30. August 2019

The Beach Bum

Is this all there is?

In seinem Roman Factotum schreibt Charles Bukowski an einer Stelle “my ambition is handicapped by laziness”. Ein ähnliches Problem schleppt Bukowskis Dichter-Kollege Moondog (Matthew McConaughey) in Harmony Korines The Beach Bum mit sich herum. “He’s a great man. He’s brilliant”, versichert Moondogs Tochter Heather (Stefania LaVie Owen) ihrem frisch angetrauten Ehemann. Sie steht damit stellvertretend für im Prinzip alle Figuren aus Korines jüngstem Film, die Moondogs Talent zwar anerkennen, sich aber frustriert zeigen von seiner lethargischen Ausschöpfung desselben. Als Moondog im Verlauf des Films nach einem Vorfall einer Haftrichterin vorgeführt wird, entpuppt sich selbst die als ein Fan der Hauptfigur.

“Don’t let us down, Moondog”, ermahnt sie den versoffenen Poeten bezeichnender Weise im Plural. “We’re rooting for you.” Durch den Film hindurch begegnet Moondog eine gewisse subtile Erwaltungshaltung als Resultat seines Talents. Jeder Blick zeugt einerseits von Bewunderung, kommuniziert andererseits aber zugleich ein fast schon elterlich-enttäuschtes „Junge, was ist nur aus dir geworden?“. Moondog ist ein gestriger Held, ein “has been”, wie ihn sein Literaturagent Lewis (Jonah Hill) nennt, nachdem er beklagt: “you used to be a motherfucking ATM for me.” Für Lewis ist der brachliegende kreative Output von Moondog also zuvorderst ein monetärer Verlust, für die anderen Charaktere dagegen viel eher ein kultureller.

Insofern wirft The Beach Bum die Frage nach kreativer Verantwortung auf, begünstigt durch unsere gegenwärtige Neidgesellschaft. Ein Unverständnis gegenüber solchen Menschen, die zwar zu denjenigen zählen, die von Talent geküsst sind, aber (zu) wenig daraus machen. “I just wanna have a good time until this shit is over, man”, gesteht Moondog später. Er ist ein Hedonist wie er im Buche steht – und lebt für Sex, Drogen und den Moment. Dabei nimmt er alles, wie es kommt – und ähnelt mit dieser Haltung zum Laissez-faire vermutlich nicht von ungefähr dem Dude aus The Big Lebowski (mit dem feinen Unterschied, dass Letzterer kein literarisches Genie war). Moondog hat die Ruhe weg – zumindest, bis sie ihm der Film nimmt.

Heathers Hochzeit treibt ihn aus dem Wahl-Exil der Florida Keys zurück in die Zivilisation Miamis. Hier kontrastiert sich Moondogs Normalo-Welt mit dem mondänen Lebensstil seiner Ehefrau Minnie (Isla Fisher). Ihr Familienerbe macht sie zur Multimillionärin – etwas, an dem scheinbar auch Moondog partizipiert (ob er in den Keys von Unterhaltszahlungen lebt oder den Tantiemen seiner Bücher, bleibt unklar). Äußere Umstände führen jedenfalls nun dazu, dass Moondog literarisch liefern muss, will er finanziell weiter über die Runden kommen. “Come back when you’re ready”, drängt ihn Heather dazu, sein Talent zu akzeptieren. Oder wie Jimmy Buffett auf dem Soundtrack passend singt: “We gotta get a leash on that dog.”

Der „dramatische” Verlauf der Geschichte gegen Ende des ersten Akts dient im Prinzip nur dazu, eine Dringlichkeit für die Hauptfigur zu implementieren. Anstatt einfach mit seinem Skiff zurück in die Keys zu fahren, macht Moondog das Spiel mit. Was etwas irritiert, da wir ihn bereits vor seiner Rückkehr nach Miami sowohl schreiben als auch an neuen Gedichten arbeiten sehen. Es ist folglich nicht so, als würde die Figur gar nicht literarisch aktiv sein, sondern eben einfach ihrem eigenen Tempo folgen. Ungeachtet dessen ist die Handlung in The Beach Bum aber ohnehin nur ein Vorwand, um Moondog ab der Filmmitte verschiedene Eskapaden erleben zu lassen, reich bevölkert mit Harmony Korines typisch skurrilen Charakteren.

Zum Beispiel wenn Martin Lawrence sich in einen mehrminütigen Lobgesang auf Delfine verlieren darf als Vietnam-Veteran Captain Wack, der inzwischen Bootstouren zu den Säugern anbietet, Moondog in seiner Entzugsklinik den christaffinen Pyromanen Flicker (Zac Efron) kennenlernt oder sich auf einer Yacht-Party mit Jimmy Buffett und dem Marihuana-dealenden R’n’B-Sänger Lingerie (Snoop Dogg) vergnügt. Die Interaktion mit diesen und anderen Figuren unterstreicht Moondogs Eigenschaft als geselliger Mensch, der mit jedem klarkommt (eben auch der Haftrichterin). The Beach Bum ist insofern vorrangig eine Komödie, in der Korine weitaus weniger über unsere Gesellschaft zu sagen hat, als zuletzt noch in Spring Breakers der Fall.

Das für Korine typische Außenseitertum ist natürlich auch in The Beach Bum noch zugegen, der Kampf gegen das Establishment eben heruntergebrochen auf den Konflikt – eher: die Ungenügsamkeit – von Moondogs Umwelt mit dem Dichter selbst. Vielleicht finden sich hier autobiografische Züge und im Film ein Abziehbild auf Korines sechsjährige Schaffenspause zwischen Spring Breakers und The Beach Bum. Über die Erwartungshaltung, ein nächstes Meisterwerk rauszuhauen, unabhängig vom kreativen Prozess, der dahintersteht. Moondog personifiziert eine gewisse Widersprüchlichkeit, wenn er gekonnt klassische Musik am Piano spielt, während ihm Minnies Bedienstete sein Dosenbier (buchstäblich) auf dem Silbertablett serviert.

Sein hedonistisches Mantra, einfach eine gute Zeit haben zu wollen, macht Moondog zum Gegenentwurf des Otto Normalbürgers – und zugleich zu dessen Ideal. Leben um des Lebens willen, ungebunden an Arbeitszeiten, Mieten und Hypotheken. Die Figuren in The Beach Bum mögen Moondog für sein Talent bewundern, wir als Zuschauer dagegen – auch weil seine Werke kaum rezitiert werden im Film – blicken eher neidisch auf seine Unbekümmertheit in Bezug auf irdische Dinge. In einer Szene begegnet uns dann doch Moondogs erstes Gedicht, über das sich die Figur selbst amüsiert: “One day I will swallow up the world, and when I do, I hope you will all perish violently.” Wer braucht Ehrgeiz, wenn er seine Ziel schon erreicht hat?

8/10

16. August 2019

Too Old to Die Young

It’s time to kill everyone.

Ob ein Sanitäter zugegen sei, fragt William Friedkin mehrmals ironisch während eines Interviews mit seinem Regie-Kollegen Nicolas Winding Refn. Der hatte zuvor seinen kontroversen Film Only God Forgives auf ein Qualitätslevel mit Citizen Kane und 2001: A Space Odyssey gestellt. “I think it’s a masterpiece”, reklamierte Winding Refn, der sich selbst als NWR abkürzt, zum Amüsement des Altmeisters Friedkin. Eine Szene, die den jüngeren Regisseur ganz gut wiedergibt und den polarisierenden Effekt, den er (gewollt) auf seine Umwelt hat. An Filmen – oder Meisterwerken, wie NWR sagen würde – wie Only God Forgives und Drive scheiden sich mitunter die Geister, zuletzt auch bei seinem Geniestreich The Neon Demon der Fall.

Insofern überrascht es nicht unbedingt, dass Amazon Prime, für die Winding Refn jüngst seine Serie Too Old to Die Young inszeniert hat, das Resultat nicht allzu sehr bewarb, obschon es sogar bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde. Wo man wochenlang buchstäblich plakativ auf die 2. Staffel von American Gods hingewiesen wurde, fand sich auf der Startseite von Amazon Prime Video weder ein Banner noch die Serie bei den aktuellen Neuheiten. Nur per Suchfunktion wurde man fündig, sodass sich fast der Eindruck erweckte, der Streamingdienst wollte die Serie beerdigen, bevor sie überhaupt am Leben war. Vielleicht verließ man sich aber auch nur darauf, dass die NWR-Fans im Wissen um die Existenz der Serie diese finden.

Mit einer Laufzeit von fast 13 Stunden bündelt die 10-teilige Serie – die Folgen gehen mitunter 90 Minuten – quasi sowohl das Beste als auch das Schlechteste von NWR (je nach Sichtweise). Das Drehbuch von Winding Refn und Ed Brubaker, als Comic-Autor für u.a. DC und Marvel aktiv, nimmt sich folglich viel Zeit – Kritiker würden sagen: zu viel – für seine Figuren und ihre Aktivitäten. Was nicht zwingend heißt, dass Too Old to Die Young eine Charakterstudie ist. Eher bleibt sich der Regisseur treu, wenn er seine Protagonisten weitestgehend als stumme und bestenfalls einsilbige Agenten einer höheren Macht präsentiert. Die sich eher durch ihre Aktionen und Reaktionen definieren lassen, als über die Darlegung ihrer Persönlichkeit.

Auslöser einer Verkettung von Gewaltexplosionen ist der nächtliche Mord des jungen Jesus (Augusto Aguilera) am Partner des Streifenpolizisten Martin (Miles Teller). Korrumpiert vom Kriminellen Damian (Babs Olusanmokun) findet Martin heraus, dass Jesus der Sohn einer Drogenbaronin ist, die er und sein Partner auf dem Gewissen haben. Zugleich war sie die Schwester eines mexikanischen Drogenkartell-Bosses, der den amerikanisch-stämmigen Jesus fortan unter seine Fittiche nimmt. Monate vergehen, ehe sich die Wege von Martin, inzwischen zum Mordkommissar aufgestiegen, sowie Jesus, der mit seiner neuen Frau Yaritza (Cristina Rodlo) als Kartell-Stellvertreter für seine Mutter nach Los Angeles zurückkehrt, wieder begegnen werden.

Über weite Strecken spielen sich die Geschehnisse um Martin und Jesus parallel und ohne größeren Bezug zueinander ab. Der Polizist hat den Mörder seines Partners auch nicht wirklich auf dem Schirm, vielmehr ist es die eruptive Gewalt in Martin selbst, die diesen immer stärker vereinnahmt. Eingangs noch kaltblütig-nihilistisch wirkend, zeigt sich Martin später während einer Mordermittlung fasziniert von seinem Verdächtigen, Ex-FBI-Agent Viggo (John Hawkes). Der verdingt sich als Auftragsmörder für die Sozialarbeiterin Diana (Jena Malone), die ihn auf freilaufende Pädophile und Sex-Verbrecher loslässt. Für Martin die bestmögliche Gelegenheit, seine gewalttätigen Tendenzen weitestgehend gesellschaftsfreundlich zu dirigieren.

Jesus wiederum offenbart in späteren Episoden eine subtile Vielschichtigkeit, die auf sexuellen Missbrauch und eine unschlüssige Sexualität hindeutet. Er ist ein Kind zweier Welten, wirkt von seiner mexikanischen Familie nicht vollends akzeptiert und spricht nur brüchiges Spanisch. Ähnlich wie in Martin schwillt aber auch in ihm ein aggressiver Orkan, der ihn tiefer in die Fänge seines Kartells zieht. Die meisten Figuren in Too Old to Die Young besitzen in der ein oder anderen Form eine Beziehung zur Gewalt, sei es als Initiator wie in Person von Diana und Damian oder als Exekutive wie im Fall von Martin, Jesus, Yaritza oder Viggo. Eher aus dem Rahmen fällt da die die zarte Romanze, die Martin mit der minderjährigen Janey (Nell Tiger Free) eingeht.

Die 17-Jährige lebt als Tochter eines Filmproduzenten (wunderbar abgedreht: William Baldwin) quasi in ihrer eigenen Welt aus Drogenkonsum zwischen Schulbesuchen. Im Gegensatz zu Martin, Yaritza, Diana oder Viggo ist ihr der Alltag auf den Straßen Amerikas eher fremd, selbst wenn sie einst den Suizid ihrer Mutter beobachten musste. Insofern ist sie eine der wenigen (oder die einzige) unschuldige Figur in Winding Refn und Brubakers harter Welt, die zu keinen Zeitpunkt gewillt ist, für ihre Charaktere Kompromisse einzugehen. Zugleich wird klar, dass entgegen dem Titel der Serie hier niemand zu alt ist, um zu sterben. Denn der Strudel der Gewalt kennt keine Gnade, und vereinnahmt die Figuren ebenso wie uns als Zuschauer.

Für Winding Refn eher ungewöhnlich streut er auch einigen politischen Subtext in seine Geschichte, vorrangig in der skurrilen Darstellung von Martins Dezernat. Dessen leitender Lieutenant stimmt mitunter Lieder auf der Ukulele an oder inszeniert Passionsspiele, die konservative bis teils faschistische Züge tragen. Repräsentativ mag die Polizeieinheit dabei für das aufgeladene Amerika der Trump-Ära stehen, allerdings machen die xenophoben Einstellungen auch vor dem Kartell keinen Halt. Dass das System versagt und Straftäter durch Viggo abseits der juristischen Verfolgung die Quittung erhalten, ist für NWR nicht neu, schließlich propagierten Selbstjustiz bereits die Figuren in Only God Forgives.

Winding Refn bleibt sich von seinem Inszenierungsstil dabei treu. Martin und Jesus stehen klar in der Tradition der Goslingschen Charaktere aus Drive oder Only God Forgives als Männer ohne große Worte, sondern Taten. Rhetorische Mono- oder Dialoge haben Seltenheitswert, stattdessen sagen Blicke in Too Old to Die Young mehr als Sätze. Das alles wird eingetaucht in die für NWR inzwischen typischen Bilder, die den Zuschauer in die – diesmal von Darius Khondji fotografierte – blau-violette Neon-Welt ihres Schöpfers entführen, kongenial begleitet durch den Elektro-Synth-Soundtrack von Cliff Martinez. Im Falle von Winding Refn ist der Vorwurf Style over Substance praktisch obsolet, akkurater wäre bei ihm vielmehr Style as Substance.

Lange Einstellungen, kaum (und meist emotionslose) Dialoge, selten (aber kurz und intensiv) Action – dies macht die Filme des Regisseurs aus. Die Plattform von Amazon erlaubt ihm zugleich, die Fesseln der Film-Konventionen zu lockern und seinen Art of Style (oder Style of Art) exzessiv auszuleben. So wirkt die Serie oft wie eine Arbeitsfassung eines NWR-Films, der auf 2 Stunden Laufzeit getrimmt werden müsste, hier aber durchlaufen darf. Indem die Welt von Winding Refn mehr atmen kann, gewinnt sie neue Facetten, mit Anflügen von David Lynch (z.B. Twin Peaks: The Return oder Mulholland Drive). Too Old to Die Young ist vielleicht kein Meisterwerk, aber durchaus das Werk eines Meisters. Für NWR dürfte dies wohl dasselbe sein.

8/10

2. August 2019

Doomsday Clock – #8-10

You see what you want to see.

Die Macht – und Wut – des Volkes darf nicht unterschätzt werden. Diese Erfahrung musste jüngst auch die chinesische Regierung in Hongkong machen, als Demonstranten ein Parlamentsgebäude besetzten. Der Unmut der Bevölkerung wird auch in Doomsday Clock immer lauter, nachdem Geoff Johns bereits den wachsenden Widerstand der Menschen gegen Metahumans zu Beginn seines DC/Watchmen-Crossovers integriert hatte. Welchen Superhelden kann man noch trauen? In Save Humanity (#8) hat Russland angefangen, alle Neugeborenen auf das Metahuman-Gen zu testen. Die Involvierung und Präsenz von Firestorm in Moskau ist es dann auch, die den Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Russland zu eskalieren droht.

Spätestens als Firestorm ein vermeintliches Massaker auslöst, ruft dies auch Superman auf den Plan. Er vermutet Firestorm im Exil in Kahndaq, trifft dort aber lediglich auf Black Adam, der seine Heimat als sicheren Hafen für alle mit übermenschlichen Kräften sieht. “Things must change”, findet Black Adam. “And people with the power to change it must act.” Dies betrifft natürlich einerseits die Metahumans, aber eben auch normale Menschen mit Macht. So wie Wladimir Putin, der eine ähnliche, aber nicht zwingend pazifistische Sicht vertritt. “We are at a violent crossroads, where the direction we turn will determine the future of the world”, sagt Putin zur sozio-politischen Gabelung, an der sich die Menschheit nunmehr befindet.

Vor allem die jüngsten drei Ausgaben von Doomsday Clock fungieren weitaus deutlicher als ihre Vorgänger als ein Spiegelbild für unsere gegenwärtige Gesellschaft. Seine Intervention in die dramatischen Ereignisse um Firestorm lassen Vorwürfe der geheimen Zusammenarbeit und des Betrug gegen Superman laut werden. Die in ihrem Echo (“collusion”,“fraud”) an den Zwiespalt in den USA bezüglich Präsident Trump erinnern. Da passt es ins Bild, dass der US-Präsident der DC-Welt sich in Crisis (#9) auf Twitter für seine Leistungen selbst lobt. “We need to come together now”, hatte Superman in der Ausgabe zuvor appelliert. “The demonization of any group of people is wrong.” Batmans Rat (“Don’t pick a side”) dabei ignorierend.

Ein konstruktiver Diskurs scheint zum Ende von Saving Humanity hin nicht mehr möglich – ist jedoch, wie Crisis zeigt, kein ausschließliches Problem der Normalsterblichen. Dort macht sich die Justice League auf den Weg zum Mars “an energy they’d never encountered” verfolgend, wie Alfred sagt. In Gruppen-Panels sehen wir hier Charaktere wie Batwoman, Supergirl, den Martian Manhunter, die Green Lanterns, Zatanna und John Constantine, die Shazam Familie oder sogar eher obskurere Figuren wie Question unterwegs zu ihrer unausweichlichen Begegnung mit Dr. Manhattan. “You’re here looking for answers you don’t even know the questions to”, erwartet dieser sie und stuft sie informationstechnisch somit gleichauf mit den Lesern.

Oder vielleicht auch nicht. Denn in gewisser Weise lichtet sich, kurz vor Ende der Serie, der Nebel langsam und die Pläne, die Ozymandias für beide Universen zu haben scheint. Selbst wenn er – ähnlich wie der Großteil der übrigen Watchmen-Figuren – in diesen Ausgaben wenig bis gar nicht präsent ist. Selbst Dr. Manhattan scheint erstmals seit seinem Unfall ratlos ob der Dinge, die sich im DC-Universum abspielen. “Does Superman destroy me or do I destroy everything?”, fragt er sich erneut zu Beginn von Crisis, als es ihm nicht möglich ist, weiter als bis zu seiner kommenden Konfrontation mit Superman in die Zukunft zu blicken. “I don’t understand this universe”, realisiert er in Action (#10) – und wirkt eher fasziniert als verwirrt.

In der jüngsten Ausgabe führt Johns das Konzept der Viele-Welten-Interpretation ein – oder des Multiverse, wie es Dr. Manhattan nennt. Das Universum teile sich unentwegt in viele verschiedene Zeitlinien auf, finde aber im Metaverse mit Superman – als allererstem Superhelden der Geschichte – seinen Fokus und Anker. Für Johns zugleich Gelegenheit für einige Meta-Verweise auf die wandelnde Historie von Superman als Figur, wenn Dr. Manhattan dessen Ursprung mal in 1938 (Golden Age), dann in 1956 (Silver Age) und später in 1986 (Modern Age) verortet. “His arrival changes again. And again”, stellt Dr. Manhattan fest, der selbst ja nur einmal von Alan Moore für sein Watchmen-Comic ins Leben gerufen wurde.

Bereits in den anfänglichen Ausgaben wirkte es mitunter so, als kommentiere Johns nicht nur die fiktive Welt der beiden Comic-Universen selbst, sondern auch unsere Realität, aus welcher diese stammen. “We’ll be heroes again”, hatte Ozymandias zu Beginn von Doomsday Clock gesagt, als er sich mit Rorschach auf ins DC-Universum machte. Einerseits meint er damit natürlich seine gescheiterte Befriedung der Welt, die Alan Moore in Watchmen abhandelte. Andererseits avancieren allerdings hier auch Charaktere wie er, Rorschach, Dr. Manhattan oder The Comedian durch die Integration ins DC-Universum nun wieder zu „Helden“ der Comic-Szene für eine Generation, die eventuell mit Watchmen zuvor nichts anfangen konnte.

Action ist es dann auch, wo die Relevanz von The Adjournment und Carver Coleman etwas deutlicher wird. “I knew I had to answer a simple question… who was the target and who was in the wrong place at the wrong time?”, bringt es Colemans filmisches Alter Ego auf den Punkt – und verweist zugleich auf die Geschehnisse, die Doomsday Clock definieren. Zur falschen Zeit am falschen Ort ist dabei nicht dem Zufall geschuldet, sondern – wie Action aufzeigt – eine Kausalkette, die Dr. Manhattan in Gang setzt. Sei es wenn er verhindert, dass Alan Scott zu Green Lantern wird, er damit die Justice Society of America beeinflusst oder im Verlauf der Ausgabe immer intensiver Einfluss auf die Geschichte und das Leben von Superman nimmt.

Auch hier findet sich wieder eine Meta-Lesart, wenn Dr. Manhattan sich in Supermans Historie einmischt, wie es DC Comics seit den 1940er Jahren immer wieder tut. Dr. Manhattans gottgleiche Kräfte ähneln dabei denen von Geoff Johns oder jedem anderen Comic-Autoren, die in ihren unzähligen Reboots und Crossovern Hintergründe, Ursprünge und Co. der Comic-Helden verändern und korrigieren. Die Ereigniskette, der wir in Doomsday Clock beiwohnen, resultiert dann auch daraus, dass Dr. Manhattan einen immer aktiveren Part nimmt, wo er in der (Watchmen-)Vergangenheit primär als Beobachter fungierte. Als “being of inaction” sieht er sich durch seine Verwicklungen auf Konfrontationskurs mit Superman (“a man of action”).

In Anflügen spielt vor allem Action dabei auch mit Fragen von Kausalität und Determinismus. So trifft sich Carver Coleman, ursprünglich ein gescheiterter Schauspieler, jährlich in einem Diner mit Dr. Manhattan, um von ihm Informationen zu seiner Zukunft zu erfahren. Für Dr. Manhattan als vierdimensionales Wesen ist Colemans Zukunft zugleich Gegenwart und Vergangenheit – und damit Geschichte. Die Frage ist, ob die Ereignisse – darunter der Gewinn eines Oscars als Bester Hauptdarsteller – auch geschehen wären, wenn der zuvor hoffnungslose Coleman nicht die gute Nachricht erhalten hätte? Konträr dazu wird Superman etabliert, um den sich das Universum jeweils anordnet, egal, in welchem Jahr er auftritt.

Reichlich verkopft kommen also die jüngsten zwei Ausgaben daher, die gegenüber denen zuvor weniger auf comic relief setzen (was sich auch durch die Abwesenheit von Rorschach, Joker, Marionette und Mime erklären mag). Amüsante Momente gibt es lediglich vereinzelt, zum Beispiel wenn ein nach dem Vorfall von Saving Humanity auf der Erde zurückgebliebener Batman das Großkonsortium der Justice League vorwarnen will, aber mehrere Minuten für die Signalübertragung von der Erde zum Mars abwarten muss. Das Fehlen der Watchmen-Crew – zu der auch Saturn Girl dazu gestoßen war – macht sich aber dennoch leicht bemerkbar, auch weil die Justice League eher quantitativ als qualitativ in Action vertreten ist.

Prinzipiell funktioniert Doomsday Clock weiter sehr gut, nicht zuletzt dank der sehenswerten Bilder von Gary Frank und ihrer Vorlagentreue. Ob und wie die Serie alle Stränge und Figuren in den verbliebenen zwei Ausgaben, die bis Jahresende erscheinen sollen, zusammenführt (ohne dass sich die Handlung in eine nächste DC-Inkarnation weiterschleppt), wird spannend sein. Eventuell hat Geoff Johns mit der Integration dieser Vielzahl an Figuren mehr abgebissen, als er schlucken kann (so bedarf es noch der Auflösung von Black Adams Angriff auf die Vereinten Nationen). “To this universe of hope… I have become the villain”, realisiert Dr. Manhatten am Ende von Action – hoffentlich kein schlechtes Omen auf sein Autoren-Alter-Ego Johns.

8/10