6. November 2012

Amour

Liebe ist der Wunsch, etwas zu geben, nicht zu erhalten.
-- Bertholt Brecht


Wenn man eines über Michael Hanekes jüngsten Film sagen kann, dann, dass Amour wohl nicht gerade das Feel-Good Movie des Jahrzehnts wird. Vielmehr wird von Haneke etwas thematisiert, dass die meisten Menschen vermutlich geflissentlich ignorieren: was sie im hohen Alter erwartet. Für Haneke selbst ging es darum, wie man mit dem Leiden eines geliebten Menschen umgeht. Bis zu welchem Alter und Gesundheitsgrad ist das Leben noch lebenswert und transzendiert das eigene Leiden auf den jeweiligen Partner? In Amour sehen wir ein altes Ehepaar in seiner letzten Lebensphase, als es von einem Schicksalsschlag getroffen wird.

Eine Verstopfung der Halsschlagader bei Anne (Emmanuelle Riva) verlangt nach einer Operation; als diese jedoch missglückt, ist die ehemalige Musiklehrerin plötzlich halbseitig gelähmt. Fortan geht der zuvor durchaus vitalen Frau ihr Ehemann Georges (Jean-Louis Trintignant) zur Hand, schneidet ihr das Essen und hilft ihr von der Toilette. Als Anne ein Schlaganfall trifft, die Lähmung sich verschlimmert und eine Pflegerin eingestellt werden muss, verschlechtert sich mit Annes gesundheitlichem Zustand ihre einst so harmonische Ehe mit Georges. Auch die gemeinsame Tochter Eva (Isabelle Huppert) leidet unter der Situation ihrer Mutter.

In guten wie in schlechten Zeiten – so heißt es im Eheversprechen. Natürlich hoffen die meisten Paare auf weitaus mehr gute wie schlechte Zeiten. Das Alter bringt es jedoch oft mit sich, dass sich der Zustand des einen Partners vor dem des anderen verschlechtert. Plötzlich wird man von dem oder der einstigen Geliebten zu einem oder einer Abhängigen. Ein Effekt, der sich nicht zuletzt auch auf den notbedürftigen Partner niederschlägt, in diesem Fall Anne. Mit der halbseitigen Lähmung geht sie zuerst noch sehr positiv um, doch mit der Zeit beginnt sie an ihrem Leiden und ihrer fortschreitenden Hilflosigkeit und Abhängigkeit zu verzweifeln.

Wie Emmanuelle Riva diesen psychischen und physischen Verfall spielt, ist im Folgenden durchaus beeindruckend. Was mit einer angewinkelten rechten Hand beginnt, setzt sich fort zum verzogenen Mundwinkel und herausgepressten Wortfetzen. Die 85-Jährige spielt dies alles mit einer Würde und einem Selbstverständnis, der es – im Verbund mit ihrer relativen Unbekanntheit – umso einfacher macht, sich auf die Figur ihrer gebeutelten Musiklehrerin einzulassen. Auch Jean-Louis Trintignant überzeugt als liebevoller Ehemann, der klar zu erkennen gibt, dass bei ihm die Hoffnung zuletzt stirbt. Vermutlich sogar nach seiner geliebten Anne.

Wenn Jury-Vorsitz Nanni Moretti erklärt, durch Amours Gewinn der Palme d’Or konnten seine Schauspieler nicht ausgezeichnet werden, spricht das für sich. Verdient hätten es Riva und Trintignant beziehungsweise das Ensemble des Films allemal. Angesichts seiner ziemlich bedrückenden Thematik, zurückgenommenen Erzählweise und Laufzeit von zwei Stunden funktioniert Amour überraschend gut. Wie eingangs erwähnt zwar keineswegs ein Feel-Good Movie bedeutet dies jedoch nicht, dass der Film ein „Downer“ sei. Vielmehr geht einem jene dargestellte Liebe von Georges zu Anne und diese beiden sympathischen Figuren zu Herzen.

Vorwerfen ließe sich, dass Haneke den Film straffer hätte erzählen können, da zumindest eine der Sequenzen verzichtenswert ist. Auch ein weniger harter Einstieg und ein Schluss, der eine Szene früher einsetzt, hätten Amour vermutlich besser zu Gesicht gestanden. Aber unabhängig davon ist dem österreichischen Regisseur nach dem etwas verkopften Das weiße Band nun wieder eine klare Steigerung gelungen und letztlich formal wie emotional einer der gelungensten Filme des Jahres. Zwar ist Amour kein Film, den man sich immer wieder und wieder ansehen wird, aber wie sagte es bereits Gustave Flaubert: „Man liebt nur, woran man leidet“.

8.5/10

Szenenbilder Amour © Warner Bros./XVerleih

4 Kommentare:

  1. Eine schön geschriebene Kritik, die den Film - so vermute ich - recht gut beschreibt. Ich werde ihn mir jedoch sparen, auch wenn ich glaube dass er exzellent gespielt und behutsam inszeniert ist. Zu sehr hat mich der Inhalt an meine Großeltern und Eltern denken lassen. Da bleibe ich - zumindest was das Thema Liebe angeht - beim Unterhaltungskino.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Super. Ich moechte gerne dieser Film sehen aber schade es gibt nur beim kleine Film Festival in Jakarta.

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