18. Januar 2008

The Kite Runner

For you, a thousand times over.

Geschichten von Schuld und Sühne verkaufen sich gut, denn schließlich steckt in jedem von uns ein kleiner Teufel, der bei Gelegenheit freigelassen wird. Manchmal lügen wir oder weichen jemandem gezielt aus, lästern hinter dem Rücken des Chefs oder begehen gedanklich Ehebruch mit dem Partner. Und doch schimpft sich die Mehrheit der Welt religiös und lebt dennoch nicht nach ihren Grundsätzen. Schuld ladet sich jeder in seinem Leben auf, der eine mehr, der andere weniger und der Akt eine Schuld zu begehen, ist ein rein menschlicher. Und da er so menschlich ist, ist es geradezu ausgeschlossen, einen solchen Akt in seinem Leben nicht zu begehen. Das Entscheidende ist jedoch, seine Tat zu bereuen, Sühne zu üben, denn nur dann, kann man in Frieden leben, mit seiner Umwelt, am wichtigsten jedoch mit sich selbst. Natürlich gibt es auch solche reuelosen Menschen, deren Seele verrottet ist und die so etwas wie Sühne oder Schuld nicht kennen, die restlichen Menschen leben jedoch solange mit ihrer Schuld, bis sie diese sühnen. Schuld und Sühne ist also ein durch und durch menschliches Thema, gerade erst hat mit Atonement eine Adaption den Golden Globe als Bester Film gewonnen, die ebenfalls von Schuld und Sühne handelt. Im Jahr 2003 erschien in den Vereinigten Staaten von Amerika eine neue Geschichte über Schuld und Sühne, geschrieben von einem afghanisch-stämmigen Amerikaner und Anästhesisten, Khaled Hosseini. Nur zwei Romane wurden im Jahr 2005 in den USA häufiger verkauft, als Hosseinis The Kite Runner (dt. Drachenläufer), jetzt ist im Kino die Verfilmung gestartet.

San Francisco, Sommer 2000: Der afghanische Romanautor Amir (Khalid Abdalla) erhält einen Anruf aus Pakistan von Rahim Khan, einem ehemaligen Freund seines Vaters aus alten Zeiten in Kabul. Rahim Khan bittet Amir nach Pakistan zu kommen, es wäre sehr dringend, Rahim Khan schließt das Gespräch mit den Worten „Es gibt eine Möglichkeit, es wieder gut zu machen“. Schweren Herzens verabschiedet sich Amir von seiner Frau Soraya (Atossa Leoni), denn Amir weiß ganz genau, was Rahim Khan mit seinen letzten Worten gemeint hat. Damals, im Winter 1975 in Kabul, hat Amir etwas getan, bzw. etwas nicht getan, was ihn den Rest seines Lebens verfolgen sollte. Als Amir (Zekeria Ebrahimi)zwölf Jahre alt ist, lebt er mit seinem reichen und einflussreichen Baba (Homayoun Ershadi) im Kabuler Wazir-Akbar-Khan Viertel und bereitet sich mit seinem Freund Hassan (Ahmad Khan Mahmidzada), der zugleich sein hauseigener Diener ist, da er zu der unterwürfigen Rasse der Hazara gehört, auf das traditionell-jährliche Drachen-Turnier vor. Für Amir hat das Turnier eine entscheidende Bedeutung, kann er mit einem Sieg doch seinem Baba beweisen, dass er nicht so schwach und armselig ist, wie dieser von ihm denkt. In der Tat gelingt es ihm im Drachenkampf zu obsiegen und Hassan eilt als Drachenläufer aus, ihm den Siegesdrachen als Trophäe zu ergattern. Amir folgt Hassan schließlich und findet diesen in einer Straßenecke von dem gleichaltrigen, aber soziopathischen Assef und seinen zwei Freunden drangsaliert. Aus Loyalität zu Amir verweigert er Assef den Drachen und wird daraufhin vergewaltigt – statt einzuschreiten, schaut Amir jedoch doch nur zu und fortan soll sein Leben nie mehr das gleiche sein, wie zuvor.

Hosseini gelang mit seinem Debütroman ein Stück wundervoll-melancholischer Literatur, voller Schmerz und Leid, nur mit Anflügen von Hoffnung hier und da. Ein Stück über Schuld und die daraus resultierende Sühne, zugleich ein Beispiel dafür, wie selbst aus Sühne noch neue Schuld entstehen kann. Viel fokussiert sich im Roman auf die Beziehung zwischen Amir und Baba in der Kabuler Zeit. Amirs Mutter starb bei seiner Geburt und wir viele Kinder, deren Mütter bei der Geburt starben, macht auch er sich schwere Vorwürfe deswegen. Amir fehlt die Begeisterung und Leidenschaft für die Hobbys und Interessen seines Vaters, er interessiert sich nicht für Fußball und ihm wird schlecht beim Autofahren. Zudem hält Baba seinen Sohn für verweichlicht, denn Amir wehrt sich nicht gegen andere Kinder, wenn diese ihm sein Spielzeug wegnehmen. Sein mangelndes Selbstbewusstsein lebt der wohlhabende Paschtune an seinem Diener Hassan aus, der zur verachteten Rasse der Hazara zählt. Da Hassan nicht lesen kann, obliegt es Amir ihm Geschichten und Märchen vorzutragen. Gerne verändert Amir jedoch die Geschichten oder zieht den ungebildeten Hassan mit seiner fehlenden Kenntnis von Fremdwörtern auf. An einem Tag zwingt Amir Hassan beinah Dreck zu fressen, fasziniert von dessen Loyalität ihm gegenüber, der Amir immer nur höflich mit „Amir Aga“ anspricht. Besonders eifersüchtig ist Amir auf die Zuneigung seines Vaters gegenüber Hassan, die scheinbar größer ist als die zu Amir.

Amir leidet sehr unter der fehlenden Nähe zu seinem Vater und sieht nur in einem Sieg beim Drachenkampf-Turnier die Möglichkeit in den Augen seines Vaters etwas zu erreichen. Hassan weiß das und deswegen – zusammen mit seiner Loyalität – lässt er Assef walten. Amir sieht zu, traut sich nicht einzuschreiten und wird dies den Rest seines Lebens büßen. Fortan ist es um die Freundschaft der beiden geschehen, Amir provoziert Hassan, er sucht, er verlangt geradezu nach einer Bestrafung für sein Verhalten – bekomm sie jedoch nicht. Da es Amir mit seiner Schuld nicht länger aushält, aber nicht sühnen kann, ladet er sich mehr und mehr Schuld auf, bis es irgendwann zu einem klaren Schnitt kommt, zu einer letzten großen Schuld. Nachdem Hassan und dessen Vater aus ihren Leben verschwunden sind, und sie selbst aus dem von Sowjets besetzten Kabul nach Amerika fliehen, beginnen sich Baba und Amir als Vater und Sohn einander anzunähern. Viel dreht sich in Hosseinis Geschichte um Afghanen und ihren Glauben, ihre Religion, ihr Lebensverständnis. Immer spielt nang und namoos, Ehre und Stolz, eine große Rolle. Im Alltag und besonders im Umgang mit Frauen. Als Amir in den USA mit Soraya die Tochter eines ehemaligen afghanischen Generals kennen lernt, merkt er, dass ein Afghane seiner Kultur nicht entfliehen kann, nicht einmal in Freemont, Kalifornien. Er und Soraya heiraten, auch wenn sich diese selbst Schuld in ihrer Vergangenheit aufgeladen hat – doch Amir vergibt ihr, da er selbst weiß, was es heißt sich eine große Portion Schuld aufzuladen. Immer wieder wird er an Hassan denken.

All diese Punkte und Motive tauchen im Drehbuch von David Benioff bedauerlicherweise nicht auf. Sträflich werden alle Szenen mit emotionalem Tiefgang, die für die Handlung von Bedeutung sind, ausgelassen. Stattdessen hangelt sich Benioff von einer oberflächlichen Situation zur nächsten, erzählt die Geschichte nicht chronologisch, sondern wie es ihm gerade in den Kram passt. Die problematische Beziehung zwischen Amir und seinem Vater wird dabei genauso wenig thematisiert – bzw. in einem einzigen Satz abgehandelt – wie die Tatsache, dass Hassan mehr Amirs Diener ist, als dessen Freund. Genauso wenig sticht heraus, dass Assef ein Soziopath ist, was seinen Ursprung nicht nur in dessen Reichtum findet, sondern auch darin, dass seine Mutter eine Deutsche und er selbst deswegen so hoch gewachsen ist. Seine Herkunft bringt ein Interesse und schließlich eine Faszination für Hitler mit sich, doch das alles geht bei Benioff unter, hier ist Assef nur irgendein Schläger von der Strasse. Auch die Bedeutung von Hassan und Ali für Amirs Vater und die daraus resultierenden entscheidenden Szenen für die gesamte Handlung hält Benioff nicht für groß beachtenswert. Andere Streichungen wie die Weglassung von Hassans Mutter Sanaubar zum Beispiel sind gut gewählt, da bereits im Roman äußerst problematisch. Dennoch fehlt Benioff hier das Gespür für die wichtigen Szenen, das Talent zu unterscheiden, was für die Geschichte von Bedeutung ist und was nicht. An dieser Aufgabe scheitert er grandios, indem er all das in seinem Drehbuch akzentuiert, was für die Entwicklung, bzw. Darstellung der Figuren von keinerlei Belang ist.

Von Regisseur Marc Forster ist man nach diesem Film schon schwer enttäuscht, hätte man nach Finding Neverland doch einen Geniestreich bei einer solch großartigen Vorlage erwarten können. Doch auch Forser akzentuiert die Szenen falsch, legt sein Augenmerk lieber auf den Drachenkampf und die Hochzeit, macht sogar so gravierende Fehler wie afghanische Frauen und Männer gemeinsam an einem Grab stehen zu lassen oder Soraya am Esstisch mit ihrem Vater ein Glas Wein hinzustellen. Um die im Buch zu ausführlich dargestellte afghanische Kultur tut es einem in Forsters Film wirklich leid, denn diese kommt hier aus der klischeebehafteten arabischen Musik nicht sonderlich zur Geltung. Auch Kate Dowd, der in Finding Neverland noch eine so wunderbare Besetzung gelungen ist, tritt hier voll und ganz von einem Fettnäpfchen ins nächste, besonders Khalid Abdalla kann seine Rolle nicht tragen, vor allem in den Kabul-Szenen merkt man ihm das an. In The Kite Runner stimmt am Ende wirklich gar nichts und eine großartige Romanvorlage, auf deren Verfilmung ich mich seit Monaten gefreut habe, sorgte für beständiges Kopfschütteln im Kinosaal. Nicht einmal Adaptionsniete Peter Jackson hätte diese phantastische Geschichte so gegen die Wand fahren können, wie es Forster tut – wohl die Enttäuschung 2008.

1.5/10

3 Kommentare:

  1. Ich kenne das Buch und auch die dazugehörige Verfilmung nicht, bin aber doch sehr froh dass ich scheinbar endlich einmal jemanden gefunden habe, der "Finding Neverland" nicht wie die meisten Leute für einen kompletten Schuss in den Ofen hält.

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  2. Zum einen:

    Forster ist imho einer der besseren Jung-Regisseure. Kann mir kaum vorstellen, dass sein Neuer so ein Schund sein soll. Ich werd mich überraschen lassen.

    Zum anderen:

    FINDING NEVERLAND ist alles andere als "ein Schuss in den Ofen". ;-)

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  3. Ich persönlich finde NEVERLAND ist einer der schönsten Filme der letzten Jahre und dass Forster hier totalen Murks abgeliefert hat und die Prämissen der Vorlage verrät.

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