Look at the sea.
In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrschte Bürgerkrieg in Peru zwischen dem Staatsmilitär und der maoistischen Terrororganisation „Senderos Luminoso“. Ähnlich wie im Vietnamkrieg hatte die Bevölkerung unter diesem Konflikt zu leiden. Wo Kollaborateure – je nachdem ob mit dem Militär oder Senderos Luminoso – vermutet wurden, statuierte man ein Exempel. Und dies an Tausenden von Menschen. Frauen wurden in Massen vergewaltigt. Eine unrühmliche Seite im Geschichtsbuch Perus, wie sie sich in der Historie eigentlich jedes Landes finden lässt. Die 32-jährige Regisseurin Claudia Llosa widmet sich mit La teta asustada diesem dunklen Kapitel ihres Landes, wenn auch nur als Ausgangsbasis für ihre eigentliche Geschichte. Zu Beginn, wenn das Bild noch schwarz ist, besingt die alte Perpetua, wie sie einst vergewaltigt wurde und man ihr den mit Pfeffer gewürzten Penis ihres getöteten Mannes in den Hals steckte. Als Perpetua im Bild erscheint, wirkt sie apatisch. Der Blick ist leer, die Regungen auch. Nur der Mund bewegt sich und besingt mit melancholischer Stimme das traurige Schicksal.
Dann beugt sich ihre Tochter Fausta (Magaly Solier) ins Bild. Perpetua war mit Fausta schwanger, als sie vergewaltigt und gedemütigt wurde. Auf dem peruanischen Lande glaubt man nun, dass der Schrecken, den eine Frau während ihrer Schwangerschaft erlebt, durch die Muttermilch an ihr Kind weitergegeben wird. La teta asustada nennt man diese Krankheit – die angsterfüllte Brust. Auch Fausta wirkt apatisch, singt mit ihrer Mutter, scheint aber in ihrer eigenen Welt zu leben. Als Perpetua stirbt, will Faustas Onkel Lucido (Marino Ballón) sie im Hinterhof vergraben. Doch Fautsa ist dagegen, will den Leichnam der Mutter lieber in deren Heimatdorf überführen. Allerdings fehlen ihr die 700 Sols, die dies kosten würde. Faustas Tante vermittelt ihr einen Job als Hausmädchen der wohlhabenden Pianistin Aída (Susi Sánchez) in Lima. Für die verschreckte Fausta ein Schock-Erlebnis, fürchtet sie sich doch ohne Familienmitglied aus dem Haus zu gehen. Und Männer gleich jeden Alters sind ihr ohnehin suspekt und potentielle Vergewaltiger. Daher führte sich Fausta auch eine Kartoffelknolle in ihre Vagina ein. Dadurch verspricht sie sich, mögliche Vergewaltiger abzuschrecken.
Wirkt die Mär von der verschreckten Brust noch glaubwürdig, unabhängig ob diese nun genetisch oder psychologisch bedingt ist, so beschreitet die vaginale Kartoffelknolle durchaus phantastische Pfade. Ihre Keimung infiziert Faustas Gebärmutter und die Ärzte raten zur operativen Entfernung, der sich Fausta jedoch verweigert. Wie die junge Frau auf die Idee kam, sich das Gewächs einzuführen, erfährt man nicht. Ohnehin ist es eher ein Symbol von Faustas Angst vor dem mütterlichen Schicksal, dass sich jedoch weitaus gelungener in den Szenen zeigt, in denen Fausta auf einer Bergtreppe auf ihre schwangere Freundin wartet, um dem aufsteigenden Fremden nicht allein gegenüberzustehen oder wenn sie rückwärts laufend eine Horde junger Burschen in Aídas Hof lotst, wo diese einen Klavierflügel liefern. Die Prämisse des Filmes ist nun, dass Fausta das Geld für die Überführung des mütterlichen Leichnams bei Aída verdient. Als diese eines von Faustas Klageliedern hört, sieht sie in ihnen die langersehnte Inspiration für ein anstehendes Konzert. Sie ist willig, Fausta für jedes gesungene Lied eine Perle ihrer Kette zu schenken. Eine Abmachung, die schlussendlich Faustas kathartischen Moment herbeiführen wird.
Llosas Film, der den ersten peruanischen Beitrag bei der Berlinale darstellte und dort dieses Frühjahr auf Anhieb den Goldenen Bären gewann, fokussiert sich auf die kleinen Dinge. Die Kartoffelknolle, die verschreckte Brust, die Beschäftigung bei Aída und allen voran die zu singenden Lieder spielen nur eine kleine Rolle, obschon sie im Grunde die Geschichte ausmachen. Stattdessen „flüchtet“ Llosa stets zurück in Faustas Dorf, wo ihr Onkel Lucido quasi wöchentlich eine Hochzeit ausrichtet. Egal ob einzeln, in Massen oder für die eigene Tochter. „Der Film erzählt von dem Schmerz der bleibt“, schrieb Martina Knoben in der Süddeutschen Zeitung. Dieser Satz trifft freilich nur auf Fausta zu, wohingegen die Hochzeiten in ihrem Dorf als Gegenteil davon, als Aufbruch in die Freude verstanden werden wollen. Ein Kontrastbild, wenn Llosa die Stille von Aídas Anwesen einer tanzen Hochzeitsgesellschaft gegenüberstellt. Vieles von dem was man in La teta asustada sieht, muss man sich selbst zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen.
Insofern schreit der Film quasi aus allen Poren „Arthouse!“, was man zwar tolerieren kann, aber nicht zwingend akzeptieren muss. In einigen Szenen lässt Llosa ihre Titelfigur sich dem älteren Gärtner Noé (Efraín Solís) annähern, sodass man denken könnte, man beobachte hier eine mögliche romantische Beziehung. Wobei man viel denken könnte im Laufe der neunzig Minuten, ohne mit Sicherheit zu einer bestimmten Erkenntnis zu kommen. Am Ende stellt sich heraus, dass Aída Fausta nur benutzt hat, um ihr beachtetes Werk zu erschaffen. Bedenkt man, dass auch Llosa aus Limas Oberschicht und Solier einem ländlichen Dorf entstammt, findet sich hier eine – beabsichtigte? – Analogie. Weniger ist im Falle von La teta asustada aber nicht unbedingt mehr und so bleibt das Gesehene ein ums andere Mal irgendwie in der Luft hängen. Die Wendungen kommen so plötzlich wie auf gewisse Art unerklärlich, schließlich hat sich Llosa auch sonst keine Mühe gegeben, ihren Film in einen Rahmen zu pressen. Nun ist Kunst, gerade auch die des Kinos, prägnant „Arthouse“ betitelt, frei, speziell von Rahmen oder Schubladendenken. Mit einem Kunstwerk verhält es sich jedoch einfacher, wenn man den Zugang zu diesem für den Beobachter etwas erleichtert. Dies ist in Llosas Fall nur bedingt gegeben und sorgt schließlich zwar auch für Faszination, aber in begrenzter Form.
7/10
In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrschte Bürgerkrieg in Peru zwischen dem Staatsmilitär und der maoistischen Terrororganisation „Senderos Luminoso“. Ähnlich wie im Vietnamkrieg hatte die Bevölkerung unter diesem Konflikt zu leiden. Wo Kollaborateure – je nachdem ob mit dem Militär oder Senderos Luminoso – vermutet wurden, statuierte man ein Exempel. Und dies an Tausenden von Menschen. Frauen wurden in Massen vergewaltigt. Eine unrühmliche Seite im Geschichtsbuch Perus, wie sie sich in der Historie eigentlich jedes Landes finden lässt. Die 32-jährige Regisseurin Claudia Llosa widmet sich mit La teta asustada diesem dunklen Kapitel ihres Landes, wenn auch nur als Ausgangsbasis für ihre eigentliche Geschichte. Zu Beginn, wenn das Bild noch schwarz ist, besingt die alte Perpetua, wie sie einst vergewaltigt wurde und man ihr den mit Pfeffer gewürzten Penis ihres getöteten Mannes in den Hals steckte. Als Perpetua im Bild erscheint, wirkt sie apatisch. Der Blick ist leer, die Regungen auch. Nur der Mund bewegt sich und besingt mit melancholischer Stimme das traurige Schicksal.
Dann beugt sich ihre Tochter Fausta (Magaly Solier) ins Bild. Perpetua war mit Fausta schwanger, als sie vergewaltigt und gedemütigt wurde. Auf dem peruanischen Lande glaubt man nun, dass der Schrecken, den eine Frau während ihrer Schwangerschaft erlebt, durch die Muttermilch an ihr Kind weitergegeben wird. La teta asustada nennt man diese Krankheit – die angsterfüllte Brust. Auch Fausta wirkt apatisch, singt mit ihrer Mutter, scheint aber in ihrer eigenen Welt zu leben. Als Perpetua stirbt, will Faustas Onkel Lucido (Marino Ballón) sie im Hinterhof vergraben. Doch Fautsa ist dagegen, will den Leichnam der Mutter lieber in deren Heimatdorf überführen. Allerdings fehlen ihr die 700 Sols, die dies kosten würde. Faustas Tante vermittelt ihr einen Job als Hausmädchen der wohlhabenden Pianistin Aída (Susi Sánchez) in Lima. Für die verschreckte Fausta ein Schock-Erlebnis, fürchtet sie sich doch ohne Familienmitglied aus dem Haus zu gehen. Und Männer gleich jeden Alters sind ihr ohnehin suspekt und potentielle Vergewaltiger. Daher führte sich Fausta auch eine Kartoffelknolle in ihre Vagina ein. Dadurch verspricht sie sich, mögliche Vergewaltiger abzuschrecken.
Wirkt die Mär von der verschreckten Brust noch glaubwürdig, unabhängig ob diese nun genetisch oder psychologisch bedingt ist, so beschreitet die vaginale Kartoffelknolle durchaus phantastische Pfade. Ihre Keimung infiziert Faustas Gebärmutter und die Ärzte raten zur operativen Entfernung, der sich Fausta jedoch verweigert. Wie die junge Frau auf die Idee kam, sich das Gewächs einzuführen, erfährt man nicht. Ohnehin ist es eher ein Symbol von Faustas Angst vor dem mütterlichen Schicksal, dass sich jedoch weitaus gelungener in den Szenen zeigt, in denen Fausta auf einer Bergtreppe auf ihre schwangere Freundin wartet, um dem aufsteigenden Fremden nicht allein gegenüberzustehen oder wenn sie rückwärts laufend eine Horde junger Burschen in Aídas Hof lotst, wo diese einen Klavierflügel liefern. Die Prämisse des Filmes ist nun, dass Fausta das Geld für die Überführung des mütterlichen Leichnams bei Aída verdient. Als diese eines von Faustas Klageliedern hört, sieht sie in ihnen die langersehnte Inspiration für ein anstehendes Konzert. Sie ist willig, Fausta für jedes gesungene Lied eine Perle ihrer Kette zu schenken. Eine Abmachung, die schlussendlich Faustas kathartischen Moment herbeiführen wird.
Llosas Film, der den ersten peruanischen Beitrag bei der Berlinale darstellte und dort dieses Frühjahr auf Anhieb den Goldenen Bären gewann, fokussiert sich auf die kleinen Dinge. Die Kartoffelknolle, die verschreckte Brust, die Beschäftigung bei Aída und allen voran die zu singenden Lieder spielen nur eine kleine Rolle, obschon sie im Grunde die Geschichte ausmachen. Stattdessen „flüchtet“ Llosa stets zurück in Faustas Dorf, wo ihr Onkel Lucido quasi wöchentlich eine Hochzeit ausrichtet. Egal ob einzeln, in Massen oder für die eigene Tochter. „Der Film erzählt von dem Schmerz der bleibt“, schrieb Martina Knoben in der Süddeutschen Zeitung. Dieser Satz trifft freilich nur auf Fausta zu, wohingegen die Hochzeiten in ihrem Dorf als Gegenteil davon, als Aufbruch in die Freude verstanden werden wollen. Ein Kontrastbild, wenn Llosa die Stille von Aídas Anwesen einer tanzen Hochzeitsgesellschaft gegenüberstellt. Vieles von dem was man in La teta asustada sieht, muss man sich selbst zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen.
Insofern schreit der Film quasi aus allen Poren „Arthouse!“, was man zwar tolerieren kann, aber nicht zwingend akzeptieren muss. In einigen Szenen lässt Llosa ihre Titelfigur sich dem älteren Gärtner Noé (Efraín Solís) annähern, sodass man denken könnte, man beobachte hier eine mögliche romantische Beziehung. Wobei man viel denken könnte im Laufe der neunzig Minuten, ohne mit Sicherheit zu einer bestimmten Erkenntnis zu kommen. Am Ende stellt sich heraus, dass Aída Fausta nur benutzt hat, um ihr beachtetes Werk zu erschaffen. Bedenkt man, dass auch Llosa aus Limas Oberschicht und Solier einem ländlichen Dorf entstammt, findet sich hier eine – beabsichtigte? – Analogie. Weniger ist im Falle von La teta asustada aber nicht unbedingt mehr und so bleibt das Gesehene ein ums andere Mal irgendwie in der Luft hängen. Die Wendungen kommen so plötzlich wie auf gewisse Art unerklärlich, schließlich hat sich Llosa auch sonst keine Mühe gegeben, ihren Film in einen Rahmen zu pressen. Nun ist Kunst, gerade auch die des Kinos, prägnant „Arthouse“ betitelt, frei, speziell von Rahmen oder Schubladendenken. Mit einem Kunstwerk verhält es sich jedoch einfacher, wenn man den Zugang zu diesem für den Beobachter etwas erleichtert. Dies ist in Llosas Fall nur bedingt gegeben und sorgt schließlich zwar auch für Faszination, aber in begrenzter Form.
7/10
"Wie die junge Frau auf die Idee kam, sich das Gewächs einzuführen, erfährt man nicht."
AntwortenLöschenWohl doch, Fausta erzählt selber im Film wo sie die Idee her hat. Nicht den Film sollte man biegen, sondern den Text dazu...