22. März 2019

Rizu to aoi tori [Liz und ein blauer Vogel]

Can we hug?

Konfuzius wird der Spruch zugeschrieben: Was du liebst, lass los. Versinnbildlicht wird dies innerhalb von Rizu to aoi tori [Liz und ein blauer Vogel] durch eine musikalische Geschichte, die dem Film ihren Titel leiht. Darin lernt die einsame Liz (Honda Miyu) einen blauen Vogel kennen, der sich in eine junge Frau verwandeln kann. Fortan verbringen beide ihr Leben zusammen, doch vollends glücklich ist der blaue Vogel, der eigentlich frei sein will, nicht. “I’m only happy when I’m with you”, versichert der blaue Vogel zwar Liz. Doch die erkennt: “I’m a cage shutting you in.” Da sie den blauen Vogel liebt, lässt sie ihn los – selbst wenn es beiden das Herz bricht. Innerhalb des Films stellt ihre Geschichte jedoch lediglich eine Metapher dar.

Der eigentliche Fokus liegt auf einer anderen Mädchen-Paarung. Die Schülerinnen Nozomi (Tōyama Nao) und Mizore (Tanezaki Atsumi) sind eng befreundet und partizipieren auch beide als entscheidende Mitglieder in ihrem Schulorchester. Für einen Musik-Wettbewerb will dieses das Stück von Liz und dem blauen Vogel vorspielen, zentral ist dabei ein Duett von Oboistin Mizore und Flötistin Nozomi. Nur stimmt die Harmonie zwischen den Freundinnen nicht so richtig – sowohl musikalisch als auch menschlich. Dabei hatten beide geplant, gemeinsam eine Musikhochschule zu besuchen. Vor allem die introvertierte Mizore leidet unter der momentanen Situation, da sie ihr Sozialleben fast ausschließlich über den Kontakt mit Nozomi definiert.

Beide sind sich der Ähnlichkeit zu ihrem Musikstück bewusst. Mizore definiert sich dabei über Liz und kann nicht nachvollziehen, wie diese bereit sein kann, den Menschen, den sie liebt, zu verlieren. “I can’t set the blue bird free”, sagt sie. “I would never let go of someone I love.” Wie sich im Verlauf der Proben zeigt, ist jedoch weniger Mizore ein Käfig für Nozomi, sondern eher umgekehrt. Mizore ist es, die ihren Reifeprozess zurückhält, um die Freundschaft mit Nozomi nicht zu verlieren. Ein Verhalten, unter dem auch die Leistung des Orchesters letztlich leidet. Insofern gilt es für Mizore, aber auch Nozomi, die richtige Interpretation aus dem Musikstück zu ziehen, um beim Wettbewerb zu bestehen und ihre jahrelange Beziehung zu wahren.

Rizu to aoi tori ist dabei ein Spin-off-Film zur Anime-Serie Hibike! Euphonium von Kyōto Animation. Die wiederum basiert auf dem gleichnamigen Manga von Takeda Ayano und dreht sich um das Schulorchester von Mizore und Nozomi. Innerhalb von (dem mir unbekannten) Hibike! spielen beide Figuren scheinbar eher die zweite Geige, was die Adaption von Yamada Naoko besonders interessant macht. Statt sich buchstäblich im Ensemble zu verlieren, beleuchtet die Regisseurin also zwei Charaktere, die (womöglich) sonst eher etwas zu kurz kommen. Dies eignet sich angesichts der Parallelen zwischen den Mädchen und den Figuren aus dem Lied, das sie spielen sollen, natürlich exzellent, um die Botschaft des Films zu transportieren.

Yamada-san ist dabei für Kyōto Animation keine Unbekannte, inszenierte bereits verschiedene Animes wie K-On! oder Hibike! Euphonium und zuletzt vor zwei Jahren auch den meisterlichen Koe no katachi [A Silent Voice] über Mobbing und Suizid in Japans Schullandschaft. Die Tiefe der Figuren aus Koe no katachi erreicht Rizu to aoi tori dabei leider nicht oder zu selten, vielleicht auch weil vorausgesetzt wird, dass der Zuschauer die Persönlichkeiten von Mizore und Nozomi aus Hibike! kennt. Wo sich mit Mizore noch leicht nachfühlen lässt, bleiben dem Zuschauer Nozomis Motive eher unklar. Zum Beispiel wenn sie den Wunsch nach einer Umarmung seitens Mizore auf später verschiebt, aber in der Folge realisiert “I didn’t want to lose you”.

Der Film gefällt mit seiner angenehm reduzierten Handlung, die fast ausschließlich im Schulgebäude spielt. Selbst wenn die Geschichte innerhalb der Geschichte um Liz und den Vogel leicht aufgebläht wird, um die 90-minütige Laufzeit zu füllen. Da sich die Beziehung der Figuren ähnelt, wäre es sinnvoller gewesen, sich mehr auf Mizore und Nozomis zu fokussieren und dafür die von Liz und dem Vogel zu kürzen. Sonst ist Rizu to aoi tori aber ein sehr hübsch animiertes und musikalisch schönes Spin-off, wie man es sich öfters wünscht; über Freundschaften, die im Verlauf des Erwachsenwerdens auf der Strecke bleiben können. “I like stories with happy endings”, sagt Nozomi eingangs. Wie gut, dass sie ihre Geschichte selbst beeinflußen kann.

8/10

9. März 2019

The Forgiveness of Blood

Sometimes the long way is shorter.

Tradition bezeichnet von seinem lateinischen Wortstamm (tradere) her eine Über- und Weitergabe. Zum Beispiel von Bräuchen, Werten oder Wissen. Es handelt sich also nicht um eine Weiterentwicklung dessen, was da ist, sondern um seine Konservierung. Seinen Erhalt. Mit der Tradition zu brechen, heißt also, Dinge neu zu machen. Anders als bisher üblich. Zu hinterfragen, warum etwas nur gemacht wird, weil es immer so gemacht wurde. Am Anfang von Joshua Marstons zweitem Spielfilm The Forgiveness of Blood aus dem Jahr 2011 wird ebenfalls mit einer Tradition gebrochen, um infolgedessen eine andere auf den Plan zu rufen. Angesiedelt in den nördlichen Gebirgen von Albanien treffen Tradition und Moderne aufeinander.

Um seinen Arbeitsweg abzukürzen, durchquert der Brotverkäufer Mark (Refet Abazi) stets das ehemalige Grundstück seiner Vorfahren. Dieses wurde mit dem Sturz des Kommunismus jedoch Sokol (Veton Osmani) und seiner Familie, die es beackerten, zugeschrieben. Sokol ist es nun, der jenen Weg, den Mark nimmt, mit einer Begrenzung versieht. Offiziell, damit seine Hühner ihm nicht abhauen. Unterschwellig zeigen sich jedoch Ressentiments zwischen den Männern, ihren Familien und der gemeinsamen Geschichte. “Our family always let the town use this road”, erinnert Mark an die Tradition. “Your family had a tradition of bending over”, erwidert Sokol wiederum. Der eine appelliert also an die Tradition, der andere bricht mit ihr.

Der Konflikt schaukelt sich hoch. So weit, dass Mark und sein Bruder zusammen Sokol konfrontieren, was in dessen Tod endet. Sokols Tod stellt in der albanischen Gesellschaft weniger ein Verbrechen dar, als eine Ehrverletzung für seine Familie. Der Mord an ihm ruft den Kanun auf den Plan, ein jahrhundertealtes Gewohnheitsrecht, das gerade in den Bergen Nordalbaniens, dessen Dörfer von der Außenwelt oftmals abgeschottet sind, für viele die einzige Judikative repräsentiert. Es ist ein Gesetz der Tradition, das Ehrverletzungen wie Mord alttestamentarisch regelt. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das also vorsieht, dass der Tod von Sokol mit dem Tod von Mark oder eines anderen männlichen Familienmitglieds gesühnt wird.

Als Mark das Weite sucht und sein Bruder inhaftiert wird, weitet sich der Konflikt somit auf Marks 17-jährigen Sohn Nik (Tristan Halilaj) sowie dessen kleinen Bruder Dren aus. Gemäß dem Kanun sind beide nur innerhalb ihres Hauses vor Übergriffen sicher, mit Marks Flucht und Niks „Hausarrest“ gerät fortan auch der Status quo der Familie außer Tritt. Notgedrungen muss Rudina (Sindi Laçej), die älteste Tochter, die Brotroute des Vaters übernehmen, um ihre Mutter finanziell zu unterstützen. Nik und Rudina, zwei buchstäbliche Kinder der Moderne, die mehr mit Facebook als mit dem Kanun vertraut sind, werden kurzerhand aus der Schule genommen. Und für das Verbrechen, das der Vater verübte, wird seine gesamte Familie bestraft.

Derartige Blutfehden sind keine Seltenheit – zumindest in jenen Bergregionen Albaniens. Im Gegensatz zu Städten wie Tirana ist der Fortschritt und mit ihm die Zeit dort eher stehen geblieben. Weshalb mehr auf den Kanun vertraut wird als auf das Gesetz des Staates. Jene Blutfehden und Ehrenmorde können dabei weite Kreise ziehen. So erschlug im Mai 2017 ein 46-jähriger Deutscher albanischer Abstammung einen 19-Jährigen im Alb-Donau-Kreis, da dessen Onkel vor 17 Jahren in Albanien einen Mord verübt haben soll. Anfang 2017 war bereits ein anderer 46-jähriger Albaner in Niedersachsen von einem 23-Jährigen erschossen worden. Eine Ehrverletzung verjährt nicht und kann mehrere Generationen überdauern.

Was Marston und sein Co-Autor Andamion Murataj in The Forgiveness of Blood selbst nicht wirklich thematisieren, ist die Rolle, die der Kanun der Familie des Opfers auferlegt. Denn nicht nur Nik und sein Bruder werden als Angehörige des Täters zu Gefangenen ihres eigenen Hauses, sondern auch Sokols Familie ist letztlich gefangen in der Tradition die bis ins späte Mittelalter zurückreicht. Solange sie ihre Ehre nicht wieder herstellen, erfahren sie soziale Konsequenzen. Insofern drängt ein Streit zwischen zwei Familien immer gleich ein ganzes Dorf zwischen die Fronten. Marston wiederum fokussiert sich auf Nik und Rudina, die sich von ihren Träumen verabschieden und wider Erwarten verfrüht Erwachsen werden müssen.

“The dreams of a youthful modernity and the strictures of ancient custom” kollidieren miteinander, wie Oscar Moralde in “How Things Work” im Essay der Criterion Edition festhält. Für Nik, Rudina und ihre Schulkameraden hat der Kanun keine wirkliche Bedeutung. “The slightest insult and they all go crazy. They all act like children”, sagt Niks Schwarm Bardha (Zana Hasaj) bezeichnend. Ihre Generation hat sich weiterentwickelt in die Moderne, hängt an ihren Mobiltelefonen und pflegt ihre Facebook-Profile. Ehe sie die Tradition ihrer Region einholt, Niks Traum von einem Internetcafé und Rudinas Hoffnungen zu studieren werden mit Sokol beerdigt. Ihre einzige Hoffnung liegt in einer besa – einer Beilegung des Konflikts.

The Forgiveness of Blood erzählt von einer Welt der festgefahrenen Strukturen, von einer Gesellschaft, die in Teilen abgehängt ist – nicht nur von anderen Gesellschaften, sondern von Teilen der eigenen. Es ergibt sich eine ähnliche Diskrepanz wie sie sich in den USA beobachten lässt, wo die jeweiligen Küstenstaaten New York und Kalifornien boomen, die Staaten im Mittleren Westen jedoch immer mehr zurückfallen. Die Folge ist eine Rückkehr zum Konservatismus, der Wunsch, Tradition zu bewahren. Man blickt lieber zurück, da man ohnehin nichts zum vorausschauen hat. Früher war alles besser und was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Mitbegünstigt durch ein patriarchalisches Gefüge, wie es in Albanien zu finden ist.

“Youths are always conscious of the way things are versus the way they could be”, resümiert Oscar Moralde. Der zeitgenössische Blick beschränkt sich aber nicht nur auf die Jugend um Nik, Rudina und Bardha. Eine von Marks Kundinnen ist Mara (Servete Haxhija), eine Frau mittleren Alters und Mitglied von Sokols Clan. Sie hält nichts davon, dass Niks Familie durch das Verbrechen von Mark in Sippenhaft genommen wird. Und steht mit dieser Haltung in ihrer Verwandtschaft nicht alleine da. Den Kanun selbst vermögen aber auch sie nicht außer Kraft zu setzen, egal wie viele Generationen ins Land ziehen. “These feuds continue to exist in the context of a modernized country”, sagt Joshua Marston in seinem Audiokommentar zum Film.

Gerade Nik leidet im Verlauf besonders unter der Situation aufgrund seiner eingeschränkten Flexibilität, die besonders unpassend angesichts seiner Gefühle für Bardha sind. Fügt er sich eingangs noch den Regeln des Kanun, muss er den Folgen des Hausarrests immer mehr Tribut zollen. Ebenso interessant ist die Rolle, die Rudina annimmt, da sie nicht nur als Frau, sondern auch noch als Mädchen sich plötzlich in einer patriarchalischen Domäne behaupten muss. Sei es, indem ihr ein anderer Brotlieferant die Kunden versucht abspenstig zu machen, was sie mit dem zusätzlichen Verkauf von Zigaretten versucht auszugleichen. Schade ist da lediglich, dass die Mutterfigur in Marstons und Muratajs Geschichte etwas zu kurz kommt.

Der Film überzeugt dennoch aufgrund der gelungen Verquickung von Realität und Fiktionalität. Nichts, was The Forgiveness of Blood schildert, wirkt weit hergeholt, auch deshalb, weil es durch verschiedene tatsächliche Vorfälle inspiriert ist und daran bedient, was Darsteller sowie Produzenten im Bonusmaterial bestätigen. Die Authentizität wird verstärkt durch die Dreharbeiten vor Ort und dem Ensemble, das primär aus Laiendarstellern besteht. Auf den Schultern von Tristan Halilaj und Sindi Laçej lastet letztlich Marstons Geschichte und die beiden jugendlichen Schüler schaffen es sehr überzeugend, die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Figuren von anfänglicher verspielter Unschuld hin zur gefrusteten Selbstbestimmung einzufangen.

Insofern erzählt The Forgiveness of Blood nicht nur eine Coming-of-Age-Story über Nik und Rudina, sondern deutet im Grunde ein “coming of identity” an. Nik und seine Geschwister müssen letztlich ihren eigenen Weg in der albanischen Gesellschaft finden, die eingetretenen Pfade ihre Väter und Vorväter verlassen. Vieles wirkt in dieser Welt festgefahren, erkennbar daran, dass Rudinas Pferd Klinsmann automatisch vor jener Abkürzung über Sokols Land Halt macht, als sie die Brotroute von Mark fortsetzt. Dies war der Weg, den er immer ging. Was ihn zur Tradition geraten ließ. Die alternative Route wäre eine Folge des Fortschritts, ist länger, umständlicher. Aber wie Sokol zu Beginn andeutete: “Sometimes the long way is shorter.”

8.5/10

1. März 2019

Classic Scene: Anchorman: The Legend of Ron Burgundy – “Agree to disagree”

DIE SZENERIE: Als sein TV-Sender mit Veronica Corningstone (Christina Applegate) eine weibliche Reporterin anstellt, ist Nachrichtensprecher Ron Burgundy (Will Ferrell) bestrebt, die neue Mitarbeiterin für sich zu gewinnen, nachdem seine übrigen männlichen Kollegen mit ihren Avancen scheiterten. Um Veronica zu beeindrucken lädt sie Ron zu einem Date in einem lokalen Jazz-Club in San Diego ein, zuvor machen beide aber noch einen Abstecher zu einem Aussichtspunkt mit Überblick über die nächtliche Stadtkulisse.


EXT. SAN DIEGO – NIGHT

RON’s car is pulling up on top of a hill, overlooking San Diego at night, illuminated by all the lights.

RON: San Diego. (groans) Drink it in. It always goes down smooth.

VERONICA (chuckles): What a beautiful view, Mr. Burgundy.

RON: I know. I love this city. It’s a fact: it’s the greatest city in the history of mankind.

Veronica chuckles again.

RON: Discovered by the Germans, in 1904. They named it “San Diego”; which of course in German means “a whale’s vagina”.

VERONICA: No, there’s no way that’s correct.

Ron laughs embarrassed and shakes his head.

RON: I’m sorry. I was trying to impress you.

RON (cont.): I don’t know what it means.

Veronica chuckles again politely.

RON: I’ll be honest, I don’t think anyone knows what it means anymore. Scholars maintain that the translation was lost hundreds of years ago.

VERONICA: Doesn’t it mean “Saint Diego”?

RON (shakes his head): No. No.

VERONICA: No, that’s what it means. Really.

RON: Well… agree to disagree.