20. Dezember 2019

Dragged Across Concrete

It’s bad like lasagna in a can.

Viel Brimborium wurde zum Filmstart von Todd Phillips’ Joker gemacht. Der Film sei reaktionär, gefährlich, passe nicht in die heutige PC-Kultur, die von Wokeness dominiert wird. Manchen fehlte eine moralische Einordnung für die Darstellung eines sozial Abgehängten, der vom Opfer zum Täter und dabei vom Publikum gefeiert wird. Ähnliche Stimmen schoben auch S. Craig Zahlers Action-Thriller Dragged Across Concrete in eine rassistische, rechte Ecke, weil er reaktionäre Figuren präsentiert, deren Handlungen keinem ethischen Urteil unterworfen werden. Dass ausgerechnet Mel Gibson die Hauptrolle spielt, mag seinen Teil dazu beitragen, ist aber in Anbetracht der Filmografie des Darstellers und seiner privaten Ausfälle fast brillant.

“Being branded a racist in today’s public forum is like being accused of being a communist in the 50s”, fasst es Don Johnsons Polizei-Chef in einer Szene gegenüber Mel Gibsons Figur zusammen. Dessen Ermittler Brett Ridgeman und sein Partner Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) sehen sich mit einem Handyvideo konfrontiert, das sie bei der Ausübung von Polizeigewalt gegenüber einem lateinamerikanischen Verdächtigen zeigt. Die Folge ist eine sechswöchige unbezahlte Suspendierung der beiden Beamten – womit sie noch glimpflich davongekommen zu sein scheinen. “Your productivity is exemplary”, räumt ihr Vorgesetzter Calvert (Don Johnson) ein. Am Ende ist es ihre effiziente Ermittlungsrate, die den Beiden letztlich ihren Job rettet.

Doch die Frustration sitzt tief. Einst war Calvert der Partner von Ridgeman, ehe er begann, die Karriereleiter zu erklimmen. Ridgeman selbst ist nun 59 Jahre alt, immer noch mit demselben Rang ausgestattet wie damals mit 27. “I don’t politic and I don’t change with the times”, erklärt er später einmal. Ändern tun sich allenfalls seine Partner, so wie der rund 20 Jahre jüngere Lurasetti. Die Besetzung der Figuren mit Gibson und Vaughn ist in gewisser Weise ein Meta-Kommentar für sich. Wo Vaughn die Swingers-Welle bis zu einer Nebenrolle in Steven Spielbergs The Lost World ritt, ehe er nach einigen Komödien Ende der 2000er allmählich wieder in der Versenkung zu verschwinden begann, ähneln sich Gibson und Ridgeman erstaunlich stark.

Einst ein gefeierter Hollywood-Star und Oscar-Gewinner, kosteten Gibson seine rassistischen Ausfälle und etwaige Momente häuslicher Gewalt seinen Ruf und im Grunde seine Karriere. Ähnlich wie Ridgeman scheint Gibson in der alten Zeit verankert – ein gefallener Held des Gestern, für den auf dem Schlachtfeld des Heute kein Platz mehr scheint. Dragged Across Concrete lässt dabei nicht unerwähnt, dass es nicht nur die Zeiten sind, die sich geändert und so Ridgemans Ermittlungsmethoden abgehängt haben. Calvert spricht durchaus an, dass die Wut, die sein Ex-Partner in seine Arbeit packt, inzwischen auszuarten droht. Ridgemans Gebaren resultiert wiederum aus dem Privatumfeld der Figur, die mit ihrem sozialen Status verstärkt hadert.

Die Ehefrau (Laurie Holden) kann aufgrund ihrer MS-Erkrankung nicht mehr erwerbstätig sein, das Gehalt von Ridgeman – entsprechend seinem stagnierenden Rang – reicht nur für eine Wohnung in einem sozial schwächer gestellten und von Afroamerikanern bewohnten Stadtteil. Die gemeinsame Tochter wiederum wird auf dem Heimweg wiederholt angegangen, sodass selbst die nach eigener Aussage liberale Mutter allmählich zur Rassistin mutiert. “We need the hours”, sagt Ridgeman in Anbetracht der unbezahlten Suspendierung. Und meint damit zuvorderst seine Familie, aber auch Lurasetti, der selbst für einen Verlobungsring spart. Ohne Moos nix los – weshalb Ridgeman einen alternativen Plan abseits der Legalität nachverfolgt.

Es sind also die Umstände, welche die beiden Polizeicharaktere in die Korruption „zwingen“. Nicht unähnlich wie im Falle der dritten Hauptfigur, dem frisch aus dem Gefängnis entlassenen Henry (Tory Kittles). Auch ihn eint so manches mit seinem Gegenpart und Gesetzeshüter Ridgeman. Wo der zuhause seine kranke Frau umsorgt, strebt Henry nach einem besseren Leben für seinen querschnittsgelähmten Bruder. Um ihrem Sozialwohnbau zu entkommen, folgt Henry wieder mal seinem Jugendfreund Biscuit (Michael Jai White) in die Illegalität. Sie verdingen sich dazu als Helfershelfer und Fluchtwagenfahrer für einen Euro-Gangster (Thomas Kretschmann), dessen geplanten Goldraub in einer Bank wiederum Ridgeman sabotieren will.

Wie Zahler im Verlauf seines gemächlich eskalierenden Thrillers dann veranschaulicht, sind weder Henry und Biscuit noch Ridgeman und Lurasetti wirklich für das Szenario geeignet, in das sie sich nunmehr begeben. Das lose Versprechen gegenüber Henry und Biscuit, bei ihrem Raub niemand zu Schaden kommen zu lassen, brechen Kretschmanns Figur und seine beiden rassistischen Komplizen alsbald. Blut, von dem sich zugleich auch Ridgeman und Lurasetti in der Folge nicht reinwaschen können. Was zumindest Ridgeman damit erklären mag, dass ihr Dienst an der Bevölkerung mit ihrem Gehalt zusammen für anderthalb Monate suspendiert wurde – und sie nun als Zivilisten sich selbst am nächsten sind: Protect and serve yourself.

Dabei nimmt Dragged Across Concrete keine besondere Haltung ein, weder zu seinen Figuren noch ihren Handlungen. Dies bleibt im Grunde dem Zuschauer überlassen, der aufgrund des Fokus auf diese Charaktere, allen voran Ridgeman und Lurasetti, eine Ambivalenz entwickeln mag, da er sie nicht unbedingt scheitern sehen will, ihr Erfolg jedoch nicht moralinsauer daherkommt. Natürlich ist das alles durchaus reaktionär, darin liegt aber auch der Sinn und Zweck. In seiner fehlenden Anpassungsfähigkeit liegt das Scheitern Ridgemans begründet. Er blieb sich treu statt das Spiel zu spielen (“politics as always”) und findet sich nun, 30 Jahre später, auf der Ersatzbank des Lebens wieder. Anders gesagt, er ist “too old for this shit”.

Der Status von Ridgeman, aber auch Lurasetti (dessen Motivation, stets Ridgemans Pfaden zu folgen, nicht vollends klar wird) ist insofern selbst gewählt (oder verschuldet), Henrys wiederum eher von der Gesellschaft auferlegt. Zahler bedient vielerlei Klischees, was man als Zugeständnis an das Genre lesen kann oder eben als Eingeständnis von Zahlers Ansichten. Dragged Across Concrete ist folglich ein reaktionärer Film auch dahingehend, dass er wie Ridgeman selbst verankert in einer anderen Generation scheint. Quasi ein Film aus den 1980ern, den so heute in der Gegenwart keiner mehr drehen würde, da das gesellschaftlich-politische Bewusstsein ihm und seiner Rezeption in die Quere kommen würde. Wie es teilweise auch der Fall war.

Eine Kritik, wie sie auch Todd Phillips während seiner PR-Tour zu Joker anbrachte, die kurz im Verlauf des ersten Akts hier anklingt. “The entertainment industry, formerly known as the news, needs villains”, sagt Calvert da. Klick-Zahlen, Website-Aufrufe, Skandale – für die Medien ist die Polizeigewalt von Ridgeman und Lurasetti ein gefundenes Fressen. Der Täter, in diesem Fall ein Drogendealer, avanciert zum Opfer. Ob der Zweck die Mittel heiligt ist eine Frage, die Dragged Across Concrete nicht stellt. Unterschwellig kann das Vorgehen von Ridgeman – respektive jedes 0815-Hollywood-Ermittlers – als Kritik an der fortschreitenden Bürokratisierung verstanden werden, die eine Strafverfolgung nicht immer gerecht macht.

Dragged Across Concrete ist auf seine Weise eine durchaus zynische Version eines Buddy-Cop-Films, mit dessen Figuren das Publikum mitfiebern kann, ohne deswegen ihre Taten gutheißen zu müssen. Der Film lebt dabei von der Chemie zwischen Gibson und Vaughn und weiß auch seine ausufernde Laufzeit von über zweieinhalb Stunden zu nutzen. So wäre der Hintergrund für Jennifer Carpenters frischgebackene Mutter mit Trennungsängsten gegenüber ihrem Sohn, die nach Ende ihrer Elternzeit wieder ihren Bankmanager-Job antreten muss, sicher nicht zwingend nötig, intensiviert dadurch aber jene Anspannung, die Zahler erzeugt, wenn Kretschmann und Co. schließlich später mit der Figur zusammen in der Bank eingesperrt sind.

Zahler inszeniert all dies gekonnt und trotz der fast schon epischen Laufzeit von über zweieinhalb Stunden keinesfalls ausschweifend. Die Spannung wird hochgehalten, obschon wir das Ende der Geschichte und Charaktere erahnen. Gibson schultert den Überdruss seiner Figur dabei gekonnt, wie auch das übrige Ensemble – das Zahler mit Vaughn, Carpenter, Johnson sowie Udo Kier quasi aus Brawl in Cell Block 99 herübergerettet hat – zu überzeugen weiß. Dragged Across Concrete ist ein Film einer anderen Ära, den man mehr mag, als man heutzutage vielleicht sollte. “The loser now will be later to win”, sang Bob Dylan in “The Times They Are A-Changin’” – ein Versprechen, das für die meisten von Zahlers Figuren aber verhallen wird.

7.5/10

6. Dezember 2019

The Last Black Man in San Francisco

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In deutschen Großstädten steigen die Immobilienpreise kontinuierlich, auch in Vororten kostet der Quadratmeter immer mehr. Gegenüber den USA, speziell San Francisco, können unsere Mietpreise wohl noch als „finanzierbar“ erachtet werden. Für eine 1-Zimmer-Wohnung in San Francisco werden monatlich im Schnitt $3,700 aufgerufen – mehr als viele Deutsche überhaupt verdienen dürften. Mit ursächlich dafür sind Tech-Firmen wie Craigslist, Twitter, Uber oder Yelp, die sich wie Mozilla, Google und Facebook in San Francisco und der Metropolregion niedergelassen haben. Der überteuerte Wohnungsmarkt und die einhergehende Gentrifikation gehen dabei auch an den ursprünglichen Einwohnern der Metropole nicht spurlos vorbei.

Im weitesten Sinne, wenn auch überaus geschickt und subtil, erzählen Regisseur Joe Talbot und sein Hauptdarsteller Jimmy Fails in The Last Black Man in San Francisco von der etwas angespannten Lage an der Pazifikküste Kaliforniens. In dem semi-autobiografischen Werk spielt Jimmy Fails eine Version seiner selbst. Als Altenpfleger Jimmy lebt er auf dem Fußboden des Schlafzimmers seines besten Freundes Montgomery (Jonathan Majors). Alle paar Wochen besuchen sie aus ihrem Vorort San Franciscos die Stadt – genauer gesagt das alte viktorianische Haus, das Jimmys Großvater einst nach dem Zweiten Weltkrieg mit eigenen Händen baute, ehe es die Familie vor vielen Jahren verlor. Dort sieht er nun ab und an nach dem Rechten.

Jimmy streicht die Fensterrahmen, jätet das Unkraut – obschon es die ältere weiße Besitzerin (Maximilienne Ewalt) nicht zu schätzen weiß. Die Umstände wollen es dann, dass auch die jetzigen Besitzer vorerst das Haus räumen müssen, was Jimmy wiederum als Chance erachtet, zumindest kurzfristig wieder zu reklamieren, was einst seiner Familie gehörte. “There’s no place like home”, sagt er Montgomery, der seinem Freund bereitwillig hilft, das Haus mit alten Möbeln einzurichten. Jimmy ist dabei keineswegs ein Besetzer, sondern bestrebt, den Besitz des Hauses zu legalisieren. Was allerdings durch den zuständigen Yuppie-Makler Clayton (Finn Wittrock) und den überteuerten Immobilienmarkt in der Bay Area erschwert wird.

“You never really own shit”, offenbart Jimmy da Bobby (Mike Epps), ein Freund der Familie, der im alten Wagen von Jimmys Vater lebt. Als Jimmy seine Tante (Tichina Arnold) in einem Vorort besucht, um Möbel und Einrichtungsgegenstände für seinen ersten eigenen Wohnraum abzuholen, reagiert die sichtlich überrascht, dass er sich diesen in San Francisco leisten kann. Kein Wunder bei den eingangs erwähnten Mietpreisen, die sogar über denen von New York City und Los Angeles liegen. Für Einheimische scheint das Leben in ihrer Stadt kaum mehr finanzierbar, zwischen 2017 und 2019 stieg die Obdachlosigkeit in San Francisco um 17 Prozent auf über 8.000 Betroffene. Unzumutbare Zustände, die ihre Folgen mit sich bringen.

Darunter auch Gewalt, die The Last Black Man in San Francisco allenfalls peripher andeutet. Gegenüber dem Haus von Montgomery und seinem Großvater (Danny Glover) hängt jeden Tag die Gruppe von Nitty (Antoine Redus) ab. Einander beleidigend mit der Intention der Charakterstärkung für Konflikte mit anderen Gruppen. Einer von ihnen, Jimmys Jugendfreund Kofi (Jamal Trulove), tut sich sichtlich schwer mit den Beschimpfungen. Nittys Clique gibt ihm jedoch ein Gefühl der Zugehörigkeit, nach der sich letztlich alle Figuren in Talbots Film auf die eine oder andere Weise sehnen. Sei es die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zu einem alten Haus und damit einer Form der Identität oder wie bei Montgomery zu einer künstlerischen Bestimmung.

Während Montgomery an seinem ersten Theaterstück arbeitet, lässt er sich von den Menschen seines Viertels, ihrem Sprachduktus und ihrem Ärger inspirieren. Sei es die verbale Stichelei innerhalb Nittys Clique oder ein Straßenprediger (Willie Hen), der täglich von früh bis spät die Verschmutzung des lokalen Gewässers anprangert. “Don’t quite have a plot yet”, gesteht Montgomery hinsichtlich seines Stücks, saugt aber seine realen Erfahrungen für eine fiktionale Reflektion, wie sie im Grunde auch The Last Black Man in San Francisco darstellt, unentwegt auf. “Writing is rewriting”, informiert Montgomery eingangs Jimmy – und spricht damit auf gewisse Weise nicht nur über sein Stück, sondern auch das Problem der Stadt.

Sie muss sich natürlich weiterentwickeln, die Öffnung für die Tech-Firmen war ein Bestandteil dessen. Gentrifikation mag dabei per se nichts Schlechtes sein, insofern sie jenes Gefühl der Zugehörigkeit begleitet, dass die Einheimischen besitzen. So beobachtet Jimmy in einer Szene eine Segway-Tour von Touristen durch die Straßen seiner alten Nachbarschaft, in einer anderen Szene grölen Touristen (oder Zugezogene) von einem vorbeifahrenden Cable Car. Für viele ursprüngliche Einwohner San Franciscos mag dies nicht mehr ihre Stadt sein, sei es das Verhalten der Zugezogenen oder die Mietpreise, die sie an die Peripherie oder in die Obdachlosigkeit drängen. “You never really own shit” – verkommt zur bitteren Wahrheit.

“You don’t get to hate it unless you love it”, schilt Jimmy gegen Ende zwei junge Zugezogene, als sie sich über San Francisco beschweren. Das angespannte Verhältnis von Gewesenem und Gegenwärtigem markiert den Kern von The Last Black Man in San Francisco. So scheint die Freundschaft zwischen Kofi und Jimmy angesichts der Umstände ebenso wenig zu retten wie der Besitzanspruch von Jimmys altem Haus oder sein Besitzanspruch für dieses generell. Bobby oder auch Jimmys Vater (Rob Morgan), der selbst inzwischen in einem Einzelzimmer-Wohnhaus sein Dasein fristet, haben sich von dieser illusorischen Romantik bereits gelöst, die Montgomery in seiner späteren Theateraufführung wiederum bei den Besuchern beschwört.

Montgomerys – durchaus beeindruckend dargebotene– Performance betont, dass Rückbesinnung nicht nur der Nostalgie halber, sondern auch der Fortentwicklung dient. “People aren’t one thing”, sagt Jimmy an einem Punkt. Genauso gut könnte man sagen: Houses aren’t one thing. Joe Talbot versieht The Last Black Man in San Francisco mit einer gewissen Melancholie, nicht zuletzt dank der überaus passenden Musik von Emile Mosserie. Der Film strahlt aufgrund seiner beiden positiven Hauptfiguren aber auch stets ausreichend Hoffnung aus. Am Ende folgt für Jimmy dann vielleicht die Realisation, dass es weniger darum geht, dass es nirgends so schön ist wie Zuhause, sondern dass sich ein schönes Zuhause auch im Nirgendwo findet.

8/10