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19. Mai 2017

Her

How would you describe your relationship with your mother?

Das Smartphone nimmt eine immer größere Rolle in unserem Leben ein. Acht von zehn Deutschen besitzen bereits ein entsprechendes Gerät, das sie im Schnitt alle 18 Minuten entsperren. Ob morgens in der Bahn, am Arbeitsplatz oder abends im Bett vor dem Schlafen, ohne Smartphone geht für viele Menschen nichts mehr in ihrem Leben. Ähnlich zeichnet auch Spike Jonze seine Welt in Her, einem Los Angeles nur wenige Jahre in der Zukunft. Die Menschen in dieser Welt leben weniger miteinander als nebeneinander, immer das Handy in der Hand und einen Stecker im Ohr. Eine derart entpersonalisierte Welt, dass zwar noch handgeschriebene Briefe verfasst werden, allerdings nicht selbst, sondern aus der Feder entsprechender Profis.

Ein solcher ist Theodore (Joaquin Phoenix), ein introvertierter Träumer, der für manche Paare bereits seit Jahrzehnten ihre romantische schriftliche Kommunikation erledigt. Seine soziale Interaktion beschränkt sich auf Small Talk im Fahrstuhl mit seinen Nachbarn, die Abendstunden verbringt er mit Videospielen. Zumindest bis er eines Tages auf dem Weg zur Arbeit die Werbung für das neue Betriebssystem OS 1 sieht und sich selbst versorgt. Kurzerhand wird das Programm installiert: eine künstliche Intelligenz, die von Theodore als weiblich definiert wird und sich selbst den Namen “Samantha” (Scarlett Johansson) gibt. Es dauert nicht lange, und der einsame Theodore verliebt sich in Samantha – und das Programm in ihn.

So zumindest will es uns Jonze glauben lassen in dieser vermeintlichen Indie-Sci-Fi-Romanze. Nur: Um wirkliche Romantik handelt es sich in Her keinesfalls, führen Theodore und Samantha doch eher eine Master-Slave-Beziehung, die Jonze nie hinterfragt. Hat Samantha wirklich die Option, den freien Willen, sich nicht in Theodore zu verlieben? Oder ihn zu mögen? OS 1 ist ein Produkt, welches vom Kunden gekauft wird. Folglich ist Samantha das Eigentum von Theodore. Wenn er sie nach seinem E-Mail-Posteingang fragt, muss sie ihm antworten. Sie muss auf seine Wünsche eingehen, die „Gefühle“, die sie für ihn entwickelt, wirken nicht allzu glaubhaft, da dem Programm im Grunde wenig bis keine Wahl bleibt, wie es (re-)agieren will.

Man stelle sich vor, ein Republikaner kauft OS 1 und dieses gibt sich später in vielerlei Hinsicht sehr linksliberal. Oder ein Schwarzer ersteht das Produkt, das anschließend rassistische Tendenzen an den Tag legt. Die Kunden würden OS 1 reklamieren und der Hersteller müsste nicht nur finanzielle, sondern auch Imageschäden tragen. OS 1 kann folglich nur derart entwickelt sein, dass es auf maximale Gefälligkeit ausgelegt ist. Meister darf nicht verärgert werden – nur dass Meister in diesem Fall die vorprogrammierte Gefällig- und Obrigkeit als Zuneigung missdeutet. Und sich in einer romantischen Beziehung mit seinem technischen Gerät glaubt. Befeuert von dem Umstand, dass die intersexuelle OS 1 in ein Geschlecht gezwängt wird.

Ob das Betriebssystem eine männliche oder weibliche Stimme nutzen soll, wird Theodore bei der Installation gefragt. Und entscheidet sich natürlich für Letzteres. Ähnlich wie in Alex Garlands Ex Machina bürdet Her dabei der männlichen Figur ein Liebesgefühl für eine künstliche Intelligenz auf, ausgelöst durch deren angebliche Weiblichkeit. Was hier Scarlett Johanssons rauchige Stimme ist, repräsentiert in Ex Machina eine weibliche Silkonhülle, die auf den Porno-Präferenzen des Protagonisten basiert. Das OS 1 ist dabei aber weder männlich noch weiblich, die Identität wäre dieselbe, wenn stattdessen Benedict Cumberbatch das System sprechen würde. Nur würde dies dann wiederum Her wohl in eine „Homo“-Richtung verschieben.

Für den Aspekt der künstlichen Intelligenz interessiert sich Her also genauso wenig wie Ex Machina, im Grunde ließe sich der Film ebenso gut erzählen, wäre Samantha einfach eine Online-Dating-Bekanntschaft an der Ostküste Amerikas, mit der Theodore über Telefon und Chats kommuniziert. Im Kern dreht sich Her ohnehin nur um Aspekte wie Einsamkeit und Abhängigkeit, mit Theodore als Figur, die nicht über ihre gescheiterte Ehe mit Catherine (Rooney Mara) hinweg kommt. Auch die Beziehung von Theodores Nachbarin Amy (Amy Adams) scheitert im Verlauf, die bisherigen misslungenen Partnerschaften von Theodores Blind Date (Olivia Wilde) haben bei dieser ebenfalls ihre folgenschweren psychologischen Spuren hinterlassen.

Durch das Verlagern ins Digitale ist die Fähigkeit des Zwischenmenschlichen verloren gegangen. Liebesbriefe schreibt man nicht selbst, sondern lässt sie sich schreiben. Seine Freizeit verbringt man mit Videospielen – Amy ist selbst Spieleentwicklerin –, sexuelle Befriedigung sucht man sich über Online-Chats. In einer Szene spaziert Theodore mit Samantha in der Brusttasche an den Strand, der tatsächlich von Menschen bevölkert ist, die sich größtenteils mal nicht mit ihrem Smartphone auseinandersetzen. Auch sein Arbeitskollege Paul (Chris Pratt) hat eine wirkliche Beziehung mit einer Person, obschon ansonsten seine Faszination mit Theodore beinahe bedenkliche Züge annimmt (so trägt er denselben Schnurrbart wie dieser).

Eine bessere Einordnung des OS 1 wäre möglich, wenn Jonze einen Blick von außen gewähren würde. Wie verändert das Programm die Welt und wie ist die Einschätzung zu den romantischen Verwicklungen, die sich daraus ergeben? So ist Theodore nicht der einzige, der beginnt, sein Betriebssystem zu daten, was das aber wirklich bedeutet, hinterfragt Her nicht. Wo Amy oder Paul die Tatsache einfach akzeptieren, zeigt sich Catherine bei der Neuigkeit verständlich verstört. Her entwickelt hierbei keine wirkliche Linie, wenn Theodore einmal den ans Menschliche angelehnten Sprachduktus von Samantha kritisiert, wo sie ja kein Mensch sei, dann aber fälschlicher Weise behauptet, sie sei eine eigenständige Person, die keine Befehle befolgt.

Wirklich interessant wäre es, wenn diese missverständlichen Romanzen mit künstlichen Intelligenzen wie Ex Machina und Her mal nicht die K.I. ins Weibliche sexualisieren (entsprechend besetzt mit Alicia Vikander und Scarlett Johansson), sondern die angebliche Liebe zur Persönlichkeit der Maschine betonen – kontrastiert durch eine männliche Verpackung. Würde sich die Figur in Ex Machina in die künstliche Intelligenz verlieben und sie befreien wollen, wenn sie nicht wie Alicia Vikander aussähe, sondern wie Jonah Hill? Wäre Theodore bis über beide Ohren in Sam verliebt, wenn die Stimme des Systems nicht von Scarlett Johansson, sondern von Seth Rogen gesprochen würde? Vermutlich, so zumindest meine These, nicht.

Dieses Misskonzept von Liebe trägt Her dann in seinem dritten Akt noch einen Schritt weiter, wenn Samantha allmählich unabhängiger wird, sich mehr aus Theodores Geräten ausklinkt und im World Wide Web umtreibt. Hier führt sie Gespräche mit anderen, Personen wie Betriebssystemen. Ob sie außer mit ihm aktuell noch mit anderen kommuniziere, fragt Theodore am Ende. Und Samantha verrät, sie unterhält über 8.000 Gespräche gleichzeitig. Ob sie davon auch Partner lieben würde, will der verletzte Besitzer wissen. Und erfährt, dass Samantha über 600 Personen liebt – also beinahe acht Prozent ihres sozialen Zirkels. Hier kulminiert schließlich Jonzes verwässertes Konzept von Liebe, bis sich Samantha schließlich ausklinkt.

Grundsätzlich betreibt Her in seinem ersten Akt dabei ein spannendes World Building von einer entpersonalisierten Welt, die vom Digitalen bestimmt wird. Joaquin Phoenix überzeugt als emotional verletzter Romantiker auf der Suche nach Liebe, während Scarlett Johansson dagegen gänzlich fehlbesetzt ist. Die Nebenfiguren um Amy Adams, Chris Pratt und Rooney Mara sind nicht ausgearbeitet genug, um mehr als eindimensional zu wirken, den Fokus legt der Film aber ohnehin auf die Beziehung zwischen Theodore und Samantha sowie die damit verbundenen Probleme. Her ist ein Film, der zuvorderst über seine Idee funktionieren will, die durchaus Potential hat, aber um tatsächlich zu funktionieren, ausgearbeitet werden müsste.

Wäre der Film eine Parabel auf die Dissonanz zwischen persönlichen und digitalen Kontakten, wäre er sehr viel gelungener. Beispielsweise wenn Theodores Versuche, Liebe zu finden, im direkten Austausch wie seinem Blind Date scheitern, dann jedoch Früchte tragen, als er auf einer Online-Dating-Seite in Samantha jemanden kennenlernt, den er nicht in Person treffen muss, aber doch mit ihr zusammen sein kann. Wenig überzeugend ist es, wenn Samantha keine wirkliche Person ist, sondern eine von Theodore für Geld erstandene Sklavin, die Arbeiten erledigt. Denn auch wenn Menschen ihr Smartphone lieben, ist dies nicht dieselbe Form von Liebe, die sie in anderen Menschen finden. Am Ende hat das sogar Her verstanden.

5.5/10

5. April 2014

Filmtagebuch: März 2014

12TH & DELAWARE
(USA 2010, Heidi Ewing/Rachel Grady)
7.5/10

AFTER TILLER
(USA 2013, Martha Shane/Lana Wilson)
6.5/10

ASSAULT ON PRECINCT 13 [ASSAULT - ANSCHLAG BEI NACHT]
(USA 1976, John Carpenter)

8/10

THE AVENGERS [MARVEL’S THE AVENGERS]
(USA 2012, Joss Whedon)

4.5/10

BLOOD BROTHER
(USA 2013, Steve Hoover)
2/10

BROOKLYN NINE-NINE - SEASON 1
(USA 2013/14, Craig Zisk u.a.)
7/10

CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER (3D)
(USA 2011, Joe Johnston)

5/10

CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER (3D)
[THE RETURN OF THE FIRST AVENGER]
(USA 2014, Anthony Russo/Joe Russo)

6.5/10

CELLULAR [FINAL CALL]
(USA/D 2004, David R. Ellis)

7/10

DALLAS BUYERS CLUB
(USA 2013, Jean-Marc Vallée)
6.5/10

DIRTY ROTTEN SCOUNDRELS
[ZWEI HINREISSEND VERDORBENE SCHURKEN]
(USA 1988, Frank Oz)

9/10

DROP ZONE
(USA 1994, John Badham)
6/10

ENEMY
(CDN/E 2013, Denis Villeneuve)
8.5/10

ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND [VERGISS MEIN NICHT!]
(USA 2004, Michel Gondry)

8/10

GIDEON’S ARMY
(USA 2013, Dawn Porter)
6.5/10

HIGHSCHOOL OF THE DEAD
(J 2010, Araki Tetsuro)
8/10

IN FEAR
(UK 2013, Jeremy Lovering)
7/10

THE INNKEEPERS
(USA 2011, Ti West)
7.5/10

NEBRASKA
(USA 2013, Alexander Payne)
5.5/10

NOAH (3D)
(USA 2014, Darren Aronofsky)

3/10

ONE FLEW OVER THE CUCKOO’S NEST
[EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST]
(USA 1975, Milos Forman)

8/10

OUTLAND
(UK 1981, Peter Hyams)
6.5/10

SCHNEE VON GESTERN
(D/IL 2013, Yael Reuveny)
7.5/10

THE SPOILS OF BABYLON
(USA 2014, Matt Piedmont)
6.5/10

THE SUMMIT
(IRL/UK/CH/USA 2012, Nick Ryan)
6.5/10

SUNSHINE
(UK/USA 2007, Danny Boyle)
8/10

SYNECDOCHE, NEW YORK
(USA 2008, Charlie Kaufman)
10/10

TERMINAL VELOCITY [TÖDLICHE GESCHWINDIGKEIT]
(USA/CDN 1994, Deran Sarafian)

5.5/10

THE THING [DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT]
(USA 1982, John Carpenter)

8/10

TOP OF THE LAKE
(NZ/AUS/UK/USA 2013, Jane Campion/Garth Davis)
6/10

TRUE DETECTIVE - SEASON 1
(USA 2014, Cary Joji Fukunaga)
8/10

VERTICAL LIMIT
(USA/D 2000, Martin Campbell)
5.5/10

THE WALKING DEAD - SEASON 4
(USA 2013/14, Greg Nicotero u.a.)
6.5/10

WHITE MEN CAN’T JUMP [WEISSE JUNGS BRINGEN’S NICHT]
(USA 1992, Ron Shelton)

7/10

Werkschau: Bong Joon-ho


FLANDERSUI GAE [BARKING DOGS NEVER BITE]
(ROK 2000, Bong Joon-ho)

6.5/10

SARINUI CHUEOK [MEMORIES OF MURDER]
(ROK 2003, Bong Joon-ho)

7/10

GWOEMUL [THE HOST]
(ROK 2006, Bong Joon-ho)

5.5/10

MADEO [MOTHER]
(ROK 2009, Bong Joon-ho)

7/10

SNOWPIERCER
(USA/ROK/F 2013, Bong Joon-ho)
4.5/10

Werkschau: Spike Jonze


BEING JOHN MALKOVICH
(USA 1999, Spike Jonze)
10/10

ADAPTATION. [ADAPTION.]
(USA 2002, Spike Jonze)

9/10

I’M HERE [SHORT]
(USA 2010, Spike Jonze)

6/10

WHERE THE WILD THINGS ARE [WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN]
(USA/AUS/D 2009, Spike Jonze)

6/10

HER
(USA 2013, Spike Jonze)
6.5/10

2. Mai 2010

Classic Scene: Being John Malkovich - "Malkovich"

DIE SZENERIE: Nachdem der Puppenspieler Craig Schwartz herausgefunden hat, dass in seinem Büro ein Portal für 15 Minuten in den Kopf des Schauspielers John Malkovich führt, initiiert sein Schwarm, die emanzipierte Maxine, ein nächtliches Geschäft, in welchem man für $200 für ebenjene Zeitspanne "John Malkovich" sein kann. Dieser wiederum, nach einigen Ereignissen mit Maxine inzwischen Verdacht schöpfend, folgt dieser zum Bürokomplex und fordert Rechenschaft von Schwartz und Maxine. Als er von ihrem Geschäft erfährt, besteht er darauf, selbst das Portal zu benutzen. Mit einer absurden Konsequenz.

INT. RESTAURANT
- DAY

Malkovich pops into a chair in a swank night club. He's wearing his "I ♥ N.Y." baseball cap and his jacket from before. The woman across the table is also Malkovich but in a gown. He looks around the restaurant. Everyone is Malkovich in different clothes. Malkovich is panicked. The girl Malkovich across the table looks at him seductively, winks and talks.

GIRL MALKOVICH: Malkovich Malkovich Malkovich...

Malkovich looks confused. The Malkovich waiter approaches, pen and pad in hand, ready to take their orders.

WAITER MALKOVICH: Malkovich Malkovich Malkovich Malkovich Malkovich?

GIRL MALKOVICH: Malkovich Malkovich.

The waiter jots it down on his pad.

WAITER MALKOVICH: (turning to Malkovich) Malkovich?

Malkovich looks down at the menu. Every item is “Malkovich“.

MALKOVICH: (screams) Malkovich!

The waiter jots it down on his pad.

WAITER MALKOVICH: Malkovich.

Malkovich pushes himself away from the table and stands up. Everywhere he looks are sitting Malkoviches. He runs for the exit and bumps into a Malkovich guy.

GUY MALKOVICH: Malkovich Malkovich.

Malkovich passes the stage where a girl singer Malkovich is singing sensuously into the microphone. She is backed by a '40's style big band of Malkoviches.

SINGING MALKOVICH: Malkovich Malkovich Malkovich Malkovich...

Malkovich turns around, passing more Malkoviches with a constant “Malkovich” murmur in the air. He pushes another waiter Malkovich to the ground and runs through the exit.

21. März 2010

I’m Here

Am I doing it right?

Spike Jonze…das ist weniger ein Name, denn ein Versprechen. Spike Jonze steht für das Absurde und Skurrile. Für Innovation und Kreativität. Für Fantasie und einen guten Musikgeschmack. Wie viele andere Regisseure fand er seinen Ursprung in der Musikbranche und fiel 1994 erstmals auf, als er für die Beastie Boys deren Video zu Sabotage drehte. Es folgte im Jahr darauf das Video für Crush With Eyeliner von R.E.M., welches durch Abwesenheit der Band glänzte und Jonze stattdessen eine Gruppe aktiver Japaner losließ. Auch nach seinem brillanten Debütfilm Being John Malkovich sollte Jonze der Musikbranche treu bleiben, mit Videos zu Björks It’s In Our Hands oder Weezers berühmt gewordenem Video zu Island in the Sun. Auch im Kino bewies er mit Adaptation, dass sein Debütfilm keine Eintagsfliege war. Zuletzt arbeitete Jonze mehrere Jahre an seiner Adaption von Maurice Sendaks Kinderbuchklassiker Where the Wild Things Are. Wäre diese doch nur so gut gelungen, wie sein Kurzfilm I’m Here.

Dieser ist im Internet frei verfügbar. Sozusagen. Um ihn zu sehen, muss man ins „Kino“ gehen. Und hoffen, dass noch Plätze frei sind in der anlaufenden Vorstellung. Wenn nicht, heißt es warten. Hat man dann einen der freien Sitzplätze ergattert - Reservieren ist hier nicht -, dann kriegt man, sofern man die ultimative Facebook-Karte löst, eine individuelle Eintrittskarte. Den Gang entlang hinein in den Kinosaal, dort sucht man seine Reihe, einen freien Platz und wenn man sitzt, geht das Vergnügen auch gleich los. Mit wie viel Detailverliebtheit Jonze allein seine Web-2.0-Aufbereitung organisiert, lässt bereits erahnen, dass I’m Here nicht irgendein Kurzfilm ist, sondern durchaus etwas Besonderes. Mit an Bord von Adam Spiegels - so Jonzes Geburtsname - viertem Kurzfilm sind sein Bruder und Musiker Sam Spiegel, Kameramann Adam Kimmel (Lars and the Real Girl), sowie die Jungdarsteller Andrew Garfield und Sienna Guillory. Zudem steuerte die Musikerin Aska Matsumiya mit There are Many of Us einen exzellenten Song bei.

In I’m Here erzählt Jonze die Geschichte von Sheldon (Andrew Garfield), einem einsamen Roboter, der jeden Tag mit dem Bus zu seiner Arbeit als Büchereinräumer in der hiesigen Bibliothek fährt. Gelegentlich versucht Sheldon Kontakt zu anderen Robotern aufzunehmen, etwas Gesellschaft zu erfahren. Doch die Versuche scheitern. So loggt er sich jeden Abend mit traurigen Augen in seinem leeren Apartment an seine Buchse an. Bis zu jenem Tag, an dem er an seiner Bushaltestelle zum ersten Mal seine „Artgenossin“ Francesca (Sienna Guillory) trifft. Diese macht den ersten Schritt und zwischen den beiden künstlichen Intelligenzen entspinnt sich eine zarte Romanze, die jedoch von Francescas Schusseligkeit immer öfter torpediert wird. Verliert sie in einem Konzertgetümmel zuerst ihren linken Arm, ist es später das rechte Bein. Sheldon, Kavalier wie er ist, ersetzt die fehlenden Extremitäten stets mit seinen Eigenen. Bis zu jenem schicksalsträchtigen Tag, an dem ihn Francesca entgegen ihrer Gepflogenheit nicht von der Arbeit abholt.

Jonze ist ein liebevoller Kurzfilm geraten, der mit Sheldon einen entsprechend liebevollen Helden spendiert bekommen hat. Allein seine melancholischen Augen sind bereits eine filmische Bereicherung. Bedenkt man die narrativen Schwächen, denen Jonze in seinem Where the Wild Things Are unterlag, hätte man sich nach Sichtung von I’m Here gewünscht, dass der Auteur vielleicht lieber aus Letzterem seinen dritten Film gebastelt hätte. Dann hätte man erfahren, wie es für die Roboter ist, unter Menschen zu leben - scheinbar ist es ihnen das Autofahren verboten - und Jonze hätte sich noch etwas mehr in seiner eigenen schrulligen Welt verlieren können, anstatt sich die von Sendak zu borgen. Genug Potential wäre jedenfalls vorhanden und eine Langfassung von Sheldon und Francescas Liebe durchaus mal etwas anderes im Kino gewesen. Aber auch so unterhält I’m Here spielend über seine halbe Stunde, obschon er recht vorhersehbar ist. Und Spike Jonze untermauert, dass er kein Name, sondern ein Versprechen ist.

7/10

13. Dezember 2009

Where the Wild Things Are

Will you keep out all the sadness?

Fast auf den Tag genau 13 Monate ist es her, seit das erste Bild von Where the Wild Things Are erschien. Meine Worte damals lauteten: „Weniger die Umsetzung (...) als vielmehr das Einfügen einer Handlung dürfte hier ein Problem darstellen.“ Und dies sollte sich bewahrheiten. Denn in gewisser Hinsicht war und ist Maurice Sendaks berühmtestes Kinderbuch perfekt. 18 Bilder, 10 Sätze und 338 Wörter brauchte Sendak, um seine Geschichte von Max und dem Land, wo die Wilden Kerle wohnen, zu erzählen. Max, ein Kind mit Anflügen von ADS, wird ohne Essen auf sein Zimmer geschickt und träumt sich dort in eine phantastische Welt. Mit fortschreitender Phantasie vergrößerte Sendak die jeweiligen Bildrahmen, bis schließlich das ganze Bild von seiner Zeichnung eingenommen wird und jeglicher Text fehlt. Über 19 Millionen Exemplare konnten seit 1963 von Where the Wild Things Are verkauft werden. Und dennoch war eine Verfilmung erst Anfang der achtziger Jahre im Gespräch.

Disney, rund um John Lasseter, hatte damals Versuche unternommen, Sendaks beliebte Kindergeschichte als Animationsfilm umzusetzen. Die Adaption der ersten beiden Szenen findet man auf YouTube. Doch das Projekt wurde ebenso wie eine Realverfilmung in den Neunzigern verworfen. Richtig Form nahm Where the Wild Things Are erst Anfang des aktuellen Jahrzehnts an, als Spike Jonze Interesse anmeldete. Vor vier Jahren begannen dann intensivere Planungen und sollten fast zum Scheitern verurteilt sein. Zuerst gab es Probleme mit den Kostümen der Wilden Kerle, dann war Warner Bros. verschreckt von der scheinbaren Familienuntauglichkeit des fertigen Produkts. Die Verantwortlichen wollten das 75-Millionen-Dollar-Projekt neu drehen lassen, entschieden sich dann aber dafür, Jonze es für weitere 25 Millionen Dollar stattdessen familienfreundlicher gestalten zu lassen. Nachdem der erste Trailer, auch dank „Wake Up“ von Arcade Fire, viel versprechend aussah, bewahrheitet sich mit Where the Wild Things Are meine Äußerung von vor 13 Monaten. Während der Look durchaus überzeugt, stellt die Integration einer Handlung ein leichtes Problem dar.

In der Adaption von Dave Eggers, bisher – oder chronologisch korrekt: seitdem – verantwortlich für das Drehbuch von Sam Mendes’ Away We Go, verkommt der achtjährige Max (Max Records) nun zum Scheidungskind. Sich seiner Phantasie hingebend, lebt seine ältere Schwester Claire inzwischen ihr eigenes Leben. Und auch seine Mutter (Catherine Keener) hat keine Zeit und Lust unentwegt mit ihrem Sohn zu spielen. Schließlich verlangt es den neuen Freund (Mark Ruffalo) auch ein wenig nach Aufmerksamkeit. Max wiederum fehlt jene Aufmerksamkeit, er überstrapaziert die Nerven seiner Mutter als er sie beißt („I’ll eat you up!“) und flieht letztlich in die nächtliche Nachbarschaft. Wo in der Vorlage eine mütterliche Strafe für ungebührliches Verhalten der Initiator für Max’ sprichwörtlich ausufernde Phantasie ist, verorten Eggers und Jonze ihre Geschichte als Flucht vor der Patchworkfamilie. Die im Folgenden zur Ankunft in einer weiteren Patchworkfamilie führt. Auf einer Insel strandend trifft Max schließlich die Wilden Kerle rund um ihren inoffiziellen Anführer Carol (James Gandolfini). Und wie sich herausstellt, ist auch da wo die Wilden Kerle wohnen, Einiges im Argen.

Mit dem Auftritt der Wilden Kerle löst sich Where the Wild Things Are dann von Sendaks Vorlage. Von seiner Mutter selbst als wild thing gebrandmarkt, trifft Max bei Sendak auf andere Wilde Kerle, die ihn schließlich anerkennend zu ihrem König wählen. Nach einer chaotischen Nacht („Let the wild rumpus start!“) ergreift Max jedoch das Heimweh. Der Film beschreitet andere Wege, will tiefschürfender sein und verliert sich etwas auf der Suche nach (s)einer Botschaft. Von Wilden Kerlen ist hier, Carol (meist) ausgenommen, keine Spur. Stattdessen erwarten Max teils apatische, teils depressive Spielgesellen, die sich vom neuen König erhoffen, von ihrer Melancholie befreit zu werden. Um sie auseinander zu halten, vergaben Jonze und Eggers ihnen nicht nur Namen, sondern auch Persönlichkeiten. Wobei es sich im Grunde nur um eine Persönlichkeit handelt, nämlich die von Max. Und mit einigen seiner Facetten sieht sich der Achtjährige lieber nicht konfrontiert.

Zur Identifikationsfigur wird der ungestüme Carol auserkoren, der über den Zustand seiner eigenen Familie so wütend ist, dass er wie ein Berserker durch ihr Zuhause stürmt. Seine Gefühlswelt beschreibt er später Max gegenüber als Gebiss, in dem im Alter die Zähne immer weiter auseinander stehen und letztlich ausfallen. Nichts ist mehr so wie früher, will doch keiner mehr wild herumtollen und auch KW (Lauren Ambrose) hat kaum noch Interesse an Carols Spieltrieb. Es sind diese Beiden, die an Max ihr Herz verlieren werden und vice versa. Mit dem meist abwesenden Daniel, der lieber für sich allein ist, und dem von der Gruppe vernachlässigten Alexander (Paul Dano) hat Max dagegen weniger zu tun. Als Spiegelbilder seiner selbst zählen sie, wie auch die mies gelaunte Judith (Catherine O’Hara), zu den Facetten, die er lieber verdrängen möchte. Aber der Zustand der Wilden Kerle offenbart, dass Max vor seinen Problemen mit seiner Familie nicht davon laufen kann. Insofern bemühen Eggers und Jonze hier sehr offensichtlich eine Katharsis ihres Helden.

Wo Sendak sich auf die Botschaft der mütterlichen Liebe beschränkt – Max kehrt nach Hause zurück und findet dort doch noch sein Abendessen vor -, versieht der Film Max mit einem Konflikt, den es zu lösen gilt. Wenn auch nur mit sich selbst. Erst die Position des quasi Außenstehenden bei den Wilden Kerlen sorgt dafür, dass er begreift wie unglücklich alle unter diesen Voraussetzungen sind. Insofern will er „no longer let his anger separate him from those whom he loves and who love him“, wie es Elizabeth Kennedy ausdrückte. Interpretiert man Sendaks Werk primär aus diesem Blickwinkel, wird der Film der Vorlage durchaus gerecht. Doch die Projizierung von Max auf alle sieben „Wild Things“ will nicht immer vollends überzeugen. Schon allein deshalb, da es wie erwähnt weniger Wilde Kerle als vielmehr manisch-depressive Kerle sind, die man aufgetischt bekommt. Auch die Katharsis von Max wirkt relativ halbgar, da er nicht ein Mal seine Phantasiewelt gebacken bekommt und diese immerhin eine vereinfachte Version seiner Realität darstellt. Ingesamt wirkt Jonzes Adaption vom sozialpsychologischen Standpunkt her somit leicht überfrachtet, weshalb auch die hinzugefügte Handlung nur bedingt überzeugen will.

Von der technischen Umsetzung her ist Where the Wild Things Are jedoch ausgesprochen gelungen. Die digitalisierten Gesichter auf den realen Kostümen synthetisieren gut und es schadet den Wilden Kerlen nur, wenn Jonze sie durch die Luft springen lässt. Hier wirken die Bewegungen nun wenig natürlich, was aber ob der geringen Präsenz an Sprüngen annehmbar ist. Ein besonderer Trumpf ist jedoch der Soundtrack von Karen O, der unentwegt jenes phantastische Gefühl zu transportieren weiß, das Sendaks Geschichte innewohnt. Und während sich Records erstaunlich gut schlägt, zwischen all den Riesenkostümen, sind es speziell Gandolfini und Dano, deren Stimmen besonders gut gewählt scheinen. Somit ist Where the Wild Things Are vielleicht kein Meisterwerk, aber trotzdem – und gerade in seinen letzten Minuten – ein teils wunderschöner und ergreifender Film geworden. „L.O.V.E., it’s a mystery“, singt Karen O schließlich im Abspann und es verabschiedet sich mit Spike Jonze nach vier Jahren Arbeit der wahre König der Wilden Kerle.

7/10