it’s what a man does with what happens to him.
Die Kamera fängt einen Mann unter Wasser ein, der sich windet und kämpft. Er will an die Oberfläche, kann dorthin jedoch nicht gelangen. Er sinkt und sinkt, die Luft zum Atmen geht ihm aus. Dieser Mann ist George Falconer (Colin Firth), ein Literaturprofessor aus Los Angeles, der einst aus England in die Vereinigten Staaten kam. Der Mann unter Wasser ist eine Versinnbildlichung von Georges Schicksal. Eine Zusammenführung seiner letzten acht Monate, in denen George sank und ihm die Luft auszugehen drohte. Sein Lebensabschnittspartner Jim (Matthew Goode) verstarb vor acht Monaten bei einem Autounfall. Sechzehn Jahre waren der über fünfzig Jahre alte George und der jüngere Jim zusammen. In einer schwülen Nacht, ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges, lernten sie sich kennen. Seit Jims Tod sinkt George hinab in die Tiefe. Am 30. November 1962 soll dem adretten Professor schließlich die Luft ausgehen.
Mode-Designer Tom Ford adaptierte Christopher Isherwoods Roman A Single Man von 1964, welcher sich mit dem letzten Tag im Leben des homosexuellen Professors George befasst. George ist ein lebloser Mann, müde und erschöpft. “It takes time in the morning for me to become George”, erzählt die Figur zu Beginn. “Time to adjust what is expected of George and how he has to behave.” George spielt ein Spiel. Nicht für sich, sondern für seine Umwelt. Eine Maske, hinter die nur wenige Menschen, wie seine alte Freundin Charley (Julianne Moore) oder die Nachbarn von gegenüber blicken. “By the time I have dressed and put the final layer of polish on the now slightly stiff but quite perfect George, I know fully what part I’m supposed to play”. George ist in gewissem Sinne dem Comic-Helden Superman nicht unähnlich. Er kleidet sich an, er kämmt sich das Haar, er zieht sich die Brille auf. Er ist Clark Kent. Er ist unsichtbar.
Isherwood war selbst Dozent. Eines Tages fragte er einen Freund, wie viele seiner Kollegen wüssten, dass Isherwood schwul sei? Alle, so die Antwort. In A Single Man wird nicht klar, ob Georges Mitarbeiter von seiner Homosexualität wissen. Er spricht mit seinem Kollegen Grant (Lee Pace), während er die nackten Oberkörper zweier Tennisspieler betrachtet. Er komplimentiert seine Sekretärin bezüglich ihres Aussehens. Später spricht er in seiner Vorlesung von Minderheiten. Und von der Angst der Mehrheit. “Fear after all is our real enemy”, sagt er. “And if the minority is somehow invisible than the fear is even greater.” Bis zur Schwulenrevolution und den Stonewall-Unruhen 1969 würde es noch sieben Jahre dauern. Noch ist es riskant, sich offen als homosexuell zu outen. Bisweilen auch heute noch. George setzt eine Maske auf. Er weiß, was von ihm erwartet wird. Er spielt das Spiel mit. Zumindest noch an diesem 30. November.
Der Verlust von Jim nagt an George und zieht ihn hinunter in die Tiefen des Wassers, raubt ihm den Atem. “Looking in the mirror staring back at me isn’t so much a face as the expression of a predicament”, heißt es zu Beginn. Ein doppeldeutiger Ausspruch, bezieht er sich zugleich auf Georges Homosexualität als auch seine Depression. “Just get through the goddamn day”, lautet daher sein Mantra. Die Prämisse der Geschichte scheint Shakespeare entlehnt. “Once more unto the Breach, Deare friends, once more.” Es soll sein letzter Tag werden. Er löst seine Konten auf, versieht die Haushälterin mit einer ordentlichen Abfindung, legt sich den Anzug raus, in dem er beerdigt werden möchte. Der 30. November soll zu einer Abschiedstour werden. Zu seiner Abschiedstour. “If it’s going to be a world with no time for sentiment it’s not a world that I want to live in”, entgegnete George gegenüber Grant zuvor in ihrem Gespräch.
Ford fängt diesen vermeintlich letzten Tag von George visuell besonders ein. Stets ist Firths Gesicht blass, fast grau. Leblos. Was man speziell in der Szene merkt, in der George mit Kenny (Nicholas Hoult), einem Schönling seiner Vorlesung, redet. Blondes Haar, pinkfarbene Lippen, voller Leben. Die Schnitte zwischen Kenny und George lassen Letzteren fast schon wie eine Leiche erscheinen. Doch Georges letzter Tag verläuft anders als dieser denkt. Kenny geht auf ihn zu, öffnet sich ihm, bietet ihm seine Freundschaft an. Ein gut aussehender Madrilene, Carlos (Jon Kortajarena), flirtet ganz ungezwungen mit George und macht ihm sexuelle Avancen. Das losgelöste Abendessen mit seiner Jugendfreundin Charley bringt freudige nostalgische Erinnerungen mit sich (“Living in the past is my future”, gesteht diese). Und jedes Mal, wenn George auf eine andere Person trifft, blüht er auf, gewinnt sein Gesicht an Farbe.
Man merkt Tom Ford an, dass es sich hier um seinen Debütfilm handelt. Die Regie ist in A Single Man zwar noch das Schlechteste, aber deswegen keineswegs schlecht. Einige Einstellungen und Entscheidungen verraten, dass Ford noch nicht ganz Zuhause in dieser neuen Welt zu sein scheint. Dafür zeichnet er sich in anderer Hinsicht aus, vom Drehbuch über das Schauspielensemble bis hin – natürlich – zu den Kostümen. Georges Anzug ist ein modischer Traum, sowohl der, den er trägt, wie auch der, den er für seine Beerdigung herauslegt. Natürlich stammen sie von Ford selbst, wie auch der restliche Look des Filmes seinen Stempel trägt. Zudem zeigt A Single Man, dass sich Ford mit dem Thema verbunden fühlt, was sich schließlich auch dadurch ausdrückt, dass der eigentlich Nachnamenlose Protagonist mit „Falconer“ den Namen von Fords erstem Liebhaber erhält.
Schaut man sich die Vita von Firth an, so gibt er selten den Hauptdarsteller. Am bekanntesten ist er vermutlich für seine Rolle in den Bridget Jones-Filmen, mit A Single Man wurde er im März nun durch die Academy in sein verdientes Rampenlicht gerückt. Es ist sein Film, wie auch Crazy Heart Jeff Bridges gehörte. Mit seiner warmen Verletztheit spielt Firth die Rolle seines Lebens. An seiner Seite glänzt die wie immer überzeugende Moore, deren Leistung der Academy dieses Jahr nicht einmal eine Würdigung wert war. Wie Moore bei den Oscars erwähnte, lernten sie und Firth sich erst am Filmset kennen, portraitieren ihre Jahrzehntelange Freundschaft aber mehr als glaubwürdig. Lob verdienen sich auch Hoult und Goode. Letzterer besonders durch die glaubhafte und romantische Beziehung, die Ford ihn in Rückblenden mit Firths Charakter erleben lässt. Dennoch ist A Single Man kein Film der Darsteller.
Ford und David Scearce adaptierten gemeinsam Isherwoods Roman in ein beeindruckendes Drehbuch, dessen Zeilen oftmals wie Poesie anmuten. Hier ist kein Wort zuviel gewählt, stattdessen hat jede Silbe eine Funktion. Hinzu kommen teilweise wunderbar subtile philosophische Einstreuungen und Reflektionen über das Leben (“If one is not enjoying one’s present, there isn’t a great deal to suggest that the future should be any better”). Lediglich den Schlusssatz hätte Ford sich vielleicht sparen können, doch trübt dies die Schönheit des Drehbuches nicht. Ausgesprochen nett ist auch die Musik geraten, die bisweilen an Clint Mantsells Komposition zu The Fountain erinnert. Insgesamt betrachtet ist A Single Man ein Film, der wenig falsch macht, lediglich in seinen letzten Minuten etwas Zeit für die Aufarbeitung vermissen lässt, ansonsten jedoch fraglos zu den gelungensten und anmutigsten Filmen dieses Jahres gezählt werden kann.
8.5/10
Mode-Designer Tom Ford adaptierte Christopher Isherwoods Roman A Single Man von 1964, welcher sich mit dem letzten Tag im Leben des homosexuellen Professors George befasst. George ist ein lebloser Mann, müde und erschöpft. “It takes time in the morning for me to become George”, erzählt die Figur zu Beginn. “Time to adjust what is expected of George and how he has to behave.” George spielt ein Spiel. Nicht für sich, sondern für seine Umwelt. Eine Maske, hinter die nur wenige Menschen, wie seine alte Freundin Charley (Julianne Moore) oder die Nachbarn von gegenüber blicken. “By the time I have dressed and put the final layer of polish on the now slightly stiff but quite perfect George, I know fully what part I’m supposed to play”. George ist in gewissem Sinne dem Comic-Helden Superman nicht unähnlich. Er kleidet sich an, er kämmt sich das Haar, er zieht sich die Brille auf. Er ist Clark Kent. Er ist unsichtbar.
Isherwood war selbst Dozent. Eines Tages fragte er einen Freund, wie viele seiner Kollegen wüssten, dass Isherwood schwul sei? Alle, so die Antwort. In A Single Man wird nicht klar, ob Georges Mitarbeiter von seiner Homosexualität wissen. Er spricht mit seinem Kollegen Grant (Lee Pace), während er die nackten Oberkörper zweier Tennisspieler betrachtet. Er komplimentiert seine Sekretärin bezüglich ihres Aussehens. Später spricht er in seiner Vorlesung von Minderheiten. Und von der Angst der Mehrheit. “Fear after all is our real enemy”, sagt er. “And if the minority is somehow invisible than the fear is even greater.” Bis zur Schwulenrevolution und den Stonewall-Unruhen 1969 würde es noch sieben Jahre dauern. Noch ist es riskant, sich offen als homosexuell zu outen. Bisweilen auch heute noch. George setzt eine Maske auf. Er weiß, was von ihm erwartet wird. Er spielt das Spiel mit. Zumindest noch an diesem 30. November.
Der Verlust von Jim nagt an George und zieht ihn hinunter in die Tiefen des Wassers, raubt ihm den Atem. “Looking in the mirror staring back at me isn’t so much a face as the expression of a predicament”, heißt es zu Beginn. Ein doppeldeutiger Ausspruch, bezieht er sich zugleich auf Georges Homosexualität als auch seine Depression. “Just get through the goddamn day”, lautet daher sein Mantra. Die Prämisse der Geschichte scheint Shakespeare entlehnt. “Once more unto the Breach, Deare friends, once more.” Es soll sein letzter Tag werden. Er löst seine Konten auf, versieht die Haushälterin mit einer ordentlichen Abfindung, legt sich den Anzug raus, in dem er beerdigt werden möchte. Der 30. November soll zu einer Abschiedstour werden. Zu seiner Abschiedstour. “If it’s going to be a world with no time for sentiment it’s not a world that I want to live in”, entgegnete George gegenüber Grant zuvor in ihrem Gespräch.
Ford fängt diesen vermeintlich letzten Tag von George visuell besonders ein. Stets ist Firths Gesicht blass, fast grau. Leblos. Was man speziell in der Szene merkt, in der George mit Kenny (Nicholas Hoult), einem Schönling seiner Vorlesung, redet. Blondes Haar, pinkfarbene Lippen, voller Leben. Die Schnitte zwischen Kenny und George lassen Letzteren fast schon wie eine Leiche erscheinen. Doch Georges letzter Tag verläuft anders als dieser denkt. Kenny geht auf ihn zu, öffnet sich ihm, bietet ihm seine Freundschaft an. Ein gut aussehender Madrilene, Carlos (Jon Kortajarena), flirtet ganz ungezwungen mit George und macht ihm sexuelle Avancen. Das losgelöste Abendessen mit seiner Jugendfreundin Charley bringt freudige nostalgische Erinnerungen mit sich (“Living in the past is my future”, gesteht diese). Und jedes Mal, wenn George auf eine andere Person trifft, blüht er auf, gewinnt sein Gesicht an Farbe.
Man merkt Tom Ford an, dass es sich hier um seinen Debütfilm handelt. Die Regie ist in A Single Man zwar noch das Schlechteste, aber deswegen keineswegs schlecht. Einige Einstellungen und Entscheidungen verraten, dass Ford noch nicht ganz Zuhause in dieser neuen Welt zu sein scheint. Dafür zeichnet er sich in anderer Hinsicht aus, vom Drehbuch über das Schauspielensemble bis hin – natürlich – zu den Kostümen. Georges Anzug ist ein modischer Traum, sowohl der, den er trägt, wie auch der, den er für seine Beerdigung herauslegt. Natürlich stammen sie von Ford selbst, wie auch der restliche Look des Filmes seinen Stempel trägt. Zudem zeigt A Single Man, dass sich Ford mit dem Thema verbunden fühlt, was sich schließlich auch dadurch ausdrückt, dass der eigentlich Nachnamenlose Protagonist mit „Falconer“ den Namen von Fords erstem Liebhaber erhält.
Schaut man sich die Vita von Firth an, so gibt er selten den Hauptdarsteller. Am bekanntesten ist er vermutlich für seine Rolle in den Bridget Jones-Filmen, mit A Single Man wurde er im März nun durch die Academy in sein verdientes Rampenlicht gerückt. Es ist sein Film, wie auch Crazy Heart Jeff Bridges gehörte. Mit seiner warmen Verletztheit spielt Firth die Rolle seines Lebens. An seiner Seite glänzt die wie immer überzeugende Moore, deren Leistung der Academy dieses Jahr nicht einmal eine Würdigung wert war. Wie Moore bei den Oscars erwähnte, lernten sie und Firth sich erst am Filmset kennen, portraitieren ihre Jahrzehntelange Freundschaft aber mehr als glaubwürdig. Lob verdienen sich auch Hoult und Goode. Letzterer besonders durch die glaubhafte und romantische Beziehung, die Ford ihn in Rückblenden mit Firths Charakter erleben lässt. Dennoch ist A Single Man kein Film der Darsteller.
Ford und David Scearce adaptierten gemeinsam Isherwoods Roman in ein beeindruckendes Drehbuch, dessen Zeilen oftmals wie Poesie anmuten. Hier ist kein Wort zuviel gewählt, stattdessen hat jede Silbe eine Funktion. Hinzu kommen teilweise wunderbar subtile philosophische Einstreuungen und Reflektionen über das Leben (“If one is not enjoying one’s present, there isn’t a great deal to suggest that the future should be any better”). Lediglich den Schlusssatz hätte Ford sich vielleicht sparen können, doch trübt dies die Schönheit des Drehbuches nicht. Ausgesprochen nett ist auch die Musik geraten, die bisweilen an Clint Mantsells Komposition zu The Fountain erinnert. Insgesamt betrachtet ist A Single Man ein Film, der wenig falsch macht, lediglich in seinen letzten Minuten etwas Zeit für die Aufarbeitung vermissen lässt, ansonsten jedoch fraglos zu den gelungensten und anmutigsten Filmen dieses Jahres gezählt werden kann.
8.5/10
Die Assoziation zu Clint Mansell ist korrekt. Zutreffend ist auch dein Lob für dei Darsteller, als auch die visuelle Gefälligkeit, nebst des Spiels mit dem Farben. Aber, und das ist mein Vorwurf an den Film (der ihn mir im Übrigen auch verlidet hat), Ford stellt die Inszenierung weit über den Inhalt. Die Dialoge geben sich zwar bedeutungsschwer, verpuffen aber in der zähen Maß der Narration. Ich kann mich an keinen Film der letzten Jahre im Kino erinnern, bei dem ich mich so gelangweilt habe, wie in diesem Film.
AntwortenLöschenIch kann mich an keinen Film der letzten Jahre im Kino erinnern, bei dem ich mich so gelangweilt habe, wie in diesem Film.
AntwortenLöschenSo ruhige und bedachte Filme sind eben nichts für Jedermann. Für sowas gibt es ja eigentlich uns Kritiker, damit sich der Zuschauer vorher informiert, was einen erwartet. Trailer sind da auch ne große Hilfe. ;)
Den Trailer fand ich ziemlich gut gemacht. Und wie du weißt, habe ich nichts gegen ruhige Filme. ;-)
AntwortenLöschenDann weiß ich auch nicht, ich fand, der Trailer gibt den Film sehr genau wieder.
AntwortenLöschenStarker Film, der - wie du richtig sagst - Unsicherheiten in der Regie aufweist, mich aber insbesondere für ein Debüt wegen seiner kraftvollen, bewegenden und mit viel Stilwillen inszenierten Geschichte gepackt hat.
AntwortenLöschen*mussichgucken*
AntwortenLöschenWenn er sogar dir gefällt... ;)
Bei Tom Ford liegt das Style over content doch schon im Blut:-)
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