder Orthopäde (Ed Harris), kurz darauf seine egozentrische Gattin (Michelle Pfeiffer), dann deren Söhne (Domhnall Gleeson, Brian Gleeson) und schließlich eine ganze Horde von Verehrern des Poeten inklusive dessen Publizistin (Kristen Wiig) auf der Bildfläche erscheinen und die Nerven der Hausherrin (über-)strapazieren. Im weitesten Sinne verfilmt mother! derweil lose Passagen aus der Bibel, vom 1. Buch Mose hin zu den Evangelien und kulminierend in der Offenbarung des Johannes als sozio-ökologischen Kommentar.

So repräsentiert Jennifer Lawrences im Laufe des Films schwanger werdende Frau die titelgebende Mutter Natur, Bardems an Schreibblockade leidender Poet dagegen steht für Jahwe, ihr gemeinsames Haus, um welches sich die Frau kümmert (“I wanna make a paradise”), für die Erde. Ihr Leben verläuft weitestgehend harmonisch, bis zum Eintreffen der Menschen an ihrer Pforte. Erst ist es Harris’ Double für Adam, das die Aufmerksamkeit des Hausherren auf sich zieht. Mit Eintreffen von Pfeiffers Eva-Vertretung geraten die Dinge noch schneller aus den Fugen. Sie steckt ihre Nase in Angelegenheiten und Orte, die sie nichts angehen. Korrumpierende Aktionen, die verstärkt drohen, das sie aus dem „Paradies“ des Hauses vertrieben werden könnten.

Die Idee, das 1. Buche Mose um Adam und Eva sowie den Brudermord von Kain, hin zum Gericht über Sodom und Gomorra, der Geburt Jesu und seinen Tod und schließlich der Apokalypse in ein zeitgenössisches, fast kammerspielartiges Szenario zu pressen, ist sicher nicht verkehrt. Die Umsetzung dieser Idee in Form von mother! dann allerdings schon. Bereits mit seinen früheren Werken wie The Fountain mag sich Aronofsky den Vorwurf der Prätention verdient haben, doch mother! setzt dem Ganzen die Krone auf. Die verschiedenen ineinander überfließenden Vignetten sind nie wirklich nuanciert oder subtil, vielmehr überaus plump und uninspiriert. Sie passieren und lösen einander ab, kommunizieren aber nicht wirklich etwas.

Da treten Kain (Domhnall Gleeson) und Abel (Brian Gleeson) auf und nach dem Brudermord gleich wieder ab. Nach einem ausufernden Leichenschmaus mit Sintflut-Referenzen (“could you come down, the sink’s not brazed”) macht der Film mit der einsetzenden Schwangerschaft eine kurze Pause, ehe sich das Chaos erneut Bahn bricht. Der Schlussakt ist eine Tour de Force für die Mutter-Figur. Der sich in seiner Eitelkeit verlierende Poet wird von der Zuneigung der Menschen geblendet, ein privates Abendessen mutiert zur wilden Hausparty, die ein Sonderkommando aufzulösen versucht, ehe die Lage eskaliert. Das ist wenig spitzfindig, auch nicht, als später Jesu geboren und buchstäblich verspeist wird („Nehmt, das ist mein Leib“, Mk, 14,22).

mother! ist eine mit dem Holzhammer kommunizierte Allegorie auf die Umweltzerstörung durch die Menschheit. Verächtlich blickt und agiert diese mit der Figur von Lawrence, wird am Ende sogar gewaltsam. Sie unterminiert das Konstrukt des Hauses – erneut buchstäblich. Die Botschaft: Wir zerstören den Planeten und ignorieren die Klagen von Mutter Natur. Gott selbst interveniert nicht, zu sehr ist er in der durch die Anhimmlung der Menschen ausgelösten Eitelkeit verloren. Die Mutter-Figur ist dabei auch eine solche für den Poeten, doppeldeutig zitiert Aronofsky nach hinten raus in einer Szene zwischen Ihr und Ihm daher aus Shel Silversteins The Giving Tree (“I wish that I could give you something but I have nothing left”).

Aufgrund der Bibel-Allegorien ist der Film zugleich ein Kommentar auf das Christentum – hier jedoch kritischer beäugt als in Aronofskys jüngster Bibel-Adaption Noah. Nur fehlt es wie in der Umwelt-Metapher einer genauen Motivation des Gezeigten. Die Affektion für den Poeten wird nicht erklärt, seine Barmherzigkeit ebenso nicht. Von der Reue Jahwes aus dem Alten Testament hinsichtlich der Menschen fehlt viel in mother! – und den Bildern ein gewisses Gewicht. Es reicht nicht, die sinnbildliche Abendsmahlgabe des Leib Christi in der eucharistischen Gestalt der Hostie ins buchstäbliche Grafische umzumünzen, wenn die gezeigte Handlung nicht eingeordnet wird. Positive Menschenbilder (z.B. Mose, Abraham) fehlen zudem gänzlich.

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, die Zerstörung des Planeten anhand von in die Gegenwart übertragene Bibelstellen zu kommentieren. Ein Kommentar sollte jedoch mehr sein, als eine simple Kritik ohne Einordnung. mother! hätte in der Form als Allegorie womöglich besser funktioniert, wenn der Film nicht zugleich seine Botschaft mit einem Sauseschritt durch die einprägsamsten Momente der Bibel verknüpfen wollte. Generell hätte dem Film deutlich mehr Subtilität gut zu Gesicht gestanden, die mother! jedoch gänzlich vermissen lässt. Für Darren Aronofsky ist dies der nächste filmische Rückschritt nach den zuletzt enttäuschenden Noah und Black Swan. Insofern ist mother! letzten Endes doch weniger “punk” und eher “junk”.

4/10

7. Januar 2014

Filmtagebuch: Dezember 2013

5 BROKEN CAMERAS
(PSE/IL/F/NL 2011, Emad Burnat/Guy Davidi)
7/10

ALADDIN
(USA 1989, Ron Clements/John Musker)
8/10

ALAN PARTRIDGE: ALPHA PAPA
(UK/F 2013, Declan Lowney)
8.5/10

LOS AMANTES PASAJEROS [FLIEGENDE LIEBENDE]
(E 2013, Pedro Almodóvar)

7/10

BASKET CASE
(USA 1982, Frank Henenlotter)
2.5/10

BLICK IN DEN ABGRUND
(A/D 2013, Barbara Eder)
4.5/10

THE CENTRAL PARK FIVE
(USA 2012, Ken Burns/Sarah Burns/David McMahon)
7.5/10

THE COMPANY YOU KEEP
(USA 2012, Robert Redford)
5/10

THE COUNSELOR
(USA/UK 2013, Ridley Scott)
7/10

DIRTY WARS
(USA/AFG/EAK/YAR/IRQ/SP 2013, Rick Rowley)
6/10

DRINKING BUDDIES
(USA 2013, Joe Swanberg)
6.5/10

DUPĂ DEALURI [JENSEITS DER HÜGEL]
(RO/F/B 2012, Cristian Mungiu)

3.5/10

ELYSIUM
(USA 2013, Neill Blomkamp)
5.5/10

EXIT MARRAKECH
(D 2013, Caroline Link)
6/10

LA GRANDE BELLEZZA [LA GRANDE BELLEZZA - DIE GROSSE SCHÖNHEIT]
(I/F 2013, Paolo Sorrentino)

8/10

THE GREAT GATSBY (3D)
(USA 2013, Baz Luhrmann)

8/10

GROWN UPS 2 [KINDSKÖPFE 2]
(USA 2013, Dennis Dugan)

6/10

HOME ALONE
(USA 1990, Chris Columbus)
10/10

HOME ALONE 2: LOST IN NEW YORK
(USA 1992, Chris Columbus)
8.5/10

HORS SATAN
(F 2011, Bruno Dumont)
3.5/10

L’INCONNU DU LAC [DER FREMDE AM SEE]
(F 2013, Alain Guiraudie)
6.5/10

INSIDE LLEWYN DAVIS
(USA/F 2013, Ethan Coen/Joel Coen)
6/10

THE KINGS OF SUMMER
(USA 2013, Jordan Vogt-Roberts)
1.5/10

KISEKI [I WISH]
(J 2011, Koreeda Hirokazu)

6/10

LEMALE ET HA’HALAL [AN IHRER STELLE]
(IL 2012, Rama Burshtein)

6/10

LIKE SOMEONE IN LOVE
(F/J 2012, Abbas Kiarostami)
5.5/10

LINCOLN
(USA 2012, Steven Spielberg)
5.5/10

THE LION KING [DER KÖNIG DER LÖWEN]
(USA 1994, Roger Allers/Rob Minkoff)

10/10

THE LITTLE MERMAID [ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU]
(USA 1989, Ron Clements/John Musker)

10/10

THE LONE RANGER
(USA 2013, Gore Verbinski)
8/10

MANQANA, ROMELIC KVELAFERS GAAQROBS
[THE MACHINE WHICH MAKES EVERYTHING DISAPPEAR]
(GE 2013, Tinatin Gurchiani)

6/10

McCULLIN
(UK 2012, David Morris/Jacqui Morris)
7/10

MINASAN, SAYONARA [SEE YOU TOMORROW, EVERYONE]
(J 2013, Nakamura Yoshihiro)

6.5/10

MUD
(USA 2012, Jeff Nichols)
8/10

MUSEUM HOURS
(A/USA 2012, Jem Cohen)
6/10

LA NOCHE DE ENFRENTE [NIGHT ACROSS THE STREET]
(RCH/F 2012, Raúl Ruiz)

4/10

ŌKAMI KODOMO NO AME TO YUKI [AME UND YUKI. DIE WOLFSKINDER]
(J 2012, Hosoda Mamoru)

7/10

O SOM AO REDOR [NEIGHBORING SOUNDS]
(BR 2012, Kleber Mendonça Filho)

6/10

À PERDRE LA RAISON [OUR CHILDREN]
(B/L/F/CH 2012, Joachim Lafosse)

6/10

A PLACE AT THE TABLE
(USA 2012, Kristi Jacobson/Lori Silverbush)
5/10

POZITIA COPILULUI [MUTTER & SOHN]
(RO 2013, Calin Peter Netzer)

5/10

PROMISED LAND
(USA/UAE 2012, Gus Van Sant)
6/10

REWIND THIS!
(USA 2013, Josh Johnson)
5.5/10

LES SALAUDS [LES SALAUDS - DRECKSKERLE]
(F/D 2013, Claire Denis)

6/10

THE SELFISH GIANT
(UK 2013, Clio Barnard)
7.5/10

SPRING BREAKERS
(USA 2012, Harmony Korine)
10/10

STOKER
(USA/UK 2013, Park Chan-wook)
9/10

SONS OF ANARCHY - SEASON 6
(USA 2013, Paris Barclay u.a.)
7/10

SOUTH PARK - SEASON 17
(USA 2013, Trey Parker)
7/10

THE SPECTACULAR NOW
(USA 2013, James Ponsoldt)
7/10

TCHOUPITOULAS
(USA 2012, Bill Ross IV/Turner Ross)
8/10

TO THE WONDER
(USA 2012, Terrence Malick)
6.5/10

THE UNSPEAKABLE ACT
(USA 2012, Dan Sallitt)
5.5/10

UPSTREAM COLOR
(USA 2013, Shane Carruth)
7/10

WHITE HOUSE DOWN
(USA 2013, Roland Emmerich)
5.5/10

LA VIE D’ADÈLE - CHAPITRES 1 & 2 [BLAU IST EINE WARME FARBE]
(F/B/E 2013, Abdellatif Kechiche)

7.5/10

VILLAGE AT THE END OF THE WORLD
(DK/UK/KN 2012, Sarah Gavron/David Katznelson)
6.5/10

THE WAY, WAY BACK [GANZ WEIT HINTEN]
(USA 2013, Nat Faxon/Jim Rash)

5.5/10

WHAT RICHARD DID
(IRL 2012, Lenny Abrahamson)
6.5/10

YI DAI ZONG SHI [THE GRANDMASTER]
(HK/CN 2013, Wong Kar-wei )

6/10

12. Dezember 2008

Vicky Cristina Barcelona

Only unfulfilled love can be romantic.

Er ist eine lebende Kinolegende und sein Name ist Woody Allen. Seit 42 Jahren dreht der gebürtige New Yorker, dessen Filme zumeist in seiner Heimatstadt spielen, nunmehr schon Filme. Dabei ist Allen schon längst zu einer Institution geworden, zeichnete sich der hagere kleine Mann mit Brille doch allein in den letzten 31 Jahren mit Ausnahme von 1991 jedes Jahr für einen Film verantwortlich. Insgesamt finden sich in seiner Vita über drei Dutzend Filme, die unter seiner Regie entstanden sind. Hierbei sprangen für den Autor und Regisseur sagenhafte 21 Oscarnominierungen heraus, 14 davon allein in der Sparte „Bestes Originaldrehbuch“. Wenn in Hollywood also jemand die Kraft des gewitzten Wortes beherrscht, dann mit Sicherheit der 73-jährige New Yorker. Während der siebziger und achtziger Jahre hatte Allen bevorzugt zwei Musen, denen er in seinen Filmen eine Plattform bot: Diane Keaton und Mia Farrow.

Doch mit seinen beiden Ex-Freundinnen dreht der Regisseur schon seit Jahren nicht mehr, stattdessen engagierte er in den Neunzigern eine Vielzahl von namhaften Darstellern, für die es bis heute eine Ehre ist, unter der Regie von Allen aufzutreten. Bis vor vier Jahren, als Allen (s)eine neue Muse fand. Als er 2004 zum ersten Mal außerhalb Amerikas einen Film drehte, entwickelte sich am Set von Match Point eine Freundschaft zwischen ihm und Nebendarstellerin Scarlett Johansson, die anschließend noch in Scoop und nun in Vicky Cristina Barcelona Früchte tragen sollte. Nach seiner Europareise von vier Filmen, die drei Johansson-Werke sowie der Abschluss seiner London-Mord-Trilogie mit Cassandra’s Dream, kehrte Allen dieses Jahr nach New York City zurück, um dort seinen aktuellen Film Whatever Works zu drehen. Zuvor drehte er jedoch noch Vicky Cristina Barcelona, der unter anderem als Liebeserklärung an die andalusische Stadt Oviedo zu verstehen ist, die vor fünf Jahren eine Statue des Regisseurs aufstellte.

Es soll ein unvergesslicher Sommer werden für die beiden amerikanischen Touristinnen Vicky (Rebecca Hall) und Cristina (Scarlett Johansson). Und in der Tat dürfte dieser Sommer beiden wohl für immer in Erinnerung bleiben, eint die beiden Frauen doch gerade ein Aspekt, der sie sonst immer unterscheidet. Vicky besucht eine Freundin (Patricia Clarkson) der Familie, wenige Wochen bevor sie ihren Verlobten Doug heiraten wird. Doug ist ein gut verdienender Geschäftsmann, für den es aktuell speziell darum geht, in welches Haus er mit Vicky nach der Hochzeit ziehen soll. Da Vicky in Barcelona ihre Masterarbeit in katalonischer Kultur abschließen will, verbindet sie die Arbeit mit dem Vergnügen. Ihre beste Freundin Cristina hingegen hat weit weniger Ziele in ihrem Leben als Vicky. Ihr 12-minütiger Debütfilm, bei welchem sie Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat, lief nicht besonders gut.

In Spanien will sie sich nun etwas entspannen. Während es Vicky nach einer festen Bindung sehnt, ist Cristina, wie es Doug beschreibt, „leicht ins Bett zu kriegen“. Als beide nach einer Vernissage zusammen Essen gehen, nehmen ihre beiden Leben neue Wendungen. Der Maler und Boheme Juan Antonio (Javier Bardem) lädt die beiden Amerikanerinnen kurzerhand zu einem Wochenende in seiner Heimatstadt Oviedo ein – inklusive Sex. Während Vicky entrüstet ablehnt, fühlt sich Cristina zu dem Spanier hingezogen. Letztlich nimmt das Geschehen seinen Lauf und beide fliegen gemeinsam mit Juan Antonio nach Oviedo. Dort führt er sie durch die Stadt und erzählt von seiner Scheidung. Seine Ex-Frau Maria Elena (Penélope Cruz) hatte versucht ihn zu töten bzw. andersherum oder sowohl als auch. Als ein Magengeschwür Cristina in die Parade fährt, sind Juan Antonio auf sich alleine gestellt und es kommt, was kommen muss. Doch hier fangen die Probleme erst an, während Juan Antonio sich letztlich mit drei Frauen gleichzeitig auseinandersetzen muss.

Auteur Woody Allen bedient sich in Vicky Cristina Barcelona bisweilen der Dienste eines klassischen allwissenden Erzählers, der speziell die beiden Protagonistinnen zu Beginn der Handlung dem Publikum vorstellt. Obschon der Filmtitel ihre Namen enthält, ist im Grunde jedoch Javier Bardem der eigentliche Star des Filmes. Als sorgloser Künstler, der ganz dem Klischee entspricht, philosophiert er über das Leben, die Schönheit und Sex im Allgemeinen sowie im Speziellen. Man merkt es dem Film in den Szenen des Spaniers an, dass Allen ihm die Rolle auf den Leib geschrieben hat. Ohnehin besticht das gesamte Schauspielensemble, welches voll und ganz in den einzelnen Rollen aufgeht. So wie Allens neue Muse Scarlett Johansson, die sich zwar zu Beginn noch etwas schwer tut, dann jedoch gerade in der Dreiecksbeziehung ihr Können unter Beweis stellt.

Auch Rebecca Hall, die Hin und Her gerissen ist zwischen dem moralische Richtigen und ihren eigentlichen Gefühlen. Komplettiert wird die Besetzung von einer hinreißenden Patricia Clarkson sowie Penélope Cruz, der die Rolle der hysterischen und paranoiden Ex-Frau sichtlich Spaß gemacht hat. Und da Allens Filme zuvorderst Charakter- und Dialogfilme sind, steht und fällt der Film stets entsprechend mit seinen Darstellern. Das Ergebnis in Vicky Cristina Barcelona ist einfach nur glänzend. Das Ensemble glänzt durch die Handlung und die Handlung glänzt wiederum durch das Ensemble. Hier macht sich erneut deutlich, wie sehr es Allen beherrscht natürliche und aus dem Leben gegriffene Charaktere zu erschaffen, die seinen Filmen die nötige Glaubwürdigkeit verleihen, zugleich dabei jedoch nie in eine lästige Seriosität abdriften.

In Vicky Cristina Barcelona tauscht Allen das triste London gegen das sonnige Spanien ein. Und in der Tat besticht der Film durch eine warme Atmosphäre voll von katalanischem Charme. Die Drehorte, die Allen gewählt hat, beeindrucken durch ihre offensichtliche Schönheit. Speziell Oviedo, jene Stadt, die Allen selbst eine Liebeserklärung gemacht hat, wird von dem New Yorker besonders liebevoll ins Licht gerückt. Und es ist jene Szenerie, die Allens Geschichte, die dieser zuvor sicherlich auch schon das eine oder andere Mal in seinen New Yorker Filmen präsentiert hat, ihre romantische Aura verleiht. Wo sonst würde man den narzisstischen Worten Juan Antonios mehr Glauben schenken können, als im sinnlichen Spanien. Hier kann Woody Allen sich auch zugleich austoben in derartig simplen und charmant prätentiösen Dialogen, dass dem Publikum das Herz lacht. Gerade die Beziehung von Juan Antonio und Maria Elena rückt hier ins Zentrum, wenn ersterer Aussagen trifft wie „We are meant for each other and not meant for each other. It's a contradiction“.

Ebenso passend ist sein Beziehungsresümee für den gesamten Film, wenn nur unerfüllte Liebe wahrhaft romantisch ist. Somit knüpft Vicky Cristina Barcelona wieder an die alten Allenschen Liebesphilosophie-Filme an, nachdem sowohl Match Point als auch Cassandra’s Dream Ausflüge ins Thrillerfach bedeuteten und Scoop zu den klassischen Screwballkomödien der Drehbuchlegende zu zählen ist. Die Geschichte um die Fünfachbeziehung aller Beteiligten und deren Wünsche und Träume bezüglich der Liebe und des Lebens wird perfekt in neunzig Minuten verpackt. Ohnehin versteh es Allen wie kaum ein anderer seine Erzählungen im nötigsten Rahmen zu präsentieren und sich nicht in Nebenhandlungen zu verlieren, wie es heutzutage oft der Fall ist. Beeindruckend zu sehen, dass die Kreativität den 73-jährigen nach vier Jahrzehnten Filmgeschäft nicht verlassen hat und er weiterhin seine Publikum dermaßen zu unterhalten weiß, wie es hier der Fall ist.

8.5/10

29. Februar 2008

No Country for Old Men

There’s a lot of bad luck out there. You hang around long enough and you’ll come in for your share of it.
(No Country for Old Men, p. 234)

Was soll man groß zu einem Film schreiben, den die halbe Bloggersphäre bereits rezensiert hat und dessen grober Inhalt bzw. Terror seiner Figur Anton Chigurh auch den meisten schon bekannt sind? Braucht man zu einem solchen Film überhaupt noch eine weitere Kritik? Und wenn ja, wie fängt man diese an? Vielleicht mit einem Satz, wie er paradoxer nicht sein könnte: „Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht“. Was ein Satz, optimal um mit jemanden in ein Gespräch zu geraten, am besten noch zu No Country For Old Men, dem aktuellen Film mit Bardem. Javier Bardem ist nicht hübsch, findet zumindest Stern-Redakteurin Christine Kruttschnitt, wie sich in der aktuellen zehnten Ausgabe des Magazins nachlesen lässt. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, allein sein „Zinken“, wie die gute Frau Kruttschnitt Bardems Riechorgan tituliert. Trotzdem verdammt sie ihn zum „Sexsymbol“, wohl weil er Spanier und daher Latino ist – Latinos müssen Sexsymbole sein, auch wenn sie nicht hübsch sind. Nicht nur Bardem bekommt sein Fett weg in Kruttschnitts Bericht, auch Johnny Depp wird von ihr charakterisiert als Mann der „drollige Irre spielt“. Da hat scheinbar jemand Pirates of the Caribbean gesehen, jemand der bei Daniel Day-Lewis sieht, dass dieser in seinen Rollen seine „Seele“ offen legt, wie man in seinen soziopathischen Figuren in Gangs of New York und There Will Be Blood sehen kann. Bardem ist nicht hübsch – Kruttschnitt wiederholt dies selbst mehrfach in ihrem Artikel, man möge mir meine Redundanz also verzeihen – und die Autorin wird nicht müde zu verraten, wer denn nun eigentlich ihrer Meinung nach hübsch sei. Kruttschnitt blickt ihren eigenen Worten nach sehnsuchtsvoll nach Australien und stößt ein „Russell!“ (Crowe, Anm. d. Red) aus, während ich mich allmählich frage, wie so jemand Redakteurin werden konnte, wie so jemand überhaupt in Printmedien schreiben darf.

Wer noch nichts über den Inhalt des Filmes weiß, dem sei nunmehr folgende Einleitung gegeben: der pensionierte Vietnamkriegsveteran und leidenschaftliche Jäger Llewelyn Moss (Josh Brolin) findet in der texanischen Einöde mehrere leerstehende Pickups und dazugehörige Leichen. Nebst einer Menge mexikanischen Heroins stößt er auch auf einen Handkoffer voller Millionen von Dollar. Sein Schicksal kommen sehend, steckt er das Geld dennoch ein und muss alsbald um sein Leben fürchten und seine Frau Carla Jean (Kelly MacDonald) zu ihrer Mutter nach Odessa schicken. Einer der vielen Männer die hinter Llewelyn her sind ist Anton Chigurh (Javier Bardem – im übrigen nicht sonderlich hübsch, hab ich gelesen), ein psychopathischer Auftragskiller. Auf der Spur von Chigurh befindet sich der zuständige Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der hinter dessen Leichen aufräumen darf, während mit Carson Wells (Woody Harrelson) ein weiterer Auftragskiller angeheuert wird, der Chirgurh ausschalten soll. Während Moss mit nach einem blutigen Aufeinandertreffen mit Chigurh nach Mexiko flieht, versucht Bell bei Carla Jean auf Informationen zu stoßen, die ihm helfen könnten Llewelyn vor seinem unausweichlichen Schicksal zu retten, während Chigurh die Schlinge um alle Beteiligten etwas enger zieht. Immer dabei sein Bolzenschussgerät und seine Münzen, dies alles in einem Land, das wahrlich kein Land mehr ist für alte Männer, ein Land voller Gewalt und Drogen.

Zurück zu Frau Kruttschnitt, die, nachdem sie eine halbe Seite lang über Bardems Aussehen geurteilt hat, schließlich noch in zwei Sätzen ihre Meinung zu No Country for Old Men kundtut, dabei in dem Satz kulminiert, dass „die halsbrecherische Flucht vor einem Hund“ schon alleine „das Eintrittsgeld lohnt“ und dem Film dann doch nur vier von fünf Sternen vergibt. Ob Brolins Flucht vor einem Hund – welche an sich nicht einmal eine solche ist, da er vielmehr vor den Mexikanern mit den Schrottflinten flieht – tatsächlich das Eintrittsgeld wert ist, das sei den Mann-flieht-vor-Hund-Filmfetischisten überlassen. Es finden sich jedoch auch sonst kaum schlechte Worte, über das neueste Werk von Joel Coen und seinem Bruder Ethan Coen, die vergangene Woche mit drei Oscars (bzw. eigentlich sechs) ausgezeichnet wurden. Manch ein Blogger beschreibt den Film, als „das sehnlich erhoffte Meisterwerk“, ein anderer hingegen meint er „ist schlichtweg perfekt“ und „hebt sich (…) bisweilen meilenweit von seinen Kollegen ab“. Förmlich überschlagen sich die Lobpreisungen für die Adaption von Pulitzerpreisträger Cormac McCarthys 2005 erschienenem Western-Thriller des gleichen Namens, auch wenn mancher einer der begeisterten Blogger eine „recht lose Verfilmung“ gesehen haben will. Dabei haben sich die Coens ziemlich exakt an McCarthys Vorlage gehalten, neben ganzen Dialogen auch die Chronologie des Romans übernommen, dabei gut zweieinhalb Seiten pro Minute auf Zelluloid gebannt.

Erstaunlich, dass der in Rhode Island geborene US-Autor sein Werk im typischen texanischen Slang geschrieben hat, dabei ein überaus dialoglastiges und mitunter nichtssagendes Werk erschaffend, welches doch versucht ein Statement abzugeben über ein Land, eine Generation, eine Zeit. Kein Land für alte Männer, geschrieben von einem solchen alten Mann, hierbei einen anderen alten Mann, Sheriff Ed Tom Bell, als Erzähler inthronisierend. Seine Sätze wirken oft ärmlich konstruiert, durch die unglaubliche vielfache Verwendung des Bindegliedes „und“ zusammengehalten. Dabei gelingt es McCarthy eine starke, umklammernde Atmosphäre zu schaffen, Llewelyn auf seiner Flucht und Chirgurh auf seiner Jagd begleitend. Jedes Kapitel wird eingeführt durch die Gedankenspielereien von Sheriff Bell, die sich meist überhaupt nicht mit dem Fall Moss/Chigurh beschäftigen, sondern mit dem Verfall der Sitten und Bells Privatleben. Seine Geschichte lebt vor allem von dem trockenen Humor von Llewelyn Moss (“The point is there aint no point.“, p. 227) und der Kaltblütigkeit von Chigurh, Bell selbst spielt kaum eine bis gar keine Rolle, ist lediglich der alte Mann im falschen Land, die persona rationalis der Geschichte mit der sich der Zuschauer verbunden fühlen kann. In einer Szene, im Film wie im Buch, referiert Bell einen Zeitungsartikel über ein Pärchen, dass Rentner umbrachte und erst überführt werden konnte, als eines der Opfer mit Hundehalsband vom Grundstück floh. Aus reiner Ungläubigkeit muss Bell hier lachen, wie wohl die meisten rationalen Menschen verzweifelt mit dem Kopf schütteln mögen und sich fragen, wo das mit unserer Gesellschaft eigentlich noch hinführen soll.

Sein lediglich 306 Seiten langer Roman – ohnehin mit sehr großzügigem Zeilenabstand und Schriftgröße gedruckt – bricht dann schließlich in seinen letzten vierzig Seiten ein, als McCarthy seine eigentliche Geschichte erzählt hat und nur noch vor sich hin schwadroniert. Man entfernt sich von der Handlung und Bell fokussiert die Geschichte auf sich selbst, ein zusammenhangloses Geheimnis seiner Vergangenheit entlüftend. Ein überdurchschnittlicher Roman wird hier von seinem Autor gegen die Wand gefahren und gerade diese Facette, die der Vorlage das Genick bricht, wird von den Coens glücklicherweise ausgelassen. Bells philosophische Auswüchse werden auf ein Minimum reduziert, seine Vergangenheit und sein Privatleben bleiben im Grunde unangetastet. Der Fehler den die beiden Brüder allerdings begehen, ist die Dialogen der Geschichte zu kürzen. Die Geschichte, die eigentlich von ihren Dialogen lebt (Herzstück ist dabei der Dialog zwischen Llewelyn und einem weiblichen Tramper, deren Figur im Film ganz fehlt), wird hier im Grunde massakriert. Die großartigen Gespräche von Llewelyn mit seiner Frau, Carson Wells und dem weiblichen Tramper, zwischen Ed Tom Bell und seinem Deputy oder zwischen ihm und Carla Jean, all diese wunderbaren Dialoge – die im Endeffekt keinen Inhalt haben und doch durch ihre Inhaltslosigkeit einen solchen versprühen – sind im Film auf ein Mindestmaß, auf ihre Essenz komprimiert. Die Coens begrenzen die Dialoge auf den Inhalt, den sie eigentlich erfüllen und schreiten zur nächsten Szene fort.

Dies führt dazu, dass das, was in der Vorlage das Herz der Geschichte war (auch wenn es mit der Geschichte selbst nichts zu tun hatte, diese jedoch zusammenhielt), dem Film völlig abgeht. Was die Coens erschaffen haben, ist ein technisch perfekt gemachter Film, um wieder auf ein Zitat eines Bloggerkollegen zurückzugreifen, No Country for Old Men ist „wie zwei Stunden in einem Filmwissenschaftsseminar zu sitzen“. Licht, Kamera, die Einstellungen, Ausleuchtung, alles stimmt, man könnte nicht wirklich etwas kritisieren – auch das Fehlen jeglicher Musik bemerkt man nicht wirklich, da sie eigentlich nicht notwendig ist. Was dem Film schließlich fehlt, ist eine Seele und dies liegt nicht an Anton Chigurh oder der Brutalität der Geschichte, sondern daran, dass man die Geschichte des Filmes leblos erzählt, ohne Emotion, ohne Hingabe. Viel wichtiger scheint dem Regisseur-Autoren-Produzenten-Brüderpaar die visuelle Umsetzung gewesen zu sein, die reine Formalität von McCarthys Geschichte adaptierend und ebenjene essenziellen Dialoge auslassend. Da jene wie angesprochen das Herz der Geschichte sind, fehlt dem Film der Coens eben dieses Herz. Er ist kalt, leb- und lieblos, berührt einen nicht und wird einem nach einer gewissen Zeit schnurzegal. Die Figuren erhalten keine Tiefe, so wie man Carson Wells einbaut, braucht man ihn eigentlich auch gar nicht einbauen, seine Charakterisierung, die sich vor allem im finalen Dialog mit Chigurh findet, wird hier von den Coens umgeändert, ähnlich wie es später in der Szene mit Carla Jean der Fall sein wird. Durch das Umschreiben beider Figuren geht auch ein wichtiger Hinweis zum Verständnis von Chigurhs Person verloren.

Vergleicht man No Country for Old Men mit den früheren Filmen der Coens, so fällt einem merkbar auf, dass ihnen bei ihrem letzten Werk die Liebe gefehlt zu haben scheint, zu dem, was sie da erschaffen haben. Dagegen ist gerade Fargo eine Liebeserklärung an seine Figuren und seine Geschichte, wie es auch bei Barton Fink, The Big Lebowski oder selbst dem grausigen Ladykillers-Remake der Fall war. No Country for Old Men ist einfach nur ein Film, nicht mehr und nicht weniger, es gelingt zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Beziehung zu seinen Charakteren aufzubauen. Die Oscarverleihung der letzte Woche reflektierend lässt sich sagen, dass es eigentlich nur einen Oscargewinner als Besten Film geben konnte und das war der Film der Coens. Schließlich wählt die Academy seit Jahren traditionell den überbewertesten Film zum Preisträger, sodass in der Tat nur There Will Be Blood noch ernsthafte Konkurrenz war. Wie es im Jahr zuvor der Fall war, durften die Coens ihren lang verdienten Oscar als beste Regisseure für einen durchschnittlichen Film entgegennehmen und die Ironie setzt sich auch bei der Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch fort, welches wie selbstverständlich nicht an die gelungeneren Atonement oder Le scaphandre et le papillon ging. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, eine Aussage, die wirklich falscher nicht sein könnte. Bardem ist ohne Frage hübsch und er ist ohne Frage ein guter und überzeugender Schauspieler, reflektiert man seine Leistung in No Country for Old Men, ist es ein kleiner Skandal, dass der überzeugendere Casey Affleck für seine Leistung in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford übergangen wurde. Aber was ist man von der Academy schon anderes gewohnt? Und mit den Lieblingsworten von Sheriff Ed Tom Bell aus McCarthys Roman endend: “That’s that to that“.

6.5/10

20. Juni 2007

Goya’s Ghosts

Nobody expects the Spanish Inquisition!

Es heißt ja so schön, der Teufel stecke im Detail. Im Falle der Spanischen Inquisition in Miloš Formans Goya’s Ghosts nehmen die Figuren das allerdings durchaus wörtlich. Häretiker seien Leute, die sagen, Materie bestünde aus Atomen. Darauf weist Bruder Lorenzo (Javier Bardem) seine Agenten hin, als er sie auf die Suche nach Kryptojuden und Mauren schickt. Und wer „Tempel“ statt Kirche sagen würde, wäre ebenso ein Jude – “or even worse, a Protestant“. Augen auf heißt es auch beim Urinieren, sollte sich dort einer das Geschlecht mit der Hand verdecken. Vermutlich ist er beschnitten. Laut Lorenzo gilt in allen Fällen: “Get his name“.

Eingerichtet im Jahr 1478 von Ferdinand II. und Isabella I. hatte die Spanische Inquisition zum Ziel, die Identifikation von Kryptojuden (falsche Konvertiten) und Mauren auf der Iberischen Halbinsel zu erreichen. Sie folgte somit nahezu im Anschluss an die fast 800 Jahre andauernde Reconquista der iberischen Länder von den Mauren, die 1492 vollzogen wurde. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte, die Spanische Inquisition fand ihr Ende erst im 19. Jahrhundert, sorgten die Methoden der Inquisition für Angst und Schrecken. Denn wer im Verdacht stand, konnte bis zu zwei Jahre eingesperrt bleiben, ehe man seinen Fall verhandelte.

Nicht unähnlich also der US-Militärbasis Guantánamo, wo zur Geständnisgewinnung auch gerne Folter angewandt wird. Eine weitere Parallele zur Inquisition, wo mit der toca bereits eine Protoform des Waterboardings stattfand. Auch üblich, und in Goya’s Ghosts integraler Bestandteil, war das strappado, in welchem die Hände hinter dem Rücken gefesselt wurden und der Körper mit einem Seil in die Höhe gehoben wurde. Ziel und Zweck war damals wie heute die Wahrheitsgewinnung – von Folter will dabei keiner reden. “Put to the question“, nennt es Lorenzo euphemistisch. Der verdächtigten Person würden lediglich Fragen gestellt.

Folterszenario der Inquisition, gemalt von Bernard Picard 1716 (oben) und die Methode des strappado umgesetzt in Miloš Formans Goya’s Ghosts (unten).

Eine Frage wird in Goya’s Ghosts auch der jungen Kaufmannstochter Inés (Natalie Portman) gestellt, als sie in einer Taverne dabei beobachtet wird, wie sie Schweinefleisch abgelehnt hat. Fortan als Kryptojüdin gebrandmarkt, landet sie in den Verliesen der Inquisition. Weil sie zuvor als Muse für den spanischen Hofmaler Francisco de Goya (Stellan Skarsgård) tätig war und dieser wiederum auch das Porträt des Inquisitionsbruders Lorenzo malte, bittet Inés’ Vater (José Luis Gómez) Goya um Intervention. Trotz Bestechung behält die Inquisition Inés jedoch in Haft, sodass ihre Familie Lorenzo anschließend selbst „eine Frage stellt“.

Im Grunde ist Formans Film, nach einem Drehbuch von Jean-Claude Carrière, je nach Fokus seiner Figur einem anderen Genre zuordenbar. Obschon im Titel der Name Goyas auftaucht, so ist das Produkt “not even a film about Goya“, wie Forman in den Extras versichert. Der spanische Maler sei eher „ein Beobachter“, wie Carrière findet. “Just an eye“, so der Autor über die Figur, die nicht in die Handlung des Films involviert sein will. Vielmehr sieht sie sich in einer aus der Handlung gelösten Rolle, eben die, des Beobachters. Und damit nicht unähnlich der des Zuschauers selbst, der ebenfalls nur Mitansehen kann, welche Tragödie sich hier entwickelt.

Dennoch ist Goya keine passive Figur, vielmehr eine, die, wie viele „Helden“, erst eine Katharsis durchmachen muss, um zur treibenden Kraft zu werden. Goya’s Ghosts, der im Jahr 1792 beginnt, springt für die zweite Hälfte des Films 15 Jahre in die Zukunft. Scheinbar keine willkürlich gewählten Jahre, bezeichnete das zuerst genannte doch jenes Jahr, in dem Goya sein Gehör zu verlieren begann, und 1807 wiederum den Beginn der Napoleonischen Kriege auf der Iberischen Halbinsel. Verfolgte der Spanier den Krieg noch als „bloßes Auge“, seine berühmten Grafiken „Die Schrecken des Krieges“ halten ihn fest, beginnt er nun zu agieren.

Durch den Einfall der Franzosen findet die Inquisition ein jähes Ende, die Gefangenen in den Verliesen werden freigelassen. Darunter auch die sichtlich mitgenommene Inés, die nach 15 Jahren Gefangenschaft vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Nur noch angetrieben von der Suche nach ihrer im kirchlichen Kerker mit Lorenzo gezeugten Tochter, sieht sich Goya aufgrund seiner Gewissensbisse verpflichtet, ihr zu helfen. Ebenso wie die Schrecken des Krieges zählt auch Inés zu den Geistern des Malers, die dieser nicht abzuschütteln vermag. Immerhin steht das Mädchen doch für all die von der Inquisition verübten Verbrechen dieser spanischen Epoche.

Die „Rückkehr“ von Inés bringt zugleich die Rückkehr von Lorenzo mit sich, der, nachdem er von der Kirche wegen der strappado-Affäre entlassen wurde, nun mit den französischen Revolutionären heimkehrt. Hier schwingt er sich zum Richter über die ehemaligen „Richter“ der Kirche auf, belehrt und propagiert wie eh und je. Und wenn es ausgerechnet Lorenzo ist, der verkündet “there will be no liberty for the enemies of liberty“, dann hat dies schon etwas Zynisches. Nun ist er es, der den Konvertierten gibt, aber der Strafende bleibt. Dabei ist Lorenzo für Carrière jedoch kein Bösewicht, “he really wants the world to get better“.

Und damals wie heute hat er durch Inés seinen Ruf zu verlieren, was sie wiederum zur Leidtragenden macht. Ohnehin sind im Prinzip alle Figuren in Goya’s Ghosts Leidtragende, teils ihres eigenen Verhaltens, teils des der Anderen. Lorenzo scheitert daran, seine eigenen Wünsche nicht mit seiner Umwelt vereinbaren zu können, Goya dagegen, dass er sich zu einem Zeitpunkt distanzierte, wo Nähe weitaus effektiver gewesen wäre, als später. Und hinsichtlich der Tatsache, dass die Spanische Inquisition mit über 300 Jahren keine Einrichtung von gestern war, hätte auch Inés wachsamer sein können, als in der Öffentlichkeit Zweifel zu erregen.

Wo Formans Film im Falle von Goya zumindest subtil auch Biografie ist (und sich damit in eine Reihe zu seinen semibiografischen The Man on the Moon, The People vs. Larry Flynt und Amadeus gesellt) und Inés Geschichte durch und durch zur Tragödie avanciert, beschreibt die Episode um Lorenzo historische Verwicklungen. Von der Spanischen Inquisition bis zur Aufklärung und den Napoleonischen Kriegen. Infolgedessen hat der Film schon beinahe etwas Episodenartiges, was ihn somit bisweilen etwas überladen ausfallen lässt. Gleichzeitig Biografie, Tragödie und Historienfilm zu sein, gereicht Goya’s Ghosts folglich nicht immer zum Vorteil.

Dennoch gelingt es Forman in seiner Summe seine ganzen Themen überzeugend miteinander zu verweben. Ein weiteres, allumfassendes Thema ist dabei die Frage nach der Wahrheit. “Tell me what the truth is“, erbittet Inés während ihrer Folterung um die gewünschte Antwort. In den Mittelpunkt rückt hier stets die subjektive Wahrheit, genauso wenn Goyas akkurates Porträt der Königin (Blanca Portillo) auf Missfallen stößt und er aus diesem Fehler umgehend lernt, wenn er das grausige Violinenspiel von König Karl IV. (Randy Quaid) mit Lob bedeckt. Die Wahrheit, so macht uns der Film klar, liegt immer in der Beurteilung von dem, der sie hören will.

Zugleich verkneift es sich Forman auch nicht, Parallelen zu den USA aufzuzeigen. Die Kryptojuden von damals sind die Guantánamo-Insassen von heute – was wahr und gerecht ist, verschwimmt zwischen Folter und Chauvinismus. Als derart vielsagendes soziokulturelles Werk, abgerundet durch seine opulente Optik an Ausstattung, Kostümen und Maske sowie den überzeugenden (Skarsgård), eindrucksvollen (Bardem) und fast brillanten (Portman) Darstellerleistungen fällt Goya’s Ghosts somit überaus gelungen aus. “I didn’t expect this kind of Spanish Inquisition”, heißt es in einem von Monty Pythons populärsten Sketchen. Aber wer tut das schon?

8/10