29. April 2010

Ajami

إن شاء الله

Fremder im eigenen Land zu sein, ist eine Erfahrung, die man wohl niemandem wünscht. So wie es den Palästinensern in Israel ergeht, nachdem man ihnen vor 62 Jahren die Juden vor die Nase setzte. Der Nahost-Konflikt ist ein Reizthema der Weltpolitik, unabdingbar verbunden mit dem Holocaust und somit mit der Kneifzange anzufassen. Sicherlich verdienen die Juden eine eigene Nation, in der sie mal keiner verfolgt (eine traurige Konstante der Weltgeschichte). Sicherlich ist es aber auch nur bedingt rechtens, den Palästinensern dadurch quasi den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Eine Zwei-Staaten-Lösung - vermutlich das Beste für beide Völker - scheint auch heute kaum umsetzbar. Zu groß das Misstrauen, zu tief sitzt der Hass. Da stellen Filme wie Ajami einen Schritt in die richtige Richtung dar, behandelt Scandar Coptis und Yaron Shanis Film doch die problematische Beziehung beider Populationen, auch wenn sie keine Lösungsansätze präsentieren.

Am 13. Mai 1948 wurde Jaffa vom israelischen Militär annektiert, zwei Jähre später mit Tel Aviv vereint und ist seitdem lediglich ein Stadtteil. Jaffa selbst ist dabei über 5.500 Jahre alt und war vor 1948 nahezu vollständig Arabisch-Muslimisch. Mit der Annektion der Israelis sank die Gesamtbevölkerung um 70 Prozent, wohl auch, weil 95% der Araber flohen oder vertrieben wurden. Heute sind Jaffa und sein Straßenviertel Ajami ein Spiegelbild für Jerusalem und Israel selbst. 40.000 Menschen nennen Jaffa ihre Heimat, darunter 22.000 Juden und 18.000 Araber, von denen wiederum 6.000 dem christlichen Glauben folgen. Ein Schmelztiegel unterschiedlicher Religionen und Kulturen, der seine Opfer fordert - auch in den eigenen Reihen. Scandar Copti, arabischer Christ aus Ajami und Yaron Shani, jüdischer Israeli, der in Tel Aviv studiert hat, reflektieren nun in ihrem Film jene Konflikte offen und ungeblendet, auch wenn ihre Verbindung aller Episoden sehr konstruiert ist.

Sie erzählen vier Geschichten, deren Herzstück in Omar (Shahir Kabaha), einem arabischen Israeli auszumachen ist. Sein Onkel schoss einen kriminellen Beduinen an, weshalb dessen Stamm nun Omar und seine ganze Familie auslöschen will. Außer Omar kauft sich frei, doch fehlt ihm dazu das Geld. Dass er in Hadir (Ranin Karim), die arabisch-christliche Tochter seines Gönners Abu Elias (Youssef Sahwani) verliebt ist, bringt ihn auch nicht weiter. Geldprobleme hat auch Malek (Ibrahim Frege), der aus dem Palästinensergebiet stammt und schwarz im Restaurant von Abu Elias arbeitet. Seine Mutter braucht eine Knochenmarkstransplantation, die Maleks Familie jedoch nicht finanzieren kann. Omar und Maleks Freund Binj (Scandar Copti) muss sich wiederum mit seinem wegen Mordes an einem Juden flüchtigen Bruder und dessen Drogenerbe herumschlagen. Und auch der israelische Polizist Dando (Eran Naim) hat Brudersorgen, scheint sein jüngerer Bruder doch von Palästinensern ermordet.

Unterteilt in kleinere Kapitel mit unterschiedlicher Länge befassen sich die beiden Regisseure nun mit verschiedenen Episoden, beziehungsweise Blickwinkeln, auf dieselbe Situation. Wenn man so möchte, ließe sich das Ganze auch als israelische Antwort auf Crash sehen, mit einer ordentlichen Einstreuung von Cidade de Deus. So wird versucht, alle Figuren miteinander in Verbindung zu setzen, was dann letztlich zu einer unnötigen, da übertriebenen, Konstruiertheit führt. Der Episodenfilm ist ein schmaler Grat, an dem sich auch Experten wie Alejandro González Iñárritu mit Filmen wie Babel die Zähne ausgebissen haben. Hätten Copti und Shani darauf verzichtet, alles mit allem und jeden mit jedem zu verbinden, beziehungsweise im Ansatz Antworten auf Fragen zu liefern, derer es nicht zwingend einer Antwort bedarf, wäre Ajami eine ganze Ecke runder geworden. Ohnehin gereicht es dem Film nicht zum Vorteil, derart viele Handlungsstränge zu beginnen, ohne die Zeit zu haben, ihnen allen gebührend Aufmerksamkeit zu schenken.

So verliert sich Omars Geldproblem nach dem ersten Kapitel aus dem Auge. Noch drei Wochen hat er, um mehrere tausend Schekel aufzutreiben. Sonst ist er tot und auf lange Sicht auch seine Mutter, Schwester und Bruder. Wenn man Omar dann das nächste Mal sieht, sitzt er gemütlich bei Binj auf dem Sofa und erst später, als er auf Binjs Kokain stößt, wird sein Problem wieder etwas thematisiert. Allerdings ohne die nötige Ernsthaftigkeit, merkt man später schließlich zu keinem Zeitpunkt mehr, dass es für ihn um Leben und Tod geht. Auch die Tragödie rund um Binjs Bruder wirkt eher als Mittel zum Zweck, müssen die Auteure doch erklären, woher Binj nun ebenjene Drogen hat. Letztlich hätte es dem Film wohl besser zu Gesicht gestanden, wenn man sich auf eine einzelne Episode konzentriert hätte, oder wenn Omars Geschichte die Haupt- und Dandos Handlung den Nebenstrang ausgemacht hätte. Aber auch so gefällt Ajami über weite Strecken.

Die beiden Regisseure übervorteilen keine der Parteien. Hier bringen israelische Araber Juden um, weil die sich über den Lärm ihrer Schafe beschweren, verüben Juden Rache an Palästinensern, wegen verlorenen Familienmitgliedern, exekutieren Beduinen die Araber, weil die sich in ihre Angelegenheiten einmischen und kritisieren Araber ihresgleichen, weil sie Beziehungen zu Juden pflegen. Man erhält einen kritischen Blick auf alle Beteiligten, seien es Juden, Muslime oder Christen, Israelis, Araber oder Palästinenser. Copti und Shani ist mit Ajami ein bisweilen intensiver Film über drei Bevölkerungsgruppen gelungen, die einander misstrauen und sich schief beäugen. Es ist ein Film geworden, der keine Antworten liefert, der aber aufzuzeigen versucht, was falsch läuft. Oft ist von Ehre die Rede, mehr noch von Gott. „Inschallah“, heißt es oft. So Gott will. Eine Demutshaltung, die jedoch auch dazu dienen kann, eine klare Stellungnahme zu vermeiden. Ist Frieden möglich, zwischen den Völkern Israels? Inschallah. So Gott will.

6.5/10

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