Zwar sind es nur wenige Jahre, die zwischen Kindheit bzw. Jugend und dem Erwachsenenalter liegen, dennoch erscheint jungen Menschen die kommende Rolle (und damit verbundene Verantwortung) oft weit entfernt. Es ist ein schleichender Prozess, dem in der Literatur der Bildungsroman gewidmet ist, im Film derweil das Subgenre des Coming of Age. Während Bing Lius Debütfilm Minding the Gap auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Skater-Dokumentation wirkt, zeigt sich relativ schnell, dass der Regisseur weniger über die Skater-Kultur zu sagen hat als über jenen schmalen Grat seiner Protagonisten zwischen jung und erwachsen. Zugleich liefert Bing Liu auch erschütternde und teils autobiografische Einblicke in häusliche Gewalt.
Über einen Zeitraum von zwölf Jahren gefilmt, begleitet Liu in Minding the Gap seine Freunde Zack Mulligan und Keire Johnson. Wir begegnen ihnen erstmals bei einem morgendlichen Skate-Ausflug, der auf Hausdächern beginnt und schließlich in die Stadt führt. Wenn Zack, Keire und Co. durch die (noch) leeren Straßen von Rockford, Illinois skaten, erscheinen sie wie Asphalt-Könige, denen das Leben nichts anhaben kann. Es wirkt wie eine unbeschwerte Momentaufnahme, die einen Status quo repräsentiert, der im Verlauf der Dokumentation allmählich seziert wird. Fast so, als würde die Jugendlichen am Ende der Straße ein anderes Leben erwarten – eines das sehr viel ernster und weitaus aufreibender ist als ihr bisher bekanntes.
Für Zack äußert sich dies in der Geburt seines Sohnes. War er zuvor nur für sich verantwortlich, obliegt ihm jetzt die Erziehung eines Neugeborenen. Neben seiner Tätigkeit als Dachdecker versucht er seinen Schulabschluss nachzuholen, Freundin Nina wiederum verdingt sich als Kellnerin. Die überraschende Elternrolle strapaziert auch die Beziehung der beiden jungen Menschen, die wiederholt ob ihrer jeweiligen Aufgaben aneinandergeraten. Was sich später auch in häuslicher Gewalt niederschlägt, begünstigt durch Zacks angedeuteten Alkoholismus. Ein Thema, das Liu wiederum aus seiner Familie aufgreift, wo ihn sein Stiefvater über Jahre hinweg gezüchtigt hat. Was in gewisser Weise Nina und Mrs. Liu auf eine gemeinsame Stufe stellt.
“I don’t want to be alone”, erklärt die Mutter dem Regisseur an einer Stelle, wieso sie damals nicht gegenüber ihren Mann einschritt. Ähnlich mag man sich Ninas Verhalten erklären, die Zack, sicher auch wegen ihres Sohnes, Chance um Chance gibt. “I really desperately crave love”, gesteht sie Liu später. Letztlich geht es den meisten Figuren des Films so. Für Keire, der jung seinen Vater verlor und mit den wechselnden Bekanntschaften seiner Mutter wenig anfangen kann, ist seine Clique “more of a family than my family”. Im Skatepark fanden Zack, Keire und Liu aneinander Halt, der ihnen zuhause abging. Aber dieses kurze Glück in der Halfpipe konnte nur von kurzer Dauer sein. Der Realität entkommen sie auf ihrem Board nicht.
“We have to fully grow up and it’s gonna suck”, scheint Keire den Prozess soweit hinauszögern zu wollen wie möglich. “When you’re a kid you just do. You just act”, sinniert Zack. “And then, somewhere along the line, everyone loses that.” Von den drei Freunden ist Zack vermutlich der komplexeste Charakter. Kein schlechter, ein durchaus warmherziger Mensch, aber einer, mit einer dunklen Seite. Man müsse die winzigsten kleinen Details kontrollieren, um sich normal in einer Welt zu fühlen, die nicht normal sei, fasst er sein Dilemma an einer Stelle zusammen. Seinen überbordenden Alkoholkonsum beschreibt er als Ausflucht (“I just wanna hide”) vor den Erwartungen der Gesellschaft, denen er bisher nicht gerecht werden kann.
Die Tatsache, dass er schon in jungen Jahren Vater geworden ist, trägt ihren Teil dazu bei. Wie kann jemand, der selbst dabei ist, den Kokon seiner Jugend abzustreifen, bereits die Verantwortung für die nächste Generation tragen? “I don’t feel like I’ve done anything I’ve ever wanted to do with my life”, fühlt sich Zack irgendwann in einer Sackgasse angelangt. Ausgebremst vom Leben. Eine Sackgasse, in die sich Keire nicht verirren will, der sich als Tellerwäscher verdingt. “I feel if I stay here I’m gonna get stuck here”, realisiert er. Und beginnt sich im Verlauf der Dokumentation von Zack und Co. zu entfremden, stattdessen mit einer anderen, jüngeren Crew abzuhängen. “They were on a better path”, erklärt er diesen Schritt.
Minding the Gap liefert dem Publikum faszinierende Einblicke in das Leben dieser fünf so unterschiedlichen und zugleich sehr ähnlichen Figuren (mit Abstrichen gehört auch Keires Mutter hier dazu). Der Film erzählt von den hohen Erwartungen an Eltern, perfekt zu sein, was diese nicht sind – weder Mrs. Liu noch Zack und Nina. Sie alle sind auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit, tragen aber einschließlich Keire und Liu selbst gewisse emotionale Altlasten mit sich herum. “When I was younger everyone seemed like they had it all figured out”, beschreibt Keire diese Diskrepanz zwischen den Eindrücken junger Menschen von Erwachsenen und der Realität. “Nobody knows what the fuck they’re doing”, resümiert derweil Zack.
Die Offenheit in ihre Persönlichkeit (“I’ve given you free range”, sagt Zack zu Liu) beeindruckt und hebt Minding the Gap auf ein emotional höheres Level als wenn er sich „nur“ mit Skatern und ihrer Mentalität befasst hätte. Er ist dabei nicht unähnlich (aber merklich gelungener) zu Jonah Hills diesjährigem Nostalgie-Quark Mid90s, der sich eines ähnlichen Milieus bedient. Wir sehen sympathische Charaktere, mit denen wir uns identifizieren, weil sie Probleme teilen, die wir kennen. Wieso er alles filme, fragt Zack eingangs Liu, der dies damit erklärt, eine Montage erstellen zu wollen, die alle diese Momente zu einem langen Video zusammenfügt. Gemäß Keire “to make it seem like the best time ever”. Damals, als ihr Leben noch jung und unbekümmert war.
Über einen Zeitraum von zwölf Jahren gefilmt, begleitet Liu in Minding the Gap seine Freunde Zack Mulligan und Keire Johnson. Wir begegnen ihnen erstmals bei einem morgendlichen Skate-Ausflug, der auf Hausdächern beginnt und schließlich in die Stadt führt. Wenn Zack, Keire und Co. durch die (noch) leeren Straßen von Rockford, Illinois skaten, erscheinen sie wie Asphalt-Könige, denen das Leben nichts anhaben kann. Es wirkt wie eine unbeschwerte Momentaufnahme, die einen Status quo repräsentiert, der im Verlauf der Dokumentation allmählich seziert wird. Fast so, als würde die Jugendlichen am Ende der Straße ein anderes Leben erwarten – eines das sehr viel ernster und weitaus aufreibender ist als ihr bisher bekanntes.
Für Zack äußert sich dies in der Geburt seines Sohnes. War er zuvor nur für sich verantwortlich, obliegt ihm jetzt die Erziehung eines Neugeborenen. Neben seiner Tätigkeit als Dachdecker versucht er seinen Schulabschluss nachzuholen, Freundin Nina wiederum verdingt sich als Kellnerin. Die überraschende Elternrolle strapaziert auch die Beziehung der beiden jungen Menschen, die wiederholt ob ihrer jeweiligen Aufgaben aneinandergeraten. Was sich später auch in häuslicher Gewalt niederschlägt, begünstigt durch Zacks angedeuteten Alkoholismus. Ein Thema, das Liu wiederum aus seiner Familie aufgreift, wo ihn sein Stiefvater über Jahre hinweg gezüchtigt hat. Was in gewisser Weise Nina und Mrs. Liu auf eine gemeinsame Stufe stellt.
“I don’t want to be alone”, erklärt die Mutter dem Regisseur an einer Stelle, wieso sie damals nicht gegenüber ihren Mann einschritt. Ähnlich mag man sich Ninas Verhalten erklären, die Zack, sicher auch wegen ihres Sohnes, Chance um Chance gibt. “I really desperately crave love”, gesteht sie Liu später. Letztlich geht es den meisten Figuren des Films so. Für Keire, der jung seinen Vater verlor und mit den wechselnden Bekanntschaften seiner Mutter wenig anfangen kann, ist seine Clique “more of a family than my family”. Im Skatepark fanden Zack, Keire und Liu aneinander Halt, der ihnen zuhause abging. Aber dieses kurze Glück in der Halfpipe konnte nur von kurzer Dauer sein. Der Realität entkommen sie auf ihrem Board nicht.
“We have to fully grow up and it’s gonna suck”, scheint Keire den Prozess soweit hinauszögern zu wollen wie möglich. “When you’re a kid you just do. You just act”, sinniert Zack. “And then, somewhere along the line, everyone loses that.” Von den drei Freunden ist Zack vermutlich der komplexeste Charakter. Kein schlechter, ein durchaus warmherziger Mensch, aber einer, mit einer dunklen Seite. Man müsse die winzigsten kleinen Details kontrollieren, um sich normal in einer Welt zu fühlen, die nicht normal sei, fasst er sein Dilemma an einer Stelle zusammen. Seinen überbordenden Alkoholkonsum beschreibt er als Ausflucht (“I just wanna hide”) vor den Erwartungen der Gesellschaft, denen er bisher nicht gerecht werden kann.
Die Tatsache, dass er schon in jungen Jahren Vater geworden ist, trägt ihren Teil dazu bei. Wie kann jemand, der selbst dabei ist, den Kokon seiner Jugend abzustreifen, bereits die Verantwortung für die nächste Generation tragen? “I don’t feel like I’ve done anything I’ve ever wanted to do with my life”, fühlt sich Zack irgendwann in einer Sackgasse angelangt. Ausgebremst vom Leben. Eine Sackgasse, in die sich Keire nicht verirren will, der sich als Tellerwäscher verdingt. “I feel if I stay here I’m gonna get stuck here”, realisiert er. Und beginnt sich im Verlauf der Dokumentation von Zack und Co. zu entfremden, stattdessen mit einer anderen, jüngeren Crew abzuhängen. “They were on a better path”, erklärt er diesen Schritt.
Minding the Gap liefert dem Publikum faszinierende Einblicke in das Leben dieser fünf so unterschiedlichen und zugleich sehr ähnlichen Figuren (mit Abstrichen gehört auch Keires Mutter hier dazu). Der Film erzählt von den hohen Erwartungen an Eltern, perfekt zu sein, was diese nicht sind – weder Mrs. Liu noch Zack und Nina. Sie alle sind auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit, tragen aber einschließlich Keire und Liu selbst gewisse emotionale Altlasten mit sich herum. “When I was younger everyone seemed like they had it all figured out”, beschreibt Keire diese Diskrepanz zwischen den Eindrücken junger Menschen von Erwachsenen und der Realität. “Nobody knows what the fuck they’re doing”, resümiert derweil Zack.
Die Offenheit in ihre Persönlichkeit (“I’ve given you free range”, sagt Zack zu Liu) beeindruckt und hebt Minding the Gap auf ein emotional höheres Level als wenn er sich „nur“ mit Skatern und ihrer Mentalität befasst hätte. Er ist dabei nicht unähnlich (aber merklich gelungener) zu Jonah Hills diesjährigem Nostalgie-Quark Mid90s, der sich eines ähnlichen Milieus bedient. Wir sehen sympathische Charaktere, mit denen wir uns identifizieren, weil sie Probleme teilen, die wir kennen. Wieso er alles filme, fragt Zack eingangs Liu, der dies damit erklärt, eine Montage erstellen zu wollen, die alle diese Momente zu einem langen Video zusammenfügt. Gemäß Keire “to make it seem like the best time ever”. Damals, als ihr Leben noch jung und unbekümmert war.
7.5/10