In der Regel führen schwarze Listen Personen, die in irgendeiner Form benachteiligt werden sollen. Berühmt wurde die Hollywood Blacklist, die Filmschaffenden Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund „unamerikanischer Umtriebe“ die Arbeit verbot. Alles andere als eine Negativliste ist dagegen die Black List in Hollywood, die seit 2004 jährlich jene Drehbücher auflistet, die vielversprechend, aber noch unproduziert sind. Vor vier Jahren landete Aaron Sorkins Skript für The Social Network auf der Black List, 2010 war unter anderem Argo, dieses Jahr Oscarpreisträger, darunter. Noch vor ihm war dabei Stoker gelandet, das Drehbuch-Debüt von Schauspieler Wentworth Miller, das im vergangenen Jahr verfilmt wurde.
Hierbei fungierte es zugleich als englischsprachiges Regiedebüt von Park Chan-wook und erzählt die Geschichte der adoleszenten India (Mia Wasikowska), deren Vater an ihrem 18. Geburtstag durch einen Unfall stirbt. Zu seiner Beerdigung erscheint auch sein jüngerer Bruder Charlie (Matthew Goode), von dessen Existenz India bisher nichts wusste. Er quartiert sich bei ihr und ihrer Mutter Evelyn (Nicole Kidman) ein, auf beide Frauen einen besonderen Reiz ausübend. Während speziell ihre Mutter immer mehr Onkel Charlie verfällt, ist dieser India weitaus suspekter. Als sie ihrer Gefühlsgemengelage schließlich nachgibt, stößt sie nicht nur auf ein dunkles Geheimnis über ihren Onkel, sondern auch über sich selbst.
Miller greift für sein Debüt, daraus hat er keinerlei Hehl gemacht, auf Alfred Hitchcocks Plot aus Shadow of a Doubt zurück. Ein Onkel Charlie erscheint auf der Matte und stellt sich als Serienmörder heraus, über dessen Geheimnis seine Nichte informiert ist. Dennoch ist Stoker nicht einfach nur nachgeäfft, sondern bewegt sich spätestens im zweiten Akt in eine andere, eigenständige Richtung. Alle drei Figuren des Films sind mehr oder weniger in sich zurückgezogen. Die Körperkontakt ablehnende India ist dabei so verquer und schrullig wie jene Rollen, die Winona Ryder in den achtziger Jahren zu spielen pflegte. Eine Beziehung zu ihrer Mutter ist im Grunde nicht existent, ihre einzige Bezugsperson war ihr Vater.
In welche Richtung sich der Film ab dem zweiten Akt bewegt, ist ebenso wenig überraschend wie sein weiterer Verlauf vorhersehbar. Durch das Erscheinen von Charlie erhält das Leben von India eine Richtung, die sie vielleicht zuvor erahnt haben könnte, ohne sie jedoch genau zu wissen. Stoker ist somit weniger Krimi und auch nicht wirklich Horror, sondern letztlich Coming of Age-Film der als soziale Außenseiterin gebrandmarkten Hauptfigur. “I’m not formed by things that are of myself alone”, verrät uns India per Voice-Over zu Beginn in einer Eröffnungsszene, die zum Schluss eine perfekte narrative Klammer erhält. Ohnehin, und das zeichnet Parks US-Debüt aus, ist Stoker ein einziger audiovisueller Hochgenuss.
Das soll Millers Leistung keineswegs schmälern, dessen Geschichte über die gesamte Laufzeit hinweg dank ihrer spannenden Figuren interessiert, doch was man am Ende von Stoker mitnimmt, ist mehr die Verpackung des Geschenks als dieses selbst. Parks Mise-en-scène und Bildkomposition ist grandios, zahlreiche Bilder, Farbmotive und Schnitte einfach nur bewundernswert. Womöglich sah kein Film des Südkoreaners bisher besser aus als dieser, der durch eine harmonische musikalische Untermalung abgerundet wird. Sei es der Soundtrack von Clint Mansell als solcher, die von Philip Glass komponierten Piano-Duette oder Emily Wells’ kongenial den Schluss in den Abspann überleitendes „Becomes the Color“.
Insofern ist Parks jüngster Film ein wahres Gedicht, die Handschrift seines Regisseurs tragend und dabei zugleich Hitchcock auf Dexter treffen lassend, in dem die Besetzung sekundär ist, aber dennoch überzeugend spielt. Sowohl Wasikowska als auch Goode sind punktgenau besetzt, sie die mädchenhafte Identitätssuchende, er der lächelnde Mysteriöse. Auch Kidman gefällt hier in einer ihrer zuletzt so häufig gewählten Rollen als bitchiges Miststück mit Herz. Stoker ist ein rundum gelungener Film und ein sehenswertes transpazifisches Debüt von Park. Der Regisseur soll als nächstes für Hollywood den Western The Brigands of Rattleborge verfilmen – und der war wiederum der meistvotierte „Black List“-Film von 2006.
Hierbei fungierte es zugleich als englischsprachiges Regiedebüt von Park Chan-wook und erzählt die Geschichte der adoleszenten India (Mia Wasikowska), deren Vater an ihrem 18. Geburtstag durch einen Unfall stirbt. Zu seiner Beerdigung erscheint auch sein jüngerer Bruder Charlie (Matthew Goode), von dessen Existenz India bisher nichts wusste. Er quartiert sich bei ihr und ihrer Mutter Evelyn (Nicole Kidman) ein, auf beide Frauen einen besonderen Reiz ausübend. Während speziell ihre Mutter immer mehr Onkel Charlie verfällt, ist dieser India weitaus suspekter. Als sie ihrer Gefühlsgemengelage schließlich nachgibt, stößt sie nicht nur auf ein dunkles Geheimnis über ihren Onkel, sondern auch über sich selbst.
Miller greift für sein Debüt, daraus hat er keinerlei Hehl gemacht, auf Alfred Hitchcocks Plot aus Shadow of a Doubt zurück. Ein Onkel Charlie erscheint auf der Matte und stellt sich als Serienmörder heraus, über dessen Geheimnis seine Nichte informiert ist. Dennoch ist Stoker nicht einfach nur nachgeäfft, sondern bewegt sich spätestens im zweiten Akt in eine andere, eigenständige Richtung. Alle drei Figuren des Films sind mehr oder weniger in sich zurückgezogen. Die Körperkontakt ablehnende India ist dabei so verquer und schrullig wie jene Rollen, die Winona Ryder in den achtziger Jahren zu spielen pflegte. Eine Beziehung zu ihrer Mutter ist im Grunde nicht existent, ihre einzige Bezugsperson war ihr Vater.
In welche Richtung sich der Film ab dem zweiten Akt bewegt, ist ebenso wenig überraschend wie sein weiterer Verlauf vorhersehbar. Durch das Erscheinen von Charlie erhält das Leben von India eine Richtung, die sie vielleicht zuvor erahnt haben könnte, ohne sie jedoch genau zu wissen. Stoker ist somit weniger Krimi und auch nicht wirklich Horror, sondern letztlich Coming of Age-Film der als soziale Außenseiterin gebrandmarkten Hauptfigur. “I’m not formed by things that are of myself alone”, verrät uns India per Voice-Over zu Beginn in einer Eröffnungsszene, die zum Schluss eine perfekte narrative Klammer erhält. Ohnehin, und das zeichnet Parks US-Debüt aus, ist Stoker ein einziger audiovisueller Hochgenuss.
Das soll Millers Leistung keineswegs schmälern, dessen Geschichte über die gesamte Laufzeit hinweg dank ihrer spannenden Figuren interessiert, doch was man am Ende von Stoker mitnimmt, ist mehr die Verpackung des Geschenks als dieses selbst. Parks Mise-en-scène und Bildkomposition ist grandios, zahlreiche Bilder, Farbmotive und Schnitte einfach nur bewundernswert. Womöglich sah kein Film des Südkoreaners bisher besser aus als dieser, der durch eine harmonische musikalische Untermalung abgerundet wird. Sei es der Soundtrack von Clint Mansell als solcher, die von Philip Glass komponierten Piano-Duette oder Emily Wells’ kongenial den Schluss in den Abspann überleitendes „Becomes the Color“.
Insofern ist Parks jüngster Film ein wahres Gedicht, die Handschrift seines Regisseurs tragend und dabei zugleich Hitchcock auf Dexter treffen lassend, in dem die Besetzung sekundär ist, aber dennoch überzeugend spielt. Sowohl Wasikowska als auch Goode sind punktgenau besetzt, sie die mädchenhafte Identitätssuchende, er der lächelnde Mysteriöse. Auch Kidman gefällt hier in einer ihrer zuletzt so häufig gewählten Rollen als bitchiges Miststück mit Herz. Stoker ist ein rundum gelungener Film und ein sehenswertes transpazifisches Debüt von Park. Der Regisseur soll als nächstes für Hollywood den Western The Brigands of Rattleborge verfilmen – und der war wiederum der meistvotierte „Black List“-Film von 2006.
8.5/10
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