7. Dezember 2025

Nouvelle Vague

Qu’est-ce que c’est degueulasse?
 

Mit Konventionen brechen und Experimente wagen, kreativ unterwegs sein – so in etwa waren in den 1950er Jahren die Filmemacher der Nouvelle Vague unterwegs. Getreu dem Motto: Raus mit dem Alten und Rein mit dem Neuen. Eine Armada junger Cineasten schickte sich an, dem Kino neues Leben einzuhauchen, von François Truffaut über Claude Chabrol und Agnès Varda hin zu Éric Rohmer oder Jacques Rivette. Sie alle – und noch einige mehr – tauchen auf in Richard Linklaters Hommage an jene französische Kunstbewegung in Nouvelle Vague, einem von zwei Filmen, die der Regisseur dieses Jahr herausbringt. Dabei widmet sich Linklater weniger der Nouvelle Vague, als einem ihrer bekanntesten Mitglieder.

Während Truffaut, Chabrol und Rivette bereits für ihre Debütfilme gelobt und verehrt werden, hinkt Jean-Luc Godard (Guillaume Marbeck) seinen Kritikerkollegen des Cahiers du cinéma als einziger noch hinterher. Groß ist auch sein Wunsch, sich selbst als Filmschaffender zu verwirklichen. Ebenso groß die Sorge, den Absprung zu verpassen. Doch Godard hat Glück, Produzent Georges de Beauregard (Bruno Dreyfürst) hat ein Einsehen und ist willens, für wenig Geld Godard ein Skript drehen zu lassen, dass dieser mit Kumpel Truffaut geschrieben hat. Es ist Godards große Chance, auch wenn sein von lässiger Lethargie gezeichnetes Handeln in den folgenden Wochen alles andere als diesen Eindruck zu vermitteln scheint. 

“Anybody can make movies”, gibt Roberto Rossellini (Laurent Mothe) in einer Szene dem jungen Godard mit auf den Weg. Nicht der einzige Ratschlag eines Weggefährten, den dieser erhalten wird. “Feel free to ignore what I’ve said. That’s what advice is for”, zeigt sich kurz darauf Jean-Pierre Melville (Tom Novembre) gnädig – und vorausschauend, wenn man sich anschaut, wie Godard mit den Tipps der anderen umgeht. Er wählt seine eigene Herangehensweise an seinen Debütfilm À bout de souffle, operiert ohne Skript, verzichtet auf Make-up und weitestgehend auf Kostüme, genauso wie er seinen Script Supervisor in die Schranken weist, wenn sie ihn auf Kontinuitätsfehler innerhalb derselben Szene hinweist.

“Reality is not continuity”, konstatiert Jean-Luc Godard. Man fühlt sich nicht nur hier an Johnny Depps Interpretation von Ed Wood Jr. aus Tim Burtons Meisterwerk Ed Wood erinnert, der dort mit selbstüberzeugter Inbrunst erklärt: “Filmmaking is not about the tiny details. It's about the big picture.” Und in der Tat ist Richard Linklaters Film zwar in seinem Titel der Nouvelle Vague verschrieben, im Kern jedoch ist er ein Bruder im Geiste von Burtons Opus magnum als Porträt eines kreativen Querdenkers, dessen Methoden in seinem Umfeld aneckten, während der Künstler selbst die Erfüllung seines Traums maximal libertär anging. Sei es, wenn Godard ohne Dreherlaubnis filmt oder die erste Aufnahme stets direkt als die perfekte akzeptiert.

Der Großteil seiner Crew schert sich gleichwohl wenig um die Eigenheiten des Regisseurs, am wenigsten Jean-Paul Belmondo (Aubry Dullin), charmanter Star des Films und das humanitäre Herz der Produktion (sowohl jener des Films-im-Film als auch der Produktion dahinter). Auch Kameramann Raoul (Matthieu Penchinat) spielt die Mätzchen des cineastischen Enfant terribles mit, Produzent de Beauregard zeigt sich weniger kulant, wenn Godard mitunter Drehtage beendet, ehe überhaupt etwas gefilmt wurde, oder sich krankmeldet, um sich inspirieren zu lassen. Ähnlich hadert auch der US-amerikanische Co-Star Jean Seberg (Zoey Deutch) mit den Anweisungen ihres Regisseurs und dem fehlenden Skript.

“Following rules won’t get me where I want to go”, erklärt sich Godard in einer Szene – und man fühlt sich etwas an jenen Ausspruch erinnert, der General Douglas MacArthur zugeschrieben wird: “You are remembered for the rules you break.” Dem Mantra der Nouvelle Vague folgend zieht es Godard zum “instantaneous and unexpected”, weg vom Artifiziellen und hin zum Authentischen: Das Aus-der-Reihe-Tanzen wird zum ultimativen Merkmal, der Bruch mit den klassischen Konventionen ins Extreme verkehrt, stellenweise über das hinaus, was selbst die Nouvelle-Vague-Mitstreiter gewillt sind, cineastisch mitzumachen. Was bisweilen dann sogar einem François Truffaut (Adrien Rouyard) zu weit zu gehen scheint.

Nouvelle Vague droht sich dabei eingangs fast ein wenig zu sehr in Linklaters Bewunderung für die Cahiers-du-cinéma-Szene zu verlieren, wenn wir in einem Who’s Who die Größen der damaligen Zeit durchgehen, von den eingangs genannten stoßen noch andere hinzu, sei es Robert Bresson, Jean Cocteau oder Suzanne Schiffman (Jodie Ruth-Forest). Nach dem ersten Akt widmet sich Linklater glücklicherweise dann vollends dem Making-of-Prozess von À bout de souffle und den sich daraus ergebenden humoristischen Episoden – darunter Sebergs private Make-up-Assistentin, die aufgrund der Drehweise nicht gebraucht und obsolet wird –, was zugleich in gewisser Weise Truffauts eigene Film-Hommage  La Nuit américaine beschwört.

Das Ensemble aus weitestgehend unverbrauchten frischen Gesichtern überzeugt durch die Bank, mit Zoey Deutch ist es in gewisser Weise noch der berühmteste Name, der die größten Probleme hat, sich zurechtzufinden. Nouvelle Vague gehört zu den gelungeneren Filmen in Richard Linklaters Œuvre, erfüllt von einer glaubwürdigen Faszination für den Charakter der Nouvelle Vague. “This is the one. This is the one I’ll be remembered for”, sagt sich Ed Wood am Ende von Tim Burtons Film bei der Premiere von Plan 9 From Outer Space. Zwar erleben wir die Premiere von À bout de souffle nicht, aber die finale Texttafel unterstreicht dessen Status – als jenes das Kino prägende Werk, für das man sich an Godard erinnern wird.

6.5/10

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