27. Juni 2008

Reservation Road

Can you hear music if you're in Heaven?

König Theoden sagt in The Two Towers, dass es nichts Schlimmeres gäbe, als sein eigenes Kind zu Grabe tragen zu müssen. Der Tod eines Elternteils ist in Hollywood-Filmen oftmals Auslöser für eine Selbstfindung der hinterbliebenen Kinder und wird zentral in Dramödien wie Garden State oder Elizabethtown behandelt. Beide Filme haben ruhige und konsternierte Söhne als Hauptprotagonisten, die das Elternteil zwar vermissen, an dem Verlust jedoch nicht zu Grunde gehen. Anders dagegen ist dies, wenn ein Elternteil sein Kind verliert. Sean Penn inszenierte in The Crossing Guard Jack Nicholson als verbitterten Vater, der Rache an David Morse für den Tod seines Kindes ausüben wollte. Auch Naomi Watts verlor in 21 Grams von Alejandro Gonzáles Iñárritu ihre beiden Kinder nebst Ehemann und zerbrach schier daran. In John Burnham Schwartz’ Roman Reservation Road (dt. Eine Sekunde nur) wird ein solches Ereignis beschrieben.

Nach einem glücklichen Ausflug macht die Familie Learner um Oberhaupt Ethan und Ehefrau Grace Halt an einer Raststätte auf der Reservation Road. Der zehnjährige Sohn, Josh, verlässt den Wagen und wird daraufhin von einem ausscherenden Geländewagen erfasst und tödlich verletzt. Im Wagen saß Dwight Arno mit seinem Sohn Sam, beide auf dem Heimweg von einem Baseballspiel. Dwight hält zwar kurz an, begeht dann jedoch Fahrerflucht und lässt eine trauernde Familie auf der Reservation Road zurück. Schwartz’ Roman wurde im vergangenen Jahr von Terry George fürs Kino verfilmt. George, der für seine Drehbücher zu In the Name of the Father und Hotel Rwanda jeweils eine Oscarnominierung erhielt, adaptierte Schwartz’ Drehbuch und besetzte den Film mit hochkarätigen Schauspielern. Erfolg war ihm dabei jedoch nicht vergönnt, der Reservation Road spielte weltweit nicht mal eine Millionen Dollar ein und wurde auch bei den diesjährigen Academy Awards übergangen.

Der Roman von Schwartz beeindruckt dadurch, dass jedes Kapitel sich abwechselnd auf das Innenleben von Ethan, Grace und Dwight beschränkt, ihr Innenleben reflektiert und so die Handlung vorangetrieben wird. Dabei ist sich Dwight seiner Schuld durchaus bewusst und er plant letztlich sein Geständnis bei der Polizei, will zuvor aber noch etwas Zeit mit seinem eigenen zehnjährigen Sohn verbringen, der bei Dwights Ex-Ehefrau Ruth lebt. Während sich Ethan und Dwight im Roman nie begegnen, veränderte George das Drehbuch an diesem Punkt. Nach dem Verlust von Josh wird Ethan (Joaquin Phoenix) von Rachegelüsten überfallen. Immer mehr entfremdet er sich von seiner ebenfalls trauernden Frau Grace (Jennifer Connelly). Da er die Ermittlungen der örtlichen Polizei als unzureichend empfindet, informiert Ethan sich übers Internet in etwaigen Foren und schaltet schließlich eine Anwaltskanzlei ein.

Wie das Schicksal so spielt, arbeitet ausgerechnet der Täter und Fluchtwagenfahrer Dwight (Mark Ruffalo) bei dieser Anwaltskanzlei - doch Ethan erkennt ihn nicht. Bei den Kritikern kam Reservation Road nicht besonders gut weg, Filmrezensent James Berardinelli von ReelViews bemängelte insbesondere das schwache Ende im Vergleich zur Vorlage. Wer den Roman kennt, mag sich wundern, wovon Berardinelli eigentlich spricht, denn abgesehen von einem Ortswechsel ist das Ende im Film vom Inhalt her identisch mit dem des Romans. Die Abänderung der Beziehung zwischen Ethan und Dwight mag man dagegen durchaus kritisch beobachten, Roman und Film gehen hier zwei verschiedene Wege, die letztlich am selben Ziel enden. Es lässt sich jedoch kaum leugnen, dass in den Szenen zwischen den Beiden die Spannung förmlich in der Luft liegt, ein Knistern, das eine herbe Explosion anzudeuten vermag.

Wirklich bedauerlich hingegen ist die Kürzung von Grace im Film, die dem Publikum mehr von der großartigen Jennifer Connelly vorenthält. Im Roman wird ihr eine weitaus bedeutendere Rolle zugesprochen, im Film hingegen konzentriert sich George zuforderst auf die Gemeinsamkeiten zwischen Ethan und Dwight. Zwei Männer, die in etwa im selben Alter sind und die beide einen zehjährigen Sohn haben. Während Dwight mehrfach Streitereien mit seiner Ehefrau Ruth (Mira Sorvino) hatte und schließlich das Sorgerecht verlor, ist Collegeprofessor Ethan eine gute Seele und stolzer Vater zweier musikalisch begabter Kinder. Man mag sich daran beißen, dass die Learner hier die klischeehafte, harmonische Familie geben, im Laufe des Filmes wird sich dies jedoch ändern. Anstatt für seine Familie da zu sein, kapselt sich Ethan immer mehr in seinem Kummer ab. Ein einsamer Mann auf der Suche nach Vergeltung. Seine Ehefrau Grace hingegen versucht mit dem Verlust ihres einzigen Sohnes zurecht zu kommen und ihrer Tochter Emma (Elle Fanning) eine gute Mutter zu sein.

Dwight hingegen ist von enormen Schuldgefühlen geplagt, als Vater ist er sich des verursachten Schmerzes durchaus bewusst. Da er nicht überführt werden kann, plant er sich zu stellen. Zuvor will er jedoch noch die Meisterschaft im Baseball mit seinem Sohn verfolgen, ein letztes positives Ereignis, ehe er für mehrere Jahre ins Gefängnis wandern wird. Zwei Männer mit Seelenballast, zwei Männer die etwas zu verlieren haben. Man mag sich fragen, was passiert wäre, wenn Ethan Dwights Sohn Lucas und nicht umgekehrt Dwight Ethans Sohn Josh überfahren hätte. George skizziert zwei liebende Familienväter, die lediglich versuchen ihre Familie zusammenzuhalten und mit dem Schmerz klar zu kommen. Besondere Spannung erhält dies selbstverständlich durch den Umstand, dass Dwight durch seine Arbeit in die Umgebung der Learners gezogen wird.

Die Oscarpreisträger im Cast finden sich mit Connelly und Sorvino auf Seiten der beiden Damen, Reservation Road jedoch gehört alleine den männlichen Schauspielern um Joaquin Phoenix und Mark Ruffalo. Besonders Phoenix weiß hier als introvertierter Vater zu überzeugen, sein Spiel ist von einer außerordentlichen Tiefe geprägt, dagegen kommt selbst Ruffalo mit einer ebenfalls guten Leistung oft nicht an. Aber auch Connelly weiß wie so oft zu überzeugen, obschon ihre Figur im Gegensatz zur Vorlage etwas eingeschränkt wurde. Von Sorvino sieht man leider viel zu wenig, sie fügt sich jedoch mit Elle Fanning in das großartig aufspielende Ensemble ein, welches den Film im Grunde alleine trägt. Abgerundet wird das Ganze dann von Mark Ishams stimmungsvollen Kompositionen, die versuchen in ruhigen Tönen den Schmerz der Familie Learner und die innere Zerrissenheit von Dwight einzufangen.

Georges Film schließt den Zuschauer etwas aus dem Innenleben der Figuren aus, dass man eine solche Geschichte jedoch auch aufteilen kann, hat im vergangenen Jahr Todd Field mit seinem großartigen Little Children bewiesen. Nichtsdestotrotz ist Reservation Road Schauspielkino erster Güte und der Schmerz, den die Learners empfinden, transferiert sich wunderbar auf die Leinwand und wirkt ergreifend auf das Kinopublikum. Das Ende, betrachtet man das Geschehene nur konsequent, erinnert in seiner Auflösung jedoch etwas an Hanekes Caché. Zuletzt sei gesagt, dass der Trailer zum Film wieder mal sinnbildlich für die Inkompetenz der Trailercutter steht. Wenn sie einem nicht gänzlich die Laune auf einen Film vermiesen, wie bei Hallam Foe oder XXY, so nehmen sie das Ende des Filmes, wie hier geschehen, bereits vorweg. Wer Reservation Road in 150 Sekunden gepresst sehen will, sei somit der Trailer geraten, alle anderen sollten um diesen einen Bogen machen.

7.5/10

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