21. Juni 2008

Cloverfield

I don't know what to say.

Wer die Bezeichnung „virales Marketing“ hört, muss inzwischen unmittelbar an Cloverfield denken. Das Projekt von J.J. Abrams begann ein halbes Jahr vor Filmstart einen Internethype, wie man ihn vorher lange nicht gesehen hatte (wenn überhaupt schon einmal). Im Juli 2007 wurde der Teaser vor Michael Bays Transformers ausgestrahlt – ein wohlweislicher Zug, wird hier doch dasselbe Publikum angesprochen, hierzu später mehr. Viel zu sehen gab es im Teaser nicht, schon gar keinen Titel für den Film. Lediglich der Starttermin und der Name von Produzent J.J. Abrams, der durch seine erfolgreichen Serien Alias und Lost als Zugpferd fungieren sollte, wurden dem Publikum präsentiert. Im World Wide Web fanden sich dann über die Monate hinweg vermehrt Puzzle-Websites, gefaktes Videomaterial und allerlei anderen Krimskrams, um die YouTube-Generation bei Laune zu halten, bis der Filmstart endlich kam.

Selbst die Darsteller wussten nicht, wofür sie überhaupt vorsprachen. Ihnen wurden Skripte von Lost und Alias vorgelegt, damit auch ja nichts über die Handlung des Filmes verraten werden würde. So sagte zum Beispiel die Nebendarstellerin Lizzy Caplan ausschließlich deswegen bei dem mysteriösen Projekt zu, weil sie ein erklärter Fan von Abrams TV-Serie Lost ist. Wie der Film heißen sollte, wusste man auch lange Zeit nicht, obschon bereits im Trailer von November 2007 der Titel Cloverfield auftauchte. Aber auch Slusho oder Grayshot hielten sich lange im Rennen, am Ende hieß der Film dann jedoch erneut Cloverfield, eine Bezeichnung die Abrams seinem Arbeitsweg in Kalifornien entlehnte. Schließlich würde sich allerdings herausstellen, dass Cloverfield nicht mehr war als viel Lärm und nichts dahinter.

Fünf Freunde irren durch New York City, welches von einem riesigen Monster und tausenden von US-Militärs bevölkert ist. Häuserschluchten, U-Bahn-Schächte und einstürzende Brücken. Schutt und Asche, Panik, Angst. Ganz bewusst bedienen sich Produzent Abrams, Regisseur Matt Reeves und Autor Drew Goddard beim 11. September. Die Gruppe Freunde wollte eigentlich nur einen schönen Abend verleben, doch plötzlich rennt sie um ihr Leben. Als sie getrennt werden, beginnt die abenteuerliche Großstadtodyssee, immer schön an dem Maschinengewehrfeuer vorbei und zwischen den Beinen des Monsters durch. Auf die Idee des Monsterfilmes kam J.J. Abrams während seiner Promoreise von Mission: Impossible III in Japan. Dort besuchte er mit seinem Sohn ein Spielzeuggeschäft und kam beim Anblick einer Godzilla-Figur auf die Idee, dass Amerika auch ein Monster braucht.

Doch keinen King Kong, der durch New York City randaliert und auch keinen Godzilla, den Roland Emmerich einige Jahre zuvor nach New York City zum randalieren schickte, nein, ein neues Monster brauchte Abrams. Ein neues Monster, das, ähem, dass durch New York City randaliert. Ungemein einfallsreich das ganze, man merkt es gleich. Schaut man sich Cloverfield tatsächlich bis zum Ende an, ist der gesamte Film zur Hälfte eine direkte Übernahme von Emmerichs Godzilla-Film, nur eben mit Handkamera aufgezeichnet. Um was es sich bei dem Monster handelt, wird dabei nicht verraten. Im Grunde wird in Abrams Film eigentlich gar nichts verraten oder anders gesagt, es wird überhaupt keine Geschichte erzählt. Würde man all die inhaltlichen Fehler und unlogischen Momente, welche der Film aufwirft, zusammenzählen, könnte man sich in derselben Zeit die Godfather-Trilogie ansehen.

Was das Monster ist, verkommt hierbei noch zum unwichtigsten Teil. Doch woher es kommt, ebenso wie auch das ganze Militär, welches innerhalb weniger Stunden in der New Yorker Innenstadt stationiert wird, sind Fragen der Kategorie A. Unsere fünf Freunde schaffen es nicht nur das gesamte Manhattan auf und ab zu laufen, innerhalb einer einzigen Nacht, sondern überall wo sie sich befinden, läuft auch das Monster herum. Dabei interagieren sie mit diesem überhaupt nicht, was seine Anwesenheit nur noch lächerlicher macht. Fehlen darf hier natürlich auch nicht die Videokamera, deren Robustheit ein ums andere Mal erstaunt, ebenso wie die Laufzeit des Akkus. Da fliegt der Kameramann durch die Gegend, wird erschüttert, angegriffen und so weiter und so fort – die Kamera läuft und läuft. Kein einziger Kratzer auf der Linse, kein Schmutz, auch keine Einblendung, dass gerade etwas aufgezeichnet wird oder der Akku in die nächste Phase geht.

Was die Macher zu Beginn des Filmes in sehr viel Detailtreue mit „Eigentum der Regierung“ und ähnlichem installieren, verabschieden sie bereits nach zwei Minuten. Totale Inkonsequenz ist hier das Motto von Cloverfield, dabei hätte man einiges, wenn nicht gar alles besser machen können. Die Wackelkamera ist dabei noch das beste des ganzen Filmes und sehr gut eingesetzt, auch wenn unverständlich ist, wie sie Übelkeit und Schwindel bei den Zuschauern auslösen könnte, wie der Verleih damals bei der Vorführung warnte. Für die Macher ist es jedenfalls nicht wichtig was das Monster ist, woher es kommt und um was es eigentlich geht. Da wird zum Ende hin zwar etwas angedeutet, eine schöne Verbindung hergestellt (wie wahrscheinlich der ganze Film eine schöne Verbindung sein soll), aber zugleich natürlich die Logik verabschiedet.

Dabei ist Drew Goddard fraglos talentiert, schrieb bereits für die Abrams-Serien Alias und Lost, zudem für Joss Whedons Buffy und Angel. In einem Monsterfilm muss, kann, darf, soll man keine Logik erwarten, dem lässt sich sicher zustimmen und das macht letztlich auch Frank Darabonts The Mist relativ unterhaltsam (wenn auch aus anderen Gründen). Wenn man jedoch einen Monsterfilm mit solch gelungenen Effekten wie Cloverfield dreht und gerade durch seine YouTube- und Wackelkameramentalität Authentizität beansprucht, korrumpiert man sich quasi selbst. Hauptfigur Rob (Michael Stahl-David) hat einen illustren Freundeskreis, dem nur attraktive Frauen beiwohnen, oder besser gesagt, ausschließlich attraktive Frauen beiwohnen. Dazu noch einen Bruder und einen Freund, beides Kaukasier, die flüchtige Bekannte (Lizzy Caplan) und Freundin von Rob (Odette Yustman) ebenso. Lediglich die Schwagerin in spe bringt etwas ethnische Würze in die Truppe (die restlichen Partygäste sind übrigens ebenfalls zu 85% weiß).

Kaum bricht der Terror über New York ein, zelebriert Matt Reeves - dessen wenige Regiewerke solche Knaller wie Der Zufallslover mit einschließen - sofort eine Gruppe Afro-Amerikaner, die einen Hi-Fi-Laden stürmen und Fernseher klauen. Nur einer der rassistischen Momente des Filmes, die fortgeführt werden, wenn ein farbiger US-Militär die Freunde praktisch „unter der Hand“ nach New York in ihr Verderben zurück lässt, obgleich sich dieses momentan im Ausnahmezustand befindet. Abrams selbst tat sich bereits bei Lost keinen großen Gefallen in der Darstellung farbiger Figuren und sollte seine Charaktergestaltung vielleicht doch mal überdenken. Wenn man seinen Darstellern nicht verrät, wofür sie eigentlich vorsprechen, seinen Film selbst lediglich mit dem Namen des Produzenten bewirbt und mit der Werbetrommel sechs Monate lang das Internet durchstreift, kommt man zu dem Schluss, dass dies alles nötig war, um überhaupt jemanden in die Kinos zu treiben.

Mit vierzig Millionen Dollar am Startwochenende stellte Cloverfield einen Rekord für den Monat Januar auf, bis zum heutigen Tag hat der 25 Millionen Dollar teure Film weltweit das sechseinhalbfache seiner Kosten eingespielt. Wie nicht anders üblich bei Horrorfilmen - oder inzwischen sogar Filmen allgemein - wird eine Fortsetzung nicht lange auf sich warten lassen und ist bereits für das nächste Jahr geplant. Hätte Cloverfield auch ohne das virale Marketing funktioniert? Zweifelhaft. Ein Film von einem Regisseur ohne Namen, mit Schauspielern ohne Namen und ohne wirkliche Handlung – dafür hätten sich in den USA kaum so viele Leute begeistern können. Und ein Film der nur durch sein Marketing funktioniert, funktioniert praktisch gar nicht, denn wenn man Teenagern in zehn Jahren Cloverfield zeigt, werden diese sich gelangweilt abwenden.

Ein wilder Crossover-Mix aus Blair Witch Project (welches zumindest unwahrscheinlich innovativ und über weite Strecken äußerst gelungen war) und Godzilla mit einer gehörigen Priese 11. September, sowie dem Plakat von Escape From New York und fertig hat man einen der bedeutungslosesten Filme der letzten Jahre. Kein Wunder, dass er vor einem weiteren bedeutungslosen Film wie dem inhaltsfreien Transformers lief und demselben Klientel gefiel. Als Monsterfilm scheitert Cloverfield schließlich wegen seiner zu guten Effekte und seiner aufgesetzten Authentizität, als Sci-Fi-Thriller scheitert er wiederum an seinen gestelzten Schauspielern, die ihre Texte zu mechanisch runter rattern. Hier fehlt jegliches Stottern oder andere Merkmale eines Terrorangriffes. Cloverfield will vieles sein und ist am Ende nichts, am wenigsten davon in irgendeiner Weise innovativ. Alles was bleibt, ist das Überbleibsel eines verblassenden Hypes.

2.5/10

12 Kommentare:

  1. naja...
    zugegeben war der Hype groß und der Film nicht mehr als guter Durchschnitt, aber gerade durch die fehlende Rahmenhandlung macht Goddard nicht alles, aber vieles richtig. Die Handkamera nervt nicht, ebenso wenig die Protagonisten, ganz im Gegenzug zu bspw. Blair Witch Project. Dass die Logikfehler leicht auszumärzen gewesen wären stört in der Tat ein wenig, trotzdem: grundsolide Unterhaltung

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  2. Matt Reeves hat mit Abrams zusammen die Serie Felicity aus der Taufe gehoben, wofür beide damals einige gute Kritiken eingeheimst haben und die für Abrams seinen Weg zu Alias und Lost geebnet hat. Reeves dagegen ist erst mal in der Versenkung verschwunden. Mich wundert es an sich auch etwas, dass er einen dokumentar-ähnlichen Actionfilm anvertraut bekam, in beiden Dingen (Doku, Action) hatte er keinerlei Erfahrung vorzuweisen. Obwohl die Entscheidung auf diese Kameraperspektive auf ihn zurück geht. Allerdings ist es genau diese Grundsatzentscheidung, die für mich den Film doch ein wenig funktionieren lässt. Denn die Story ist wirklich hohler als ein Schweizer Käse mit 100% Löchern. Tatsächlich wollte ich nach den schrecklichen Emmerich-Filmen kein weiteres Monster-legt-New York-in-Schut-und-Asche-Versatzsstück mit unmöglichen Technobabble über Monster/Aliens/Mutanten/Dinosaurier mehr sehen. Das Mittendrin-Gefühl bekommt Cloverfield z.B. auf der Brücke, bei den kämpfenden Marines oder am Ende im Helikopter doch wirklich gut hin. Andermal möchte man den Kameramann aber am liebsten erwürgen, wenn er gerade mal wieder nicht auf das Geschehen drauf hält.

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  3. Ich will dir keineswegs zu nahe treten, Rudi, aber imho wirken deine Rezensionen beim Lesen in letzter Zeit etwas holprig. Liest du dir diese nach Verfassen nochmal durch?

    Kann auch sein, dass nur ich den Eindruck hab.

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  4. Mein Gott, soviel Verachtung für diesen Durchschnitt? Gib es zu, der Hype ist eigentlich das worüber Du Dich wirklich aufregst;)

    Ich fand schon drollig, daß sich Twens anfangs mit den Problemen von Teens rumschlagen. Großes Geheimnis daraum wer mit wem ins Bett gehüpft ist. Jahaaaa Spannung für die Zielgruppe:D XY(die Namen der Protagonisten habe ich schon wieder vergessen und sind ja auch nicht wirklich wichtig) wird XX verlassen weil er weit weg nach Japan? muß. Haha. Eigentlich macht XY mit XX Schluß weil er nach der High School das Kaff mitten in Wisconsin verläßt um weit weg YHBlabla das College zu besuchen. Niedlich;)

    Ansonsten finde ich Wackelkamera eigentlich immer ziemlich nervig, hier geht sie aber in Ordnung. Dafür ein Lob. Dennoch hätte ich mir einen konventionell aus der Sicht der Flüchtenden gedrehten Monsterfilm gewünscht. Potenzial für Spannung und Dramatik ist ja genug vorhanden. Der Ansatz das Monster nur kurz oder nur teilweise zu zeigen ist korrekt. Im großen und ganzen wurde aber die große Chance den Monsterfilm neu zu beleben vertan. Und das ist das wirklich ärgerliche an Cloverfield.

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  5. Liest du dir diese nach Verfassen nochmal durch?

    Nein, die hab ich ja alle quasi im Archiv. Vielleich les ich die nächste noch mal durch, ehe ich sie auf die Welt loslasse - danke für den Hinweis.

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  6. Rudi, Rudi, das ist doch ein schöner Monsterfilm, so wie aus Kindheitstagen. Vielleicht bist du nur schon einfach zu abgebrüht und -klärt. Lass' doch das Kind in dir endlich mal raus, ich höre es ja schon bis hierher schreien. ;)

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  7. super review! der film enttäuscht in seiner ganzen linie. ob spannung oder schauspierlerisches talent der film kann, meiner meinung, nur enttäuschen.

    habe mich auf den film sehr gefreut, aber in keiner sekunde des films kam für mich spannung, nervenkitzel auf. auch der spanische horrorfilm "rec" hat nicht überzeugt,obwohl ich diesen etwas besser fand.

    da ist eine videoaufnahme meines letzten urlaubs spannender ;-)

    klasse review!

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  8. Also die Wackelkamera wird durch die kleinere Projektionsfläche (Fernseher?) sicher entschärft - im Kino sind damals auf jeden Fall ne Menge Leute rausgegangen, denen es auf den Magen geschlagen ist.

    Aber vielleicht war das ne Fehlinterpretation und die hatten dieselben Kritikpunkte wie du zu bemängeln. ;-)

    Was ich an deiner Kritik gar nicht nachvollziehen kann ist der Verweis auf rassistische Tendenzen. Sorry, bloss weil ein Weisser 85% weisse Freunde hat oder ein paar Schwarze während einer Panik Geschäfte plündern, kann man doch nicht Rassismus unterstellen.
    Das solltest du schon noch mal einem Reality-Check unterziehen, denn es klingt für mich nach "Nachtreten", weil dir der Film generell nicht gefällt.

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  9. @sarge: Reality-Check? LOL. Das mit dem Geschäft war noch relativ zu Beginn, da hat mir die Handlung des Filmes noch nicht auf den Magen geschlagen. Aber kaum bricht Terror los und alle Weißen rennen durch die Straßen, haben die Schwarzen nichts besseres zu tun, als Fernseher zu klauen? Und dann kommt am Ende der farbige Militär und sagt "Gut, Kinder, ich schick euch dann mal wieder raus in die quarantäne Zone, die wir gleich bebomben werden".

    Abrams hat einfach kein Talent für farbige Figuren, das merkt man auch bei LOST.

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  10. Wenn wir hier aber schon überkorrekt zur Sache schreiten: Der Begriff "farbig" ist im strengen Sinne auch rassistisch!

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  11. Der Begriff "farbig" ist im strengen Sinne auch rassistisch!

    Dessen bin ich mir bewusst.

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  12. würde einen film wie "cloverfield" nur im kino sehen wollen und zumindest dort hat er für mich funktioniert, hype hin oder her.

    dass die darsteller nicht so dolle sind, will ich gar nicht bestreiten. aber die spielen ohnehin nur eine nebenrolle ;)

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