16. August 2011

The Tillman Story

I’m Pat-fucking-Tillman.

Kriegshelden finden immer dann nützliche Verwendung, wenn es mit der Moral daheim nicht so gut bestellt ist. Und wer kein Kriegsheld ist, wird eben zu einem gemacht. Wie im Fall von Pat Tillman Jr., dem Poster-Boy der US-Armee, der seine NFL-Karriere fürs Vaterland aufgab und dies mit dem Leben bezahlte. Amir Bar-Lev arbeitete die Hintergründe der Geschehnisse auf – und welche Rolle die US-Regierung bei Tillmans Tod spielte. Einen Menschen wie es Pat Tillman Jr.  war, könnte man nicht backen, selbst wenn man wollte. Ein stählerner Kerl von 1,80 Meter, strammer Oberkörper, tough, risikofreudig. Ein Outdoor-Typ, gutaussehend, sympathisch, freundlich, intelligent und fürsorglich. Pat lernte seine Frau Mary im Alter von vier Jahren kennen, seit der Schule waren sie ein Paar, heirateten mit 25.

Für seine jüngeren Brüder war Pat ein Idol, jemand, zu dem sie aufblicken konnten. Für das Football-Team der Arizona Cardinals ein unverzichtbarer Defensivspieler, der besser dotierte Angebote von Konkurrenten ausschlug. Kurzum: Pat Tillman war eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Das wurde den Amerikanern spätestens bewusst, als der NFL-Spieler nach den Attentaten des 11. September 2001 einen Vertrag über 3,6 Millionen Dollar ablehnte und sich stattdessen mit Bruder Kevin im Juni 2002 zur Armee meldete. Er war „eine Person der Öffentlichkeit, die sich nicht scheute, offen ihre Meinung zu sagen“, verrät uns Schauspieler Josh Brolin, der in The Tillman Story den Erzähler gibt. Aber warum er entschloss, in den Krieg zu ziehen, bleibt ein Geheimnis. Wie auch fast der Umstand seines Todes.

Am 22. April 2004 starb Pat Tillman während eines neuerlichen Einsatzes in Afghanistan. „Zerfetzt in einem Sturm von Hunderten Kugeln“, berichtete Uwe Schmitt ein halbes Jahr später für Die Welt. Seine Rangers-Einheit sei angegriffen worden, hieß es, und Tillman wäre so tapfer gewesen, dass Amerika seinem berühmtesten Soldaten anschließend nicht nur das Purple Heart verlieh, sondern sogar den Silver Star, die dritthöchste Auszeichnung, die ein Soldat erhalten kann. Dass es Tillmans Kameraden waren, die ihn erschossen, kam erst fünf Wochen später heraus. Der Ex-Soldat Stan Goff, mit langjähriger Erfahrung (u.a. in Nicaragua), beschreibt die Stimmung unter den jungen Soldaten der US-Armee als “locker room atmosphere”. 19-Jährige wollen nicht nachdenken, sie wollen ihre Grenzen ausreizen.

Und selbst als die Army Rangers wussten, dass sie es mit ihren eigenen Leuten zu tun hatten, beendeten sie nicht ihr Feuer auf ebendiese. „Ich war aufgeregt“, begründete einer von ihnen, ein anderer gab zu Protokoll: „Ich wollte einfach weiter im Gefecht bleiben.“ Dass ihnen einer ihrer Kameraden zurief, er sei “Pat-fucking-Tillman”, störte sie dabei nicht weiter. Für die Bush-Regierung war ein toter Tillman genauso gut wie ein lebendiger – wenn nicht gar besser. Sein Tod müsste nur richtig instrumentalisiert werden. Für Vaterland und Ehre sei der Football-Star gestorben. Für die Freiheit des amerikanischen Volkes. Tillman wurde in der Folge von der Armee zum Kriegs-, von den Medien und der Nation zum Volksheld deklariert. „Jeder wollte ein Stück von ihm haben“, erinnert sich sein jüngster Bruder Richard.

„Würden die irgendwas über meinen Sohn wissen, hätten sie nicht getan, was sie getan haben“, klagt Tillmans Mutter. Ein Einzelfall war dies jedoch nicht. Bereits ein Jahr vor Tillmans Tod hatte die Armee eine Rettungsmission für Private First Class Jessica Lynch organisiert, die von irakischen Truppen entführt worden war. Die Rettungsmission wurde jedoch so lange hinausgezögert, bis eine Kamera vor Ort war, die das Ganze für die heimische Bevölkerung aufzeichnen konnte. „Es musste zu einer Moralität werden“, urteilt Ex-Soldat Stan Goff. Nur widerstrebend gestand die Regierung die Vertuschung von Tillmans Tod durch den Eigenbeschuss ein, jahrelang versuchte unterdessen Tillmans Familie vergeblich, die wahren Schuldigen in Regierungskreisen zur Verantwortung zu ziehen.

Amir Bar-Lev arbeitet die Geschehnisse um Tillman chronologisch auf und bewahrt so die natürliche Dramaturgie der Geschichte. Immer mehr Details der Vorfälle kommen ans Tageslicht, Archivmaterial wechselt zu Talking Heads der Familie und Kameraden, während das heroische Bild von Tillman immer gewaltiger wird. Er selbst war Agnostiker, aber religiösen Menschen gegenüber aufgeschlossen und plante, 2004 den Demokraten John Kerry zu wählen, nachdem er während eines Einsatzes im Irak den dortigen Krieg als illegal bezeichnet hatte. Wie ein medizinischer Bericht festhielt, wurde Tillman angeblich drei Mal aus nächster Nähe in den Kopf getroffen. Seine Familie berichtet, dass er sich bei seinem nächsten Heimaturlaub mit dem erklärten Kriegsgegner und Philosophen Noam Chomsky treffen wollte.

Zum Glück spart sich The Tillman Story Verschwörungstheorien, die auf einen vorsätzlichen Mord am Poster-Boy schließen, um dessen kritische Stimme zum Schweigen zu bringen. Auch wenn sich Bar-Lev am Ende nicht ganz eines klassischen Verschwörungsdiagramms (bis zum erwarteten Kingpin) verwehren kann. Ansonsten ist The Tillman Story ein packender, spannender, teils schockierender und zugleich bewegender Film über eine starke Familie geworden, die nur die Wahrheit über den Tod ihres Sohnes erfahren wollte und damit schon zu viel von ihrer Regierung verlangte. Zugleich gelang Bar-Lev ein entblößendes Dokument über den verlogenen Charakter dieser Regierung und die gefährliche Natur vieler US-Soldaten, die für sie im Nahen Osten kämpfen. Klar ist: Pat Tillman war ein Kriegsheld. Nur fiel er nicht den Taliban zum Opfer, sondern seiner Regierung.

9/10

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