29. Juni 2018

Jane

Someone with an open mind.

Wie viel Mensch steckt im Affen – oder umgekehrt. Eine Frage, mit der sich vor über einem halben Jahrhundert auch der kenianische Paläoanthropologe Louis Leakey befasste. Und für seine Primatenforschung in Tansania seine damalige 26-jährige Sekretärin Jane Goodall rekrutierte. Die hatte zwar keine entsprechende akademische Ausbildung, aber Leakey wollte vielmehr “someone with an open mind (…) and a monumental patience”. Für Goodall ging wiederum ein Traum in Erfüllung, faszinierte sie doch bereits als Kind die Tierwelt und der afrikanische Kontinent. Mit einer enormen Fülle von Archivmaterial ausgestattet, beleuchtet Regisseur Brett Morgen in Jane jenen Weg von Jane Goodall zur vielleicht bekanntesten Primatenforscherin.

Der enorme Fundus am Filmaufnahmen mag eingangs beim Zuschauer noch die Vermutung nach sich ziehen, es handele sich bei den Szenen vor Ort um Re-Enactment. Stattdessen aber hat National Geographic etliche Stunden bisher unveröffentlichten Materials bereitgestellt, ein neues Interview mit Goodall von Morgen unterlegt die Bilder mit dazugehörigen Hintergrund-Informationen. Das Ergebnis ist ein bis dato wohl in dieser Form nicht dagewesener dokumentarischer Zugang zu Goodalls Arbeit – und auch ihrer Person. Denn wie sich in Jane zeigt, ist das (Privat-)Leben der heute 84-Jährigen unweigerlich mit ihrer Primatenforschung im Gombe-Nationalpark in Tansania verwoben. Zum Positiven wie vielleicht auch mitunter Negativen.

Die Ursprünge sind dabei ungewöhnlich – aber nicht ohne Vorreiter. Jane Goodall zog es als weiße alleinstehende Frau in den Dschungel, lediglich begleitet von ihrer Mutter. Zu einer Zeit, “when aloneness was a way of life”. Ihre Beobachtung einer Schimpansen-Kolonie war zu Beginn noch relativ fruchtlos. Oft fanden sich keine Mitglieder und wenn, nahmen diese Reißaus. “I was an intruder – and a strange one at that”, reflektiert Goodall jene Anfangsphase, in der ihre Anwesenheit erst von der Schimpansen-Gruppe akzeptiert werden musste. Schnell stellten sich dann aber erste Erfolge ein, beispielsweise die bahnbrechende Entdeckung, dass Schimpansen wie der Mensch auf Werkzeug zurückgreifen, um zu Nahrung zu gelangen.

Nur mittels Eckpunkten gibt Morgen dabei eine zeitliche Einordnung, sei es Goodalls Ankunft in Gombe 1960 oder wenn vier Jahre später für National Geographic der niederländische Tierfilmer Hugo van Lawick nach Tansania kam. Ihn würde Goodall wenig später heiraten und einen Sohn von ihm gebären. Ab Mitte der 1960er Jahre springt Jane dann aber mitunter ohne rechte Orientierung. Wann und wie oft die Engländerin in der Heimat ist – wo sie letztlich ihre akademische Reife nachholte – oder welche Folgen ihre weitere Forschung auf die Wissenschaft hatte, macht Morgen nicht deutlich. Womöglich, weil die Fülle an Material zu groß ist, währte Jane Goodalls Primaten-Studie in Tansania doch insgesamt über fünf Jahrzehnte lang.

Den Fokus zu Beginn gibt der Dokumentarfilm also leider spätestens zur Hälfte seiner Laufzeit etwas auf. Morgen möchte sich dem Mensch Goodall ebenso widmen wie der Forscherin – wohl weil beides letztlich korreliert. In der Folge konzentriert sich Jane aber weder auf das eine noch andere vollends. Der in Afrika aufgezogene Sohn ist irgendwann plötzlich weg und die Beziehung der Mutter zu ihm wird unklar, wie auch die zu van Lawick schließlich scheitert. Gänzlich unerwähnt bleibt Goodalls zweiter Ehemann, genauso – aber nicht unüblich für diese Art der biografischen Dokumentation – auch Kritik an der Arbeit der Primatologin. Das alles macht Morgens Film nicht weniger korrekt, aber letzten Endes dann doch etwas weniger rund.

Die guten Ansätze des ersten Aktes verfolgt Jane nicht ausreichend zu Ende. Darunter die Faszination Goodalls mit den Schimpansen. “I saw a thinking, reasoning personality”, beschreibt sie ihren ersten intensiven Kontakt mit einem der Affen. Diese rücken irgendwann aber wie ihre menschlichen Artgenossen etwas in den Hintergrund. Selbst wenn Jane später durchaus interessant Goodall die Erziehung ihres Sohnes in Relation mit der von Schimpansen-Weibchen Fifi und deren Nachwuchs setzt. Die Musik von Philip Glass gibt sich Mühe, die Emotionalität des Gezeigten zu unterstreichen, am Ende gelingt es Brett Morgen aber doch nicht, seinen Film gänzlich so interessant zu gestalten, wie es seine Protagonistin und die Thematik sind.

6.5/10

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