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13. September 2019

Ad Astra

I guess there’s not much you haven’t seen.

In einem Artikel des New Yorker über Regisseur James Gray berichtet seine Frau, dass Gray und seine Freunde pflegen, zubereitete Gerichte gemäß der Filmografie von Francis Ford Coppola zu bewerten. Von vorzüglichen Rezepten, die zum “Godfather” avancieren, hin zu “rewarding but acquired taste”, den Gray und Konsorten mit “Apocalypse Now” gleichsetzen. In Hinblick auf Grays jüngsten Film Ad Astra passt dieser Teil des Artikels ganz gut, erklärt das Faible für Coppola schließlich größtenteils den Aufbau dieses Sci-Fi-Dramas. Das ist im Grunde weniger eine eigenständige Meditation über Existenz- und Bindungsängste als ein Versatzstück verschiedener Sci-Fi-Werke, hineingezwängt in das narrative Gerüst von Apocalypse Now.

Die oberflächliche Prämisse entstammt dabei aus dem Baukasten des Genres: Die Existenz der Menschheit wird bedroht und Brad Pitt muss dies verhindern. Elektrische Stürme suchen plötzlich die Erde heim, Todesopfer im mittleren fünfstelligen Bereich verursachend. Den Grund macht die Weltraumbehörde in einem Antimaterie-Experiment ausfindig, das am Rande des Solarsystems im Orbit von Neptun Astronaut Clifford McBride (Tommy Lee Jones) durchführt. Nur: Der schien eigentlich totgeglaubt, seine Mission zur Entdeckung von außerirdischem Leben seit 13 Jahren als verschollen. Zwecks Kontaktaufnahme mit McBride wird daher nun sein Sohn Roy (Brad Pitt), ebenfalls Astronaut, rekrutiert und auf den Weg zum Mars entsandt.

Die Gefahr für die Menschheit – der Film spricht sogar vom Solarsystem – legt Ad Astra dabei schnell ad acta. Gray inszeniert die Geschichte weniger als Weltenrettung à la Armageddon, sondern reduziert die Handlung vor allem in der zweiten Filmhälfte primär auf seine Hauptfigur. Die hadert mit sich selbst, mit ihrem Erzeuger und dessen Erbe. Zuletzt sah Roy seinen Vater als Jugendlicher, 29 Jahre ist es her, seit dessen Lima Project zu seiner Mission aufbrach, ehe es nach 16 Jahren den Kontakt abbrach. Entscheidender als der Kontaktbruch mit seiner Behörde wiegt in Ad Astra der von Clifford McBride zu seinem Sohn. Wenn dieser also dem Weg seines Vaters folgt, bis hin zur zurückgelassenen Familie, ist dies sinnbildlich.

Der Astronautenberuf, die gescheiterte Ehe mit Eve (Liv Tyler) – all das mag Roy helfen, seinen Vater und dessen damalige Motive zu verstehen. Und nachzuempfinden, warum er einst so handelte, wie er es tat. Der Auftrag zur Kontaktaufnahme bietet ihm nun die Chance zur direkten Konfrontation. Für die Weltraumbehörde geht es um die Rettung allen Seins, für Roy eher darum, mit der emotionalen Leere, welche die Abwesenheit des Vaters hinterlassen hat, wider Erwarten endlich abzuschließen. Es ist daher für die Figur eine persönliche Mission – weshalb Roy im Verlauf des Films immer mehr zum Problemfall für seine Behörde wird. Denn der ist das große Ganze wichtiger als die unerwartete Familienzusammenführung der zwei McBrides.

Gray erzählt dies in Ad Astra über verschiedene Set-Pieces. Nach einer Einführung des Problems geht es für Roy und den ihn begleitenden Colonel Pruitt (Donald Sutherland) auf kommerziellem Weg zuerst zum Mond, um von dessen dunkler Seite aus zum Mars zu fliegen, wo ein unbeschädigter Laser heimlich bis zum Neptun kommunizieren kann. Was auf dem Spiel steht, wissen nur die wenigsten Figuren, weder der Begleitschutz auf dem Mond vor Piraten noch der Captain der Mars-Rakete oder Helen Lantos (Ruth Negga), Leiterin der Mars-Kolonie. Unterfüttert werden diese Staffelziele für Roy immer wieder mit eruptiven Action-Szenen (Unfälle, Überfälle, Anfälle, Ausfälle), ehe der finale Schlussakt sich wiederum geradezu zurückzieht.

In dieser gescheiterten Symbiose liegt mit das Hauptproblem des Films. Die Action ist wenig originell und aufregend, selbst wenn sie auf gewisse Weise eines der Themen der Handlung (Besonnenheit im Zwiespalt mit Aggression) unterstreichen mag. Nicht zweckdienlich ist dabei auch, dass der Zuschauer vieles schon in anderen Genrevertretern gesehen hat. Das eine Set-Piece erinnert etwas an Duncan Jones’ Moon, ein anderes wiederum an Danny Boyles Sunshine. Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey wird gleich mehrfach zitiert. All dies vermengt James Gray dann in eine Art Sci-Fi-Remake von Apocalpyse Now, mit dem Zusatz des Familienelements zwischen den Figuren, als wäre Captain Willard der Sohn von Colonel Kurtz.

Wenn Willard sagt, Kurtz “split from the whole fucking program”, passt dies natürlich auch auf Clifford McBride. Und seine Erklärung “there’s no way of telling his story without telling my own” könnte im Prinzip von Brad Pitt an einer Stelle in Ad Astra ebenso geäußert werden. Roy lebt ebenfalls von Mission zu Mission, mit seiner Ehe als weiterem Opfer im Verlauf (“I hardly said a word to my wife, until I said ,yes’ to a divorce”, verrät Willard). Die Reise von Willard zu Kurtz und die Befürchtungen, die damit einhergehen, entsprechen denen Roy McBrides. “Part of me was afraid of what I would find and what I would do when I got there”, offenbart Willard. “But the thing I felt the most, much stronger than fear, was the desire to confront him.”

Die Erweiterung der Willard-Kurtz-Beziehung ins Familiäre mag ihren Reiz haben, hätte aber vertieft werden können auf Kosten der generischen Action. Die Trailer deuten an, dass viele Szenen in der finalen Schnittfassung fehlen, der Fokus auf die Action mag Studiowünschen oder Testvorführungen entsprechen. Es lässt sich erahnen, in welche Bereiche – mehr Malick als Coppola – der Film von Gray hätte kalibriert werden können. Auch da abseits von den Versatzstücken anderer Werke das visuelle Einfallsreichtum durchaus in Hoyte van Hoytemas Bildern aufblitzt, sei es die Spiegelung einer Raumschiffschleuse im Helmvisier der Astronauten oder ein aus dem Wasser steigender Roy im Weltraumanzug (an sich erneut ein Willard-Zitat).

Insofern ist Ad Astra weniger kreatives Kochen als Fusionsküche. Angesichts der faszinierend-ambivalenten Figur, manch atemberaubender Einstellung, solider Effekte und der die Handlung und ihre thematischen Elemente hervorragend untermalenden Musik von Max Richter (u.a. The Leftovers) hinterlässt Gray den Zuschauer etwas hin- und hergerissen. Potential für mehr war vorhanden, wirkt in seiner oftmals unnötigen Replik aber mitunter zu oft verschenkt. Zwar angelegt als “Apocalypse Now: A Space Odyssey” schmeckt Grays cineastisches Gericht somit eher wie ein “One from the Heart”, um den coppolaschen Cuisine-Vergleich wieder aufzugreifen: visuell einprägsam mit spannendem Motiv aber unausgegorenem Handlungsgerüst.

7/10

14. April 2017

12 Monkeys

Never cry wolf.

Und plötzlich war er ein Hollywood-Regisseur – sehr zu seiner eigenen Verwunderung. Im Zuge der Vermarktung zu seiner Sci-Fi-Dystopie 12 Monkeys wurde Terry Gilliam als einer der Visionäre der Traumfabrik erklärt. Gilliam wiederum, der zuvor unter anderem Brazil inszenierte, sah sich für seinen neuen Film zwar durchaus als “jobber”, in 12 Monkeys jedoch eher einen europäischen Arthouse-Film denn einen Hollywood-Blockbuster. Letztere Assoziation verdankt sich vermutlich auch dem Umstand, dass Action-Star Bruce Willis und der damals kurz vor dem Durchbruch stehende Brad Pitt in dem Film mitspielten. Ironischerweise jedoch, um mit ihrer bisherigen Filmografie zu brechen und neue Facetten ihres Spiels zu zeigen.

“It is how the film got made, by putting some stars in it”, erklärt Terry Gilliam in der Making-of-Dokumentation The Hamster Factor and Other Tales of Twelve Monkeys. Nichtsdestotrotz war das Budget des Films für Gilliam und seinen Produzenten mit 30 Millionen Dollar zu knapp bemessen. Was auch an der turbulenten Vorgeschichte zwischen Gilliam und Universal bezüglich der Brazil-Produktion gelegen haben mag. Vergleichsweise wenig Geld, bedenkt man, dass Wolfgang Petersens Outbreak aus demselben Jahr ein Budget von 50 Millionen Dollar hatte, Joe Johnstons Jumanji, auch von 1995, gar doppelt so viel wie 12 Monkeys. Entgegen der Zweifel spielte das überschaubare Budget dem Art Design der Produktion jedoch in die Karten.

Das Drehbuch von David und Janet Peoples erzählt von einer Pandemie, die im Jahr 1996 gut fünf Milliarden Menschen das Leben kosten sollte. In der Zukunft des Jahres 2035 wird der Strafgefangene James Cole (Bruce Willis) von einer Gruppe Wissenschaftler in die Vergangenheit geschickt, um die Ursprünge des von Menschen ausgelösten Virus’ zu ergründen. Cole landet dabei in einer psychiatrischen Anstalt, wo er die Aufmerksamkeit der Psychologin Dr. Kathryn Railly (Madeleine Stowe) auf sich zieht, genauso wie die des Patienten Jeffrey Goines (Brad Pitt). Letzterer verhilft Cole zur Flucht, während dieser Dr. Railly entführt und mit ihr versucht aufzudecken, wer die Armee der 12 Monkeys ist, die Cole für den Virus verantwortlich sieht.

Die Prämisse für die Hauptfigur ähnelt dabei Filmen wie Escape from New York: Um Straferlass zu erhalten, fügt sich Cole wie Snake Plissken einer Autorität, gegen die er in der Vergangenheit rebelliert hat. Allerdings wird die Motivation für Cole angesichts seiner dystopischen Zukunft nicht allzu deutlich, wir sehen von der Welt des Jahres 2035 relativ wenig, außer dass die Reste der Menschheit unter der Erde leben. Die Zukunft jenseits der wissenschaftlichen Einrichtung von Jones (Carol Florence) und Co. bleibt dem Publikum ein Rätsel. Da Coles Motivation somit alternativlos scheint, wäre die Prämisse in gewisser Weise verzichtenswert gewesen, obschon sie natürlich in ihrer Gestaltung dem Satire-Ansatz von Terry Gilliam dient.

“Bad news, man”, wird Cole da von Mithäftling Jose (Jon Seda) begrüßt. “Volunteers?”, fragt Cole angesichts des Trubels im Gefängnis, aufgebaut wie ein Gehege für Versuchskaninchen. “Yeah, and they said your name”, bestätigt Jose. Der Film kleidet dies zynisch in das Oxymoron “Volunteer Duty” und auch die Wissenschaftler, die aus den Gefangenen ihre Probanden wählen, machen deutlich: “Not to volunteer would be a mistake.” Für Cole beginnt so erst ein Ausflug an die kontaminierte Oberfläche und später ein solcher in das versehentliche Jahr 1990 in Baltimore. Gerade in diesem ersten Akt des Films spielt Gilliam noch mit einem Aspekt, den er fortan immer verstärkter verliert: der Dualität der Ereignisse als Realitätszweifel.

Eine der Ideen war es, offen zu halten, ob Cole wirklich in die Vergangenheit reist oder sich die Zukunft lediglich einbildet. Gilliam unterfüttert dies speziell zu Beginn noch mit sich wiederholenden Szenenmomenten. Es ist sein gewalttätiges Benehmen, das Cole im Jahr 1990 in Polizeigewahrsam bringt, ähnlich wie es ihm in der Zukunft sein Strafmaß von 25 Jahren bescherte. Sowohl im Jahr 2035 wie in 1990 findet er sich hinter Gittern wieder, wird von zwei Wärtern geduscht und anschließend einer Gruppe Wissenschaftler gegenübergestellt, um deren Fragen zu beantworten. Sogar der Zeitreise-Mechanismus findet ein Spiegelbild, wenn Cole auf seiner Flucht aus der Klinik in eine MRT-Behandlung mit ähnlicher Prozedur platzt.

Genauso spielt 12 Monkeys teils, aber nicht durchgängig, mit der Theorie des Zeitparadoxons, wenn es kurzzeitig so scheint, als war es Cole, der Jeffrey Goines im Jahr 1990 erst auf die Idee zur Armee der 12 Monkeys und der Pandemie brachte. Ein kausaler Zusammenhang, der sich im Einklang mit der visuellen Klammer des Films bewegt, in welcher ein junger Cole im Jahr 1995 unwissentlich den Tod seines erwachsenen Pendants miterleben muss. Es ist jener Cassandra-Komplex, den Gilliam speziell in der zweiten Hälfte von 12 Monkeys zu Gunsten (respektive Lasten) seiner Liebesgeschichte zwischen den Hauptfiguren opfert. Die wiederum scheint wenig ausgearbeitet und nicht wirklich nötig, angesichts der drohenden Pandemie-Gefahr.

Interessant ist, den 1995er-Film von Universal mit der Fernsehadaption von Syfy zu vergleichen. Im TV-Pendant wird Cole (Aaron Stanford) bewusst in die Vergangenheit geschickt, um den Ausbruch des Virus’ zu verhindern. “I can’t save you. Nobody can”, machte dagegen die Bruce-Willis-Version gegenüber Railly und Co. im Jahr 1990 deutlich. “This already happened. I am simply trying to gather information.” Wo der Film-Cole als Beobachter agiert, interveniert die Fernseh-Version. Passend dazu wird der Vorname von Dr. Railly (Amanda Schull) von Kathryn zu Cassandra abgewandelt, während Jones (Barbara Sukowa) und José (Kirk Acevedo) zentralere Rollen einnehmen und aus Jeffrey derweil Jennifer Goines (Emily Hampshire) wird.

Die Serie hat natürlich mehr Zeit, “world building” zu betreiben. Statt fünf sterben sieben Milliarden Menschen, die Überlebenden, immun gegen den mutierenden Virus, leben dabei an der Oberfläche in verschiedenen Zivilisationsformen. Syfys 12 Monkeys ist somit teils Dystopie, teils Agenten-Thriller, wenn Cole als eine Art Action-Held immerzu in die Vergangenheit reist, um dort mit Railly den Auslöser für den Virus zu finden und zu verhindern. Das Ziel ist dadurch umso hehrer, bezweckt Cole doch ein Zeitparadoxon auszulösen, indem er durch Intervention der Vergangenheit seine Zukunft verändert und damit sich und seine Mission eliminiert. Die Atmosphäre des Films vermag die Serie jedoch nicht einzufangen.

Und auch wenn Terry Gilliam nicht für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, sondern als “director for hire” auftritt, wie er es selbst nennt, ist 12 Monkeys doch durch und durch ein gilliamesker Film. Gerade die Passagen in der Zukunft erinnern sowohl an Brazil als auch an The Zero Theorem. Es ist ein interessantes und spannendes Szenario, welches 12 Monkeys in den Raum wirft, getragen von starken Schauspielern und ungeachtet des geringen Budgets überzeugendem Art Design. Wie bereits angesprochen ist es jedoch die Romanze zwischen Cole und Railly, die zwecks emotionaler Beteiligung des Zuschauers gerade im Schlussakt immer zentraler wird. Plötzlich geht es nicht mehr um fünf Milliarden Tote, sondern das Liebesglück eines Paares.

Alles, was die Geschichte eingangs interessant macht, rückt dadurch in den Hintergrund. Darunter die Armee der 12 Monkeys um Jeffrey Goines sowie allgemein der verschenkte Christopher Plummer als dessen Vater und vermeintlicher Urheber des Virus’. Der wirkliche Antagonist in Person von David Morses Wissenschaftler bleibt lediglich ein Nachklapp, was sicher in gewisser Weise die Ironie der fehlgeleiteten Mission widerspiegelt, aber ungeachtet dessen interessanter gewesen wäre, als die Doktor-Patient-Liebelei. Der fortgesetzte Fokus auf die diametrale Gegenüberstellung von 2035 und 1995, der Frage nach eingebildeter oder echter Zukunft und dem Kausalitätsgedanken hätte 12 Monkeys stärker gemacht als er ist.

Auch das Publikum der Testvorführungen hatte seine Probleme mit der Liebesgeschichte und der Handlung, doch Gilliam blieb weitestgehend bei der ursprünglichen Idee des Films. Etwas, das sich im Nachhinein wider Erwarten auszahlte. 12 Monkeys spielte weltweit fast 170 Millionen Dollar ein und gehörte zu den 20 erfolgreichsten Filme von 1995 – vor der Konkurrenz wie Tony Scotts Crimson Tide oder der Michael-Crichton-Adaption Congo. Und auch wenn Bruce Willis im selben Jahr mit Die Hard with a Vengeance einen weitaus veritableren Hit hatte, genauso wie Brad Pitt mit Seven, so verdankt Letzterer doch 12 Monkeys bis heute seinen einzigen Golden Globe. Und Terry Gilliam? Der blieb sich treu – und wurde kein Hollywood-Regisseur.

7.5/10

7. Dezember 2013

The Counselor

The slaughter to come is probably beyond our imagining.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Das mag sich Ridley Scott gedacht haben, als er vom Originaldrehbuch erfuhr, das Cormac McCarthy verfasst hatte. Seit langem wollte Scott dessen renommierten Roman Blood Meridian auf die Leinwand bringen, nun bot sich in The Counselor die Chance, die Worte des speziell in den USA hochgeschätzten Pulitzerpreisträgers zu verfilmen. Gespickt mit Stars und bekannten Darstellern bis in die Nebenrollen, wurde The Counselor anschließend vom Feuilleton verrissen. Relativ unverständlich, eint den Film doch viel mit der 2007 weltweit gefeierten Adaption von McCarthys Roman No Country for Old Men der Coen-Brüder.

Hier wie da bringt sich der Hauptprotagonist um Kopf um Kragen, als er sich aus Raffgier mit einem mexikanischen Kartell einlässt. Ein – dem Film seinen Titel leihender – Rechtsberater (Michael Fassbender), der allem Anschein nach in finanziellen Schwierigkeiten steckt, teilt einem seiner Klienten, dem flamboyanten Geschäftsmann Reiner (Javier Bardem), mit, dass er bereit sei, in dessen illegale Geschäfte mit dem Drogenkartell mitinvolviert zu werden. Ein weiterer Partner dieses Geschäfts ist der Mittelmann Westray (Brad Pitt), der im Folgenden wie Reiner versucht, den Counselor vor den Risiken und möglichen Folgen der Zusammenarbeit mit dem Juárez-Kartell zu warnen. Doch der Anwalt will davon nichts hören.

Er will seiner Verlobten, Laura (Penélope Cruz), jenes Luxusleben bieten, dem auch Reiner und seine arglistig-kalkulierende Freundin Malkina (Cameron Diaz) frönen. “I always liked smart women”, erzählt ihm Reiner, “but it’s an expensive hobby”. Als jedoch einer der Kuriere des Kartells ermordet wird und sich herausstellt, dass der Counselor eine Verbindung zu ihm besaß, machen sich der Anwalt sowie Reiner und Westray selbst verdächtig. “They don’t really believe in coincidences”, sagt Westray über das Kartell. “They’ve heard of them. They’ve just never seen one.” Und während Westray kurzerhand beginnt, alle Zelte abzubrechen und das Weite sucht, strebt der Counselor nach einer Lösung dieses Konflikts.

Dies wiederum unterscheidet ihn zwar von Llewelyn Moss aus No Country for Old Men, dennoch hat seine Involvierung in Kartellvorgänge für sein Umfeld ähnliche Konsequenzen. The Counselor ist dabei von nicht minder illustren Figuren bevölkert, viele von ihnen in Handlungsstränge integriert, die für den Fortgang der eigentlichen Geschichte wenig erheblich sind. Beispielsweise Bruno Ganz als niederländischer Diamantenhändler, bei dem der Counselor den Verlobungsring für Laura ersteht oder Édgar Ramírez als Priester, dem Malkina versucht, durch sexuelle Anzüglichkeiten nahe zu treten. Insofern hat McCarthys Drehbuch fast schon etwas Episodenhaftes und lebt primär von den Interaktionen seiner Figuren.

Der tragische und gnadenlose Verlauf der Geschichte sowie kleinere narrative Rückrufe im Finale auf Expositionen im ersten Akt lassen The Counselor wie ein shakespearesches Drama wirken. Die Verwicklung mit dem Kartell gleicht einem Schneeball, der einmal ins Rollen geraten, nicht mehr aufzuhalten ist. Hierbei gefallen im Film besonders die Dialogreichen Szenen zwischen Fassbenders Figur und Bardem sowie Pitt und ein kurzer Ausflug nach Chicago mit einer humorvollen Interaktion zwischen John Leguizamo und Breaking Bad’s Dean Norris verkommt fast zum Highlight. Ebenso wie die Konklusion der Geschichte, die sich keinen Hollywood-Konventionen beugen will, sondern dem Œuvre McCarthys folgt.

Problematisch ist lediglich, dass Cameron Diaz – zu der die Jahre nicht nett waren – hier für die kleine, aber ausschlaggebende Figur von Malkina absolut fehlbesetzt ist. Ob die ursprünglich vorgesehene Angelina Jolie eine bessere Wahl gewesen wäre, sei dahingestellt. Hiervon sowie von ein paar Längen im dritten Akt und wenig gehaltvollen Auftritten von Ramírez oder Toby Kebbell abgesehen, bietet der Film jedoch eine vergnügliche Tour de Force. Zwar ist keine der Figuren derart einprägsam wie Anton Chirgurh in No Country for Old Men, dennoch ist The Counselor im direkten Vergleich sicherlich der zugänglichere Film. Selbst wenn eine Adaption von Blood Meridian angesichts der Kritiken für Scott in weite Ferne gerückt ist.

7/10

19. April 2013

Meet Joe Black

In this world nothing can be said to be certain, except death and taxes.
(Benjamin Franklin)

Was der Mensch nicht versteht, dem verleiht er gern Gestalt – oft in humanoider Form. So wird die Entstehung aller Dinge einem Gott zugeschrieben, der uns nach seinem Ebenbild erschaffen hat (respektive vice versa). Obschon es in der Bibel heißt „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen“ (Hiob 1,21) holt der Schöpfergott seine Kreationen beim Ableben dem Verständnis nach nicht selbst ab. Vielmehr ist es der Tod, der entsprechend eine allegorische Darstellung als Sensenmann oder blasse Gestalt in schwarzer Kutte erhält. Unvergessen ist seine Porträtierung durch Bengt Ekerot in Ingmar Bergmans Det sjunde inseglet, auch wenn Gevatter Tod wohl nie so sexy war wie in Meet Joe Black.

Gespielt von Hollywood-Star Brad Pitt, drei Jahre zuvor noch zum Sexiest Man Alive gekürt, macht es sich der Tod als Beau in der High Society bequem. Martin Brests Film basiert dabei auf dem italienischen Stück La morte in vacanza (1924) von Alberto Casella und behandelt im Prinzip dieselbe Thematik. Der Tod nimmt Urlaub von seinen Pflichten, um aus erster Hand zu erfahren, was das eigentlich ist: das Leben. Durch dieses soll ihn der Medienmogul Bill Parrish (Anthony Hopkins) führen, dessen Ableben sich ankündigt, durch das plötzliche Auftauchen des adretten „Joe Black“ (Brad Pitt) jedoch verzögert wird. Fortan probiert Joe alles aus, von Erdnussbutter bis zum Sex mit Parrishs Tochter Susan (Claire Forlani).

Die wiederum hatte mit dem blonden Schönling am Morgen seines Erscheinens noch munter geflirtet, ehe dieser zwecks Inanspruchnahme vom Tod ins Jenseits befördert wurde. Jenes erste Gefühl des Verliebtseins projiziert die gelernte Ärztin fortan auf den so einsilbigen wie naiven Joe – sehr zum Missmut von ihrem Vater sowie dessen rechter Hand und ihrem Freund Drew (Jake Weber). Und da Joe nicht mehr von Bills Seite weicht und dieser seinerseits eine Übernahme seiner Firma abschmettert, beginnt Drew ein Netz aus Intrigen zu spinnen. Alle Ereignisse laufen letztlich am Abend von Bills 65. Geburtstag zusammen, den seine älteste Tochter Allison (Marcia Gay Harden) in mühevoller Kleinarbeit geplant hat.

Relativ wenig passiert in Meet Joe Black, zumindest angesichts seiner epischen Länge von fast drei Stunden. Dennoch vermag Brests Film, so unausgereift die Handlung letztlich auch ausfällt, nie wirklich zu langweilen. Dass Susan ziemlich schnell Hals über Kopf Joe verfällt beziehungsweise dem Echo ihrer morgendlichen Begegnung, gerät ebenso in den Hintergrund wie die Frage, warum sich der Tod ausgerechnet Bill Parrish als Führer durchs Leben wählt. Denn wer eine Ahnung vom menschlichen Leben haben will, sucht sich vermutlich nicht repräsentativ einen One Percenter als Beispiel aus oder verbringt seine Zeit auf der Erde in den Mahagoni-Büros und Ledersesseln von Downtown-Wolkenkratzern.

Allerdings wäre eine Variante im Stil von Slumdog Millionaire wohl weniger interessant für die Produzenten und das Studio gewesen. Dass der Tod also aufgrund eines väterlichen Rats von Bill an Susan, ein wenig spontaner zu sein, diesen als lebendes Beispiel auswählt, ist ebenso geschenkt. Stimmiger wäre eventuell gewesen, wenn Bill aus eigenem Antrieb sein Ableben aufgeschoben hätte, im Austausch für sein kurzfristiges Dasein als Reiseleiter. Aber wie angesprochen steht die Handlung in diesem Fall hinter der grundsätzlichen Prämisse von Meet Joe Black zurück: Der Idee, dass der Tod auf die Erde kommt, um die Menschen, die er täglich ins Jenseits befördert, näher kennenzulernen.

“Only recently (..) your affairs here have piqued my interest”, eröffnet der Tod gegenüber Bill in ihrer ersten Begegnung. “Call it boredom.” Wie mag es dort wohl sein, wo alle seine „Fahrgäste“ herstammen? An jenem Ort, den keiner wirklich verlassen will, an den sich jeder von ihnen klammert? “All these things they say about you in testimonials”, erklärt der Tod. Nun will er sich also selbst ein Bild davon machen, mit Bill als Führer. Ob er sterbe, fragte dieser zuvor die Fragen aller Fragen, die ihm der blonde Beau im Anzug daraufhin bejahte. Offen bleibt, ob Parrish stirbt, damit der Tod ein Druckmittel für seine Anwesenheit und Bills Anleitung hat oder ob der Tod des 65-Jährigen seit jeher immer schon so vorgesehen war.

Weitaus interessanter als das Zusammenspiel zwischen Joe und Bill fallen jedoch zwei Szenen zwischen Ersterem und einer alten, krebskranken Jamaikanerin und Patientin von Susan im Krankenhaus aus. Die wiederum erkennt den Tod in Menschengestalt und befürchtet zuerst, von diesem geholt zu werden, nur um später exakt darum zu bitten: ihr Lebensende. “Can’t do no right by people”, lamentiert Joe darauhin in Patois. “Come to take you, you want to stay. Leave you stay, you want to go. Rahtid.” Im Dialog mit der alten Dame dröselt Meet Joe Black auch die Motive des Sensenmannes für seine erstmalige Präsenz im Reich der Lebenden auf. “I not lonely here”, gesteht er ihr nun, “somebody want me here”.

Bereits zuvor hatte er eine entsprechende Andeutung gegenüber Susan gemacht, als er vorschlug, sie würden Freunde – was sie ablehnte, da sie genügend hätte. “I don’t have any”, erwidert Joe. Die vermeintliche Einsamkeit des Todes überwältigt sogar seine eigenen „Gefühle“: Was ihm angeboten wird, gefällt ihm. Sei es Erdnussbutter, Geschlechtsverkehr oder der Schwager in spe (Jeffrey Tambor). “Schoolboy things in your head”, wiegelt die Jamaikanerin ab. Wie Joe auf seine Umwelt reagiert, gibt uns gleichzeitig eine Andeutung, was in ihm vorgehen muss, wenn er nicht auf der Erde ist. Niemand, der sich freut, dass er da ist, keine Wertschätzung. “We lonely here mostly too”, offenbart die alte Frau.

Am Ende muss sich der Tod mit seinem Schicksal abfinden, ebenso wie Bill selbst. Während dessen Zeit abgelaufen ist, darf der Tod als ein Geschöpf angesehen werden, das außerhalb der Idee von Zeit existiert. Ob er wirklich nachempfunden hat, was es bedeutet, menschlich zu sein, darf bezweifelt werden. Zumindest hat er eine Ahnung davon, warum die Menschen an ihrem Leben hängen. Und fortan ist er nicht mehr alleine, hat er doch nun seine Erinnerungen. Die sind es auch, wozu jede Flucht aus dem Alltag schließlich wird. “Like you come to the island and had a holiday”, sinniert die Jamaikanerin. “If we lucky, maybe, we got some nice pictures to take with us.” Im Falle von Meet Joe Black sind es 178 Minuten.

8.5/10

2. Oktober 2009

Kurz & Knackig: Nazi Swines

Romper Stomper

“Fuck off!“, schreit der Skinhead in die Kamera, untermalt mit gehobenem Mittelfinger und Geifer am Mundwinkel. Wie tollwütige Tiere werden Skins gerne in Filmen dargestellt. Nichtmal Hobbes hätte sich seinen Naturmensch wohl so vorgestellt. Da sitzen sie, die Skins und in vollkommener Unordnung trinken sie Milch direkt aus der Flasche und die Hälfte geht am Mund vorbei. Läuft übers Kinn, auf die Brust, zu Boden. Da hat es fast schon etwas von liebevoller Zartheit, wenn Anführer Hando (Russell Crowe) den auf dem Boden schlafenden Davey (Daniel Pollock) ein Kissen unter den Kopf legt und ihn mit dessen Bomberjacke zudeckt. Um jedoch nicht zu viele Sympathien aufzuwecken, lässt Regisseur Geoffrey Wright Crowe kurz darauf in der nächsten Szene bei der Verabschiedung eines Freundes den Arm zum Hitlergruss heben. Scheint also doch nicht so nett zu sein, der Hando. Dessen Wohnstätte sieht dann auch aus wie ein chaotischer Pausenraum der Hitlerjugend. Davey, der immerhin deutsche Nachfahren hat, rennt mit dem Deutschlandadler auf dem Shirt durch die Gegend und Hando selbst hat nicht nur ein, sondern gleich zwei Swastika-Tattoos auf dem Körper. Zudem hängt noch ein „Deutschland erwache!“-Swastika-Banner über seinem Bett. An dieses klammert er sich dann gar, als er seine neue Freundin Gabrielle (Jacqueline McKenzie) von hinten zum Orgasmus bringt. Da lächelt dann auch der Führer selbst, im eingerahmten Photo.

Skinheads per se sind noch relativ jung, wobei für Manche wohl schon ein zu langes Ärgernis. Ursprünge finden sich in den sechsziger Jahren und in der Neo-Nazi-Szene. Wobei der Neo-Nazi generell auch ein interessantes Objekt ist bzw. eher der Grad des „Neuem“ am Nationalsozialismus. Denn ob der Führer mit diesem „Pack“ zufrieden gewesen wäre, ist anzuzweifeln. Blond und blauäugig war gestern, heute heißt es kahlrasiert und tätowiert. Was bleibt ist der Hass auf Ausländer und ein daraus resultierendes Streben nach Gemeinsamkeit unter Gleichgesinnten. Der Rest ist wildes Pogo-Tanzen und Prügeleien untereinander. Der Stress muss schließlich raus, denn Arbeiten tun weder Hando noch Davey. Wahrscheinlich wurden ihnen ihre Jobs von Vietnamesen („Gooks“) weggenommen. Oder sie sind einfach zu beschränkt. Jetzt mag man sich fragen, wie jemand wie Hando eine Freundin kriegen kann. Und weil man ihm wohl keinen Nina-Hagen-Verschnitt wie bei den anderen weiblichen Figuren in Wrights Romper Stomper an die Seite stellen wollte, ist Gabrielle ein von ihrem Vater Martin (Alex Scott) sexuell missbrauchtes Mädchen, das seinen seelischen Schmerz in Drogeneskapaden zu ertränken versuchte. Adolf Hitler scheint ihr nichts zu sagen und wenn sie den Worten aus „Mein Kampf“ lauscht, dann wohl eher weil Hando diese vorträgt. Nun ist Romper Stomper aber nur nebenbei eine – erstaunliche zarte – Liebes- bzw. Dreiecksgeschichte. Übergeordnet versucht sich Wright daran, die destruktive Kraft seiner Skinheads zu portraitieren.

Die kriegen wiederum Nichts auf die Reihe. Als einige Vietnamesen verprügelt werden, weil diese die Stammkneipe von Hando und Co. kaufen, fliehen die Skins schließlich als sich die „Gooks“ in Massen organisieren. Einige Gruppenmitglieder bleiben zurück, manche von ihnen sterben. Jetzt ist Hando natürlich angepisst und will sich Waffen besorgen. Doch der (stark an A Clockwork Orange erinnernde) Raub bei Martin läuft deshalb schief, weil sich die Romper Stomper (dt. Ausländerschläger) zu lange in der Garage austoben. Erst konnten sie keine Ausländer verkloppen, jetzt nichtmal ein sicheres Ding drehen. Als die Gruppe dann an die Polizei verraten wird, ist der Niedergang schließlich besiegelt. Dass Wright die Skins in einem negativen Licht zeigen will, ist nur konsequent und wohl auch richtig. Eine wirkliche Handlung bietet er dem Publikum jedoch nicht an und an der Skinhead-Szene selbst, kratzt er stets nur leicht an der Oberfläche. Hando bleibt dabei genauso blass wie die anderen Figuren. Man erfährt nichts über ihn, seine Motivation und seine Hintergründe. So verkommt Romper Stomper die meiste Zeit nur zur lauten Pseudo-Sozialstudie, mit eingebetter Liebesgeschichte rund um Daveys Gefühle für Gabrielle. Dass der Film für neun australische Filmpreise nominiert war, muss dabei nicht mehr heißen als es bei den hiesigen Preisträgern der Fall ist. Russell Crowe in seiner Durchbruchsrolle bleibt als eindimensionaler Skin jedoch hinter dem Lob seiner Auszeichnung als Bester Hauptdarsteller zurück. Im Vergleich zu analytischeren Genrebeiträgen wie This is England oder American History X enttäuscht Wrights zweiter Spielfilm somit etwas.

5.5/10

Inglourious Basterds

Der Feuilleton liebt ihn, für Georg Seeßlen ist er der Usain Bolt des Gegenwart-Kinos. Die Rede ist von Quentin Tarantino, dem ehemaligen Videothekenangestellten, der seither für seine dialogreichen Filme mit exquisitem Soundtrack berühmt geworden ist. Manche halten ihn für überbewertet, andere lieben alles was er macht, wohl weniger wegen dessen Inhalt, sondern einfach weil es „tarantino“ ist. Zudem weiß jedes Jahr mit zumindest einem sinnlos gehypten Film daherzukommen, wie man es letztes Jahr mit The Dark Knight erlebt hat. Und wenn sich dann Tarantino und der alljährliche Hype treffen, dann kann man schnell ins Kreuzfeuer geraten. Tarantinos Neuer, Inglourious Basterds, war - oder ist – neben James Camerons Avatar (vom britischen Empire Magazin sogar schon als Film des Jahrzehnts beschrieen) der The Dark Knight von 2009. Das Projekt, welches der Amerikaner schon seit Jahren geplant hatte (u.a. mit Michael Madsen, Eddie Murphy und Adam Sandler), wurde nun endlich Realität, weil man für eine der Hauptrollen den Österreicher Christoph Waltz gewinnen durfte. Dieser habe ihm seinen Film gerettet, meinte Tarantino und Waltz (in seinem österreichischen Naturell?) ließ sich das gleich zu Kopf steigen, weshalb er seine Figur des Hans Landa in einem Interview mit der FAZ zur unerreichten Krönung im Tarantino-Universum erhob. Aber die Worte „Tarantino“, „überbewertet“ und „Hype“ fielen ja bereits.

Dass Tarantino weitaus mehr Material gedreht haben muss als er am Ende in den Film integrierte, merkt man Inglourious Basterds im Grunde unentwegt an. Speziell im letzten Drittel häufen sich die Handlungsstränge, die aus dem Nicht beginnen oder ins Nichts verlaufen. Handlungslücken und Logikfehler inklusive. Vom großen Regisseur, der jede Szene sorgsam auswählt, ist zu diesem Zeitpunkt schon nichts mehr zu sehen. Seinen unübersichtlichen Höhepunkt hatte der Auteur da bereits in seiner vorab gerühmten Kneipenszene erreicht. Diese, die er zuvor als Reservoir Dogs auf Deutsch anpries, ist in ihrer Auflösung so stümperhaft zusammengeschnitten, dass man es zwei Mal aufblitzen sieht, ehe scheinbar jeder einem Mexican-Shoot-Out zum Opfer gefallen ist. Wie genau dies nun passiert ist, fragt man sich vergeblich. Denn Tarantino zeigt einfach, platziert bloß. Sinn- und zwecklos, möglichst effekthaschend, aber im Nachhinein ohne Verstand. Da passt es nur perfekt, dass mancher Handlungsstrang, allen voran der der Engländer, eigentlich bedeutungslos ist für das, was Inglourious Basterds erzählen will. Wobei man von Tarantinos Film nicht wirklich sagen kann, dass er überhaupt eine Geschichte erzählen möchte, zumindest keine, die man in einem David-Bowie-Musikvideo nicht auch hätte platzieren können.

Dabei beginnt der Film in der Tat recht stark, wenn Waltz, der an sich die meiste Zeit als einziger der Schauspieler überzeugen kann, in fließendem Französisch und später Englisch in seiner Rolle als SS-Oberst und Judenjäger Landa den französischen Milchbauern Perrier LaPadite (Denis Menochet) verhört. Was die beiden Männer hier an Schauspielkunst bieten, verdanken sie auch dem exzellent geschriebenen Dialog von Tarantino. Dessen wahres Talent wird innerhalb der nächsten zwei Stunden lediglich in Landas Szenen in Erscheinung treten, während die Szenen der anderen Beteiligten oft so blass sind, dass sich quasi von jedem x-beliebigen Regisseur stammen könnten. Dass Tarantino seinen Film hierzu – natürlich überflüssigerweise – in vier Kapitel einteilt, erschafft seiner ohnehin schwachen Narration einen weiteren engen Rahmen, in dem sich seine Geschichte anschließend kaum bewegen kann. Nachdem kurz die Basterds um Aldo Raine (Brad Pitt) und den Bärenjuden Donowitz (Eli Roth) gezeigt wurden, darf sich schnell noch ein geschminkter Mike Myers als britischer Offizier schauspielerisch blamieren, bevor Inglourious Basterds mit einer potentiellen Liebesgeschichte zwischen dem deutschen Scharfschützen Fredrick Zoller (Daniel Brühl) und der heimlichen Jüdin Shosanna (Mélanie Laurent) wieder etwas an Höhenluft gewinnt. Doch als der Film erneut in die stümperhafte „Operation Kino“ verfällt, beginnt eine langsame Talfahrt, die schließlich vom enttäuschenden Finale abgeschlossen wird.

Was Inglourious Basterds, der abgesehen von einigen stumpfsinnig expliziten Gewaltszenen relativ wenig Action bietet, neben seinem schwachen Drehbuch am meisten das Genick bricht, ist seine Besetzung. Authentizität ist schön und gut, aber wenn man unentwegt Nulltalenten wie Til Schweiger und Diane Kruger (deren Deutsch eigentlich sogar noch schlechter ist, als ihr Englisch) und unterdurchschnittlichen TV-Schauspieler wie Gedeon Burkhard zusehen/-hören muss, will man am liebsten seine eigenen Ohren fressen. Dass an sich auch der Rest, allen voran natürlich der (in jeglicher Hinsicht) vollkommen talentfreie Eli Roth, hier enttäuscht (sei es, weil wie im Falle von B.J. Novak - der zudem auch mies spielt - oder Michael Fassbender die Figur keine Rolle spielt), wundert da schon gar nicht mehr. Pitt weiß erst in der Premierenszene etwas zu gefallen. Somit sind es lediglich Waltz, Laurent und August Diehl, die dem Film durch ihr Spiel gelegentlich Akzente zu verleihen wissen. Letztlich ist Inglourious Basterds ein Film mit vielen erzählerischen Schwächen (Zoller erschießt also in 3 Tagen 250 Soldaten, die zu dumm sind, seinen Turm zu sprengen?, Zoller trägt eine Waffe auf einer Premierenfeier mit sich? Von Hammersmark plant „Operation Kino“ bereits seit zwei Jahren, im Wissen, dass Goebbels irgendwann eine Kinopremiere organisieren wird?), hauptsächlich schlechten Darstellern (wenn die Kruger stirbt, ist das wie Weihnachten, Ostern und Chanukka zusammen), einer miesen musikalischen Untermalung und damit hat man die Spitze des Eisbergs gerade ein Mal abgearbeitet. So setzt Tarantino, der zuletzt mit Jackie Brown einen guten Film abzuliefern wusste, seinen Abwärtstrend fort.

4.5/10

American History X

Wie heißt es immer so schön: als Rassist wird man nicht geboren, zum Rassisten wird man erzogen. Das passt wohl auch zu Tony Kayes Debütfilm American History X, in dem zwei Brüder in den Fängen einer Neo-Nazi-Gruppe landen. Eingeleitet wird der Film mit Derek Vinyard (Edward Norton), dem zweiten Mann einer kalifornischen Neo-Nazi-Bewegung rund um deren charismatischen Führer Cameron Alexander (Stacy Keach). Als eines Nachts zwei Afroamerikaner Dereks Auto klauen wollen, ballert dieser den einen kurzerhand über den Haufen und zertritt dem Anderen den Schädel in einem der erinnerungswürdigsten Totschläge der Filmgeschichte. Peu a peu bewegt sich Kaye dann in die Vergangenheit und deckt Schicht für Schicht von Dereks Maske ab. Da heult ein unbärtiger und langhaariger Derek in die Fernsehkamera, weil sein Vater, ein Feuerwehrmann, scheinbar von einem Mitglied einer ethnischen Minderheit erschossen wurde. Etwas später, schon fast gegen Ende, sieht man Derek dann mit seinem Vater beim Abendessen sitzen. Derek schwärmt von seinem neuen Lehrer, dem Afroamerikaner Sweeney (Avery Brooks), der den intelligenten Jungen begeistert. Für Dereks Vater hingegen bedeutet die Tatsache, dass sein Sohn ein Buch über eine afroamerikanische Figur lesen muss, dass „weiße Werte“ verloren zu gehen drohen.

Ist es bei Derek der Verlust des Vaters, der ihn in die Szene führt, so ist es für Dereks jüngeren Bruder Danny (Edward Furlong) der „Verlust“ des Bruders, der bei ihm dasselbe bewirkt. Kaye zeichnet die Grundlage der Neo-Nazis als Perspektivlosigkeit. Dereks Vater klagt, dass zwei kaukasische Anwärter trotz eines besseren Testergebnisses ihre Plätze wegen „political correctness“ an zwei Afroamerikaner verloren haben. Derek selbst klagt zu Beginn in einer Rückblende an, dass Weiße in einem Lebensmittelladen rausgeflogen seien, weil Einwanderer ihnen die Jobs weggenommen hätten. Mit dem Land geht es bergab. Keine Jobs, keine Sicherheit – alles ist scheiße. Später resümiert Derek: „I'm tired of being pissed off.“ Seine Katharsis erlebt Derek dann schließlich im Gefängnis und hier wird Kayes Schreibe plötzlich ziemlich schlampig. Die Neo-Nazis bzw. Skins im Knast, sind nicht sonderlich nationalsozialistisch eingestellt, machen sogar Drogendeals mit den Latinos. Derek entfremdet sich von seiner Gruppe und öffnet sich seinem afroamerikanischen Arbeitskollegen Lamont (Guy Torry). Dann wendet sich das Blatt. Zur Strafe wird Derek von seiner eigenen „Rasse“ in der Dusche vergewaltigt, als er sich daraufhin vollends isoliert, ist es Lamonts Zutragen, dass sich die Afroamerikaner im Knast nicht seiner entledigen.

Der Umschwung in Dereks Charakter – er liegt flennend mit blutendem Arsch auf der Liege und lässt sich von Sweeney bequatschen – ist unglaublich flach. Nicht weniger konstruiert ist die Katharsis von Danny, bei dem schon die Story von der Vergewaltigung bzw. natürlich allgemein Dereks Erinnerungen reichen, um sich von den Neo-Nazis abzuwenden. So überzeugend Kaye in American History X auch eine Subkultur zu sezieren weiß, die Katharsen sind im Vergleich enttäuschend schwach. Das Finale wiederum – in einer konträren Spirale des Hasses verfällt einer von Dannys afroamerikanischen Mitschülern der Gewalt – ist stimmig und überzeugend. Auch wenn ein Mord auf einer Schultoilette während der Pause dann doch ein sehr dümmliches Szenario darstellt. Das Schauspielensemble agiert eigentlich durchweg überzeugend, insbesondere Brooks und Jennifer Lien. Kaye selbst wollte seinen Namen aus dem Projekt tilgen, weil Norton scheinbar – wie er es seitdem gerne tut – den Film umschneiden ließ, um seine Rolle stärker zu betonen. Eine etwas ungünstige Entscheidung, da Norton speziell in den hochemotionalen Szenen (TV-Interview, Camerons Büro, Krankenstation) schlichtweg überfordert ist. Dafür ist der Moment, wenn er aus der Dusche steigt und sich im Spiegel mit der Swastika auf seiner Brust für immer mit seiner Vergangenheit konfrontiert sieht, eigentlich der Höhepunkt des Filmes. Grundsätzlich verfügt American History X also über sehr gute Ansätze, scheitert in seiner Parabel jedoch an den unglaubwürdigen Katharsen der Hauptfiguren.

7/10

Made in Britain

Alan Clarke hat eine sehr schöne Szene in seinem Skinhead-Drama Made in Britain integriert. Ein Polizeiinspektor (Geoffrey Hutchings) sucht den 16-jährigen Skin Trevor (Tim Roth) in seiner Arrestzelle auf und erklärt ihm über eine Schieferntafel seinen Teufelskreis. Sechs Chancen habe die Gesellschaft ihm gegeben, von den Eltern über die Schule bis hin zur Jugendhilfe. Alle habe er, Trevor, ausgeschlagen. Wenn er sich jetzt nicht ändert, begibt er sich in die tödliche Spirale aus Gefängnis und Kriminalität. Trevor hört zu, eigentlich aufmerksam, aber dennoch geht es ins eine Ohr rein und ins andere wieder raus. Trevor hat seinen Entschluss bereits gefasst bzw. hat Regisseur Clarke den Entschluss für ihn gefasst. Trevor ist ein hoffnungsloser Fall. Ein Querulant, ein Taugenichts. Intelligent sei er, ja. Das steht in seiner Akte und das zweifelt auch niemand an, obschon der Film selbst zu keinem Zeitpunkt einen Anhaltspunkt für jene Intelligenz liefert. Aber Erklärungen will Clarke nicht liefern. Er will nicht hinter die Fassade schauen, hinter die Swastika, die sich Trevor zwischen die Augen hat tätowieren lassen. Trevor ist ein eindimensionales, negatives Exempel.

Kein Wunder also, dass Made in Britain als Lehrfilm an britischen Schulen lief. Nach dem Motto: nur Rumlungern und keine Schule macht Trevor zum stumpfen Jungen. Warum Trevor ein Skinhead ist, erfährt man nicht. Vermutlich weiß Trevor es nicht einmal selbst. Hauptsache gegen das System wenden und sich dabei jemandem anschließen, der selbst möglich anti-systematisch eingestellt ist. Trevor will keine Hilfe, er will kein Entgegenkommen. Kurzzeitig flammt zwar mal Hoffnung auf, als ihn sein Heimbetreuer (Sean Chapman) mit zu einem Autorennen nimmt. Trevor lacht, Trevor strahlt, Trevor hat Spaß. Solange bis der Motor absäuft, ihn das (mechanische) System im Stich lässt. Hoffnungslos. Er büxt wieder aus, macht ein wenig Krawall und Remmidemmi, sucht am Ende der Nacht seinen Sozialarbeiter Harry (Eric Richard) auf. Die einzige Person, die Trevor nicht aufgegeben hat und zu der der Junge so etwas wie einen Bezug hat. In den Knast will er bzw. akzeptiert es als seine Strafe für seine nächtlichen Straftaten. Als Harry ihn zu einer Polizeistation schicken will, die auf Trevor nicht gut zu sprechen ist, bettelt Trevor kurz, doch fällt schnell in sein anarchisches Grinsen zurück. Wie gesagt, für Clarke ist Trevor ein hoffnungsloser Fall.

Grundsätzlich fängt der Film viele schöne und auch authentische Momente ein. Das Rebellieren zum Selbstzweck, um des Rebellierens Willen, ungeachtet der teils entgegenkommenden Angebote (z.B. wenn Errol ihm doch das Bett anbietet, dass Trevor zuerst haben wollte). Oder die – wenn auch größtenteils selbstverschuldete – Perspektivlosigkeit des jungen Protagonisten. Was Made in Britain als Schulfilm dann allerdings etwas ungeeignet wirken lässt, ist die Einbahnstraße, die Trevor nimmt. Wo American History X, wenn auch etwas konstruiert, mit zwei Katharsen aufwartet, ist Clarkes Film letzlich genauso so „anti“ wie seine eigene Figur. Trevor sägt den Ast ab, auf dem er sitzt. Er reflektiert nicht darüber, er macht eigentlich gar nichts. Etwas schade ist dies schon, da auch eigentlich alle Beteiligten, speziell der junge Tim Roth, hier sehr überzeugend und mit Elan aufspielen. Aus der (Moral-)Geschichte hätte Clarke mehr machen können, denn Jugendliche lassen sich eher selten durch einseitige Abschreckung (mach das und es folgt das) überzeugen. Sie müssen von selbst erkennen, dass das, was sie tun, falsch ist (siehe hierzu erneut, wenn auch wie erwähnt in konstruierter Form, AHX). Denn Made in Britain liefert am Ende keine Auswegmöglichkeiten für Trevor, sondern lediglich Konsequenzen aus seinem Verhalten. Dem Problem den Riegel vorschieben tut man damit jedoch nicht.

6/10

Oi! Warning

„Oi! Ich bin der Janosch“, sagt Janosch (Sascha Backhaus) zu Beginn des Zweiten Aktes, als er sich in seiner neuen Klasse vorstellt, dem Lehrer aber gleich klar macht, dass er Schule „scheiße“ findet. Im Debütfilm von Ben und Dominik Reding, ist Janosch der naive Mittelpunkt eines Konstruktes, das die Redings wohl als Handlung bezeichnen würden. Dabei weiß der Film eigentlich keine stringente Geschichte zu erzählen, sondern wirkt die meiste Zeit wie eine bloße Aneinanderreihung von teilweise abstrusen Szenen. Hinzu kommt dann natürlich die Tatsache, dass man sich an einem Milieufilm versucht, ohne jedoch das betreffende Milieu zu reflektieren. So sieht man Janosch zu Beginn sein Elternhaus auseinander nehmen, weil er nach einer Kreditkarte sucht. Der schwäbische Bub, aufgewachsen am Bodensee in einer gut situierten Familie, hat die Schnauze voll. Kein Bock mehr auf Schule, kein Bock auf die Eltern, kein Bock auf die Freundin. Wieso erfährt man nicht, wahrscheinlich weiß es Janosch nicht mal selbst. Ziellos fährt er mit seinem Moped scheinbar vom Bodensee nach Dortmund, wo er über seinen alten Kumpel und inzwischen Kickboxer und Oi-Skin Koma (Simon Goerts) stolpert.

Fortan beginnt Janosch Koma anzuhimmeln, kurz darauf fallen die Haare der Schere zum Opfer und der Schwabe ist selbst zum Skin mutiert. Das wahre Leben ist das aber auch nicht, denn die neue Freundin steht nicht auf sein fesches Tattoo, Schule macht ihm immer noch kein Bock und irgendwie will das mit der Skin-Szene auch nicht so laufen wie Janosch sich das vorgestellt hat. Da schweift seine Aufmerksamkeit nach einer Geburtstagparty doch lieber zum Feuerschlucker Zottel (Jens Veith), mit dem Janosch dann auch wenig später eine sexuelle Beziehung eingeht. Ehe es zum dramatischen Finale kommt, in welchem die Redings sich nicht scheuen die Mordszene aus dem vorjährigen American History X zu kopieren. Dabei ist Oi! Warning wie angesprochen die meiste Zeit eine krude Bildmixtur ohne wirklichen Hintersinn. Gerade das erste Aufeinandertreffen von Janosch und Zottel ist derart konstruiert inszeniert, das man nur mit dem Kopf schütteln kann. Die Redings machen sich in ihrem Schwarzweiß-Debütfilm zudem nicht die Mühe die Motivationen der Figuren aufzudecken. Diese agieren meist ziemlich uninspiriert und außerhalb jeden Kontextes.

Von der Skin-Szene rund um Koma sieht man dann auch nicht mehr als das gewohnte Pogo-Tanzen oder vereinzelten Schlägereien. Von Ausländerhass kann hier dann auch eigentlich keine Rede sein, werden doch lediglich ein etwas hyper-extrovertierter Mann im gehobenen Alter und ein diebischer Punk verprügelt. Insofern taugt Oi! Warning auch nicht wirklich als Milieustudie, kann aber auch nicht als Coming-of-Age-Drama oder Liebesgeschichte überzeugen. Problematisch ist einfach, dass man keinen Zugang zu Janosch, dem Protagonisten erhält. Dies scheint – schaut man sich die obigen Filme an – allerdings bis auf die Ausnahme American History X ein generelles Problem dieses Genres zu sein. Dabei wissen die Gebrüder Reding mitunter durchaus etwas Witz in ihrem Film zu integrieren. Sei es das Koma-Jingle in dessen Hof oder seine Freundin Sandra (Sandra Borgmann), die überlegt wie sie ihrem hitzköpfigen Freund am besten gesteht, dass sie statt einem Kind nun doch Zwillinge erwartet und das Problem schließlich damit löst zu sagen: „Wir kriegen jetzt doppeltes Kindergeld.“ Dass alles tröstet jedoch nicht darüber hinweg, dass Oi! Warning als Gesamtkonstrukt nicht überzeugt, da hierfür einfach die Figuren im wahrsten Sinne des Wortes farblos bleiben und die Geschichte keine Geschichte zu erzählen vermag.

3.5/10

9. März 2009

Kurz & Knackig: Guy Ritchie

Lock, Stock and Two Smoking Barrels

Guy Ritchies Debütfilm war 1998 wohl der Überraschungshit schlechthin in Großbritannien, wo es der charmanten Gangsterkomödie gelang das Siebenfache ihres Budgets wieder einzuspielen. Insbesondere die Karrieren von Regisseur und Drehbuchautor Ritchie, sowie Produzent (jetzt Regisseur) Matthew Vaughn und Schauspieler Jason „The Stath“ Statham (den ich liebevoll wie Filmdrunk.com Stafam nenne) wurden hiermit gestartet und im Nachhinein ist das doch recht beachtlich. Zwar ist in Guy Ritchies Debüt nicht alles „lock, stock and barrel“ (dt. mit allem Drum und Dran), aber dennoch ist der erste Spielfilm des gelernten Werbefilmers äußerst ansehnlich. Die Kritiker kamen dann auch nicht umhin, ihn sofort als den englischen Quentin Tarantino zu bezeichnen. Ein Vergleich, der sich mir bis heute nicht unbedingt erschließen will.

Ritchie eröffnet den Film, der um eine romantische Nebenhandlung gekürzt wurde, auf seine für sich klassische Weise. Sein visueller Stil wird schon in der ersten Szene deutlich, wenn er mit Bacon (The Stath) und Eddie (Nick Moran) zwei seiner Protagonisten in Zeitlupe präsentiert, um dann zahlreiche andere seiner Charaktere kurz und knapp einzuführen. Hier offenbart sich einem bereits Ritchies Talent für seine Besetzung, welches auch seine nachfolgenden Filme (abgesehen von Madonnas Part in Swept Away, aber man soll ja auch nie die Hand beißen, die einen füttert) überdeutlich wird. Die eigentliche Story ist wie so oft im Prinzip recht simpel, lebt weniger von ihrem Inhalt als vielmehr von ihrer Umsetzung. Ein gezinktes Kartenspiel soll Hatchet Harry (P.H. Moriarty), der gerne mal Angestellte mit Dildos erschlägt, die Bar von Eddies Vater (Sting in einem unnötigen aber irgendwie auch nett anzusehenden Cameo) sichern. Allerdings wollen sich Eddie, Bacon, Soap (Dexter Fletcher) und Fat Tom (Jason Flemyng) nicht so leicht geschlagen geben.

Problematisch wird das Geschehen nur dann, wenn der Regisseur etwas das Tempo schleifen lässt. Dies trifft speziell auf den Mittelteil zu. Immerhin wird der Zuschauer dann im Finale des Filmes wieder entlohnt, wenn die letzte halbe Stunde richtig Fahrt aufnimmt und das Tempo bis zum Abspann durchgehalten werden kann. Viele kleine Höhepunkte finden sich meist in Ritchies pointierten Dialogen, es muss jedoch eingestanden werden, dass sein verqueres Abenteuer wohl ohne seine farbigen Figuren nicht einmal die Hälfte wert wäre. Sei es Willie, Barry der Täufer, Nick der Grieche, Big Chris (Vinnie Jones) und Little Chris oder Rory Breaker. Von letzterem stammt auch mein Lieblingszitat des Filmes: If the milk turns out to be sour, I ain’t the kinda pussy to drink it. Keine Sorge, Rory, Lock, Stock and Two Smoking Barrels kann man sich unbesorgt zu Gemüte führen.

8/10

Snatch

Eines steht mal fest: Guy Ritchie Filme werden vom Publikum weitaus besser aufgenommen, als von den Filmkritikern. Durch die Bank schneiden die Werke des Briten beim Endverbraucher besser ab. Dabei ist Snatch nicht unbedingt eine Weiterentwicklung seit Lock, Stock – muss es aber auch nicht. Der Film lebt wie sein Vorgänger von seiner Inszenierung, während der Inhalt nicht wirklich dazu einlädt, eine Runde Schlittschuh drauf zu laufen. Sonst bestünde die Gefahr, dass man einbricht. Allerdings beherrscht Ritchie die Bildkomposition und Soundtrack-Auswahl hier schon eine Spur besser. Das fetzt, das passt, das biedert sich so an, dass man nicht anders kann, als irgendwie das Gesehene ziemlich gut zu finden. Seine Klimax findet dies schließlich in der Bareknuckle Fight Sequenz zu Beginn, wenn Ritchie „Golden Brown“ von The Stranglers ertönen lässt, während Tommy (Stephen Graham) sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand steht. Tränen auf den Wangen, da die ”fuckin’ pikeys“ entscheiden, ob sie ihn die Radieschen von unten ansehen lassen soll. Kudos, Mr Ritchie.

Jetzt ist die Kacke am Dampfen, denn Gorgeous George ist erst mal am Arsch. Ritchie nutzt die Atmosphäre, um genüsslich mit Box-Spitznamen zu spielen. Schließlich können George weder John „The Gun“ noch „Mad Fist“ Willy ersetzen. The Gun hat sich erschossen und Mad Fist sitzt in der Klapse. What's happening with them sausages, Charlie? Im Gegensatz zu seinem Debüt präsentiert Ritchie nunmehr einen Ensemble-Film. Zwar ist Turkish (Jason Statham) irgendwie der Held der Geschichte, aber letztlich ist auch er nur ein Rädchen im großen Uhrwerk von Snatch. Und sowieso, der Star des Filmes ist Brad Pitt als nuschelnder Zigeuner, der eine Affinität zu Hunden hat. Das Schauspiel des Hollywood-Stars lässt jedoch bisweilen zu wünschen übrig, da weiß sein Traumfabrik Pendant Benicio del Toro als Fuckin’ Franky Four Fingers (Viva Las Vegas!) doch besser zu gefallen. Aber wenn man schon so anfängt, kann man gleich für jeden der Charaktere in Snatch ein eigenes Spin-Off drehen. So herrlich schräg sind sie, die Ausgeburten von Ritchies Phantasie.

Bedenkt man, dass die Handlung in Mary ‚Fucking’ Poppins London spielt, sind die zufälligen Begegnungen aller Protagonisten hier doch etwas stark überzogen. Zumindest trägt das Gros an Figuren nicht sonderlich zur Glaubwürdigkeit bei. Generell verfügt Snatch zwar über ein schnelleres Tempo als Lock, Stock, doch wird dieses wiederum von den vielen einzelnen Handlungen gebremst. Im Nachhinein ergibt sich so eine Art Gleichgewicht, dass den Film über Wasser hält, allerdings meist auch nicht mehr schafft. Es wirkt oft so, als habe sich Ritchie an nicht unbedingt versucht weiterzuentwickeln, sondern eher probiert, das was er schon kann, noch etwas auszufeilen. Neben einigen Selbstzitaten (Bullet Tooth Tony scheint ein Verwandter von Big Chris zu sein) gefällt speziell auch die Hasenjagd-Szene. Hier stellt Ritchie die Jagd der beiden Hunde auf den Hasen der Jagd von Errol auf Tyrone (Ade) gegenüber (phänomenal untermalt von Mirwais „Disco Science“). Und was passiert, wenn der Hase geschnappt wird? Er wird gefickt, und zwar bevor „ze Germans“ auf der Bildfläche erscheinen.

Weitaus mehr als Lock, Stock lebt Snatch von seinen Figuren, die allesamt zum Verlieben sind. Seien es Bullet Tooth Tony (Vinnie Jones), Boris the Blade a.k.a. Boris the Bullet Dodger (”Because he dodges bullets, Avi”) oder Tyrone, der gerne mal Kleinlaster übersieht, wenn sie im toten Winkel stehen. Zudem hat man wohl selten einen bedrohlicheren Untergrundboss gesehen als Alan Fords Brick Top. Somit sollte Ritchies zweiter Film als bloße Fingerübung betrachtet werden, ein Vorgeschmack auf mehr. Nur kam anschließend nicht wirklich mehr. Eher weniger. Besser machen sollte es der Brite dann mit Revolver, der zwar im Prinzip an inhaltlicher Tiefe gewinnt, dafür jedoch seine brillanten Dialoge und liebenswürdigen Charaktere vernachlässigt. Da war RocknRolla vielleicht der einzig richtige Schritt, ehe nun mit Sherlock Holmes ein neues Genre auf ihn wartet. Zuletzt sei gesagt, dass Snatch nicht sonderlich gut altert (von dem schlechten Bild der deutschen DVD einmal abgesehen). Die siebte Sichtung zeigte einige Schwächen auf, sodass man sich das Teil lieber nur alle paar Schaltjahre geben sollte. Dann fetzt es auch besser. What's happening with them sausages, Charlie?

8/10

Swept Away

Ritchies dritter Spielfilm hält bei Rotten Tomatoes starke 5% und sowieso liest man eigentlich nur, dass das Teil scheiße sein soll. Wenn man sich dann mal die DVD einlegt, ist man doch überrascht, beginnt der Brite den Film nämlich sehr ordentlich. Eingeleitet von Goldfrapps „Lovely Heads“ erinnert die Eröffnung fast schon an die Bond-Reihe. Und wenn ich dann Namen wie Bruce Greenwood und Elizabeth Banks lese – letztere spielt übrigens grandios eine Paris Hilton-Persiflage -, steigt meine Laune doch schon mal. Und bis die Leighton (Madonna) und Guiseppe a.k.a Pepe a.k.a Pipi a.k.a Guido (Adriano Giannini) auf der einsamen Insel crashen, ist Swept Away auch okay. Belanglos, aber nun auch kein Verbrechen an der Menschlichkeit. Das ändert sich schließlich für den restlichen Verlauf des Filmes. Aber mahalo.

Den Schachzug Madonna als reiche, versnobbte, arrogante, narzisstische Schlampe zu besetzen (sie spielt sich also praktisch selbst), ist von der Idee her in Ordnung. Das Problem ist nur, dass Madonna nicht schauspielern kann. Selbst ein gesichtsamputiertes Kapuzineräffchen würde da mehr Glaubwürdigkeit erzeugen. Wenn ich’s mir recht überlege, wäre mit ein solches gesichtsamputiertes Äffchen in der Rolle auch lieber gewesen. Zwar zeigt die rüstige Frührentnerin hier und da ihre Nippel, doch kann sie Zeitzeugen ihrer Musikkarriere damit niemanden mehr hinter dem Busch hervorlocken. Höhepunkte des Filmes sind dann bezeichnenderweise jene Szenen, in denen Giannini Ritchies Ehefrau eine schmieren darf. Von solchen Momenten hätte man sich mehr gewünscht.

Auf der Insel geht dann alles den Bach runter. Zwar amüsiert es zu Beginn noch, dass Guiseppe den Spieß umdreht und Madonna schuften lässt, doch rutscht das Ganze nach einigen Minuten dann auf ein „Szenen einer (italienischen) Ehe“-Niveau. Die Botschaft ist auch recht bedenklich, berücksichtigt man, dass Madonna sich schließlich in Giannini verliebt, als dieser sie wie den letzten Dreck behandelt. So sind sie halt, die Südländer. Oder die Frauen. Wahrscheinlich beide. Eventuell wollte Ritchie sich auch nur mal ein bisschen austoben, weil er Daheim nie die Hosen anhatte. Man weiß es nicht, scheint aber noch am plausibelsten. Denn was der Brite mit diesem Film bezwecken wollte, erschließt sich wahrscheinlich niemandem. Eine Konstante birgt Swept Away dann aber doch: der Soundtrack passt und die Bilder sind sehr hübsch photographiert. Und grundsätzlich hat Ritchie den Film auch gut besetzt (man beachte Alec Baldwin-Klon David Thornton). Dennoch fraglos der schlechteste Film vom ehemaligen Werbefilmer Ritchie. Aber mit Madonna ist es jetzt ja vorbei, sodass etwas derartiges nie wieder vorkommen dürfte.

2/10

Revolver

Fick dein Ego, bevor dein Ego dich fickt. So ließe sich in etwa Guy Ritchies Versuch beschreiben, wie Phönix aus der Asche zu steigen. Nach seinem Flop mit Swept Away bildet Revolver die Rückkehr ins Gangster-Milieu. Allerdings so ganz ohne Humor dieses Mal. Bei der ersten Sichtung war ich müde und hatte ein, zwei Gläser Wein getrunken. Keine guten Voraussetzungen für Ritchies Letzten. Kaltduscher meinte, besser zweimal als einmal schauen. Ich habe das beherzigt. Ich wurde belohnt. Irgendwie. Denn Revolver ist zugleich viel und im Prinzip doch so wenig.

Die erste Stunde ist stark inszeniert, sehr kompromisslos, einfach und doch komplex. Die Geschichte von Jake Green (Jason Stafam) und dem Casinobesitzer Macho, auch bekannt als Mr. D (Ray Liotta) entfaltet sich allmählich, während die beiden Kredithaie Avi (Andre 3000) und Zach (Vincent Pastore) ihr eigenes mindfuck-Süppchen mit dem Briten kochen. Das alles funktioniert bisweilen recht gut, Ritchies „Kabbala – The Movie“. Der Übergang zum dritten Akt gelingt dann auch noch verhältnismäßig passabel, immerhin hat The Stath hier endlich die Chance etwas zu schauspielern. Auch das Farbspiel zelebriert Ritchie hier recht ordentlich und verstärkt damit bis ins Finale hinein die Intention des Regisseurs.

In der letzten halben Stunde rutscht Revolver dann aber etwas ab. Hier wird offensichtlich, dass Ritchie mal eben auf die Schnelle The Usual Suspects und Fight Club vermischen wollte, nur schafft er es leider mit seiner Auflösung wer Sam Gold ist, und um was es in seiner Geschichte eigentlich geht, nicht wirklich auf dieselbe Metaebene zu gelangen, wie in Finchers Meisterwerk geschehen. Sein prätentiöser Abspann reitet ihn da nur noch mehr in die Scheiße hinein. Da wird dann groß einer auf dicke Hose gemacht und einige Beckenrandschwimmer gezeigt, die sich viel zu sehr in Freuds Thesen versteifen, diese grenzenlos überinterpretieren und bestimmt kurz nach Veröffentlichung mit der DVD in die Mensa gerannt sind, um den Kollegen zu zeigen, was sie doch für geile Stecher sind.

Was mit einer gespaltenen Persönlichkeit funktioniert, klappt recht schlecht mit irgendwelchen ominösen (oder bösen) unterbewussten Elementen. Wie bereits gesagt: fick dein Ego, bevor es dich fickt. Trotz des schwachen Finales ist Revolver jedoch ein enormer Schritt in die richtige Richtung, auch wenn hier nicht alles Gold ist was glänzt. The Stath, Ritchies Haus- und Schoßhund, spielt hier mit depperten langen Haaren und Truckerbart ordentlich, aber ähnlich wie Liotta eher auf Durchzug. Dabei wirken sie jedenfalls überzeugender als Rapper Andre 3000, den ich immer noch nicht gerne in Filmen sehe. Da soll er lieber mit Justin ein neues Album aufnehmen. Star des Filmes, der zugleich die besten Szenen beansprucht, ist vielmehr Mark Strong als Auftragskiller Solter. Strong muss man im Auge behalten, der ist inzwischen ganz groß im Kommen. Ähnlich wie Southland Tales ist Ritchies Letzter also ein Film, den man besser mehrmals goutiert. Wie Oma schon sagte, zweimal gekaut ist besser verdaut.

7/10

27. Januar 2009

The Curious Case of Benjamin Button

You never know what's coming for you.

Er ist Hollywoods Thriller-Mann, der selbst unter unüblichen Begebenheiten in das Business gelangte. David Fincher drehte Musikvideos für Madonna, als man ihm 1992 anbot, das Alien-Franchise zu übernehmen. Zuvor hatten Ridley Scott und James Cameron imposante Genrebeiträge mit jenem extraterrestrischen Parasiten abliefern können. Ganz wie gewünscht verlief die Zusammenarbeit dann jedoch nicht und auch heute stehen Einige Finchers Debütfilm noch sehr ambivalent gegenüber. Mit The Curious Case of Benjamin Button liefert er nun seinen ersten Film mit Freigabe ab zwölf Jahren ab. Ein Indiz dafür, dass Finchers siebter Film nicht problemlos in sein bisheriges Œuvre einzugliedern ist. Denn im Gegensatz zu seinen düsteren Filmen, die von einer tödlichen Gefahr erfüllt sind, ist Benjamin Button ein verträumtes Liebesepos.

„I was born under unusual circumstances“, erklärt Benjamin Button (Brad Pitt) dem Publikum zu Beginn. Seine Geschichte ist selbst nur eine Geschichte innerhalb einer Geschichte. Denn während das eine Leben beginnt, vergeht ein anderes. In der Gegenwart liegt Daisy (Cate Blanchett) im Sterben. An ihrer Seite: Ihre Tochter Caroline (Julia Ormond), die in Benjamins Tagebuch dessen Leben Revue passieren lässt. Geboren am Ende des Ersten Weltkrieges, ist Benjamin Button anders als andere Säuglinge. Mit Blindheit, Taubheit und Arthritis geschlagen, erweckt er den Eindruck eines 85-jährigen Mannes. Sein Vater Thomas Button (Jason Flemyng) ist sichtlich geschockt, unter anderem auch deshalb, weil seine Frau im Kindbett verstarb. Button gibt den Jungen weg, der schließlich ironischerweise in einem Seniorenheim bei der dortigen Bediensteten Queenie (Taraji P. Henson) landet. Da diese selbst keine Kinder bekommen kann, nimmt sie sich des Jungen kurzerhand an.

Die Stärke der ersten Stunde liegt in der bizarren Konstellation, dass ein junger Geist in einem alten Körper gefangen ist. Sehnsüchtig beobachtet Benjamin abends auf der Veranda seine Altersgenossen, wie sie auf den Straßen spielen. Kurz darauf scheucht ihn Queenie wieder ins Haus. Die Straßen seien zu gefährlich für den alten, gebrechlichen Mann. Allerdings hat der Aufenthalt im Seniorenheim auch etwas für sich, wird Benjamin doch hier die Vergänglichkeit des Lebens bewusst. Denn während er selbst immer jünger wird, sterben seine Zimmergenossen um ihn herum allmählich weg. Es sei Bestimmung, dass wir die Menschen verlieren, die wir lieben, wird Benjamin später von einer älteren Frau erklärt. Denn wie würden wir sonst wissen, wie viel sie uns tatsächlich bedeuten?

Erst als der alte Benjamin die junge Daisy (Elle Fanning) kennenlernt, blüht er auf. Endlich ist jemand im Haus, mit dem er spielen kann. Doch die äußerliche Altersdifferenz ist offensichtlich und schiebt der Beziehung der beiden einen Riegel vor. Im Gegensatz zu ihrer Großmutter merkt Daisy allerdings sehr wohl, dass Benjamin weitaus jünger ist als er aussieht. In diesen Szenen beeindruckt Hauptdarsteller Brad Pitt und hat seinen Spaß daran, dem alten Mann pubertärer Züge zu verleihen. So gesehen ist Eric Roths Geschichte in ihrem ersten Viertel größtenteils Coming-of-Age-Film, wenn Benjamin innerlich erwachsen wird, während er äußerlich verjüngt. Dies erzeugt zahlreiche amüsante Szenen, beispielsweise wenn der Greis zum ersten Mal betrunken nach Hause kommt und sich schließlich in Queenies Anwesenheit plötzlich übergibt.

Jene Liebesgeschichte zwischen dem jünger werdenden Benjamin und der älter werdenden Daisy bildet den eigentlichen Rahmen für The Curious Case of Benjamin Button. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden sich die beiden immer wieder begegnen und dabei oft unverrichteter Dinge wieder auseinander gehen müssen. Dieser romantische Aspekt unterscheidet Roths Adaption von F. Scott Fitzgerald gleichnamiger Kurzgeschichte aus dem Jahr 1921. Diese fokussiert sich vielmehr auf die sozialen Widerstände, denen Benjamin sowohl seinem Vater, als auch seiner Umwelt gegenüber, begegnen muss. Bereits vor zehn Jahren sollte Fitzgeralds Novelle verfilmt werden, damals noch unter der Regie von Ron Howard und mit John Travolta in der Hauptrolle. Auch die Konstellation Steven Spielberg/Tom Cruise war zeitweilig im Gespräch gewesen.

Ein großes Manko von Finchers Film ist zweifellos seine Überladenheit. Die Laufzeit gerät Benjamin Button nicht sonderlich gut, was man speziell im zweiten Drittel merkt. Hier verdingt sich Benjamin als Matrose und gerät in einem verschneiten russischen Hafen schließlich an die Frau eines britischen Spions. Es erschließt sich dem Publikum nicht, welchen Zweck Elizabeth Abbott (Tilda Swinton) hier erfüllt, außer dass sie eine Affäre mit unserem Protagonisten eingehen kann. In dieser Phase des Filmes – die noch in eine Konfrontation mit den Achsenmächten mündet – gerät Fincher sichtbar mit seinem Erzählfluss ins Stocken und verläuft sich kurzzeitig. Erst als die Handlung wieder „synchron“ läuft, nimmt die Geschichte erneut an Tempo auf. Ähnlich überflüssig ist außerdem auch die retrospektive Erzählung über Caroline im Krankenhaus. Hier wird unnötig unterbrochen, ohne dass einem jene Unterbrechung mit wirklichem Inhalt vergolten wird.

Ansonsten beeindruckt der Film insbesondere auf formaler Ebene. Die Effekte von Eric Barba sind beinahe so erstaunlich wie die Maske von Greg Cannom. Die Alterungen von Pitt und Blanchett wirken mehr als glaubwürdig, ähnlich verhält es sich bei Blanchett digitaler Verjüngungskur. Ambivalenter ist dies bei Pitt der Fall, der im Laufe des Filmes auch immer schlechter spielt. War sein Spiel wie angesprochen als alter Mann von einer perfekt erzeugten Spritzigkeit erfüllt, lässt der Amerikaner diese mit der Zeit schleifen. Unersetzliches Hilfsmittel für den Film ist dann noch Alexandre Desplats musikalische Untermalung der träumerisch-schönen Bildern, diese oftmals sogar noch verstärkend.

Mit seinem siebten und ungewöhnlichsten Film hat es David Fincher geschafft, am meisten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dass der Film dabei nicht ohne Schwächen ist, bedeutet nicht, dass es dem Regisseur mitunter durchaus gelingt pure Kinomagie auf die Leinwand zu zaubern. Denn dass The Curious Case of Benjamin Button ein großer Film ist, steht außer Frage. Ob es ein guter Film ist, dürfte die Zuschauer mal wieder in zwei Lager spalten. Auf jeden Fall handelt es sich hierbei um ein Seherlebnis, dass man sich ob seiner epischen Breite und von Romantik geschwängerten Geschichte nicht ohne Weiteres entgehen lassen sollte. Wer weiß, ob Fincher nochmals solche eine epochale Romanze inszeniert.

7.5/10

4. Oktober 2008

Burn After Reading

Appearances can be... deceptive.

Jetzt sind sie wer, jetzt kennt man ihren Namen. Hatte sich das Massenpublikum zuvor noch nie groß von den Filmen der Coen Brüder Joel und Ethan beeindrucken lassen, wird jetzt fett Reibach gemacht. Denn jetzt sind sie ja Oscarpreisträger und außerdem spielen auch noch Brad Pitt und George Clooney mit, die beiden sozial engagierten, super sexy Hollywood-Stars und private best buddies. Dabei hat Clooney mit den Brüdern bereits O Brother, Where Art Thou? und Intolerable Cruelty gedreht – aber interessiert hatte sich damals kaum einer für die beiden Streifen. Und auch das mit Tom Hanks besetzte The Ladykillers-Remake war nicht gerade ein Hit an den Kinokassen. Dafür markierte in Amerika jetzt Burn After Reading den besten Start eines Coen-Films an den Kinokassen aller Zeiten – mit phänomenalen 19 Millionen Dollar Einspiel. Aber immerhin, besser als gar nichts. Sind die Coens nun en vogue? Massenkompatibel? No Country For Old Men sei Dank? Präsentierten die Brüder früher kleine und sehr feine Meisterwerke wie Fargo oder The Hudsucker Proxy, gingen diese am Bewusstsein der Bevölkerung dennoch vorbei. Da sich der Stil der Brüder nicht großartig verändert hat, zumindest in seiner Substanz, lässt sich die neugewonnene Popularität im Grunde nur durch die drei respektive vier Oscars vom Frühjahr erklären. Ironischerweise ist es mit den Coens in den letzten Jahren stets bergab gegangen, Filme wie Intolerable Cruelty oder The Ladykillers floppten nicht nur an den Kassen, sondern zu einem Großteil auch bei den Kritikern und hatten wenig von dem großartigen Humor aus ihren früheren Filmen wie The Big Lebowski vorzuweisen. Nach dem im wahrsten Sinne des Wortes staubtrockenen und endlos überschätzten No Country For Old Men bewegen sich die Brüder nunmehr wieder im humoristischen Fach der schwarzen Komödie.

Ein Spionage-Film soll Burn After Reading sein, vielleicht auch eine Rückkehr zu den Wurzeln. Ein CIA-Analyst namens Ozzy Cox (John Malkovich) wird wegen seines Alkoholproblems gefeuert – stattdessen will der gute Mann nun seine Memoiren schreiben, weiß jedoch nicht wie anfangen. Seine Frau Katie (Tilda Swinton) ist ohnehin genervt, vögelt lieber lieblos mit Harry Pfarrer (George Clooney), einem Vertreter des Schatzamtes. Da Katie die Scheidung von Ozzy will, zieht sie einige seiner Daten – darunter auch die Memoiren – auf CD und bringt sie ihrem Scheidungsanwalt. Dessen Sekretärin vergisst die CD in ihrem Fitness-Studio bei „Hardbodies“, wo sie in die Hände des Fitnesstrainers Chad Feldheimer (Brad Pitt) gerät. Dieser erkennt sofort, dass es sich hierbei um „highly classified shit“ handelt, und schafft es sogar die CD zu Cox zurück zu verfolgen. Ganz klar, hier dürfte eine Belohnung drin sein, denn Cox will sicher seinen „highly classified shit“ zurück haben. Hier kommt nun Chads Kollegin Linda Litzke (Frances McDormand) ins Spiel. Linda geht auf die fünfzig zu und ist mit ihrem Körper unzufrieden. Ihre Versicherung lehnt die finanzielle Übernahme ihrer gewünschten kosmetischen Operationen ab, weshalb sie in Cox’ „highly classified shit“ ihre Chance gekommen sieht. Was für die eine Seite eine Belohnung ist, stellt für die andere Erpressung dar. Der Austausch der Daten verläuft nicht nach Wunsch, denn irgendwo gerät auch noch Pfarrer in die ganze Situation hinein und ehe sich die Protagonisten versehen, haben sie ein Spiel begonnen, von dem eigentlich keiner genau weiß, worum es eigentlich geht. Wie bei den Coens nicht ungewöhnlich strikt sich die relativ simple Geschichte auf relativ komplizierten Bahnen. Die Protagonisten machen nicht viel, aber es gibt viele Protagonisten. Und wenn jeder seinen kleinen Teil beiträgt und immer wieder miteinander kollidiert, kann man schon mal den Überblick verlieren.

Ohne Frage lassen sich zwischen Burn After Reading und dem Coenschen Meisterwerk Fargo einige Parallelen herauslesen. Mehrere Parteien versuchen sich gegenseitig auszuspielen, während der red herring respektive McGuffin der Geschichte ziemlich simpel ist. Und was ein Coen-Film ist, darf auch seine typischen Muster nicht außen vor lassen. Besonders die jüdischen Namen haben es den Brüdern wieder einmal angetan und spiegeln zugleich die klassische Idiotie der Coenschen Figuren wieder. Harry Pfarrer, Linda Litzke, Chad Feldheimer – allein die Namen regen bereits zum Schmunzeln an. Doch lustige Namen und dumme Figuren ergeben noch lange kein neues Fargo. Im Gegenteil, bei ihrem Versuch Burn After Reading in dieselben Bahnen gleiten zu lassen scheitern die Brüder grandios. Zu trivial die Geschichte, zu uninspiriert der gesamte Vortrag. Was sich als „Komödie“ ankündigt ist zu einem Großteil der Laufzeit leidlich komisch, wenn überhaupt. Bezeichnenderweise manifestiert sich das gesamte Dilemma des Filmes in John Malkovichs Figur, die außer Flüchen nicht viel beizutragen hat und sich in jener Redundanz schon ziemlich schnell verliert. Ohnehin krankt das neueste Werk der Coens an den unausgearbeiteten Charakteren, deren Motivationen kaum erklärt werden. Wieso ist Pfarrer dermaßen paranoid? Hat er überhaupt einen Grund und wenn ja, welchen? Was bringt Chad dazu Linda zu helfen? Die Coens machen sich nicht viel Mühe für Erklärungen.

Stattdessen mutet der gesamte Film wie ein einziges Spaßprojekt an, von Freunden gedreht. Die Rollen für Malkovich, McDormand, Clooney und Pitt wurden den Darstellern auf den Leib geschrieben und man merkt den Stars durchaus an, dass sie Spaß an ihren Figuren hatten. Die Schrulligkeit ihrer Persönlichkeiten reicht jedoch nicht aus, um das wackelnde Gerüst der inhaltsschwachen Handlung alleine zu tragen. Dabei können die Coens durchaus in knappen Worten viel erzählen. Allein die Figur von Walter in The Big Lebowski ließ durch einen einzigen Blick von John Goodman tiefer blicken, als hier ein John Malkovich zu transferieren vermag. Das Dilemma der Coens setzt sich also fort, seit The Big Lebowski ist ein Film schlechter als der andere. Bewegten sich O Brother, Where Art Thou? und The Man Who Wasn’t There noch auf einem hohen kreativen Niveau, stellen die folgenden drei Filme der Brüder eine Degeneration dar. Und Burn After Reading ist sogar noch schlechter als No Country For Old Men, allein aufgrund der Tatsache, dass er viel zu selten lustig ist. Wenn Brad Pitt nicht wäre, hätte man im Grund gar keinen Anlass zum Lachen und in der Debilität seiner Figur geht gealterte Schönling richtig auf. Seine Hydrierungsgeiler Fitnesstrainer stiehlt allen anderen die Schau und hätte sogar eine Oscarnominierung verdient, die der Konkurrenz eines Heath-Jokers würdig ist. Auch einige andere Szenen, gerade der – extrem überhastete – Schluss sind hier zweifelsohne gelungen, können das Gesamtbild des Filmes jedoch nicht retten. Auch die inner-Coensche Referenz zu No Country For Old Men ist hier nervig, wenn auch nicht so nervig wie im einschläfernden Western der Brüder. Der Weg, den die beiden eingeschlagen haben, scheint ins Nichts zu führen, doch zumindest verspricht A Serious Man hier eine Verbesserung darzustellen. Mal keine großen Namen, vielmehr die Rückkehr zu alten Werten. Vielleicht gelingt es den Coens hier endlich mal wieder einen überzeugenden Film zu drehen – wünschenswert wäre es allemal.

6/10

14. August 2008

Troy [Director’s Cut]

Do you know what’s waiting beyond that beach? Immortality! Take it! It’s yours!

Mit Geschichte nimmt man es in Hollywood nicht so genau, meist ist sie eher Mittel zum Zweck. Daher sollte man bezüglich einer Arbeit in Römischer Geschichte lieber nicht Gladiator ansehen und wer etwas über die Kreuzzüge und Tempelritter erfahren will, einen Bogen um Kingdom of Heaven machen. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass ausschließlich Ridley Scott den wahren Geschehnissen den Allerwertesten zuwendet, wie sehr man die Geschichte zum eigenen Vorteil verändern kann, bewiesen auch die Deutschen zuletzt mit Der Rote Baron. Ohnehin ist Geschichte eher ein Schul-Staubfänger und wie Mathematik ein Pflichtfach. Es lässt sich aber trotzdem nicht abstreiten, dass unsere Geschichte einen Nährboden für Filme darstellt, gerade weil sie interessant ist. Die Schlacht der Griechen an den Thermopylen gegen das persische Heer Xerxes’ verlief natürlich etwas anders, als man es von Zack Snyder in 300 erzählt bekommt, aber das wahre Ereignis (Spartanerkönig Leonidas opfert sich und 298 Spartaner, um den versammelten Griechen mehr Zeit gegen die Perser zu verschaffen) findet Einzug in den Film.

Doch je weiter die Geschichtsschreibung sich von Christi Geburt entfernt, desto verstärkt muss man geschilderte Ereignisse als Legende, denn als historische Begebenheit ansehen. Eine solche Legende findet sich unter anderem bei Homer. In seiner Ilias schilderte er in 24 Gesängen rund 50 Tage während des Trojanischen Krieges. Ob dieser tatsächlich stattgefunden hat, kann heute nicht eindeutig geklärt werden. Dass er so stattfand, wie ihn Homer schildert, ist zu bezweifeln. Denn bei ihm sind die Menschen nur Spielbälle für die Gelüste der Götter. Ein freier Wille existiert nicht, Hellenen und Trojaner verkommen zu Marionetten. Die griechische Kultur verfügte über etliche Götter, von solchen zur Jagd (Athene) bis hin zu den des Weines (Bacchus). Nun sind diese sehr eigen, selbstverliebt und streitsüchtig. Ihre Zwiste tragen sie nicht selbst aus, sondern lassen Menschen dies tun. Sie wählen eine Partei aus und lassen diese gegen die des Konkurrenten antreten. So stehen auf Seiten der Trojaner Aphrodite, Göttin der Schönheit, sowie ihr Bruder Apollon, den die Trojaner verehren. Für die Griechen sind derweil Athene und Ares, Gott des Krieges. Sie greifen in Abstimmung mit Göttervater Zeus in das Kriegsgeschehen ein und entscheiden dieses.

Nun ist Mono- und Polytheismus jedermanns eigene Sache, ein Grund jedoch mehr für den deutschen Regisseur Wolfgang Petersen, in seiner Adaption des Trojanischen Krieges auf das Auftreten der Götter zu verzichten. Für 180 Millionen Dollar engagierte Petersen eine namhaftes Ensemble um Brad Pitt, dennoch wurde Troy bei Erscheinen kritisiert, darunter von Fachgelehrten wegen des Verzichts der Götter. Immerhin gelang es Troy, fast das Dreifache seiner Kosten einzuspielen, sodass er zumindest kein Flop wurde. Im letzten Jahr brachte Petersen dann einen Director’s Cut heraus. Diese erweiterte Fassung ist um 30 Minuten Filmmaterial ergänzt, von Schlachtszenen bis zu nackten Tatsachen einer Diane Krüger. Für Wolfgang Petersen selbst ist diese über drei Stunden lange Fassung jetzt stimmiger als der Kinoschnitt, was sich nur bestätigen lässt. Wer die Kinofassung gut fand oder generell auf Monumentalfilme abfährt, kommt an Troy nicht vorbei. Für Fans der Ilias dagegen dürfte der Film womöglich eher abschreckend sein, da er etwaige Kürzungen und Änderungen an der Vorlage vornimmt. In einem Satz: der Director’s Cut von Troy bietet mehr Gewalt, mehr Blut und mehr Brüste.

Während Homer sich in der Ilias eher auf die Sicht der Griechen beschränkt, degradiert Petersen im Film Agamemnon (Brian Cox) und Co. zu den Bösewichtern. Die Helden sind die Trojaner, allen voran Prinz und Heerführer Hektor (Eric Bana). Auch die Darstellung seines Todes gerät weitaus ehren- und heldenhafter als bei Homer. Auch wenn sich über dessen Schreibstil dahingehend streiten lässt, da verschiedene Figuren mal heldenhaft und mal feige agieren. Auf welcher Seite Petersen und Drehbuchautor David Benioff stehen, wird spätestens beim Einfall von Agamemnons Truppen in Troja klar. Hier ergreift der Director’s Cut vollends Partei: Frauen werden vergewaltigt und Kinder ermordet. Mit Homer hat das nun gar nichts mehr zu tun, endet dessen Ilias doch mit Hektors Begräbnis. Dagegen versucht Troy die Geschichte zu Ende zu erzählen, mit Anfang und Ende. Der Legende nach begann der Trojanische Krieg mit der Entführung von Helena (Diane Krüger) durch Paris (Orlando Bloom). Beide beginnen eine Affäre und mit dieser letztlich auch der Krieg zwischen Athen und Troja. Dabei war die Helenas Entführung nur der Auslöser des Krieges, nicht aber seine Ursache. Der Film fängt zum Glück ein, dass Agamemnon die Entführung seiner Schwägerin sehr recht kommt. Ganz Griechenland steht unter seinem Joch – außer Sparta, der große Konkurrent jenseits des Meeres. Wann, wenn nicht jetzt, scheint sich Agamemnon zu denken. Und zieht bereitwillig in den Krieg.

Dieser Tatsache ist sich auch Hektor sehr wohl bewusst, weshalb er sich und sein Volk bereitwillig ihrem Schicksal ergibt. Dabei ist nicht gesagt, dass Petersen die Götter tatsächlich aus seinem Film ausschloss, denn nur weil man sie nicht sehen kann, muss dies keineswegs bedeuten, sie wären nicht da. So machen die Szenen zwischen Helena und Paris im Schlafgemach oder zwischen Paris und Hektor auf dem Schiff ebenso Andeutungen wie der finale Konflikt zwischen Paris und Achilles. Auch in Wolfgang Petersens Film sind die Menschen lediglich Bauern auf einem riesigen Schachbrett, ihre Handlungen lassen sich nicht durch sie kontrollieren, ihr Schicksal scheint vorherbestimmt. Am ehesten sind sich wohl Hektor und sein Kontrahent Achilles (Brad Pitt) dieser Tatsache bewusst. Beide erahnen, dass es für sie kein Entrinnen aus diesem Krieg gibt und beide ergeben sich ihrem Schicksal. Aber beide aus unterschiedlichen Beweggründen – ein großes Attribut von Troy, dessen finale Einstellung dies kongenial unterstreicht.

Während Hektor in den Krieg zog, um für sein Land und dessen Volk zu kämpfen, suchte Achilles nur den Ruhm. Benioff hebt dies brillant hervor, indem er Odysseus (Sean Bean) Achilles auf diese Weise zur Kriegsteilnahme bewegt. Der größte Krieg, den die Welt je gesehen hat – und Achilles war nicht dabei? Der größte Kämpfer aller Zeiten? “They will write stories about your victories in thousands of years! And the world will remember your name”, verspricht Odysseus. Das sieht auch Achilles ein. Obschon er es dank seiner Mutter besser weiß, er sucht den Krieg, braucht ihn. Achilles wollte unsterblich werden und es ist ihm gelungen. Noch 3000 Jahre später würde man seine Geschichte erzählen, diese filmisch würdigen. Seinen Platz muss er sich allerdings mit Hektor teilen, einem Sterblichen, der ihm in Fragen des Ruhmes in nichts nachsteht. Umso passender hat Benioff die letzten Worte des Filmes, von Odysseus gesprochen, gewählt: “Let them say I lived in the time of Hector, tamer of horses. Let them say I lived in the time of Achilles.”

Auffällig ist in Troy natürlich der Einsatz der visuellen Effekte, die Reise der tausend griechischen Schiffe ist ebenso imposant wie die Erschaffung Trojas. Ergänzt werden die Effekte von exzellenten Ausstattungen und Kostümen, besser lässt sich ein Monumentalepos von technischer Seite kaum gestalten. Die Choreographie des Angriffes von Achilles auf den Tempel Apollons ist meisterlich und ungemein flüssig. Da stört es auch nicht groß, dass die gesamte Sequenz ob ihres Inhalts lachhaft ist. Achilles nimmt alleine mit 50 Mann den besetzten Strand der Trojaner ein? Egal, Benioff und Petersen versuchen Achilles’ Status gerecht zu werden. In der Ilias ist er allein für Sieg oder Niederlage der Griechen verantwortlich. Sein Entschluss dem Geschehen fernzubleiben sorgt fast für die Zerschlagung von Agamemnons Truppen. Auch dies fängt Troy ein, so wie die Ursache für Achilles’ Entscheidung. Streitfaktor ist Briseis (Rose Byrne), die Agamemnon für sich beansprucht, obschon sie Achilles „gehört“. Der Film macht hier eine Abänderung, wo Briseis bei Homer eine Sklavin ist, heben sie Petersen und Benioff zur Cousine von Hektor und Paris empor. Sinn und Zweck soll wohl eine Dramatisierung sein, die jedoch eigentlich völlig unnötig war.

Ohnehin folgt der Film eher filmischen Konventionen, entwickelt eine Parteilichkeit und versucht sich an einem Happy End, das den Schilderungen der Legende widerspricht. Das kann man Petersen sicher zum Vorwurf machen, aber wann wurde schon eine historische Begebenheit authentisch wiedergegeben? Wahrscheinlich ist die Ilias in ihrer Form unverfilmbar, da sie im neunten Jahr des Trojanischen Krieges beginnt und nicht mal bis zu seinem Ende andauert. Ein Großteil der Handlung dreht sich um die Streitereien der Götter und der andere Teil um den Konflikt zwischen Achilles und Agamemnon. Das Publikum ist verwöhnt und nicht gewöhnt, dass eine Geschichte einen schlechten Ausgang haben könnte. Bedenkt man das enorme Budget des Filmes, wäre die authentische Erzählung vielleicht sogar ein finanzieller Selbstmord gewesen. Viele Figuren sterben der Legende nach nicht, andere sterben nicht so wie geschildert, wieder andere tauchen gar nicht auf, was ob ihres Schicksals nicht unbedingt die schlechteste Entscheidung war. Benioff und Petersen wollten bestimmt nicht versuchen, so nah wie möglich den wahren Ereignissen Tribut zu zollen, sondern sie nahmen sich einer Legende an, um ihre eigene Geschichte zu erzählen.

Letztlich basiert Troy bloß auf der Ilias und stellt keine Verfilmung von ihr dar. Das was der Film sein möchte, gelingt ihm zu sein. Ein Schlachten-Epos, garniert mit Helden, gepfeffert mit einem Schuss Romantik. Besonderes Schmankerl sind die kleinen Referenzen zu Homers Odyssee und Vergils Aeneis, die Benioff in sein Skript eingebaut hat. Auch wenn diese Szenen wahrscheinlich lediglich für Historiker besonders interessant und amüsant gerät. Neben den Effekten, Kostümen, der Ausstattung und dem pathetischen Score von James Horner wird der Film allerdings auch von seinem Schauspiel-Ensemble getragen. Von Brad Pitt über Eric Bana bis hin zu Orlando Bloom, Saffron Burrows und Julie Christie ist Troy durchweg namhaft besetzt. Zwar verdient keiner der Darsteller eine Auszeichnung für sein oder ihr Schauspiel, am ehesten vielleicht noch Altmeister Peter O’Toole. Eric Bana ist kein großer Charakterdarsteller, aber die Figur von Hektor weiß er einzufangen. Orlando Bloom hingegen muss einen Schönling spielen und bewerkstelligt dies – mit geringen Abstrichen – auch zufriedenstellend.

Die alten Theaterhaudegen Brian Cox und Brendan Gleeson haben mit ihren Rollen derweil keine Probleme und sichtlich Spaß, Diane Krüger kann sich als Lustobjekt nicht sonderlich hervortun. Star des Films ist Brad Pitt und obschon er über schauspielerisches Talent verfügt, scheitert er an der Eindimensionalität der Figur. Achilles ist im Grunde ein leerer Körper, ihm fehlt die Emotionalität. Er kennt keine Gnade und kein Erbarmen. Zwar lernt er das nach der Schleifung von Hektor, doch ändert dies wenig an seinem Charakter. Pitt hat große Probleme mit seiner Figur, vielleicht unterforderte sie ihn oder ihm fehlte die rechte Herangehensweise. Außer einer langen Mähne und einem gestählten Körper kann er wenig bieten. Doch dies spielt in Troy keine Rolle, es geht um Kämpfe, Schlachten, Auseinandersetzungen. Dies steht im Vordergrund und dies bekommt das Publikum serviert. Die Kirsche auf das Sahnehäubschen ist dabei schlussendlich der Dialogreichtum von Benioff, der seinen Figuren teils herrliche Einzeiler (“Get up, Prince of Troy! I won't let a stone rob me of my glory!”) und Dialoge in den Mund legt.

8/10